Wenn die Schwalben heimwärts ziehn

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Ferdinand Stolle
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Wenn die Schwalben heimwärts ziehn
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 41, S. 651–654
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1864
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[651]
„Wenn die Schwalben heimwärts ziehn.“
Ein Erinnerungsblatt aus dem vormärzlichen Schriftstellerleben, von Ferdinand Stolle.

Wer hat das Lied nicht schon gesungen oder singen hören und wer kennt heute noch den Dichter dieses und noch vieler andern schönen Lieder und wer spricht noch von ihm?

Es war gegen das Ende der zwanziger Jahre, als in der Mittagzeit eines schönen Sommertags aus dem Marterkasten eines der Dresdner Lohnkutscher, die damals in Leipzig im Birnenbaum, dem heutigen Hotel de Pologne, ihre Einkehr zu halten pflegten, ein junger Mann stieg und die mit einer Brille bewaffneten Augen die hohen Häuser der Hainstraße entlang schweifen ließ. Sein Alter mochte die mittleren Zwanziger erreicht haben. Die Figur gehörte mehr der kleinern Menschenausgabe an und war nichts weniger denn imponirend. Den besten Empfehlungsbrief aber trug der junge Mann auf seinem Antlitz, das geistreich, aber zugleich von ungemeiner Gutmüthigkeit sprach.

Leipzig, die Metropole des buchhändlerischen Lebens und Verkehrs, galt damals jungen strebsamen Schriftstellern, namentlich den außersächsischen, für das Eldorado, wo das goldne Manna in die Straßen regnete. Andere auch, die sich in der Heimath von einer allzu ängstlichen Censur beengt fühlten, glaubten in einer Stadt, wo die angebliche deutsche Freiheitsschlacht geschlagen worden, für ihre freisinnigen und patriotischen Gefühle eine freiere und frischere Luft zu finden.

Auch Carl Herloßsohn, von Prag kommend, wo er seine akademischen Studien beendet, und von dem Bewußtsein „auch ich bin ein Maler“ getrieben, war dem verlockenden Leuchtthurme gefolgt und hatte hoffnungsreich und als Millionär an guten schriftstellerischen Ideen die Musenstadt betreten.

Der Mensch denkt, Gott lenkt! ein Sprüchwort, das bei Niemandem ersichtlicher hervortritt, als bei jungen künstlerischen und phantasiereichen Naturen. So auch mit unserm Herloßsohn. Da war er nun in Leipzig, dem Ziele seiner langgehegten Wünsche; aber Niemand bekümmerte sich um ihn. Das praktische Leben und Treiben der Handelsstadt, wo sich Alles um’s „Geschäft“ dreht, hatte keine Zeit, sich um einen jungen Mann zu kümmern, dem kein Ruf vorherging. Es öffnete sich gastlich keine Thür, kein befreundeter Heerd nahm ihn auf, und dem hoffnungsreichen, aber völlig mittellosen Dichter – sein Ränzlein war so bescheiden, als je ein armer deutscher Akademiker solches getragen – blieb nichts übrig, als in einem Oberstübchen des Thomaskirchhofes seinen Musentempel aufzuschlagen.

War aber auch sein Ränzlein leicht und unscheinbar, so ruhten gleichwohl unbezahlbare Schätze darin, und der glückliche Dichter glaubte, wie der französische Soldat, seinen Marschallstab im Tornister zu tragen. Es waren die unterschiedlichen Manuskripte, die er von Prag mitgebracht, und er gab sich gern der frohen Hoffnung hin, die ja ein Erbtheil junger Autoren, daß sich die Leipziger Buchhändler um Acquirirung dieser werthvollen Manuskripte jedenfalls über das Schnupftuch schießen würden.

