Wie benehme ich mich?

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Autor: W. von Neuhof
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Titel: Wie benehme ich mich?
Untertitel: Ein allgemein verständliches, übersichtliches Nachschlagewerk über alle Fragen des guten Tones, ein den modernen Verhältnissen angepaßtes Lehrbuch für jedermann, der sich in jeder Gesellschaft sicher bewegen möchte.
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Erscheinungsdatum: 1921
Verlag: Verlag moderner Lektüre G.m.b.H.
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Erscheinungsort: Berlin
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[I]

Inhaltsangabe.


Vorwort.

Über die Notwendigkeit eines sicheren gesellschaftlichen Benehmens.
1. Wie soll ich persönlich auftreten?
a) Kleidung. Schmuck. Körperpflege.
b) Unser Heim.
c) Mein Wesen. – Zu Hause. In der Öffentlichkeit. Im Berufsleben.
2. Geselligkeit.
a) Allgemeine Anstandsregeln.
b) Besuche. Gesellschaften. Bälle.
c) Hochzeiten. Geschenke. Tischreden.
d) Familienverkehr.
e) Trauerfälle.
f) Speisenfolge. Weine.
g) Unsere Kinder und unser Verkehr.
3. Die Kunst ein angenehmer Gast zu sein, eine Unterhaltung zu führen und zur Unterhaltung beizutragen.
4. Wie schreibe ich Briefe?
5. Einige Winke über richtiges und gutes Deutsch.
6. Mädchen, die man heiratet, und Männer die man heiratet.

Schluß.

Über Leute, die jedem auf die Nerven fallen.


[1]

Wie benehme ich mich?


Ein allgemein

verständliches, übersichtliches

Nachschlagewerk über alle Fragen

des guten Tones, ein den modernen Ver-

hältnissen angepaßtes Lehrbuch für

jedermann, der sich in jeder

Gesellschaft sicher be-

wegen möchte


Von W. v. Neuhof



Verlag moderner Lektüre G. m. b. H.

Berlin SO 26, Elisabethufer 44


[2]
Nachdruck verboten. – Alle Rechte vorbehalten. Copyright 1921 by Verlag mod. Lektüre G. m. b. H., Berlin.


Druck P. Lehmann G. m. b. H., Berlin SO 26


[3]
Vorwort.
Über die Notwendigkeit eines gesellschaftlichen Benehmens.

Hand in Hand mit der fortschreitenden Kultur hat sich auch eine Fülle von Anstandsregeln ganz von selbst entwickelt. Der Anstand, die Schicklichkeit, gehört mit zur Kultur.

Die alten Kulturvölker, Ägypter, Griechen, Römer, Perser und wie sie alle heißen, besaßen genau so ihre Anstandsregeln, ihre Trinksitten und gesellschaftlichen Gebräuche wie wir heutzutage. Nur waren diese auch genau so verschieden wie in der Jetztzeit. Was in Athen als „fein“ galt, konnte in Rom als unfein oder taktlos gelten; wie wir heute als Deutsche uns hüten müssen, kritiklos fremde Anstandsregeln, etwa aus England, Amerika, oder Frankreich, anzunehmen. Jedes Volk hat seine Sitten. Und alles schickt sich nicht für jeden. Der „gute Ton“ jedes Volkes schmiegt sich notwendig den Charaktermerkmalen der Nation an. Wenn der Amerikaner seine Rücksichtslosigkeit (er selbst mag es „berechtigtes Selbstbewusstsein“ und Zwanglosigkeit nennen) so weit treibt, daß er für seine Füße jeden beliebigen Ruheplatz wählt, daß er mit übereinander geschlagenen Beinen im Eisenbahnabteil den Weg versperrt, und was sonst noch an ähnlichen Äußerungen des überzüchteten Freiheitsgefühls eines Mischvolkes, wie der Nordamerikaner es darstellt, zu nennen ist, – wenn weiter der Engländer den Rassenstolz bis zur deutlich gezeigten Geringschätzung anderer Nationen durch viele kleine, ihn so unsympathisch machende Verstöße gegen das beweist, was man „internationale“ Schicklichkeit nennen könnte, – wenn der Durchschnittsfranzose in seiner oft albern wirkenden [4] nationalen Eitelkeit (zu der jetzt noch der Siegestaumel getreten ist) großzügig dieselbe internationale Schicklichkeit aufs gröblichste verletzt und immer mehr zeigt, wie dünn der Kulturlack die „grande nation“ bedeckt, dann sollten gerade wir desto strenger darauf sehen, die Höhe unserer Kultur durch ein Benehmen zu erhärten, das unserem ernsten, gediegenen Volkscharakter entspricht. Gewiß – der unglücklich verlaufene Krieg hat unserer Volksseele einen harten Stoß versetzt. Vieles ist ins Wanken gekommen auf dem Gebiete der Sittlichkeit und des guten Tons. Freiheit darf nie zur Zügellosigkeit werden. Man hüte sich davor, des Glaubens zu sein, ein freies Volk könnte von früher her überlieferte moralische Grundanschauungen mit dem Achselzucken eines modernen Geistes in die Rumpelkammer tun! Die Geschichte der Völker lehrt, daß alle Kulturnationen, die das Freiheitsgefühl falsch auffaßten und den alten geheiligten Tempel der Moral verfallen ließen, selbst in kurzem einem rapiden Verfall anheimfielen. Zur Moral im weiteren Sinne gehört aber auch der Anstand, die Schicklichkeit, – das Benehmen.

Was ist Anstand? Wie verhält er sich zur Sittlichkeit schlechthin?

Anstand, lateinisch Decorum (daher die Redensart: „Das Dekorum wahren“) ist die Beachtung solcher Formen des äußeren Verhaltens, die einmal der Würde der sittlichen Persönlichkeit im Menschen, dann aber auch den Anschauungen entsprechen, die sich mit der Zeit, aber stets dem Wandel unterworfen, innerhalb einer bestimmten Gemeinschaft (Volk, Nation) über gewisse Einzelheiten dieses Verhaltens herausgebildet haben. Diese Formen sind veränderlich. Zur Zeit Friedrichs des Großen war es zum Beispiel durchaus üblich, mit dem Waschwasser sehr sparsam am eigenen Körper umzugehen. Die Damen ersetzten das Händewaschen morgens vielfach durch Auftragen von Puder. Heute versteht sich eine gewisse Pflege der Hände (Sauberkeit dieser braucht nicht erwähnt zu werden) von selbst.

Anstand bezieht sich also auf Äußerlichkeiten unseres Verhaltens. Sittlichkeit betrifft stets die Gesinnung [5] geht mithin den inneren Menschen an. Durch die Gesinnung beweisen wir, ob wir sittliches Empfinden besitzen; die Äußerungen unsrer Gesinnung, unser Tun und Lassen, sind der Gradmesser unserer Sittlichkeit. Unser Benehmen dagegen ist der Gradmesser unserer Kulturhöhe.

Da wir einmal dabei sind, uns gewisse Begriffe und Bezeichnungen, die mit zu unserem Thema „Wie benehme ich mich?“ gehören, klar zu machen, soll hier auch gleich die verwandte Frage erledigt werden: Was ist Takt oder Taktgefühl?

Takt ist kurz gesagt die Fähigkeit, in jeder gegebenen Lage sein Verhalten so einzurichten, daß es sowohl den allgemeinen Regeln der Sittlichkeit als auch den feineren, nicht auf Regeln zurückzuführenden Forderungen einer gefühlsmäßigen Rücksichtnahme auf unsere Mitmenschen genügt.

Takt läßt sich nicht anerziehen. Er ist stets der Ausfluß eines fein entwickelten Gefühllebens. Er beruht auf natürlicher Anlage, die durch Erziehung und Vorbild nur erweitert werden kann.

Wir sehen hier also ganz klar den Unterschied zwischen Anstand und Taktgefühl. Ersterer kann anerzogen werden; jeder, der nur das ernste Streben hat, ihn sich anzueignen, wird dies auch erreichen können. Takt muß eine gütige Fee uns mit in die Wiege legen als köstliches Geschenk. Wem Taktgefühl nicht angeboren ist, wird es sich nie anerziehen! Wer es besitzt, vermag leichter als jeder andere sich in den vielfachen Regeln des „guten Tones“ zurechtzufinden; ihm hilft eben die natürliche Anlage, das Rechte zu treffen.

Taktgefühl ist also auch vollständig unabhängig vom Bildungsgrade des Einzelnen. Der gelehrteste Mann kann durch Taktlosigkeiten „ungebildet“ wirken, da; gegen kann der einfachste Proletarier gerade durch den Takt in seinem Verhalten sich Achtung und Zuneigung unschwer erwerben. Der Millionär, der seine Wohltätigkeit[1] vor den Augen aller übt, mit seinem „guten Herzen“ protzt, ist taktlos; der Arbeiter, der einem kranken Kollegen heimlich Geld zusteckt, steht hoch über ihm. –

[6] Werfen wir nunmehr einen Blick auf das bisher Gesagte zurück, so finden wir sofort folgende Abstufungen der miterwähnten Begriffe:

Kultur schließt alles in sich, Moral, Anstand und so weiter. Moral, Sittlichkeit, umfaßt auch den Anstand, die Schicklichkeit, den guten Ton, – das Benehmen.

Anstand wieder ist untrennbar vom Taktgefühl.

Taktgefühl ist angeboren. Wem es nicht eigen, muß es dadurch zu ersetzen suchen, daß er strenger als jeder andere die Regeln des guten Tones beachtet und sich selbst ständig beaufsichtigt, um allmählich sich das abzugewöhnen, was ihn anderen unangenehm macht: Selbsterziehung!

– Weshalb besteht nun für jeden die Notwendigkeit. die Regeln des Anstandes zu beherrschen und sich dadurch ein sicheres gesellschaftliches Benehmen anzueignen?

Die Lebensparole des Einzelnen heißt „Vorwärts!“ Jeder will es weiterbringen; jeder möchte etwas erreichen: der eine die Selbständigkeit als Handwerker oder Gewerbetreibende; der andere eine bessere Stellung, einen höheren Posten; ein dritter trachtet lediglich danach, irgendwie reich zu werden. – Wir leben im Zeitalter des wohlberechtigten Grundsatzes: Freie Bahn dem Tüchtigen! Wir leben in einer Zeit, wo unendlich viele ziemlich unvermittelt emporgehoben worden sind aus ihrem bisherigen Kreise, wo Kriegsgewinne über Nacht Arme reich machten, wo viele eine Stellung erhielten, die von ihnen engeren Verkehr mit Gesellschaftsschichten verlangt, denen sie bisher fernstanden.

Nicht nur dieses Streben, vorwärts zu kommen, sondern auch das Einleben in neue Verhältnisse wird nun ganz wesentlich durch das Gefühl erleichtert: „Du weißt, wie Du Dich zu benehmen hast!“

Man unterschätze die Wichtigkeit dieses Gefühls nicht. Man denke nicht: „Ach was – ich bin ich, und ich schere mich den Teufel darum, ob andere über mich die Nase rümpfen!“ Selbst für diese Selbstbewußten, die grundehrliche Charaktere sein mögen, wird stets der [7] Augenblick kommen, wo sie sich sagen: „Hier fühle ich mich unbehaglich. Was tue ich nur? Mache ich dies so oder so? – Ich will mich doch schließlich nicht blamieren!“

Das Bewußtsein: „Ich beherrsche die Regeln des guten Tones vollständig!“ wird jedem eine äußere und innere Ruhe und Sicherheit verleihen. Und diese Sicherheit ist’s, die gar nicht hoch genug zu bewerten ist! In dieser Sicherheit liegen Vorteile für den Einzelnen, die vielfacher Art sind. Was nützt dem Begabtesten die Überzeugung von seinen Fähigkeiten, wenn er plötzlich durch das Sprungbrett „Freie Bahn dem Tüchtigen“ emporschnellt in einen Kreis, in dem er sich nun unsicher bewegt und deshalb unbehaglich fühlt? Eine rechte Freute am Erfolg wird er nicht haben. Erst wenn er sich bewußt ist: „Ich beherrsche nun auch das, was man „Benehmen“ nennt,“ beginnt der volle Genuß am Erfolg, mag dieser nun Reichtum, höhere Stellung oder sonstwie heißen.

Ein sicheres Auftreten gehört mit zur „Persönlichkeit“; erreicht wird es mit dadurch, daß man auch über das Bescheid weiß, was der gute Ton verlangt.

Wer es weiterbringen will, eigne sich beizeiten ein sicheres Benehmen an! Wer es schon zu etwas gebracht hat, ergänze das, was ihm in dieser Beziehung noch fehlt! Wir sind eine Kulturnation, und zur Kultur gehört der Anstand genau so wie die Sittlichkeit!




Hier sollen nun noch einige Dichterworte zu unserem Thema angeführt werden:

„Anstand ziert und kostet nichts.“

„Willst Du wissen, was sich ziemt,
So frage nur bei edlen Frauen an.“

[8] „Der Anstand kann keinem Menschen erlassen werden; er ist eine Allerweltssprache, ohne die man nicht verstanden wird.“

„Takt ist eine Geschicklichkeit, die den Menschen besser als Talent und Wissen über alle Schwierigkeiten fortführt.“

„– Wenn aber Taktlose Dich umringen, Das wird Dich zur Verzweiflung bringen.“

„Der Anstand verlangt, daß an Gewohnheiten aufgibt und sich dem unterordnet, was die Mehrheit als Richtlinie des Benehmens dem Boden unseres Zusammenlebens eingepflügt hat.“




[9]
Erstens.
Wie soll ich persönlich auftreten.
a. Kleidung.
Wie kleide ich mich und was ziehe ich an?

Erledigen wir zunächst die holde Weiblichkeit. –

Man sagt den Frauen zu Unrecht einen besseren Geschmack, was Kleidung angeht, als den Männern nach. Es ist erstaunlich, wie vielen Frauen jeder Sinn für richtige Farbenzusammenstellung abgeht und wie sehr sie sich darüber täuschen, was ihnen gut oder schlecht zu Gesichte steht.

Man beobachte nur Frauen beim Einkauf von Hüten, Blusen und so weiter. Eine redegewandte Verkäuferin, ein aalglatter, menschenkundiger Verkäufer schmiert ihnen durch die verzückte Versicherung: „Gnäd’je Frau (oder „Meine Dame, Sie –“) dürfen unbedingt stets nur diese Form (Farbe, Schnitt, Machart) tragen“ die ältesten, unglaublichsten Ladenhüter an!

Einer Korpulenten wird ein helles, gestreiftes Kostüm aufgeschwatzt, das sie natürlich noch umfangreicher erscheinen lässt; einer Blassen dreht man eine grüne Bluse an, so daß der Teint noch fahler durch den Kontrast zu Grün wirkt; einem schlanken, hübschen Mädel wird ein braunes Sommerkostüm verkauft, während sie doch durch ein helles sich nicht künstlich älter machen würde; eine Rotblonde zieht mit einer feuerroten Seidenbluse ab und ahnt nicht, wie beleidigend diese Farbenzusammenstellung für das Auge ist.

Man könnte diese Aufzählung ins unendliche verlängern! –

[10] Meine Damen! Sich „schick“ kleiden, ist eine Kunst; sich elegant kleiden mit einem Durchschnittsgeldbeutel, ist eine noch schwerere Kunst, aber – erlernbar!

Ich kann Ihnen hier nur Winke geben. Wenn Sie diese beherzigen, werden Sie zum mindesten nicht durch einen geschmacklosen Anzug auffallen. Nur Winke! Sonst müßte ich über dieses Unterthema ein Buch für sich allein schreiben! –

In erster Linie: Kleiden Sie sich Ihrem Alter, Ihrer Figur, Ihrem Teint und Ihrer Haarfarbe entsprechend! Beachten Sie, daß in gesetzteren Jahren ein allzu jugendlicher Anzug lächerlich wirkt! Machen Sie dann nicht mehr jede Mode mit, etwa wie die der kurzen Röcke, unter denen dann ein Paar allzu rundliche Gehwerkzeuge zum Vorschein kommen!

Überhaupt: die Mode! – Einem Menschen von Geschmack sträubt sich das Haar, wenn er sieht, wie unsinnig oft Frauen einer Mode folgen, gleichgültig, ob diese sich für ihre Gesamterscheinung eignet. Zum Beispiel: Es gibt doch nun mal leider Damen, die an stark gewölbten unteren Gliedmaßen leiden. Ich will niemand verletzen. Daher umschreibe ich die O-Berne! – Glauben Sie, daß es schön wirkt, wenn unter einem der heutigen Ballettröckchen diese gewölbten Stelzen sich so recht augenfällig präsentieren?! Wäre es besonders für die heiratsfähige weibliche Jugend in diesem Falle nicht ratsamer, Mode Mode sein zu lassen und dem Röckchen so viel an Länge zuzugeben, daß die Wölbung schämig verborgen bleibt?! –

Wenn man so auf der Kurpromenade irgend eines Badeortes sitzt und die beneidenswerten Badegäste weiblichen Geschlechts (jeder ist bei den Preisen beneidenswert, der sich Badegast nennen darf!) an sich vorbei schweben läßt, dann kann man sozusagen „Anzugsfehler“ studieren. Es sind stets dieselben Fehler.

Da kommt ein hübsches Mädel angetänzelt in schwarzseidenem Rock, weißen Strümpfen, schwarzen Lackschuhen, gelber Bluse zum strohblonden Haar. Trüge sie schwarze Florstrümpfe, würde die Unterpartie weniger „landsch“ (abgeleitet von „ländlich“) ausschaun. Hätte [11] sie statt der gelben Bluse eine schlichte weiße an, so wäre das holde Kind entzückend. So aber ist sie – geschmacklos angezogen.

Dann fällt eine Dame, die man auf 2 Zentner Gewicht ohne weiteres einschätzen kann, unangenehm auf. Neben mir sagt ein Herr: „Na – die sollte bei ihrem Speckhals auch besser eine geschlossene Bluse und nicht gerade Weiß tragen!“

Stimmt! – Der Herr hätte noch hinzufügen können: „Schwarze, hohe Schnürstiefel zu einem so duftig sein sollenden Anzug verderben alles!“ – Zu Weiß gehören entweder weiße Strümpfe und weiße Leinenschuhe, oder schwarze Strümpfe und Halblackschuhe. Ein farbiger, etwa hellbrauner Strumpf verpfuscht das Gesamtbild unbedingt.

Und abermals schwebt eine Elfe vorüber, die dem kritischen Blick ein Manko der Toilette zeigt. Die Elfe ist elfenhaft mager. Aber halsfreie Blusen sind ja modern. Und deshalb trägt man eine und enthüllt dem Blick die magere Halspartie, so daß die Herrenwelt schnell vorbeischaut an dieser Ausstellung von unter der Haut sich abzeichnenden Skelettteilen.

Nachdem man sich kaum von diesem Schreck über solchen Fettpolstermangel erholt hat, erscheint eine Dame mit sehr kurzer Taille, die sandgrauen Rock und dazu eine zartblaue Bluse anhat. Die kurze Taille erscheint durch diese Zusammenstellung noch kürzer. Die ganze Figur wirkt unglücklich, würde aber in keiner Weise auffallen, wenn die Betreffende sich einfarbig tragen wollte.

Da sind wir nun auf „Blau“ geraten. – Es kann nicht genug vor dieser Farbe gewarnt werden, das heißt, vor Hellblau! Zu Hellblau gehört ein zarter, frischer Teint. Genau so wie zu Rosa und Gelb! Wie unendlich viele wissen das nicht und bilden sich ein, durch zarte Farben sich selbst zarter zu machen! Weit gefehlt! Die fahle Haut sticht dadurch nur noch mehr in die Augen. – Von Grün ist schon vorhin gesprochen worden. All dies bezieht sich auch auf Hüte. –

[12] Der Herr neben mir ruft leise: „Donnerwetter – schick!“

Ganz recht: die Dame ist schick angezogen. Dabei ist sie dem Gesicht nach nur Durchschnitt. Ganz weiß, geschlossene Bluse, die hier einen etwas langen Hals verdeckt. Um die Schultern eine weiße Federboa. – Man freut sich. Auch über die Haltung und die Art zu gehen. Der Kopf wird gerade getragen, in der ganzen Gestalt liegt etwas Straffes, der Schritt ist ruhig, natürlich. –

Die Körperhaltung, der Gang! Wie viel wird dagegen gesündigt! Wie schlecht wirkt ein vorgestreckter Kopf, ein hastiger oder geziert leichter Gang! Zu einer schönen oder schön sein wollenden Frau gehören gemessene, abgerundete Bewegungen. –

Ein neuer wandelnder Fehler: eine sehr üppige Dame mit einer ganz prall über der Brust anliegenden Bluse. Wenn hier die unschöne Fülle durch eine gefällig garnierte Bluse geschickt verdeckt wäre, würde der Gesamteindruck ein anderer sein.

Nun tauchen ein paar kleine Mädelchen auf, so etwa zwölfjährig. Die Eltern können sich’s offenbar leisten, ihre Kinder in Seide herumlaufen zu lassen. Aber – daß sie aus ihren Kindern auf diese Weise Äffchen machen, die jeder Verständige belächelt, wissen sie offenbar nicht. Eltern von feinem Geschmack werden ihre Sprößlinge nie zu wandelnden Modepüppchen erziehen. Man kleide Kinder kindlich, wie es sich gehört. –

Worin besteht nun die Kunst, sich vornehm zu kleiden? – Sehr einfach: In der Schlichtheit, der Unauffälligkeit des Anzugs, der richtigen Farbenwahl und in einer Machart, die der Figur entspricht. Wer „Dame“ sein will, vermeide es, sich „aufzudonnern“. Durch auffällige Eleganz wirkt man nie vornehm. –

– Und die Herrenwelt? – Hier kann ich mich kürzer fassen. Auch hier bleibt die Hauptbedingung: Vermeide das Auffällige! Werde nicht Gigerl! Bilde Dir nicht ein, Du machtest Eindruck durch braune Schuhe mit weißen Gamaschen, durch strengste Befolgung der augenblicklichen Mode. Besonders ältere Herren sollten sich hiervor hüten. Diskret gemusterte Stoffe für den [13] Straßenanzug bleiben neben blauen stets das vornehmste. Wer korpulent ist. wähle nie hell. Sei auch vorsichtig beim Einkauf von Krawatten! Beachte, ob die Krawattenfarbe zu der Anzugfarbe passt. Wer es sich leisten kann, suche auch die Farbe bunter Oberhemden mit Anzug und Krawatte in Einklang zu bringen. Zu einem blassen Gesicht nicht eine Krawatte in Braun, Grün oder einer verwaschenen Farbe! – Nie zum Smoking, Gehrock und weggeschnittenen Rock ein farbiges Oberhemd! Hierzu genau so wenig farbige Schuhe. Diese Anzugsarten gehören ebenso wie der Frack zur Gesellschaftstracht. Dieser erfordert schwarze Schuhe, Lackschuhe. Doch hierüber sofort näheres. –

Was soll ich nun aus meinem Garderobenvorrat für bestimmte Fälle wählen?

Für Besuche (Antrittsvisite) bei Bekannten ist für den Herrn Gehrock und Zylinder, für die Dame Kostüm üblich. (Vergl. hierzu auch unter 2, b, Besuche). Für Vorstellungen bei Vorgesetzten für den Herrn Frack oder Gehrock. In diesem Falle erkundigt man sich am besten vorher bei Kollegen, da hier der Brauch schwankt. Damen wählen zum Kostüm (Mantel) möglichst passende Handschuhe. Weiße Handschuhe mit schwarzen Raupen bleiben am feinsten und eignen sich zu jedem Kostüm.

Für Diners (Mittagessen mit langfristiger Einladung, vergl. 2, b) ist Frack, für Damen Gesellschaftskleid vorgeschrieben. Weiße Handschuhe für beide Teile, oder für Damen ganz helle, zur Farbe der Robe passende.

Für Soupers (Abendessen, vergl. 2, b), Frack oder Smoking. Zum Smoking stets schwarze Seidenschleife. Für Damen wie bei Diners.

Für zwanglose Mittag- oder Abendessen (kurzfristige oder mündliche Einladung) Smoking oder weggeschnittener Rock mit dunklen, diskret gestreiften Beinkleidern und Lackschuhen; einfarbige Krawatte; weißes Oberhemd für Herren; Damen Rock und elegante Bluse oder elegantes Straßenkleid, Lackschuhe. – Handschuhe überflüssig.

– Es sei darauf hingewiesen, daß in den verschiedenen Städten oft verschiedenes, was Anzugsarten betrifft, [14] üblich ist. Jedenfalls wird man aber bei Beachtung des hier Angegebenen nie gegen den „Gesellschaftskomment“ verstoßen. –

Hiermit verlasse ich das Gebiet der Kleidung und will ganz gedrängt einiges anführen über

Schmuck.

Es ist zwecklos, gegen die Unsitte bei Damen, sich die Hände mit Ringen zu überladen, noch irgendwie vom Leder zu ziehen. Auch Frauen, die auf „höhere“ Bildung pochen, können es nicht über sich gewinnen, einen Teil ihrer Ringe daheim zu lassen.

Wenn man so eine Dame mit einigen zehn Brillantringen am Nebentische sieht, wenn sie womöglich noch trotz 28 Grad Hitze draußen einen kostbaren Pelzkragen trägt, dann denkt jeder: „Kriegsschieber!“

Meine Damen! Wollen Sie wirklich unbedingt für Kriegsgewinnler auf den ersten Blick gehalten werden?! Genügen nicht drei oder vier Ringe?

Und dann: Zu kostbaren Ringen gehört eine gepflegte Hand! – Wie oft wird das vergessen.

Nicht jeder besitzt auch eine schlanke Hand, schlanke Finger. Wie häßlich wirken an einer kurzfingerigen, fettgepolsterten Hand die großen Marquisringe mit der brillantenbesetzten Platte in viereckiger, ovaler oder sonst einer Form! Ein kurzer Finger erscheint durch einen solchen Ring noch kürzer, da ja das ganze untere Fingerglied verdeckt wird. An eine solche Hand gehören schmale Ringe mit einem einzigen Stein oder kleiner runder Platte.

Weiter: auch bei Ringen kann man Farbensinn beweisen! An demselben Finger Brillanten, ein grüner Smaragd and ein blauer Türkis – scheußlich. Schon an derselben Hand beleidigen grüne und blaue Steine das Auge. Gewiß: sie fallen auf! Aber – was auffällt, ist stets geschmacklos.

Junge Mädchen sollten nur sehr bescheidenen Schmuck tragen. Allzuviel Ringe, dazu noch eine auffallende Toilette, und das Fräulein setzt sich der Gefahr aus, für „Halbwelt“ gehalten zu werden. Glauben Sie auch nicht, [15] meine jungen Damen, daß Sie durch Ihre Juwelenausstellung heiratsfähigen Herren von Geschmack imponieren! In den seltensten Fällen! Wem das imponiert, der ist nicht auf der Suche nach einer Lebensgefährtin, sondern schaut sich nach einem Schwiegervater mit dickem Geldsack um, und – „der weibliche Juwelenladen“ bleibt nur das notwendige Übel, das mitgeheiratet werden muß. Hierüber noch in Abschnitt 6 einiges.

Ganz unpassend, unfein, ist es, zur Straßentoilette sich mit Schmuck zu behängen. In dieser Hinsicht leisten Russinnen und Polinnen etwas. Ein Brillantarmband ohne größere Zierglieder aus Edelmetall, wo also Brillant an Brillant gereiht ist, ist genau wie Brillantkollier oder größere Halskette aus Edelsteinen der großen Gesellschaftstoilette, mit halsfreier Taille, vorbehalten. Desgleichen die mehrreihige Perlenkette.

Gegen einfache Perlenketten und Gold- oder Platinkettchen mit Anhänger ist nichts einzuwenden. Sie passen zu jeder Toilette. Desgleichen Broschen aller Art. Vor allzu großen Ohrringen sei gewarnt. Ebenso vor Bernsteinketten zu einem fahlen Teint! Da eignet sich nur ein farbenfroher Halsschmuck, etwa Korallen. Man sollte auch in dieser Beziehung nicht jede Mode unbesehen mitmachen.

Niemals trage eine Frau, die geschmackvoll sein will, zur Straßentoilette neben Halskette noch Brosche und Vorstecknadel! Und niemals billigen Kram neben echten Steinen!

Billiger Kram! – Damit kommen wir auf das Gebiet des unechten Schmucks, der Imitationen, der Similisteine und Kunstperlen. – Weshalb soll eine Dame, die sich eine echte Perlenschnur nicht leisten kann, nicht künstliche Perlen tragen?! Wenn diese Schnur nur nicht allzu protzig (Größe der Perlen) ist, wird nur der Kenner zu unterscheiden vermögen, ob echt oder unecht. Über Similisteine denke ich anders. Das Tragen dieser bleibt stets eine in die Augen fallende Täuschung der Umwelt. Immerhin: nicht jeder kann sich echten Schmuck kaufen, und wer Similibrillanten mit Geschmack und Maß auszuwählen [16] weiß, braucht nicht zu fürchten, belächelt zu werden. Wie in allem, schadet auch hier ein Zuviel!

Uhrarmbänder werden aus jedem Metall angefertigt. Wer ein solches besitzt, trage nie am selben Arm ein zweites Armband! Und – man vermeide (junge Mädchen!) die Uhrarmbänder mit Lederriemen. Die bleiben stets eine Verunzierung eines zarten Handgelenks. Der bescheuerte Riemen wirkt unschön, erinnert mehr an eine Lederfessel.

Noch ein Wort über Haarschmuck. Brillanten im Haar gehören lediglich zur „großen“ Toilette. Gegen einen mit echten Steinen in bescheidenem Maße besetzten Haarpfeil und dergleichen zum Straßenanzug läßt sich nichts einwenden. Aber: nichts wählen, was auffällt!

In jedem Falle höchst unfein sind goldene Armbänder am Fußgelenk. Das ist kokottenhaft. –

Herrenschmuck. – Fangen wir von oben, mit der Krawattennadel, an. Blaue Türkise in einem hellen, womöglich grünen Schlips – unmöglich! Zum hellen Binder (sog. „Eisenschlipse“ mit Schnallen sind ja längst verpönt!) am besten keine Nadel, höchstens Gold mit Perle. Zum dunklen Binder (gedeckte, feinabgetönte Farben sind stets am vornehmsten) paßt die einfache Perle am besten.