Die Buchhändler schossen sich aber nicht, sondern schickten, Einer nach dem Andern, Mancher vielleicht ohne einen Blick hineingethan zu haben, die für den Dichter so schätzbaren belletristischen Arbeiten zurück. Das hatte er nicht erwartet. Für so verblendet hatte er den Leipziger Buchhandel, der doch so viel druckt, nicht gehalten. Wie oft stieg er in jener Zeit, das Herz voll Wehmuth und den Kopf voll Sorgen, die dunkle Stiege hinab zum benachbarten Schweizerbäcker Kintschy, um sein Herzeleid in einer Tasse Mocca oder einem Gläschen Parfait d’amour zu versenken! Eine Hoffnung nach der andern schwand, ein Regenbogenstrahl nach dem andern erlosch, eine Illusion nach der andern zerrann vor der herben Wirklichkeit.

Nur zu bald erkannte unser Dichter, daß es selbst in der Metropole des Buchhandels, und obschon daselbst Tausende von Büchern gedruckt werden, mit lohnender Schriftstellerei seine nur zu großen Schwierigkeiten habe; und so blieb, nachdem alle Versuche, ein Manuskript an den Mann zu bringen, vergebens gewesen, ihm, der später selbst manchem Abschreiber zu verdienen gegeben, um nur den bescheidensten Lebensunterhalt zu erschwingen, nichts übrig, als selbst – Abschreiber zu werden. Ein Leipziger Gelehrter gewährte solch kärglichen Verdienst, indem er ihm Manuskript zur Reinschrift gab.

Indeß sollte diese Prüfungszeit für unsern Herloßsohn nicht von allzulanger Dauer sein. Ein untergehendes Gestirn am damaligen belletristischen Himmel ward für ihn zum Glücksstern. Es war dies der bekannte H. Clauren (Carl Heun). Die süßliche Manie und Unnatur der „Mimilis“ und der „Tausendsappermentsmädels“ neigte sich ihrem Ende zu. Wilhelm Hauff mit seinem jene Manie persiflirenden „Mann im Monde“ führte den ersten schweren Schwertschlag, und Herloßsohn mit seiner eine gleiche Tendenz verfolgenden „Emmy, oder des Schicksals Wege sind des Schicksals Stimme“ setzte das Geschäft mit Glück fort. Da Herloßsohn gleichfalls den Namen Clauren (Heinrich Clauren) dazu benutzte, fand sich bald ein Verleger.

Der Name dieses zweiten falschen Demetrius ward aber bald bekannt, und so hatte der gelungene Wurf auch das Gute, daß man auf Herloßsohn’s glückliches Erzählungstalent aufmerksam wurde, und aus dem Bogenschreiber für zwei gute Groschen entpuppte [652] sich zwar bald wieder ein Bogenschreiber, nur daß sich die Sache hundertfach besser lohnte.

Bereits nach zwei Jahren sehen wir unsern Freund in ganz behaglichen Verhältnissen an schönen Sommernachmittagen im Schweizerhäuschen des Rosenthales, im Kreise von Freunden, deren er sich durch seine joviale Laune bald in Menge erworben hatte, sein Gläschen Grog schlürfend und von Zeit zu Zeit mit einem Operngucker, seinem steten treuen Begleiter, die anwesenden Frauen und Mädchen musternd.

Die glücklichste Periode seines Lebens begann unstreitig mit der Gründung des „Kometen“, eines belletristischen und für die damalige Zeit ziemlich freisinnigen Blattes, obschon das erste Jahr durch Mißhelligkeiten mit dem ersten Verleger getrübt war. Der Komet trat mit dem Jahre 1830 in’s Leben und wurde in Altenburg gedruckt, wo die Censur weniger streng war, als in der Stadt der deutschen Befreiungsschlacht und der Musen. Die pikante Weise, in der das Blatt geschrieben war, fand überall Freunde. Mit ihm zugleich erschien ein satirischer Band unter dem Namen „Hahn und Henne“, der aber weniger ansprach, da er nur die Schattenseiten des gesellschaftlichen Lebens behandelte. Nachdem der Roman „der Venetianer“ den Reigen eröffnet, folgte „der Ungar“ und diesem nun von Jahr zu Jahr, in fast ununterbrochener Reihenfolge, die übrigen bekannten historisch-romantischen Gemälde.

Als Lyriker hat Herloßsohn manch schönes inniges Lied gesungen. Viele seiner metrischen Dichtungen sind componirt, und außer einigen gefälligen Trinkliedern ist besonders das „Wenn die Schwalben heimwärts ziehn“ in’s Volk gedrungen. Viel Freude machte es dem Dichter, wenn zu Messenszeiten dieses Lied von den Preßnitzer Jenny Linds zum Besten gegeben wurde, und er bedachte dann stets reichlicher das umherwandelnde Notenblatt. Und dieses Lied war durch einen reinen Zufall in die Hand des Componisten gelangt, der es berühmt machte. Der Leipziger Schriftsteller hatte an F. Abt ein Paket Bücher zu schicken und benutzte als Umschlag zufällig die Kometennummer, worin das Lied zum ersten Male abgedruckt war. Die einfachen Verse sprachen den Componisten in einem Grade an, daß er sofort die Melodie dazu schuf, die bald die Reise um die Welt machte.

Herloßsohn war nie verheirathet, obschon er, wie seine erotischen Dichtungen hinreichend darthun, ein großer Verehrer des schönen Geschlechts war. So kam denn seine ganze freie Zeit und gute Laune allein seinen Freunden zu gute, die er im Hause oder an der Wirthstafel aufsuchte. Hier sprudelte sein harmloser, nie verletzender Witz mit seltener Unermüdlichkeit, und seinem Anekdotenschatze ward Gelegenheit, sich in seinem ganzen Reichthums zu zeigen.

Zu den vertrautern Bekannten unsers Herloßsohn gehörten eine Reihe von Jahren der liebenswürdige Componist des „Czar und Zimmermann“, Albert Lortzing und der beliebte Baßbuffo Berthold. Man sah die Drei oft beieinander, zuweilen auch bei einem Fläschchen Scharlach- oder Johannisberger in einer der bekannten Leipziger Weingrüfte. Der heiterste Scherz wechselte da mit den ernstesten Stimmungen, da die zwei Letztgenannten mit den grauen Sorgen des Lebens nur zu schwer zu kämpfen hatten. Wenn diese Drei, die der Himmel so reich mit Talenten und Liebenswürdigkeit gesegnet hatte, zusammensaßen, dann sammelte sich rasch ein größeres Publicum um sie und Alles horchte ihrer geistreichen und immer anregenden Unterhaltung. Es war ein seltenes Kleeblatt aus der Musenwelt: der sinnige reichbegabte Dichter, der tüchtige Opernsänger und Schauspieler und der liederreiche Componist – der Schöpfer von „Czar und Zimmermann“, des „Wildschützen“ etc. etc.

Zur Ruhe, zu jener abgeklärten Abgeschlossenheit und künstlerischem Stillleben, wie sehr er sich oft danach sehnte, konnte Herloßsohn indeß nie gelangen. Es ist darum ein Räthsel geblieben, wann er überhaupt seine zart empfundenen und sauber geformten Lieder gedichtet. Seine Wohnung, zugleich sein Redactionsbüreau, ward nicht leer von Mitarbeitern, Schauspielern etc., die alle den damals mächtigen Schriftsteller um seine Fürsprache baten. Der Komet war zu jener Zeit das gelesenste Wochenjournal und Alles geizte nach einer Erwähnung in die Spalten dieses Blattes.