Über Ringe läßt sich dasselbe sagen wie für Damen: Jedes Zuviel erweckt bei Herren noch mehr den Eindruck mangelnden Geschmacks. Doppelte Schlangenringe mit Brillant und Smaragd am kleinen linken Finger gelten mit Recht als vornehm, ebenso der Goldreif mit einem einzelnen Stein. Auf den vierten Finger gehört kein sog. Schmuckring, höchstens ein Siegelring. Diesen auf den Zeigefinger zu stecken, ist der Gipfel der Geschmacklosigkeit.

Die dünne, goldene Uhrkette, über die Brust reichend und durch ein oberes Westenknopfloch gezogen, ist schick. Dicke Panzeruhrketten („Kuhketten“) vermeide man. Desgleichen etwa zur goldenen Uhr den Lederbeutel, um sie zu schonen.

Goldene, dünne Armbänder, unsichtbar getragen, mögen bei Herren hingehen. Wer sie aber auf die Hand [17] herabfallen läßt, nähert sich dem Gigerltum. Manschettenknöpfe sind Sache des Geschmacks.

Zum Frack und Smoking gehört nicht die lange Uhrkette, sondern das Chatelaine, der kurze, frei herabhängende Uhranhänger ähnlich dem „Bierzipfel“ der Studenten. –

Gehen wir über zur

Körperpflege.

Ebenfalls ein Buch ließe sich darüber schreiben. Wir wollen aber nur das erörtern, was man „Zeitfragen“ nennen könnte.

Ein grober Irrtum ist es, Puder und Schminke rundweg zu verdammen. Eine Dame, die einen fettigen Teint hat, kann geradezu unappetitlich wirken. Legt sie Puder auf, wird sie nur gewinnen. Wohlgemerkt: Der Puder darf nie so stark aufgetragen werden, daß er schon weithin leuchtet! Man vermeide besonders jene Pudersorten, die einen lila Schimmer der Haut verleihen. Ein kräftig-rosa Puder eignet sich für zarte Gesichter. Für gelblichen Teint stellen die Fabriken (auch für Sonnenbräune) Puder „bräunlich“ her. Dieser fällt am wenigsten auf, macht die Haut „matt“ und gibt ihr ein frisches Aussehen.

Wer sich pudert, muß das ganze Gesicht, auch Stirn, Nase, Kinn und die sichtbaren Halspartien überpudern. Es gehört Übung dazu, dies so zu tun, daß jedes Zuviel vermieden wird. Die Puderquaste ist ziemlich unpraktisch. Ein großer Wattebausch tut bessere Dienste, denn der Puder darf nicht nur aufgestäubt werden, sondern man muß ihn in die Haut einreiben. Die Angst, daß Puder den Teint verdirbt, ist unnötig. Jede Dame sollte nur vermeiden, sich morgens mit kaltem Wasser zu waschen. Das Wasser muß lau sein. Ein Zusatz von Borax ist sehr zu empfehlen; ganz leichtes Reiben der Gesichtshaut beim Abtrocknen ebenfalls.

Da ich nun einmal bei der Morgenwäsche bin, meine Damen, gestatten Sie mir ein offenes Wort: Viele, sehr viele von Ihnen wollen das Haar nicht feucht werden [18] lassen und vernachlässigen daher die Ohren. – Ich spreche wirklich aus Erfahrung. Ich bin Frauen in Gesellschaftstoilette begegnet, die – unsaubere Ohren hatten. Weshalb nicht einen kleinen Schwamm nehmen und auch den Ohren zuteilwerden lassen, was sich beim übrigen Gesicht von selbst versteht?! –

Wer Puder benutzt, sollte diesen stets im Handtäschchen mitsichführen, stets! Bei Gesellschaften, Bällen, im Restaurant – immer wird man guttun, gelegentlich nachzupudern. Nichts wirkt auf Herren so ernüchternd, als wenn Frauen z. B. nach ein paar Tänzen den matten Teint verlieren und speckig glänzen.

Schminke? – Nun, ich meine hier nicht die Theater-Fettschminken, sondern die in fester Form, die ähnlich wie Puder aufgetragen werden. Wie manche blasse, reizlose Frau gewinnt in ungeahntem Maße, wenn sie etwas Rot auflegt und Puder aufträgt! – Väter und Mütter, die ihren Töchtern dies verbieten, weil sie glauben, solche Schönheitsmittelchen seien unfein, sind falsch unterrichtet und erweisen ihren Kindern durch das Verbot nichts Gutes. Die heutige Zeit findet weder an Puder noch an Schminke (mit Maß benutzt) etwas Anstößiges, Unfeines. In Frankreich war man schon vor vierzig Jahren so weit. Der berühmte „Charme“ (Liebreiz) der Pariserinnen bestand stets in einem wundervollen – künstlichen Teint, – neben dem Schick, sich zu kleiden. –

Handpflege. - Jeder kann seine Hände pflegen, selbst der, der die gröbsten Arbeiten verrichtet. Niemand braucht mit schmutzigen Nägeln nach getaner Arbeit umherzulaufen. Jeder kann die Nägel sauber beschneiden und befeilen. Dazu braucht man keine Maniküre.

Wer die Nägel poliert oder lackiert (Nagellack gibt es überall), wird seine Hand nur verschönern. Die Zeiten, wo das polieren der Nägel bei Herren für „weibisch“ galt, sind vorüber. Nagellack möchte ich Herren nicht empfehlen. Der lackierte Nagel fällt zu sehr auf.

Gepflegte Nägel sind ein Schmuck jeder Hand, ein Zeichen von Kultur. Die spitze Form des Nagels bleibt die häufigste. Gewarnt werden muß vor dem Säubern [19] der Nägel mit einem spitzen Taschenmesser. Die Schneide macht die Innenseite des Nagels rauh, so daß nur zu leicht dort Schmutzteilchen haften bleiben. Ein elfenbeinerner Nagelreiniger ist am zweckmäßigsten. Man benutze eine Handbürste und trockne nachher die Nägel auch von innen! –

Ich komme zur Frisur. – Was gerade Mode ist, wird auch hier unbesehen mitgemacht. Ob diese Modefrisur für Gesicht- und Kopfform sich eignet – die wenigsten Frauen prüfen das nach! Eine glatt zurückgestrichene Haartracht, die jede Unschönheit der Stirnbildung den Blicken preisgibt, ist besonders unkleidsam; man kann ruhig sagen: für die meisten Frauen!

Zuweilen erlebt man es, daß eine Dame oder ein junges Mädchen sich für eine Abendgesellschaft oder Hochzeit zum ersten Male den Händen eines geschickten Friseurs oder einer ihr Handwerk wirklich verstehenden Friseuse anvertraut hat, und ist dann geradezu überrascht, wie angenehm das ganze Gesicht sich verändert hat. Hier irgendwelche Richtlinien für die Wahl einer Haartracht anzudeuten, ist unmöglich. Die Damen müssen schon selbst versuchen, das für sie Passende herauszufinden. Ein längliches Gesicht dürfte jedenfalls nie durch eine zu hohe Frisur gewinnen; ein rundes Gesicht eignet sich vielfach für den Madonnenscheitel; Fehler der Stirnbildung können durch die Haartracht verborgen werden.

Künstliche Haarergänzungen sind stets zu empfehlen, wo durch geringen Haarwuchs und eine daraus sich ergebende ungeeignete Frisur das Gesicht verliert. Der „falsche Zopf“ und so weiter wird viel bespöttelt. Sehr zu Unrecht. Er blickt auf eine Jahrhunderte alte Vergangenheit zurück. Die Uhrgroßmutter trug ihn, und unsere Ururenkelin wird ihn tragen.

Vor dem Gebrauch von Brennscheren muß gewarnt werden. Unvorsichtig und zu häufig benutzt, zerstören sie langsam die durch die Hitze malträtierten Teile des Haares, und das ist zumeist das Vorderhaar. – Kopfwäsche ist unbedingt des öfteren nötig. Wer an sehr fettigem Haar leidet, das leicht in Strähnen zu liegen [20] kommt und das Frisieren erschwert, verwende „Trockenhaarwäsche“, ein puderähnliches Präparat, das ganz vorzügliche Dienste leistet. Die Handhabung ist einfach, und das Haar gewinnt dadurch an Schönheit. Man kann es dauernd benutzen. Es fällt nie auf und „verkleistert“ die Haare nicht.

Den Damen möchte ich hier noch einen guten Rat geben, der sich nur auf die Frisur bezieht: Fragen Sie nie Ihre „beste Freundin“, ob Ihnen dies oder jenes „steht“! Nie –! Die „beste Freundin“ wird stets, auch wenn Sie sich durch dies oder das geradezu entstellen, verzückt rufen: „Anna – nein, was siehst Du entzückend aus!“ – Wählen Sie stets das Gegenteil von dem, was „Freundinnen“ Ihnen raten. Ausnahmen mag es geben, – ich meine „selbstlose“ beste Freundinnen. – Wenn ich Ihnen raten darf: wenden Sie sich in Toilettenfragen an einen bekannten Herrn, der Ihnen durch geschmackvollen Anzug aufgefallen ist. Es ist nun einmal Tatsache: Viele Herren haben bedeutend mehr Farbensinn und Geschmack als Damen.

Die Herrenfrisur unterliegt nicht der Mode. Auch hier sieht man jedoch vieles, was für den Betreffenden nicht günstig ist. Wer eine sehr hohe Stirn hat und dazu einen „Borstenkopf“ oder glatt zurückgestrichenes Haar trägt, entstellt sich. Auch Herren sollten die Haartracht ihrem Schädelbau usw. anpassen. Der Scheitel (aber nicht der durch Pomade angekleisterte!) bleibt stets vornehm und „sauber“. Ein „Künstlerkopf“ wird leicht unordentlich. Wer natürlich gelocktes Haar hat, trage es hoch. Sich das Haar künstlich kräuseln lassen, ist geschmackloser Unfug. – Der Schnurrbart muß stets so gehalten werden, daß er nicht auf die Lippen herabhängt. Schurrbärte a la Haby, hochgewichst, gelten jetzt mit Recht für unfein, desgleichen zu dicke und lange Schnurrbärte. Der Mann von Geschmack wird sich nie zu einem „Wachtmeisterschnurrbart“ verstehen. Die kurzgeschnittenen „englischen“ Bärte machen jünger und sind stets appetitlich. Der Vollbart hat heute so ziemlich abgewirtschaftet. Es gibt Gesichter, die durch einen Spitzbart gewinnen, so allzu runde Gesichter. Wer häßliche Lippen [21] hat, trage den Schnurrbart lang. Auch durch die Barttracht läßt sich mancher Gesichtsfehler verbergen oder abschwächen.

Unfein ist ein sog. Pomadenkopf. Puder für Herren nur nach dem Rasieren! Schminke gar – nur ein Zeichen charakterloser Eitelkeit. –

Noch etwas über Parfüme (Parfüms ist falsch) und Parfümerien – Jedes Zuviel ist auch hier unfein. Besonders vermeide man alle Wohlgerüche, die Patschuli enthalten. – Zur vornehmen Frau gehört jedoch ein diskreter Wohlgeruch. Auch bei Herren ist dagegen nichts einzuwenden. Leute, die an starker Schweißabsonderung leiden, sollten sich unbedingt parfümieren. Eine Dame, bei der man Schweißgeruch wahrnimmt, ist unappetitlich. Wer einmal das Pech gehabt hat, neben einem Herrn oder einer Dame längere Zeit sitzen zu müssen, denen die Natur diese für die Umgebung so lästige und widerwärtige Hautausdünstung mitgegeben hat, wird, falls er Parfümgegner war, schnell bekehrt werden. Wer es sich leisten kann, benutze zum Bad wohlriechende Badesalze. – Wer ein Parfüm benutzen will, das nicht jeder dritte auch anwendet, der stelle sich eine Mischung aus mehreren Wohlgerüchen zusammen. Für Herren empfehle ich zum Beispiel Peau d’ Espagne und Divinia halb auf halb. Ersteres ist ein ausgesprochenes Herrenparfüm. Herren dürfen nie süßliche Wohlgerüche benutzen. Für junge Damen kann man auf die unaufdringlichen Blumendüfte Veilchen, Reseda usw. hinweisen. Aber, meine verehrten jungen Damen, gerade Sie dürfen nie wie ein Parfümladen wirken! Das ist im höchsten Grade unfein!

Seifen! – Gott sei Dank – die Zeit der Lehmkriegsseifen liegt hinter uns! – Damen sollten zum Händewaschen stets gute parfümierte Seifen benutzen. Gute! Die Hand einer Frau soll in allem schön sein – auch im Duft! Denn der Handkuß auf dessen Bedeutung als ehrerbietige Huldigung ich unter 2 a noch hinweise, wird nie aus der Mode kommen. – Für die Gesichtswäsche sei man bei der Wahl der Seife sehr vorsichtig. Viele Frauen mit „blanken“ Gesichtern verdanken diesen [22] unerwünschten Teint nur den allzu scharfen Seifen. Ich kenne Damen, die nie Seife an ihr Gesicht bringen. Sie nehmen etwas Borax ins laue Waschwasser und ersetzen dadurch die Seife vollständig. Wer an fettiger Haut leidet, verlange in der Drogerie eine zweckmäßige Seife. Es gibt solche, die sehr gut wirken.

Zur Körperpflege im weitesten Sinne gehört auch das Korsett. Viele Ärzte wettern dagegen. All das ist übertrieben. Auch das Schnüren darf nur nicht ausarten. Wäre es wirklich so gesundheitsschädlich, hätten wir wohl kaum so viele frische nette Mädels und schicke Frauen. – Mütter, die rechtzeitig die heranwachsenden Töchter an das Mieder gewöhnen, handeln nur richtig. Zu leicht gehen Mädels in die Breite, können sich nachher an das „lästige“ Korsett nicht gewöhnen und behalten plumpe Figuren. – Wer die Mittel besitzt, lasse sich stets ein Korsett nach Maß anfertigen. Es ist nicht viel teurer als ein fertiges und hilft ganz wesentlich mit, die Figur zu verschönen, ohne je unbequem zu sein. Besonders Frauen mit einer stärkeren Hüfte sollten stets Maßkorsetts tragen. –

Wir kommen nun zu einem recht wichtigen Unterabschnitt.

b. Unser Heim.

Unser Heim! – Das ist in erster Linie die Wohnung des Ehepaares, dann auch die der alleinstehenden Frau und des Junggesellen. Was ich über „Unser Heim“ hier zu sagen habe, bezieht sich, mit den sinngemäßen Ausnahmen, auf alle drei Arten von Wohnungen.

Einzelheiten kann ich hier nicht bringen; auch nur wieder Winke und Hinweise auf grobe Geschmacksverirrungen. –

Lottchen Meier heiratet demnächst. Eine Dreizimmerwohnung hat man sich glücklich „hintenherum“ besorgt. Für einen, zwei oder drei braune Lappen gibt es sogar jetzt noch leere Wohnungen. – Lottchen und der Zukünftige suchen beim splendiden Hauswirt Tapeten aus. Die Hälfte für die Neutapezierung bezahlt Lottchens Papachen.