Einmal nahm der störende Besuch in solchem Grade überhand, daß sich unser Freund in seiner Verzweiflung nicht anders zu helfen wußte, als daß er sich nach Baiern flüchtete, nicht in das Bierland, sondern nach Hotel de Baviere [WS 1], wo er sich für seine „anatomischen Leiden“, die damals fertig werden mußten, nach dem Hofe hinaus ein einsames, selbst für den Pedell unergründliches Stübchen gemiethet hatte. Ein ähnliches Asyl gewährte ihm später der Buchhändler Taubert, für den er einen Roman schrieb. Hier saß er in einem Stüblein, dessen Fenster nach einem Sackgäßchen hinausging; und um ihn vor etwaigem Besuche möglichst zu schützen, hatte Madame Taubert die Vorsicht getroffen, die Thür mit einem vorgelegten Plattbrete zu verbarrikadiren und selbst plattend Wache zu halten. Das schlagbaumartige Plattbret mußte erst aufgehoben werden, ehe man zu Herloßsohn gelangen konnte, was natürlich nur in den außerordentlichsten Fällen und den intimsten Freunden verstattet war.

Zur Zeit der Ostermesse erreichte der Tumult auf dem Bureau des Kometen den höchsten Grad. Zu den instädtischen schönen Geistern gesellten sich auch noch die ausländischen, von denen jeder glaubte, dem beliebten Herloßsohn seinen Besuch abstatten und seine Bekanntschaft machen zu müssen. Letztern schlossen sich dann die Löwenbändiger, Feuerfresser, Reitkünstler und sonstigen Beherrscher des Roßplatzes an, die alle den geplagten Redacteur um eine Empfehlung im Kometen bestürmten. Herloßsohn in seiner überaus großen Gutmüthigkeit vermochte kein derartiges Gesuch abzuschlagen, sobald aber Petent das Zimmer verlassen, fluchte ihm der Besitzer desselben über alle Maßen nach.

Herloßsohn’s Witz und Schlagfertigkeit waren allbekannt und es existiren darüber eine Masse der prächtigsten Anekdoten. So hatte der Besitzer des Hotel de Pologne zu einer Messe die Säle seines Hauses neu decoriren lassen und Alles freute sich der geschmackvollen Einrichtung. Nur ein paar Berliner Kaufleute, die in Geschäften zur Messe anwesend, fanden sich in Betracht ihrer heimischen Etablissements keineswegs befriedigt und sprachen in vielfacher Beziehung ihren Tadel aus. Herloßsohn, der an der Table d’hôte in nächster Nähe saß, erwiderte kein Wort. Endlich wandte sich einer dieser Meßfremden an den Dichter selbst.

„Sagen Sie mal,“ schnarrte er, „man hat uns so viel von der noblen Einrichtung dieser Säle erzählt – wir sehen aber nichts Besonderes und auch das Publicum, namentlich die Frauen, scheinen uns nicht zur Noblesse zu gehören.“

„Nein,“ sagte Herloßsohn ganz trocken, „zur Noblesse gehören diese nicht. Es sind die Frauen der Meßfremden.“

Der Berliner sagte kein Wort mehr.

Gern liebte es Herloßsohn, wenn er im heitern Kreise seiner Bekannten saß, die ihm zunächst Sitzenden durch taschenspielerische Scherze zu necken. Namentlich that er sich auf seine Escamotage viel zu Gute, und eh’ man sich’s versah, hatte man eine fremde Tabaksdose, ein Cigarrenetui, einen Fidibusbecher in der Tasche. An einem heißen Sommertage speiste Verfasser dieses mit Herloßsohn im Hotel de Baviere. Zu Herloßsohn’s Linken saß ein etwas zudringlicher, aber sonst gutmüthiger Bewundrer seiner Muse, dem indeß die neckenden Liebhabereien des Dichters weniger bekannt waren. Herloßsohn benutzte diese Unschuld und prakticirte aus dem neben ihm stehenden Eiskühler ein Stück Eis nach dem andern geschickt in die Fracktasche seines Bewundrers. Er rieb sich vergnügt die Hände, als ihm die Escamotage vollständig gelungen; denn als wir bald darauf mitsammen die Petersstraße entlang gingen, begann das schmelzende Eis seine hydraulischen Belustigungen aus dem Frackschooße und ließ eine eigenthümliche Wasserspur hinter dem Bewundrer der Herloßsohn’schen Muse zurück. Der Betreffende wollte aus der Haut fahren, als er den durchweichten Zustand seiner Tasche visitirte, während sich der Escamoteur vor Lachen die Thränen aus den Augen trocknete.

Von Herloßsohn’s überaus großer Herzensgüte nur ein Beispiel. Ich ging mit ihm eines Sonntagnachmittags aus dem Rosenthale nach der Stadt zurück. Viel geputzte Spaziergänger kamen uns entgegen. Da entstand am Ufer der Pleiße plötzlich ein Auflauf. Ein paar Jungen hatten einen kleinen Hund in’s Wasser geworfen. Angstvoll kämpfte das arme Thier mit den Wellen. Herloßsohn vermochte dies nicht anzusehen, und eh ich mir’s versah, spang er trotz seiner schneeweißen Sommerbeinkleider in’s Wasser und rettete das gequälte Thier. Wir mußten einen Umweg machen, um so unbemerkt wie möglich Herloßsohn’s Wohnung zu erreichen, wo sich der thierfreundliche Retter umkleidete.

Bei Herloßsohn’s ungemeiner Gutmüthigkeit – er hat nie einen Bittenden abgewiesen – war es kein Wunder, wenn trotz der schönen Honorare seine finanziellen Verhältnisse nie recht zu einem ersprießlichen Gedeihen gelangen wollten. So lange die [653] fixirte monatliche Kometeneinnahme anhielt, mochte es gehen; als aber in Folge der Strömung einer neuen politischen Zeit das betreffende Journal einging, war der zeitherige Redacteur lediglich auf den Erwerb durch Romanschriftstellerei angewiesen.

Von hier beginnt unstreitig die trübste Periode in dem Leben unsers Dichters, da sich zu den Sorgen für die Existenz auch noch zunehmende Kränklichkeit gesellte, wodurch Muse und Schaffungskraft in hohem Grade beeinträchtigt wurden. In diese Zeit fällt auch ein Brief Saphir’s aus Wien, welcher unsern Freund auf das Allerschmerzlichste verwundete; wahrscheinlich weil der kranke Mann die darin allerdings sehr rücksichtlos ausgesprochene Wahrheit im Stillen doch anerkennen mochte. Saphir hatte nämlich in dem Briefe ein sehr demüthigendes, ja verletzendes Urtheil über Herloßsohn ausgesprochen, das mit den lieblosen Worten schloß: „werft ihn zu den Todten“, und der Briefempfänger war abscheulich genug gewesen, dieses Schreiben in des bereits kränkelnden Schriftstellers Hand gelangen zu lassen.

Ein Kleeblatt aus der Musenwelt.
Herloßsohn. Berthold. Lortzing.