[23] Da geht nun das Unheil schon los. Für das Speisezimmer besitzt das junge Paar ein grünes Paneelplüschsofa. Lottchen glaubt nun ihren Sinn für Farbenzusammenstellung dadurch zu beweisen, daß sie – bei Gaslicht – für das Eßzimmer eine grüngemusterte Tapete wählt, die zum Sofa „herrlich“ paßt.

Aber – als diese Tapete dann die Wände ziert und das Sofa hinzukommt, findet nur noch Lottchen, daß das Tapetengrün und das Sofagrün schön wirkt. – In Wahrheit dreht sich einem der Magen bei der Zusammenstellung um. Und das ist für ein Speisezimmer keine angenehme Eigenschaft. –

Also die Tapeten! – Die Tapetenfabriken können sich glücklich schätzen, daß so viel Leute ohne jeden Tapeten-Geschmack in der Welt umherlaufen. Sonst würden sie ja ihre zum Teil scheußlichen Fabrikate nicht loswerden.

Die Tapete muß zu den Möbeln und zu der Verwendungsart des Zimmers passen, – natürlich, wenn man dies einrichten kann. Für ein Eßzimmer empfiehlt sich pompejanisches Rot, vielleicht ganz diskret gestreift; für ein Herrenzimmer am besten dunkelbraun, auch diskret gestreift. In den Salon und in das Schlafzimmer gehören helle Tapeten.

Abgesetzte Tapeten mit Goldleisten oder einem Blumenfries sind modern und auch geschmackvoll.

Viele Leute, sogenannte Lichtfanatiker, wählen stets helle Tapeten. Ein Speise- oder Herrenzimmer mit einer hellen (womöglich geblümten!) Tapete und dunklen Eichenmöbeln wird aber stets kalt, nie behaglich aussehen. –

Lottchen wird nur drei Zimmer haben. Aber Mamachen hat stets eine „kalte Pracht“, einen „Salon“, besessen, also wird entschieden: Schlaf-, Eßzimmer und Salon! Und zum Salon kauft Papachen aus dem Lombardspeicher als „Gelegenheit“ eine entzückende Einrichtung für den – Salon, – Goldstühlchen usw., alles so recht unpraktisch.

Und als Lottchen dann verheiratet ist, hat sie im eigenen Heim auch nicht ein einziges gemütliches Plätzchen. [24] Abends muß man am Speisetisch sitzen. Aber – man hat – einen Salon!

Gewiß, im Salon steht ja auch des Herrn Gemahls Schreibtisch. Aber dadurch ist der Salon nichts Halbes, nichts Ganzes geworden. Hätte man den Salon gestrichen und ein Herrenzimmer daraus gemacht mit einem behaglichen Eckchen, mit ein paar Sesseln, einem kleinen Tisch, einer hübschen Ständerlampe daneben, – wie nett wär’s gewesen! –

Lottchen hat eine verheiratete Freundin. Die wußte schon immer „alles“, die war stets tonangebend, die drillte Lottchen auch ein, doch ja die Wände recht leer zu lassen; das sei – „vornehm.“

Bei Lottchen sieht’s daher wie in den Ausstellungsräumen einer Möbelfabrik aus; kalt; ungemütlich und absolut unpersönlich. –

Wie unendlich viele sind derselben irrigen Ansicht wie Lottchen!

Euer Heim sei behaglich, trage stets den Stempel dessen, der darin haust! Man gebe seinem Heim dadurch etwas von seiner Persönlichkeit ab, daß man besonders den Wohnraum durch Bilder und anderes recht gemütlich macht, – durch Bilder von Familienangehörigen, Gruppenaufnahmen usw. – Es ist gänzlich verkehrt dadurch geläuterten Geschmack beweisen zu wollen, daß man die Wände kahl läßt! Ein unpersönlich wirkendes Herrenzimmer z. B. zeigt nur, daß der Bewohner entweder keinen Sinn für Behaglichkeit besitzt oder – vornehmer als vornehm sein möchte.

Bitte – besuchen Sie doch mal berühmte Gelehrte, Künstler oder hochstehende Persönlichkeiten. Bei keinem werden Sie im Arbeitszimmer nur etwa Kupferstiche, Ölbilder und echte Bronzen usw. finden; jeder dieser Herren hat übergenug Gegenstände als Zimmerschmuck verwandt, die für ihn Andenken darstellen. –

Man hänge Bilder ganz zwanglos auf. Nie etwa hübsch gleichmäßig. Man bilde Gruppen von Bildern um ein größeres oder unter diesem. Gerade alte Familienbilder, verblichen und in alten Rahmen, sollte man nie in die Rumpelkammer tun. –

[25] Wie bestellt man nun die einzelnen Möbelstücke – Büfett, Anrichte, Schreibtisch, Paneele?

Auch hier wird viel gesündigt. – Das, was üblich ist, will ich hier kurz anführen. Es ist auch am geschmackvollsten.

Die Zeit der Zierdecken und Deckchen ist gewesen. Weder auf ein Büfett (ich spreche von modernen Möbeln) noch auf eine Anrichte gehört eine Decke, ein Läufer usw. mögen sie noch so schön sein. Wer die Mittel besitzt, bestellte Büfett und Anrichte mit Kristall. Aber – mit Maß! Zu Kristall paßt nichts anderes, höchsten rein silberne Sachen. Also zwischen Kristall keine Fruchtschale aus Porzellan aufbauen oder dergleichen!

Was für das Herrenzimmer, dessen persönliche Eigenart gilt, gilt auch für den Schreibtisch. – Ich habe einen – na sagen wir entfernten Verwandten, der hat auch so ein „Lottchen“ geheiratet, und deshalb steht auf seinem Schreibtisch nur ein Riesentintenfaß, ein Riesenaschbecher, eine Riesenbriefwage und ein Riesenlöscher. Nichts findet man darauf, was persönlich wirkt, und daher könnte dieser Schreibtisch ebenso gut bei Wertheim in der Möbelabteilung sein unpersönliches Dasein fortführen.

Wie Du Dir den Schreibtisch bestellst, ist Deine Sache. Aber tue es so, daß jeder sieht: „Aha – hier arbeitet Freund Meier!“ –

Was vorher über Tapeten-Ungeschmack gesagt wurde, bezieht sich auch sinngemäß auf Teppiche.

Nur in den Salon gehört ein heller Teppich. Speise- und Herrenzimmer gewinnen durch dunkle Teppiche. Orientteppiche bevorzugt man mit Recht. Man stellt heute aber auch schon sehr schöne Imitationen her, besonders von indischen Wollteppichen. Jedenfalls mag der, der es dazu hat, recht große Teppiche wählen. Der dunkelrote Afghan-Teppich ist für das Herrenzimmer das passendste. Blumenmuster sind seit Jahren außer Mode und kommen nur für den Salon in Frage. Sogenannte Perserbrücken (auch da gibt es Imitationen) geschickt gelegt erhöhen die Behaglichkeit.

Guten Geschmack und Eigenart beweisen die meisten [26] Dekorateure der Filmgesellschaften. Zum Teil sind diese Herren wirklich Künstler. Wer einen Blick dafür hat, kann aus einem Gesellschaftsfilm viel lernen, wie er seinem Heim etwas von persönlicher Eigenart geben kann.

Übergardinen und Portieren sind stets zu empfehlen. Aber – Vorsicht bei der Auswahl! Nie helle wählen, es sei denn, daß es sich um das Schlafzimmer oder um „echte“ Schals irgendwelcher Art handelt. Samtportieren gelten zumeist nicht für „fein“. Aber auch in diesem Artikel gibt es geschmackvolle Sachen.

Einen Diwan belege man mit recht zahlreichen Kissen ganz zwanglos. Die Diwandecke wähle man in gedeckten Farben, achte auch hier auf Farbenwirkung zu Tapete, Teppich und Rückwand. Als Diwanrückwand lassen sich sehr gut Perserbrücken verwenden. Das Paneel des Sofa- oder Diwanumbaus bestelle man nie mit Dingen, die auf Büfett und Anrichte gehören. Nie zu viel Marmorstatuen auf dasselbe Paneel!

Wer kostbare Orientdecken oder echte Japanstickereien besitzt, benutze sie als Wandschmuck oder zum Verhängen einer Tür. Alte Zinne – Krüge, Teller usw. – gehören ins Speisezimmer. Dort kann auch getrost der Nähtisch der Hausfrau aufgestellt werden, der wie der Schreibtisch des Eheherrn nicht unpersönlich wirken soll. –

Wir leben in einer Zeit, wo Mädels ohne Geld bang in die Heiratszukunft schaun, weil ja eine Aussteuer heute so „rasend viel“ kostet.

Darf ich Ihnen hier einen Rat geben, meine Damen, auch Ihnen, verehrte Mütter, Väter, Tanten usw.?

Man verzichte auf neue Möbel. Wenn die Eltern dies und jenes Stück hergeben, wenn Tantchen und Onkelchen von diesem und jenem sich trennen, dann kann man sich mit wenig Geld ein ganz molliges Nestchen herrichten. – Hat Dein Schatz Dich lieb, kleines Mädel, wird er mit alledem schon zufrieden sein.

Es kommt ja nur auf eins bei unserem Heim an: daß es behaglich ist!

Perser, Zinne, Kristall, - all das ist Nebensache! [27] Hauptsache ist: macht es Euch gemütlich daheim! Und das kann man bei einigem Geschick mit wenigem erreichen! – Also Kopf hoch, kleines Fräulein ohne Vermögen! Findet Ihr den Rechten, könnt Ihr Euch auch ein Nestlein bauen, wenn Ihr nicht so töricht seid, Euch der alten Möbel zu schämen, die Verwandte und Freunde hergeben wollen.

c. Mein Wesen.

Es ist ein heikles Thema, das ich hier in diesem Unterabschnitt behandeln will. Und doch ist es so ungemein wichtig. Wer sich in der Welt umgeschaut hat, wer es mit „solchen“ und „solchen“ Leuten zu tun gehabt hat, wer seine Augen zu benutzen verstand und den inneren Zusammenhang so manchen unglücklich verlaufenen Menschenschicksals zu desselben Menschen persönlicher Eigenart enthüllte, der kann vielleicht doch – trotz des heiklen Themas – diesem oder jenem eine leichte Richtlinie für sein Verhalten geben.

Unter dem „Wesen eines Menschen“ will ich sein Auftreten, sein Benehmen verstanden wissen, wie er es sich zu eigenem Nutzen anerziehen soll, falls es eben nicht schon aus seiner Charakterveranlagung in für ihn vorteilhafter Weise entspringt.

In der Inhaltsangabe habe ich absichtlich unter „c. Mein Wesen“ als Unterabschnitt zunächst „Zu Hause“ vermerkt.

Dieses „Zu Hause“ bezieht sich sowohl auf Eltern, die etwa erwachsene Kinder bei sich wohnen haben, als auch auf diese Kinder, weiter auf alleinstehende Personen und auf Eheleute.

Als oberstes Gebot, als Voraussetzung jedes behaglichen Lebens in unseren vier Wänden möchte ich hier den Satz hinstellen:

Nehmt Rücksicht aufeinander.

Wer dies nicht kann, macht sich und anderen das Leben oft zur Hölle. Durch Rücksichtslosigkeiten sind schon Ehen in die Brüche gegangen, bittere Feindschaften [28] entstanden, ganze Familien in ihrem Frieden gestört worden.

Rücksichtnahme ist sehr nahe verwandt mit Taktgefühl. Der taktvolle Mensch wird auch stets rücksichtsvoll sein. Takt ist ja angeboren, entspricht dem Charakter. Und demselben Charakter können nicht gut Rücksichtslosigkeiten entquellen.

Es gibt sogenannte Kraftnaturen, die glauben, sie könnten überall mit ihrem harten Schädel hindurch. Das sind bedauernswerte Narren, Leute, die sich selbst überschätzen, Störenfriede der Gemütlichkeit. In ihnen steckt noch ein gut Teil Barbarentum. Der kultivierte Mensch lebt mit kultivierten Menschen zusammen. Da kann nicht einer kommen und sagen: „Ach was – ich bin ich, – wenn ich nur mein Wohlbehagen finde, wenn ich nur so leben kann, wie ich will, – den Deubel um die Anderen!“

Gerade das Rücksichtnehmen aufeinander hat in letzter Zeit sehr gelitten. Ein ungesunder Egoismus, eine vor nichts zurückscheuende Selbstsucht macht sich überall breit, zeigt sich im kleinen und großen.

Das muß anders werden. Helft, daß es anders wird. Beobachtet Euch, ob nicht auch Ihr Euch diese oder jene Rücksichtslosigkeit angewöhnt habt. Ihr habt es sicher! Jeder ist durch die Kriegsjahre etwas aus dem seelischen Gleichgewicht geraten. Hütet Euch, daß Ihr Euch nicht noch mehr von winzigen Rücksichtslosigkeiten angewöhnt! Ihr könntet dadurch plötzlich das werden, was niemand sein möchte, der höheres Streben hat: unfein!

Zum guten Ton gehört die Rücksichtnahme. Wo die Rücksichtslosigkeit wie eine Krankheit ein Volk ergreift, geht auch ein Stück Kultur zu Grunde: der Anstand!

Einzelfälle, kleine und große Rücksichtslosigkeiten hier aufführen? – Unmöglich! Es genügt, wenn jeder durch diese Zeilen angeregt wird, mit sich selbst einmal ins Gericht zu gehen und zu prüfen, ob er sein Benehmen nicht in diesem und jenem Punkte ändern kann, ob es ihm nicht möglich ist, rechtzeitig zu Tisch daheim zu sein, ob er nicht beim Nachhausekommen unnötigen Lärm vermeiden, ob er als Ehemann nicht für ein paar [29] Tage das Rauchen aufgeben kann, wenn seine Frau infolge Erkältung vom Husten gequält wird, ob er nicht der alten Mutter viel Arbeit erspart, wenn er nicht die Zigarrenasche überall umherstreut oder wenn er sich die Füße im Flur gehörig säubert, ob es nicht besser ist, von 2-4 nachmittags nicht Klavier zu spielen und nicht die Zimmer dann gerade aufzuräumen, da die Unterwohner alte Leutchen sind, die Mittagschlaf halten möchten – und so weiter – und so weiter. –

Und als zweites Gebot möchte ich hier hinstellen:

Seid wahr!

Mit kleinen Unaufrichtigkeiten fängt es an und lawinengleich wächst die Unwahrhaftigkeit zur raffinierten Lüge.

Seid wahr gegeneinander! – Das ist schon mehr ein Gebot der Sittlichkeit; und spielt doch auf das Gebiet des Anstandes hinüber.

Gerade in Ehen haben Lügen schon verheerend gewirkt. Auch im gesellschaftlichen Leben, im Verkehr, rufen sie ein gegenseitiges Mißtrauen, eine Unsicherheit einer dem anderen gegenüber hervor, die unser unwürdig sind.

Hierzu gehört auch der Klatsch, das Durchhecheln des lieben Nächsten, das Weitertragen von Gerüchten von Tür zu Tür. Der anständige Mensch lehnt ein solches Gespräch, dessen Inhalt sich auf Bekannte bezieht und nach Klatsch aussieht, einfach ab.

Gewiß – es gibt eine Art Lügen, denen wir uns nicht entziehen können. Ich erwähne da nur das „Sich verleugnen lassen“. So und so oft kommt uns ein Besuch sehr ungelegen. Wir wissen: es sind nur Müllers, die uns die Antrittsvisite machen. – Wir schicken das Hausmädchen hinaus und lassen bestellen: Die Herrschaften sind leider nicht zu Hause. – Das nimmt bei Visiten kein Mensch übel. Im Gegenteil: man ist froh, wenn man zu Leuten kommt, die sich verleugnen lassen. – Darüber später noch einiges. –

Und als drittes Gebot:

Sucht anderen Freude zu machen!

[30] Der Ehemann, der seiner Frau gelegentlich eine Kleinigkeit mitbringt – Blumen, Süßigkeiten oder sonst etwas –, die Frau, die ihrem Gatten mal unerwartet ein Buch, eine Krawatte oder dergleichen kauft oder ihn mit einer Leckerei überrascht, – die beweisen durch diese Kleinigkeiten, daß sie erfreuen wollen, daß sie Herz haben! Genau so könnten’s Kinder tun, die bei den Eltern wohnen.

Auch dieses „Freude machen“ hat so unendlich viel Variationen. Stets wird es gute Früchte tragen. Man kann das Sprichwort dahin ändern: Wer Freude sät, wird Freude ernten.

Frohsinn, Behaglichkeit und Glück werden dort herrschen, wo diese drei Gebote befolgt werden. Danach richte Dein Verhalten daheim ein! Tust Du es, wirst Du Dir viel Ärger, viel Trübes ersparen.

Und in der Öffentlichkeit?

Da trifft das soeben Gesagte genau so zu, hauptsächlich das über Rücksichtnahme und Wahrhaftigkeit.

Wenn ich bei dem vorigen Unterteil „Mein Wesen zu Hause“ so manches über persönliches Auftreten fortgelassen habe, so geschah es absichtlich, da ich jetzt hier doch noch darauf zu sprechen kommen muß.

Sei rücksichtsvoll und wahr, sei aber auch bestimmt, energisch und lege jede falsche Bescheidenheit ab.

Der Mensch daheim und der in der Öffentlichkeit, im gesellschaftlichen Leben, auf der Reise usw. darf in vielem nicht derselbe sein. Daheim ist ein energisches Auftreten in gewissen Fällen ganz unangebracht, während es in ähnlichen Fällen in der Öffentlichkeit durchaus nottut.

Gewöhne Dich daran, Dir vorher genau klar zu machen, was Du willst. Dann wird Dein Auftreten auch bestimmt sein. – Wie oft begegnet man Leuten die nie recht wissen, was sie wollen. Es sind meist Geschwätzige oder solche, die leicht verlegen werden. Sie machen stets einen unfertigen Eindruck. – Man hüte sich vor zu vielem Reden. Was Du sagst muß „Hand und Fuß“ haben. Dann wirkst Du nicht wie ein zerfahrener [31] Schwadroneur. Erziehe Dich zur Bestimmtheit!

Berate nicht erst am Fahrkartenschalter mit Deiner Frau, ob Ihr nun nicht doch besser 3. Klasse fahren wollt; geh’ in ein Geschäft, nachdem Du Dir darüber einig bist, was Du kaufen willst. Und so fort – im kleinen und großen! –

Sei energisch! Das kannst Du aber nur ohne Schaden für Dich selbst, wenn Du Klarheit darüber gewonnen hast, ob Du zur richtigen Zeit und an rechter Stelle Deine Energie beweisen willst. Wer kritiklos aufbraust und loswettert, blamiert sich oft. Also auch hier Prüfung der Sachlage vorher!

Über das Thema „Wie werde ich energisch?“ sind dicke Bücher geschrieben worden. Eins davon habe ich vor Jahren gelesen. Als ich es weglegte, war ich – nicht etwa energisch, – nein, nur genau so schlau wie vorher!

Es gibt kein Rezept, wie man die Energie in sich großzüchten kann. Mit der Energie ist es genau dasselbe wie mit dem Taktgefühl: mancher lernt’s nie!

Deshalb braucht jedoch der, dessen Charakterveranlagung für das, was man Energie nennt, nicht recht geeignet ist, durchaus nicht zu verzagen. Nein – es gibt viele, sehr viele Menschen, die auch ohne eine nach außen hin, also Dritten gegenüber, in die Erscheinung tretende Energie alles erreichen, was sie wollen. Sie besitzen dann eben die glückliche Gabe, jeden, sei es, wer es sei, richtig zu behandeln; sie verstehen sich jedem anzupassen; sie reden mit jedem in der Tonart, wie er’s gewöhnt ist, sie erzielen durch Freundlichkeit dasselbe, was ein anderer nur durch strengste Vermahnungen zustande bringt.

Und diese Glücklichen, deren Anpassungsfähigkeit und feines Verständnis für die Charaktereigentümlichkeiten ihrer Mitmenschen ihnen die äußere Energie entbehrlich macht, leiten uns über zu einigen Schwächen und Fehlern, die hier nicht unerwähnt bleiben dürfen.

Da sei zuerst der Hochmut genannt. Jeder weiß, was man darunter versteht. – Es gibt nun Leute, die [32] es für vornehm halten, anderen gegenüber einer eisigen Zurückhaltung sich zu befleißigen. Sie machen sich dadurch unbeliebt. Jeder Verständige durchschaut sie, zuckt über sie die Achseln. – Aber – sie sind in einer Beziehung geradezu gefährlich: im gesellschaftlichen Leben. Ein einziger dieser Art kann einen gemütlichen Abend total verderben. Die Kälte, die von ihm ausstrahlt, läßt keine zwanglose Heiterkeit aufkommen. Daher: fort mit einem solchen Menschen aus Eurem Verkehrskreis! Mag er merken, daß er ein Störenfried ist!

Hochmut ist nahe verwandt mit Stolz. Während der Hochmütige in den meisten Fällen aber zu den „Minderbegabten“ gehört, setzt der Stolz immer Erfolge voraus, auf die er sich gründet. Erfolg ist gewiß etwas Schönes. Wem diese Erfolge jedoch derart zu Kopfe steigen, daß er sich nun für etwas ganz Besonderes hält und dies bei jeder Gelegenheit auch zeigt, wer naserümpfend auf weniger Glückliche herabsieht, der ist stolz und für den geselligen Verkehr deshalb genau so einzuschätzen wie der Hochmütige, dem vielleicht lediglich das Wörtchen „von“ vor seinem Namen in seinen Augen Gottgleichheit verleiht.

Stolz! – Ja – er treibt die seltsamsten Blüten! Wie oft geschieht es, daß ein Sohn einfacher Leute durch viele stille Opfer seiner Eltern es etwa bis zum Oberlehrer, Arzt und so weiter bringt und dann – wie erbärmlich! – sich der biederen Eltern nachher schämt! Glaubt denn dieser Undankbare, daß er sich vor seinen Bekannten etwa bloßstellt, wenn er sie mit seinen Eltern zusammenführt?! Wird nicht der größte Teil dieser Bekannten ihn gerade deswegen besonders achten, weil er sich der Seinen nicht schämt!

Mit welch ängstlicher Scheu verheimlichen viele ihre Herkunft, lügen hierbei sogar, legen dem Vater eine Stellung bei, die dessen wahren Stand verheimlichen soll! – Wie kläglich und albern ist das! Wie wirkt derartiges auf vernünftige Menschen! – Und wie sehr beweist der einen gefestigten Charakter, der gelassen erwähnt, sein Vater sei einfacher Flickschuster z. B. gewesen.

[33] Und weiter: von zwei Schulfreunden hat’s der eine nur bis zum Subalternbeamten, der andere etwa bis zum Regierungsrat gebracht. Dann kennt dieser den Freund nicht mehr! Er könnte sich ja bloßstellen durch eine solche Bekanntschaft – denkt er! Auch hier kann man nur sagen: wie kläglich! Was muß dieser Herr Regierungsrat für ein trauriger Charakter sein! Wie gering muß er sich selbst, seine eigene Persönlichkeit einschätzen, wenn er durch den „subalternen“ Freund in den Augen anderer zu verlieren fürchtet! –

Nochmals: sei bestimmt, energisch, oder ersetze Energie durch Anpassungsfähigkeit; sei aber nicht übertrieben bescheiden! – Man spricht von sogenannten Domestikennaturen, womit Leute gemeint sind, deren Höflichkeit allzeit den Anstrich des Unterwürfigen hat, die nie eine eigene Meinung zu äußern wagen, die stets nur verbindlich lächelnd sich verbeugen und wie verprügelte Kinder wirken. Entweder ist ein solches Benehmen Veranlagung oder der Erfolg falscher Erziehung, oder die Betreffenden glauben, sich durch diese stark hervorgekehrte Bescheidenheit beliebt zu machen. – Sie täuschen sich: sie gehören zu den Menschen, von denen ich noch ganz zum Schluß sprechen werde, zu denen, die jedem auf die Nerven fallen!

Anmaßendes Benehmen ist genau so störend für die Umwelt wie übertriebene Bescheidenheit.

Beliebt ist der überall, der sich zwanglos und natürlich gibt, der nicht stets „posiert“, stets eine Rolle spielt, – der liebenswürdig und offen ist, der höflich gegen Frauen und Ältere, zuvorkommend gegen jedermann ist! Wem Mutter Natur dann außerdem noch ein heiteres Gemüt und die Gabe harmlosen Scherzens mitgegeben hat, der wird überall gern gesehen sein!

Danach richte Dich! Das versuche zu erreichen! –

Und im Berufsleben? Was wähle ich mir da als Richtlinie meines persönlichen Auftretens? – Wer das Vorausgegangene genau gelesen hat, kann sich die Frage selbst beantworten.

Ob Vorgesetzter oder Untergebener, ob Chef oder [34] Angestellter, ob Fabrikdirektor oder Arbeiter: Der wird beliebt sein, der offen, bestimmt, zwanglos, natürlich und höflich ist!

Hier jedoch wird man ganz besonders die Anpassungsfähigkeit betonen müssen. Der Chef, der seine Angestellten richtig „zu nehmen“ weiß, der Angestellte, der den Eigenheiten des Chefs Rechnung trägt, wird am weitesten kommen!

Wir leben jetzt in einer Zeit steten Kampfes zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Gegenseitige Erbitterung hat zu einem „Verkehrston“ geführt, der beiden Teilen eine Verständigung erschwert. – Weshalb bei diesem Kampf jedes Mindestmaß von Höflichkeit ausschalten – weshalb?! Beide Teile würden nur gewinnen, wenn sie daran dächten, daß wir Deutschen ein Kulturvolk sind und daß zur Kultur gegenseitige Höflichkeit gehört! –

Hiermit will ich den Abschnitt über das persönliche Auftreten schließen. Ich habe hierzu nur das Wichtigste anführen können. Jeder aber wird, so hoffe ich, hier zum mindesten einige Anregungen gefunden haben, wie er sich selbst und anderen das Leben durch ein angenehmes Wesen erleichtern kann.




Zweitens.
Geselligkeit.

Die Entwicklung des Menschengeschlechts führte von Anbeginn zur „Vergesellschaftung“, d. h. zum Anschluß aneinander, zur Bildung von Familiengemeinschaften, aus denen sich dann weiter die Orts-, Dorf-, Stadt- und Staatengemeinschaft aufbaute.

[35] Der Mensch ist ein Herdentier. Für sich allein kann er nicht bestehen, wenn er sich nicht gerade als Einsiedler irgendwohin flüchten will. Aber auch dann vermag er seine Mitmenschen nicht ganz zu entbehren. Er ist in vielem auf sie angewiesen.

Wie diese „Vergesellschaftung“ aus Zweckmäßigkeitsgründen entstand, so gab es auf der anderen Seite, man kann sagen auf der ideellen, ebenso von Anbeginn den Wunsch nach gemeinsamem Meinungsaustausch, gemeinsamen Zerstreuungen und Vergnügungen, – also nach Geselligkeit!

Von dem Dichter Paul Heyse stammt ein Vers, der uns Deutschen die Fähigkeit, wirklich gesellig miteinander zu leben, glatt abspricht.

„Geselligkeit will uns nicht glücken,
Uns fehlen dazu der Anmut Gaben.
Nie harmlos sich in andre schicken,
Das heißt in Deutschland: Charakter haben!“

Nun – gar so schlimm ist es nicht wie es Heyse hier macht, wenn man auch zugeben muß, daß unsere Art, Geselligkeit zu pflegen, allzu sehr unter dem Szepter des Althergebrachten steht und deshalb oft recht eintönig und wenig anregend ist. Was Heyse mit dem „Nie harmlos sich in andre schicken“ meint, nämlich eine gewisse selbstsüchtige Zugeknöpftheit, ist nur zum Teil schuld an der Verödung unseres geselligen Lebens.

Die Hauptschuld daran trägt die Unfähigkeit des Einzelnen, in diese Geselligkeit Abwechslung hineinzubringen. Einer macht’s dem andern nach, und so kommt schließlich eine Schablone für unseren geselligen Verkehr heraus, die oft geradezu stumpfsinnig wirkt.

Wer gesellig leben will, wer in jedem Kreise sicher sich bewegen möchte, muß, um nicht Anstoß zu erregen und um sich selbst nicht zu blamieren, eins beherrschen:

a) Die allgemeinen Anstandsregeln.

Wenn ich bei diesem Thema manches berühre, was vielleicht als selbstverständlich erscheint, so will ich mich von vornherein dadurch rechtfertigen, daß ich – aus [36] eigener Erfahrung – hier erwähne, daß mir zahlreiche Leute aus sog. „gebildeten Ständen“ begegnet sind, die die gröbsten Verstöße gegen die gesellschaftlichen Anstandsforderungen und Gebräuche begingen.

Fangen wir mit einem äußerst unappetitlichen Verstoß an. – Das Ausspeien ist in Gesellschaft stets verpönt. Auch wenn Spucknäpfe vorhanden sind. Viele glauben nun, genügend Rücksicht auf zartbesaitete Mitmenschen zu nehmen, wenn sie das vorgehaltene Taschentuch als Speinapf benutzen. Auch dies genügt nicht. Wer von einem Hustenanfall oder Niesen überrascht wird, drehe sich um oder verfüge sich, wenn ihm Zeit dazu bleibt, etwas abseits und erledige alles recht geräuschlos.

Wer stark erkältet ist, lehne eine Einladung zu einem Essen usw., wo er in seinem Zustand anderen nur den Appetit verdirbt, unbedingt ab. Ein Tischherr, der alle fünf Minuten seine Tischdame und die Nachbarschaft durch einige trompetenartige Explosionen seines Riechorgans „erfreut“, ist kein angenehmer Gast. – Mir schwebt eine sehr peinliche Szene vor, wo ein junger Bankbeamter, als gerade Gänsebraten gereicht wurde, die Schüssel mit einem Sprühregen aus seiner dick verquollenen Nase bedachte, so daß die Hausfrau die Schüssel sofort hinausschicken mußte. Der erkältete Pechvogel wurde in diesem Hause nie mehr eingeladen. Er hätte daheim bleiben sollen. In welcher Art man auf Einladungen hin abschreibt, darauf komme ich später zu sprechen. –

Viele wissen auch nicht, daß es als unfein gilt, den Teelöffel in der Tasse, im Grogglas usw. zu lassen. Hast Du den Zucker zerrührt, so lege den Löffel auf die Untertasse oder den Teller. – Dies ist durchaus keine überflüssige Anstandsregel. Nur zu leicht kann man durch den über den Tassen- oder Glasrand hinausragenden Löffel Tasse oder Glas bei einer Hand- oder Armbewegung umstoßen.