Er war, wie gesagt, tief, tief gebeugt, als ich ihn eines Tages besuchte. „Da lies einmal,“ sprach er mit matter Stimme, „was der Saphir schreibt,“ und gab mir dies lieblose Schreiben. Ich war tief empört, mehr über die unglückselige Dienstfertigkeit des angeblichen Freundes, als über Saphir, der gewiß keine Ahnung gehabt, daß sein Schreiben je Herloßsohn zu Gesicht kommen werde. Das Halsübel unseres Freundes nahm indeß von Woche zu Woche zu und die Erwerbfähigkeit immer mehr ab; die Sorgen um des Leibes Nahrung und Nothdurft wurden immer drückender. Die Opferwilligkeit von des Dichters zahlreichen und darunter sehr begüterten Freunden mußte wiederholt in Anspruch genommen werden; aber was stumpft wohl leichter ab als Wohlthätigkeitssinn! Wenn ich in damaliger Zeit nach Leipzig kam, war stets mein erster Gang zu dem alten Freunde. Ich sprach ihn das letzte Mal im Spätherbst 1849. Er saß matt und mit erloschnen Augen im Sopha seines Erkerzimmers in der Hainstraße. Auf meine teilnehmende Anfrage erwiderte er: „Es geht schlecht, recht schlecht,“ und mit bitterm Lächeln fügte er hinzu: „sieh mal, wie das Schicksal ironisch mit mir spielt. Was hab’ ich mich jahrelang gesehnt, einmal weit ab von dem wüsten und betäubenden Stadtlärm in freundlicher ländlicher Abgeschiedenheit recht ungestört arbeiten zu können nach Herzenslust – jetzt schreibt mir der K…[1], ich soll zu ihm ziehen, er will mir ein freundlich Stüblein einräumen, im Frühling und Sommer mit erquicklicher Aussicht in’s Grüne; ich soll für nichts zu sorgen haben, um recht ungestört arbeiten zu können, und nun bin ich so schwach.“

Ich tröstete so viel ich konnte und schied mit tiefer Wehmuth im Herzen von dem alten Freunde.

Kurze Zeit darauf erhielt ich die Nachricht, daß derselbe ins Krankenhaus aufgenommen und wenige Wochen später gestorben sei. In allen Blättern, welche die Todesnachricht brachten, sprach sich die große Liebe aus, die der Dichter im Leben genossen. Sehr wahr hat ihn damals Ernst Keil im Leuchtthurm in einem kurzen Nachruf charakterisirt:

[654] „Herloßsohn, der gute, allbekannte, herzliche Herloßsohn ist schlafen gegangen. Was er als Romanschriftsteller, als Novellist und Dichter war – und wahrlich, er war keiner der schlechtesten im liederreichen Deutschland – das kritisch auseinanderzusetzen, überlassen wir den Literaturblättern und belletristischen Journalen. Aber er war mehr als ein Dichter, er war ein guter Mensch im schönsten und höchsten Sinne des Wortes, ein Gemüth, wie es in der kalten Welt jetzt seltener und immer seltener wird. Er kannte nur ein Streben, und das hieß: helfen und immer wieder helfen! Wo die Armuth hungerte oder das Unglück weinte, wo es einen herabgekommenen Schriftsteller oder eine darbende Familie zu unterstützen gab, einem zugereisten Künstler aus der Noth zu helfen, da war Herloßsohn dabei, und wenn er selbst keinen Groschen mehr besaß, dann lief er umher bei seinen wohlhabenden und reichen Freunden und bettelte, bis er geholfen und die Noth gehoben. Er hat Tausende im Leben verschenkt, hat tausend und abertausend Thränen damit getrocknet, und er selbst ist arm, bettelarm gestorben im Spital! – Ein deutsches Dichterleben!“ –

Ich selbst habe die nachfolgenden Zeilen auf seinen Grabeshügel niedergelegt:

Und als der Herbst kam trüb daher gegangen,
Vom Baume fiel das letzte Blatt,
Da grub auf Sanct Johannis wieder man ein Grab.
Und in der Erde dunkeln Schrein
Da senkte man mit stiller Wehmuth ein
Ein treu Gemüth, ein treues Blut,
Gar liebevoll und kindlich gut,
Und einen liederreichen Mund,
Voll ernster Rede, heitern Scherz,
Doch eine Perle war sein Herz.
Ach, dem man damals grub ein Grab,
Mit Freuden wohl sank er hinab,
Denn keine Rose wollte ihm mehr blühn,
Und keine Freude war ihm mehr verliehn –
Drum mußt’ er „heimwärts mit den Schwalben ziehn.

  1. Ein Herloßsohn seit Jahren befreundeter Buchhändler in Böhmen.

Anmerkungen (Wikisource)