Da wir nun einmal beim Löffel sind, soll auch gleich über Messer und Gabel etwas gesagt werden.

Daß man das Messer nicht zum Munde führen darf [37] (etwa die Tunke auskratzen!), dürfte jedem bekannt sein. – „Der Kerl frißt mit dem Messer!“ oder „Messerschlucker“ sind die heimlichen Schmeicheleien für eine solche Verfehlung. – Fisch soll man nicht mit dem Messer zerlegen. Heutzutage gibt es bei Gesellschaften wohl stets Fischmesser bei Fischgerichten oder aber zwei Gabeln – eine als Ersatz des Messers. Wo der Kellner einem zum Fisch nicht von selbst zwei Gabeln bringt, verlange man die zweite.

Dann: wer anzeigen will, daß er bei einem Essen von einem Gang nicht mehr zum zweiten Mal nehmen will oder daß er (etwa bei zwanglosen Familieneinladungen) gesättigt ist, lege Messer und Gabel nebeneinander auf den Teller, parallel zum eigenen Körper, die Griffe nach rechts; wer dies nicht anzudeuten wünscht, kreuze Messer und Gabel auf dem Teller. –

Als unfein gilt es auch, Kartoffeln in der Tunke zu zerquetschen, also einen sog. Brei herzustellen. Im Restaurant schadet dies nichts. Bei Gesellschaften ist es ein grober Verstoß, genau so wie das Auslöffeln des Suppentellers auf den letzten Rest durch Hochkippen des Tellers.

Darf man (bei Gesellschaften) Knochen benagen? – Nein! Höchstens Geflügelknochen. Es läßt sich auch dies vermeiden. – Und – wie mache ich’s, wenn ich beim Fischessen eine Gräte im Munde habe? – Der Geschickte führt die Gabel zum Munde und legt so die Gräte auf den Tellerrand. Man kann die Gräte auch mit den Fingern wegtun. Aber: nie etwa ein Übungsschießen veranstalten und die Gräte auf den Tellerrand zu spucken versuchen!

Dann die Serviette (Mundtuch), – auch so ein wunder Punkt! – Nie gehört sie etwa zwischen Hals und Kragen, nie in den Westenausschnitt, nie zwischen Westenknöpfe, sondern stets ausgebreitet auf den Schoß. –

Bist Du irgendwo eingeladen, so begrüßt Du unter allen Umständen zuerst die Hausfrau, dann den Hausherrn. Wer in der Familie schon bekannter ist, kann bei zwanglosen Einladungen (bei großen Gesellschaften [38] unterlasse man es besser) der Hausfrau ein paar Blumen mitbringen. Rosen und Chrysanthemen ist der Vorzug zu geben. Dunkelrote Rosen vermeide man. Sie gelten stets als intimere Huldigung, gebühren also der Tochter des Hauses, um die man sich bewirbt. Man wird aber nie die Tochter allein dann bedenken. Auch die zukünftige Schwiegermutter muß gleichzeitig durch Blumen zart umworben werden.

Da wir soeben vom Begrüßen gesprochen haben, soll hier auch auf den Handkuß ein wenig näher eingegangen werden. – Im Handkuß liegt eine ehrerbietige Huldigung zumeist. Als solche gebührt sie nur verheirateten Frauen und älteren Damen, nie jungen Mädchen! Wer einem jungen Mädchen die Hand küßt, deutet damit öffentlich an: ich möchte als Dein Bewerber gelten! – Also – Vorsicht! – Der Handkuß ist nicht überall üblich. Man sehe also erst zu, ob etwa die Hausfrau usw. ihn wünscht. Es gibt Männer, die grundsätzliche Gegner dieser Art von Huldigung sind. Besonders in der heutigen Zeit der Gleichberechtigung der Frauen mag dies etwas für sich haben. Älteren Damen gegenüber sollte man diese ehrerbietige Sitte aber nicht abschaffen. Wenn jedoch Kinder bereits dazu angehalten werden, Damen die Hand zu küssen, so kann man dies nur als überzüchtete Feinheit bezeichnen, da es stets unkindlich wirkt. –

Vieles, was noch unter „allgemeine Anstandsregeln“ fällt, werde ich bei den folgenden Unterabschnitten erörtern. So gehört ja auch das Thema „Besuche“ eigentlich noch hierher.

b. Besuche.

Die „Visite“, der vom Gesellschaftskodex vorgeschriebene Pflicht- und Anstandsbesuch, hat verschiedene Abarten. –

Herr Müller hat Meiers bei Schulzes kennengelernt, und Herr Meier hat ihm erklärt: „Wir würden uns freuen, wenn Sie sich mal bei uns sehen lassen wollten.“

Das ist für Müller ein Wink: „Mache Besuch bei [39] uns, wir möchten Dich unserem Verkehrskreis einreihen.“ Wenn Meiers ihm nun sympathisch sind, wir er antworten: „Sehr liebenswürdig. Ich werde mir gestatten, Ihnen meine Aufwartung zu machen.“ – Sind – sie ihm aber unsympathisch, so wird er eine Ausrede gebrauchen: „Sehr liebenswürdig. Ich hoffe daß ich trotz meiner Überlastung mit Arbeit Zeit finden werden, gelegentlich bei Ihnen vorzusprechen.“ – Dann wird Meier wissen, daß Müller „abwinkt“.

Winkt er nicht ab, so muß er seine Antrittsvisite bei Meiers innerhalb einer Woche erledigen, wirft sich also eines Tages, entweder mittags zwischen 12 und 2 Uhr oder nachmittags zwischen 5 und 6, in Besuchstoilette (Gehrock, Zylinder, Damen Ausgehanzug, vergl. „Kleidung“), steckt zwei Visitenkarten zu sich, auf denen seine Adresse nicht fehlen darf und die auch mit der Hand ausgeschrieben sein können, und geht zu Meiers, wo er dem Hausmädchen die Karten reicht: „Bitte melden Sie mich den Herrschaften.“

Das Mädchen erklärt: „Die Herrschaften sind nicht zu Hause“ oder führt Müller in den Salon (Herrenzimmer), nachdem er den Mantel abgelegt hat. Den Zylinder mit ins Zimmer zu nehmen, ist nicht mehr üblich. – Müller plaudert zehn Minuten mit Meiers und empfiehlt sich wieder. Vielleicht war auch nur die Hausfrau daheim und hat ihn angenommen.

Jetzt hat wieder Meier die Pflicht, Müller einen Gegenbesuch zu machen, falls dieser ihn nicht davon (was man besonders älteren Herren gegenüber stets tun sollte!) mit ein paar liebenswürdigen Worten befreit hat. – Zwischen Ehepaaren spielt sich die Antrittsvisite entsprechend ab, nur gibt es hier keine derartige Befreiung von der Gegenvisite.

Ältere Herren dürfen jüngeren unverheirateten im übrigen den ersten Besuch auch in der Art erwidern, daß sie ihnen ihre Visitenkarte durch die Post im Umschlag ohne weitere Aufschrift zusenden. Besonders geschieht dies jüngeren Herren gegenüber, die Untergebene von ihnen sind. –

Unter Anstandsbesuchen versteht man wieder solche, [40] die bei bestimmten Gelegenheiten gebräuchlich sind, so bei Verlobungen, Trauerfällen oder Absagen auf Einladungen, falls man diese Absage in eine besonders höfliche Form kleiden will.

Verlobt sich die Tochter von Bekannten, so pflegt die verheiratete Dame oder der ledige Herr (falls man in näherem Verkehr steht) persönlich zu gratulieren, wobei es üblich ist, Blumen zu überreichen. Der Gatte der verheirateten Dame kann schriftlich Glück wünschen, kann aber auch seine Frau begleiten.

Man findet in den letzten Jahren häufiger bei Verlobungsanzeigen in den Zeitungen zum Schluß vermerkt: Empfangstag dann und dann. – Man kann diese Art, Bekannten einen bestimmten Tag für die Gratulationsvisite vorzuschreiben, nur als Unsitte bezeichnen. In wirklich feinen Kreisen tut man dies niemals. Dieser Unfug hat in Berlin W begonnen und sich von da aus in bestimmten Gesellschaftsschichten weiterverbreitet.

Etwas anderes ist es, wenn die Leidtragenden in einer Todesanzeige bitten, von Kondolenzbesuchen abzusehen. – Wie verhält man sich nun als naher Bekannter der durch den Todesfall betroffenen Familie, wenn sich dieser Zusatz in der Anzeige findet? – Man wird trotzdem einen Beileidsbesuch machen. Hier aber müssen von einem Ehepaar z. B. beide Teile zu den Leidtragenden gehen. – Was sonst noch über Trauerfälle zu bemerken ist wird weiter unten zu e) gesagt werden. –

Auch bei Geburten in einer bekannten Familie ist eine Anstandsvisite etwa 14 Tage nach dem freudigen Ereignis (neben dem schriftlichen Glückwunsch) von jeher Brauch gewesen. Diese Visite erledigt lediglich die Ehefrau. Auch junge Mädchen sind, falls sie der jungen Mutter näher stehen, zu einem solchen Besuch verpflichtet.

Nun zu der sog. Absage-Visite. – Diese gehört dann stets zum guten Ton, wenn man auf eine schriftliche Einladung zu einer Gesellschaft, Hochzeit oder zu einem Ball zunächst zugeschrieben hat und dann absagen [41] muß. Besonders unverheiratete Damen und Herren sollten diese Anstandspflicht nie versäumen. Ferner ist ein solcher Besuch notwendig, wenn man Gründe für eine Absage hat, die diskreterer Art sind, besonders guten Bekannten gegenüber. Diese intimeren Gründe (zu große Kosten usw.) schriftlich mitzuteilen, sollte man stets unterlassen. Eine Absage-Visite zerstreut auch stets den Eindruck, daß man vielleicht der Einladung nicht Folge leisten will.

Um hierbei auch gleich auf die schriftliche Absage noch etwas näher einzugehen: Man soll stets recht bald diese Absage erledigen und nicht damit etwa bis zum vorletzten Tage warten. – Man bedenke, daß die Gastgeber sich auf eine bestimmte Anzahl Gäste rechtzeitig einrichten müssen. Ganz besonders beachte man dies bei Hochzeiten, wo die Tischordnung doch vorher zusammengestellt werden muß. Wenn da z. B. Herr Müller vier Tage vorher noch absagt, wirft er den Bekannten die ganzen Dispositionen um. Wo sollen sie so schnell Ersatz für ihn herbekommen, da doch seine Tischdame jetzt ohne Herrn ist.

Gesellschaften. Bälle.

Wie ich schon in der Einleitung zu dem Abschnitt „Geselligkeit“ bemerkt habe, kranken unsere gesellschaftlichen Veranstaltungen an dem Stumpfsinn erzeugenden Fehler eines gewissen Schematismus und an dem mangelnden Verständnis der meisten Leute dafür, es ihren Gästen behaglich zu machen.

Ich will große Festessen, Diners, Soupers, hier nur kurz streifen, denn der gewöhnliche Sterbliche besitzt heute weniger denn je die Mittel, derartig kostspielige „Abfütterungen“ auszurichten.

Das Diner, das Mittagessen, Beginn 5 Uhr nachmittags, was am vornehmsten ist, erfordert eine langfristige Einladung, 8-10 Tage vorher. Gedruckte Einladungskarten sind hierbei üblich. Es gibt auch vorgedruckte Einladungen zu kaufen, bei denen nur das Nötige auszufüllen ist. Dasselbe trifft bei Soupers, Abendessen (meist 1/29 Uhr zu.

[42] Die Gäste werden von der Hausfrau und dem Hausherrn im Salon empfangen. Hier legt man praktischer Weise auch eine Tischordnung aus, ein auf weiße Pappe gezeichnetes Bild der Tafel mit den Namen und Plätzen der einzelnen. Pflicht der Hausfrau ist es, der Dame, die ihren Tischherrn noch nicht kennt, diesen vorzustellen.

Zumeist geht man dann paarweise zu Tisch. Man nimmt erst Platz, nachdem die Hausfrau sich gesetzt hat. – Das Einhalten des sog. „akademischen Viertels“, d. h. das Zuspätkommen, sollten ganz besonders Ledige vermeiden. Taktlos bleibt es stets. Jeder kann sich so einrichten, daß er pünktlich ist. Wer verhindert ist, rechtzeitig zu erscheinen, teile dies vorher den Gastgebern mit. Bei Geschäftsleuten kann eine plötzliche Abhaltung stets eintreten. Es genügt dann telephonische Mitteilung.

Auch Hausbälle (öffentliche Bälle wollen wir hier unberücksichtigt lassen) werden sich jetzt nur Millionäre leisten können. Die Einladung dazu ist langfristig, 10 bis 12 Tage. Gewöhnlich geht ein einfacheres Essen voraus, vielleicht mit vier Gängen. Die Tafel, das Bei-Tisch-Sitzen, darf nicht zu lange ausgedehnt werden. Die Hauptsache ist ja der Tanz. Beginn 1/29 Uhr, auch später.

Hinsichtlich des Beginns dieser größeren gesellschaftlichen Veranstaltungen schwankt der Brauch. In Großstädten beginnen Soupers und Bälle oft erst um 9 Uhr, auch um 1/210. –

Gehen wir nun zu den bescheideneren, zwangloseren Gesellschaften über, die uns hier hauptsächlich interessieren. Alle großen Diners und Soupers bleiben ja zumeist nichts als „Massenabfütterungen“, bei denen es mehr auf die Erfüllung einer Verpflichtung, auch entferntere Bekannte einmal einzuladen, ankommt, als auf das, was man Geselligkeit im engeren Sinne nennt.

Jede Familie, die die Mittel dazu besitzt, sollte sich einen engeren Umgangskreis schaffen. Dieser Verkehr sollte ganz auf Behaglichkeit und Zwanglosigkeit abgestimmt sein.

Hier handelt es sich dann um gemütliche Abendessen [43] zu vielleicht 12–16 Personen. Die Einladung erfolgt schriftlich durch Brief oder geschriebene Korrespondenz-Karte im Umschlag, nicht Postkarte, unter Betonung, daß es sich um ein einfaches Abendessen handelt; sie ist kurzfristig, 4–6 Tage. Beginn 8 oder 1/29 Uhr. Der Eingeweihte erkennt schon aus dieser Einladungsfrist, welchen Anzug er wählen soll (vergl. zu 1, a). Auslegen der Tischordnung erübrigt sich. Tischkarten mit dem Namen des einzelnen sind üblich (wie auch bei den größeren Veranstaltungen). Über Speisenfolge usw. siehe unter f).

Ähnlich dem einfachen Abendessen ist die Einladung zu „einer Tasse Tee“ oder „zu einem zwanglosen Tänzchen“. – Gerade diese Teeabende und kleineren Hausbälle sollten weit mehr gepflegt werden. Gerade sie bringen Menschen einander näher. Wer „junge Welt“ zu seinen Bekannten zählt, wird sich stets den Dank der allezeit tanzfreudigen Jugend durch ein Tanzfest oder ein Kostümfest erwerben.

Der Teeabend ist stets eine Einladung nach Tisch. Beginn 9 Uhr. Hier bittet man zu „etwa 9 Uhr“. Die Pünktlichkeit ist also nicht unbedingt nötig. Man reicht Tee in Täßchen, dazu Backwerk, Likör, Zigarren, Zigaretten, Obst. Gegen 1/212 Uhr etwa eine Erfrischung: Fischsalat oder belegte Brötchen. Für die Herren auch Bier.

Der Teeabend soll einen ganz intimen Charakter haben. Man sorge für bequeme Sitzgelegenheiten, gemütliche Eckchen. – Anzug für Herren weggeschnittener Rock, gestreifte Beinkleider; für Damen genügt helle Bluse oder helles Kleid (nicht etwa Gesellschaftsrobe!)

Der Tanzabend, 1/29–9 Uhr, beginnt, ohne daß die Jugend Platz nimmt, mit dem Reichen von Tee, Backwerk usw., bis alles versammelt ist. Dann der Tanz im ausgeräumten größten Zimmer. Anzug: Herren Smoking, Damen einfacheres halsfreies, helles Kleid. – Die Eltern der jungen Mädchen miteinzuladen, ist nicht üblich. Man beschränkt die Einladungen also auf unverheiratete Jugend, junge Ehepaare und vielleicht ältere Verwandte oder sehr intime Bekannte gesetzteren [44] Alters. – Zwischenein reicht man Erfrischungen (wie beim Teeabend), zum Schluß findet gemeinsame Kaffeetafel statt. Ende je nach Stimmung. Es ist jedoch unfein, über die zweite Morgenstunde ein solches Tanzkränzchen auszudehnen. –

Ende! Hier gleich ein Wort noch über den Aufbruch der Gäste. – Wann soll ich mich z. B. bei einem einfachen Abendessen nach passenden Dankesworten an die Gastgeber empfehlen? – Es sei gleich gesagt, daß niemals unverheiratete jüngere Personen sich als erste verabschieden dürfen. Dies liegt dem jeweils ältesten Ehepaare ob. Nie Verwandten. – Es ist Sache des Taktgefühls, den richtigen Zeitpunkt zu treffen. Man dehne den Besuch für gewöhnlich nicht über 1/21 Uhr aus. Man nehme insbesondere die Bitte der Gastgeber, doch noch zu bleiben, besser als höfliche Redensart hin. Nur wenn diese Bitte sehr dringend vorgebracht wird, gebe man ihr statt. Jedenfalls sollten junge Leute und junge Mädchen nie bleiben, sobald die älteren Herrschaften sich empfehlen. – Den Herren liegt die Pflicht ob, alleinstehende Damen nach Hause zu begleiten. Man erkundige sich bei den Gastgebern, bei welchen Damen dies den ganzen Umständen nach angebracht ist. –

Jetzt einiges über die Kunst, es seinen Gästen behaglich zu machen.

Darüber ließe sich sehr viel sagen. – Gemütlichkeit wird nur dort herrschen, wo man auf Seiten der Gastgeber folgendes beachtet:

Lade nie Leute zusammen ein, die sich unsympathisch oder gar miteinander verfeindet sind! Sei also vorsichtig bei der Aufstellung der Liste der Einzuladenden! – Dann: beweise Geschick bei der Tischordnung. Gib der wortkargen, stillen Frau Müller einen lebhaften Tischherrn; der lustigen Frau Meier wieder den etwas schüchternen Herrn Schulze! Verteile Damen oder Herren, die anregend wirken, so, daß die ganze Tafel von ihnen Nutzen hat! Also setze sie nicht alle auf eine Tischhälfte.

Weiter: Sorge dafür, daß sich nach Tisch zwanglose Gruppen in lauschigen Eckchen bilden können! Nichts ist für Gäste peinvoller, als wenn der ganze Kreis vielleicht [45] im Salon zusammensitzen soll. Wie soll da eine rege Unterhaltung und Stimmung aufkommen?! Ach – in wie vielen Häusern findet man die Unsitte, daß die Gastgeber bei zwanglosen Abendessen nach Tisch nur den Salon erleuchten, so daß die Gesellschaft sozusagen an diese Stätte gebannt ist. Nichts ist verkehrter als dies! Stehen Dir nicht viel Räume zur Verfügung, so erleuchte wenigstens zwei. Für jeden Gast ist es eine Pein, vielleicht nach Tisch abermals zwei Stunden auf einen Stuhl festgemauert zu werden. Bewegungsfreiheit – das verlangt jeder, der nicht gerade schon ganz „zum alten Eisen“ gehört. Insbesondere wenn Jugend dabei ist, soll man es dieser ermöglichen, sich abzusondern.

Dann: verhindere nach Möglichkeit musikalische Darbietungen zweifelhafter Güte! Etwa Klaviervorträge oder Belästigungen durch eine sangeswütige Jungfrau! Ein Zuviel ist in dieser Beziehung stets eine Belästigung. Wer ein Menü von ein paar guten Gängen nebst Wein hinter sich hat, empfindet sog. schwere Musik und Konzertlieder immer nur als Störung, selbst wenn sie von „Künstlern“ vorgetragen werden. Wer dies ableugnet, wer behauptet, davon einen Genuß zu haben, – schwindelt! Es gehört zu den schlimmsten gesellschaftlichen Mißbräuchen, seine Gäste durch ein Übermaß derartiger Darbietungen anzuöden. Aber: es ist nun mal „Sitte“, daß, wer die Mittel dazu besitzt, Künstler „von Ruf“ den Gästen präsentiert – als teuersten Nachtisch, genau so wie es in vielen Familien wieder zum Abendprogramm gehört, daß Fräulein Müller fünf Lieder singt und Herr Meier beweist, daß er Chopinsche Etüden usw. durchaus nicht fehlerlos herunterpauken kann. – Fein-humoristische Vorträge aller Art – eingestreut auch mal etwas Ernstes – das ist der richtige „Nachtisch“!

Schließlich: sorge für eine angenehme Beleuchtung! – Es ist durchaus verkehrt, daß (wie die Romanphrase lautet) „der Saal in eine Überfülle von Licht getaucht war“, daß das Tafelsilber und die geschliffenen Gläser funkelten und leuchteten – und so weiter! – Nein, [46] eine Überfülle von Licht ist geradezu schädlich für die Stimmung Deiner Gäste! Wer es versteht, eine sog. „mollige“ Beleuchtung herzurichten, wird sehr bald merken, daß sie weit belebender wirkt als das grelle Licht unserer modernen Beleuchtungskörper, die im holden Antlitz der Damen jedes Fältchen preisgeben und stets kalt und nüchtern sind. – Ich verkehrte einst in K. in Ostpreußen bei einem Arzt, dessen Abendgesellschaften geradezu berühmt waren. Für einen solchen Abend umhüllte er alle elektrischen Birnen mit ganz dünnem rosa Seidenpapier, das sehr gefällig drapiert war. Es gab das ein sehr trauliches, intimes Licht ab[WS 1]. Dann schuf er durch Umstellen der Möbel, durch Blumenkübel und Efeuwände die von mir wiederholt betonten lauschigen Eckchen, hing dort bunte Lampions hinein und wußte in diesen Eckchen stets die Leute zu vereinen, die gut zueinander paßten. – Freilich: in den meisten Familien werden selbst die zwanglosen Abendessen stets „nach der Schablone“ abgetan. Viele fürchten sich geradezu, eine selbsterdachte Neuerung einzuführen. Weshalb?! Weshalb nicht so viel gesundes Selbstbewußtsein haben, um mal aus der Schablone herauszuspringen?! Ebenfalls in Ostpreußen (der Heimat der berühmten „Königsberger Fleck“ war ich einmal als Angehöriger einer studentischen Abordnung zu einer sehr hochstehenden militärischen Persönlichkeit zum Abendessen geladen. Um 1 Uhr nachts gab es – zur allgemeinen Überraschung – Königsberger Fleck, dann Kaffee und Kuchen an gemeinsamer Tafel! Dies bürgerte sich schnell ein. Ob es heute in Ostpreußen noch Mode ist, weiß ich nicht.

Was ich soeben über „Beleuchtung“ gesagt habe, trifft bei allen festlichen Veranstaltungen kleineren Stils zu, so besonders auch für die sog. „Nachmittagstees“, wobei zumeist diese Nachmittage der feststehende Empfangstag der Hausfrau sind. Hierzu sind keine schriftlichen Einladungen nötig. – „Bitte kommen Sie doch dann und dann zu einer Tasse Tee. Von 5–7 Uhr bin ich an diesem Tage stets zu sprechen,“ so sagt Frau Müller zum jungen Meier. – Diese Nachmittagstees [47] sollen nun gleichsam die Quintessenz der Gemütlichkeit darstellen. Dann ist erste Bedingung: intime Beleuchtung! - Herren erscheinen im weggeschnittenen Rock. Damen eleganteres Straßenkleid. – Es ist eine Kunst, diesen 5 Uhr-Tees jenen unnennbaren Reiz zu verleihen, der Gäste immer wieder dorthin zieht, – natürlich nur Gäste, die zum engeren Verkehr gehören. Bei solchen Gelegenheiten kann die Hausfrau beweisen, ob sie Geist und Schick hat. Sie braucht nicht geistreich zu sein; sie muß nur den Weg finden, der andere den Weg in ihr Heim gern wieder finden läßt! – Gereicht wird bei diesen 5 Uhr-Tees eben Tee, Gebäck, Liköre, Zigarren, Zigaretten und kleine Delikatessen. Bier oder Wein anzubieten, ist nicht üblich. Man gruppiert sich zwanglos, plaudert, musiziert und – klatscht ein bißchen, denn ohne Klatsch geht es ja leider nirgends ab. –

Bevor ich zum nächsten Unterabschnitt übergehe, will ich noch der sog. „fliegenden Tafel“, auch „kaltes Büfett“ oder „Rafftisch“, ein paar Worte widmen.

Gerade dieser Art der Speisung unserer Gäste wird viel zu wenig gedacht. Wer Geselligkeit kennt, weiß wie nett ein solcher Gesellschaftsabend mit „fliegender Tafel“ sein kann - kann! Er ist es nur dann, wenn den Gästen behagliche Plätze geschaffen werden. Auch hier rate ich dringend, es einmal mit „gemütlichen Eckchen“, Lampions usw. zu versuchen. Denn eine Abendgesellschaft mit „Rafftisch“ hat stets intimeren Charakter. Um dies zu betonen, strenge die Hausfrau einmal ihr Köpfchen an, um in die Veranstaltung noch eine „persönliche Note“ hineinzubringen.

Erwähnen will ich schließlich noch eins: das Abendessen an kleinen Tischen zu vier, sechs oder acht Personen, – ein Ersatz für die gemeinsame Tafel, wenn den Gastgebern eben kein genügend großes Speisezimmer zur Verfügung steht. Man speist dann vielleicht im Eß- und im Herrenzimmer. Man kann auf diese Weise eine ganze Menge Personen unterbringen. Im übrigen unterscheidet sich ein solches Abendessen in nichts von anderen.

Wir kommen zum nächsten Unterabschnitt, zu:

[48]
c) Hochzeiten. Geschenke. Tischreden.

Eine große Hochzeit auszurichten, wie dies in jenen märchenhaften Zeiten, als das Pfund Rindfleisch noch 80 Pfg. kostete, auch dem einfacheren Manne möglich war, ist heutzutage nur wenigen möglich. Ich sehe daher auch ganz davon ab, auf eine solche Hochzeit mit etwa fünfzig Gästen näher einzugehen. Ich will gerade denen, die nicht über Millionen verfügen und die doch ihrer Tochter ein festliches Mahl an ihrem Ehrentage, dem Abschiedstage aus der bisherigen häuslichen Gemeinschaft, geben möchten, einige Ratschläge unterbreiten, wie sie dies auch ohne größere Kosten tun können.

Die „großen“ Hochzeiten wurden vor dem Kriege zumeist in Restaurationssälen gefeiert. Zumeist war das Essen mäßig und knapp, zumeist stand man hungrig von Tisch auf, im Winter häufig noch durchgefroren von dem stundenlangen Sitzen an der Tafel. „Kenner“ aßen sich vorher satt. Das ist kein Scherz! – Gewiß – es gab auch Ausnahmen, besonders in kleinen Städten und auf dem Lande. Da mußte man sich oft geradezu einen Patentmagen für die Bewältigung der Speisenfülle anschaffen.

Jetzt ist das alles anders geworden. Nur die „noch immer notleidenden Agrarier“ haben in dieser Beziehung keine Einschränkungen nötig. Es ist noch „alles da!“ Letztens zählte mir ein Bekannter das Menü einer Bauernhochzeit auf. Ich wurde vor Neid grüngelb. Man denke: es gab nur Sekt bei Tisch, und der Brautvater flocht in seine Rede sinnig ein, daß der Sekt pro Pulle 110 Mark kostete! – Ich habe seit drei Jahren nur ein einziges Mal Sekt getrunken, und das war, als mein Verleger mich dazu einlud –! Ich bemühe mich jetzt, Bauer zu werden. Vielleicht gelingt’s!

Scherz beiseite! – Wie kann man mit geringen oder doch bescheideneren Mitteln eine Hochzeit ausrichten?

Nur dadurch, daß man sie in Form einer „Haushochzeit“, also im eigenen Hause mit einer beschränkten [49] Anzahl von Gästen veranstaltet, und zwar entweder als Mittagshochzeit oder als Nachmittagshochzeit.

Mittagshochzeit. Vielleicht zwanzig Personen. Der standesamtlichen oder kirchlichen Trauung folgt das Festmahl im Hause, etwa um 12 Uhr (daher auch Frühstückshochzeit genannt). Ist nicht genügend Platz vorhanden, wird an kleinen Tischen gespeist oder ein kaltes Büfett aufgestellt. Bei „fester Tafel“ (auch an kleinen Tischen) genügen vier Gänge:

Suppe

Fisch

Braten

Speise, Kaffee.

Weine sind heute wie alles sehr teuer. Also setze man eine Bowle an und reiche nachher Bier. Die Bowle läßt sich bei einem guten Rezept weit billiger herstellen, als wenn man Wein in Flaschen spendet.

Eine solche Hochzeit wird stets weit gemütlicher ausfallen als in nüchternen Restaurationsräumen. Genau so verhält es sich mit der

Nachmittagshochzeit. Hier allerdings wird man von einem kalten Büfett besser absehen. – In beiden Fällen kann man der Jugend ein Zimmer zum Tanzen einräumen. Ein Klavierspieler genügt. – Niemand braucht sich einer solchen Veranstaltung zu schämen. Der Gast, der darüber die Nase rümpft, ist nur zu bedauern, denn er gehört dann eben zu den – Minderbegabten und – Unfeinen. –

Noch einiges andere, was mit zum Thema Hochzeit gehört. – Man lädt zur Hochzeit etwa 14 Tage vorher ein durch gedruckte oder vorgedruckte Karten. Herren oder Damen, die Brautführer oder Brautjungfern spielen sollen, werden hierzu besonders durch den Bräutigam oder die Braut gebeten. Es kann nun vorkommen, daß der Brautführer die ihm bestimmte Brautjungfer nicht kennt. In vielen Städten ist es üblich, in diesem Falle den Eltern des jungen Mädchens einen Besuch zu machen, wobei man dann gleich auch seine Brautjungfer kennen lernt. Vielfach ist es Brauch, daß der Brautführer [50] der Braut einen Brautführerstrauß am Hochzeitstage zuschickt. Er wird dann darauf achtgeben müssen (er befrage am besten die Braut oder den Bräutigam vorher), daß die Schleifen des Straußes mit der Farbe der Toilette seiner Dame in Einklang stehen. – In all diesen Dingen gibt es keine feststehende Regel. In manchen Städten wird er so gehandhabt, in anderen wieder anders. Man erkundige sich daher zur Sicherheit, denn es wäre doch sehr peinlich, wenn z. B. die Spende eines Brautführerstraußes üblich ist und man aus Unkenntnis seine Dame als einzige der Brautjungfern nicht bedenkt. Auch hinsichtlich der Gestellung der Hochzeitswagen findet man überall verschiedene Gebräuche. In kleineren Städten werden sie meist vom Brautvater besorgt. In Großstädten fahren zumeist nur das Brautpaar und die nächsten Verwandten in Hochzeitswagen zur Kirche. Die Brautführerpaare treffen sich auch erst in der Kirche, während in Mittel- und kleinen Städten der Brautführer die Brautjungfer im Wagen abzuholen hat. –

Es gehört zum guten Ton, daß das junge Paar rechtzeitig die Hochzeitsgesellschaft verläßt. Bei Mittagshochzeiten wird etwa 4 Uhr die gegebene Zeit sein, bei Nachmittagshochzeiten 11 Uhr spätestens. – Nicht genug kann der Bräutigam davor gewarnt werden, bei der Tafel dem Alkohol zu stark zuzusprechen. Es macht auf alle einen sehr peinlichen Eindruck, wenn der junge Ehemann angeheitert von Tisch aufsteht.

Daß nach dem Hochzeitsessen noch Erfrischungen gereicht werden, dürfte jeder wissen, ebenso, daß zum Schluß noch Kaffeetafel gehalten wird.

Vielfach ist es üblich, daß die Hochzeitsgesellschaft sich am folgenden Tage noch zwanglos in einem Restaurant zur Nachfeier vereinigt. Die Kosten trägt jeder allein. Um auch hier noch des Polterabends zu gedenken: er soll stets intimeren Charakter haben. Es brauchen dazu nicht sämtliche Hochzeitsgäste geladen zu werden. Man beschränkt sich am besten auf die Verwandten und die allernächsten Bekannten. Die sog. „Polterabendscherze“ sind leider zumeist langweilige Schablonenmache. [51] Es gibt jedoch hier kleine Schriften, die recht nette neue Gedanken bringen. Wer eine solche Überraschung vorbereitet, der wähle aus einer derartigen Schrift möglichst das, was wirklich neu ist. –

Das Hochzeitsgeschenk leitet uns über zu dem Thema:

Geschenke.

Was schenkt man zur Hochzeit? – Das Ehepaar, das geladen ist, wird sich hierbei in erster Linie nach seinem Geldbeutel richten. Um nun nichts Unnützes (besonders in der heutigen Zeit!) zu schenken, darf man sich getrost bei dem Brautpaar erkundigen, was genehm wäre oder was noch in der jungen Wirtschaft fehlt. Wer diese Anfrage in netter Form stellt, wird niemals dadurch Anstoß erregen. – Ich erinnere mich da noch an die Hochzeit eines Freundes, der ein großer Verehrer Böcklins war. Was geschah? Er erhielt nicht weniger als sechs Reproduktionen Böcklinscher Gemälde, darunter – viermal die berühmte „Toteninsel“ –! Das war die Folge davon, daß die Spender sich gescheut hatten, vorher anzufragen.

Das junge Mädchen, Freundin der Braut, wird eine hübsche Handarbeit spenden. Der unverheiratete Herr hat die Wahl zwischen einem Blumenarrangement (Korb, Füllhorn usw.), oder einem Gegenstand für das Herrenzimmer.

Verwandte können sich zusammentun und dem jungen Paar gemeinsam etwas schenken. Sehr bevorzugt wird stets ein Silberkasten, – heute allerdings nur für sehr reiche Leute erschwinglich.

Hinweisen möchte ich noch auf ein Geschenk, das jetzt sehr in Mode gekommen ist: Ein hübsch verzierter Weidenkorb wird mit allerlei leckeren, mit Seidenbändern geschmückten oder in Seidenpapier gewickelten Sachen gefüllt: Dauerwürste, Speck usw., – aber alles haltbare Dinge. – Man kann überzeugt sein, daß das junge Paar sich hierüber ebenso sehr freuen wird wie etwa über das „dritte“ Kaffeeservice, denn dieses Verlegenheitsgeschenk ist häufig genug mehrfach vertreten.

Schenke ich nun auch etwas, wenn ich gezwungen [52] bin, abzusagen? – Ja! – In diesem Falle fügt man dem Geschenk auch sofort einen Glückwunsch zur Vermählung bei und spricht nochmals sein Bedauern aus, daß man der Feier nicht hat beiwohnen können. Geschenk und Brief sendet man dem jungen Paare am Tage nach der Hochzeit zu, sonst werden die Geschenke stets am Vormittag vor der Hochzeit in das Haus der Brauteltern gesandt, man fügt dann lediglich eine Visitenkarte (ohne weitere Aufschrift) bei.

Daß auch Nichtgeladene (Bekannte) zur Vermählung schriftlich gratulieren müssen, braucht wohl kaum erwähnt zu werden. –

Über Geschenke bei anderen Gelegenheiten ist wenig zu sagen. Was Verwandte sich gegenseitig bei Geburtstagen oder am Weihnachtsfest schenken, unterliegt keinem Paragraphen des Gesellschaftskodex. Anders verhält es sich mit der Frage, ob man Bekannte beschenken darf und soll. – Müller, Junggeselle, verkehrt viel bei Meiers. Da wird er der Hausfrau denn auch füglich am Geburtstag durch Blumen für die Gastfreiheit danken, die die Familie ihm gewährt. Wenn er den Blumen in hübscher Aufmachung ein sog. „Freßkörbchen“ beifügt, schadet es nichts. Weihnachten wird er von Meiers zur Bescherung eingeladen. Dann darf er nicht mir leeren Händen kommen, muß auch die Kinder bedenken. – Auch der verheiratete Bekannte muß am Geburtstag der Hausfrau durch Blumen eine Aufmerksamkeit erweisen. Herren untereinander, gute Bekannte, beschenken sich ebenfalls an Geburtstagen. Nur sollten all diese Geschenke niemals das sein, was man kostbar nennt. Ein Millionär, der bei Leuten mit kleinem Geldbeutel verkehrt, verpflichtet diese durch wertvolle Geschenke nur zu ähnlichen Geldausgaben. –

Eine besondere Art von Geschenken sind die sog. Brautgeschenke und die vielfach noch übliche „Morgengabe“. – Der junge Mann, der sich verlobt hat, pflegt der Braut sofort nach der Verlobung ein Geschenk zu machen. Die Braut wartet hiermit gewöhnlich bis zum Geburtstag ihres Verlobten oder bis zum Weihnachtsfest. – Diese Geschenke, die ersten, die das Brautpaar [53] sich spendet, sollen derart sein, daß sie den Beschenkten an den geliebten Geber oder die geliebte Geberin erinnern, also möglichst Schmuck, der dauernd getragen wird, oder Gebrauchsgegenstände. Beide Teile haben hierbei ja eine reiche Auswahl. Er: Armband, Uhr, Uhrkette, Brosche, Vorstecknadel usw. – Sie: Krawattennadel, Manschettenknöpfe, Ring oder aber elegantes Tintenfaß, Spazierstock, eine Bronze für den Schreibtisch, eine eigene Photographie in kostbarem Rahmen – usw. – Unter „Morgengabe“ (dieser Brauch geht bis ins Altertum zurück) versteht man ein wertvolleres Geschenk, das der Ehemann seiner jungen Frau am Morgen nach der Hochzeit macht. Dieses Geschenk soll stets ein Schmuckstück sein. Da hier gerade vom Hochzeitsmorgen die Rede ist, will ich noch eines nachholen. Es gilt mit Recht als unfein, daß das junge Paar etwa an der Nachfeier am Tage nach der Hochzeit teilnimmt. Es soll zunächst für sich allein bleiben. Genau so, wie die Bekannten die Pflicht haben, das junge Paar erst nach etwa vier Wochen zu besuchen oder einzuladen. Letzteres ist eine Pflicht. Man soll (Verheiratete natürlich) die jungen Eheleute nach der angegebenen Frist bei sich aufnehmen, dies in Gestalt eines zwanglosen Abendessens. Bei dieser Gelegenheit muß der Hausherr die Jungvermählten in seinem Heim durch eine kleine Rede begrüßen.

Hiermit gelangen wir zu dem Thema:

Tischreden.

„Viel und gut reden ist das Talent des geistreichen Weltmannes; wenig und gut der Charakter des Denkers; viel und schlecht die Wut des Witzlings, der Schwätzer und Snakschwestern und aller Alltagsköpfe.“

Diese treffenden Worte Karl Julius Webers seien diesem unserem Unterthema vorausgeschickt. – Es gibt nun – genau wie über die Frage „Wie werde ich energisch?“ – auch Bücher, die aus jedem einen guten Redner zu machen – versprechen!

Aus jedem?! Ich möchte das bezweifeln. Mit der Rednergabe verhält es sich genau so wie mit dem Taktgefühl. Wem sie nicht angeboren ist, kann sie sich auch [54] durch Buchstudium nicht aneignen. Man kann nur eins – aber auch das nur durch häufiges öffentliches Sprechen: das „Kulissenfieber“, die nervöse Angst vor dem öffentlichen Auftreten, etwas überwinden lernen. – Es wäre daher auch verfehlt, wenn ich hier irgendwelche Fingerzeige geben wollte, das Reden zu erlernen. Es bliebe ein fruchtloses Unterfangen. Nur eins vermag ich: dem Leser nahezulegen, wie er sich, falls er gezwungen ist, eine Rede zu halten, am besten aus der Affäre zieht, sowohl was den Inhalt der Rede als auch die Art, wie er reden soll, anbetrifft.

Für uns kommen hier nur die sog. Gesellschaftsreden in Frage, also die, die im geselligen Kreise üblich sind. –

Zunächst: wann muß ich reden?

Es gibt auch hier gewisse feststehende Gebräuche. – Der Hausherr muß seine Gäste bei folgenden Anlässen begrüßen:

1. Bei der Hochzeit seiner Tochter, als Brautvater.
2. Sobald er ein jungvermähltes Paar zum ersten Male bei sich aufnimmt.
3. Bei Diners und Soupers. Hier schwankt der Brauch. In neuerer Zeit sind diese Begrüßungsreden vielfach abgekommen. Es schadet jedoch nie etwas, wenn der Hausherr die Gäste mit einigen Worten willkommen heißt.
4. Bei zwanglosen Abendessen, Kindtaufschmäusen, sobald, wie bei dem Kindtaufschmaus, das Essen eine besondere Veranlassung hat, so z. B., auch wenn ein naher Bekannter (Bekannte), nach längerer Reise etwa oder nach längerer Krankheit zum ersten Male wieder in der Familie als Gast weilt, wenn weiter ein Ehepaar neu in den engeren Verkehrskreis aufgenommen worden ist oder wenn Verwandte, die uns besonders lieb sind, von uns gastlich, etwa bei der Durchreise, bewirtet werden. –

Der einer Familie am nächsten stehende Bekannte (nicht Verwandte) muß wieder bei folgenden Anlässen reden:

[55]

1. Bei einem Geburtstag innerhalb dieser Familie, falls dieser eben durch ein zwangloses Abendessen gefeiert.
2. Bei einem Kindtaufschmaus.
3. Bei Abendessen, falls der Hausherr die Gäste mit einer Rede begrüßt hat.

Im Fall 1. wird der Freund der Familie das Geburtstagskind in einer Rede feiern; bei 2. wird er dasselbe mit dem Neugeborenen, der Mutter und dem Vater tun; bei 3. wird er dem Ehepaare den Dank der Gästen aussprechen.

Einer Familie Fernstehende (nicht intime Bekannte) kommen kaum in die Lage, sich als Redner versuchen zu müssen. –

Dann noch die sog. „Damenreden“, d. h. Reden auf die Damen, besonders üblich bei Hochzeiten, zuweilen auch bei Diners und Soupers. Bei Hochzeiten wird man die Damenrede stets einem jüngeren guten Bekannten des Bräutigams oder der Brauteltern übertragen. Bei Diners und Soupers wird sich hierfür stets ein freiwilliger Redner finden. – Um hierbei auch gleich die Frage zu erledigen, in welcher Reihenfolge bei Hochzeiten (und sinngemäß bei anderen festlichen Veranstaltungen) die Reden einander zu folgen haben: Es spricht zuerst der Brautvater und begrüßt die Gäste (falls die Brautmutter Witwe, tut dies ein Verwandter oder auch ein Bekannter im Namen der Brautmutter). Dann der Geistliche, der das junge Paar feiert. Dann ein Bekannter (älterer Herr), der die Brauteltern leben läßt. Sodann ein Bekannter, der dieselbe Ehrung den Eltern des Bräutigams zuteilwerden läßt. Es kann dann noch auf Verwandte beider Elternpaare gesprochen werden, die von weit her zur Hochzeit gekommen sind. Schließlich noch die Damenrede. –

Nun etwas über den Inhalt der Reden. Da muß ganz besonders davor gewarnt werden, eine Rede so auszuarbeiten (jeder wird dies ja tun!), daß sie wie ein Prunkstück eigener Intelligenz wirkt. Ich kenne Herren, die in dieser Hinsicht geradezu gemeingefährlich [56] sind. Sie besitzen Rednergabe. Aber – sie finden, wenn sie erst mal loslegen, weder Maß noch Ziel; sie beginnen etwa bei den alten Assyrern und gelangen in weiten Sprüngen durch die Jahrhunderte bis dorthin, wo sie eigentlich hätten beginnen müssen: bis zur Jetztzeit und zu denen, die sie feiern wollen. – Diese Sorte von „geistvollen“ Tafelrednern sind der Schrecken der Hausfrau; sie machen’s nie unter einer Viertelstunde; alles atmet auf, wenn sie fertig sind.

Also: rede schlicht und einfach; rede kurz! – Wem nicht die Gabe verliehen, einer Rede eine scherzhafte Form zu geben, hüte sich gerade davor! Gerade bei sog. „humorvollen“ Reden kommen die gröbsten Entgleisungen vor. Hüte Dich, aus einem Buche wie z. B. „Der Festredner“ eine Rede halb abzuschreiben, die nur dann auch humoristisch wirkt, wenn sie entsprechend vorgetragen wird. Ein Scherz plump vorgebracht kann gleich einer Ohrfeige sein! Man erlebt in dieser Beziehung bei Hochzeiten oft unglaubliches. Es gibt „Humoristen“, die in Hochzeitsreden oft intime Geschichten aus dem Leben des Brautpaares usw. miteinflechten. Tu’ das niemals! Es ist taktlos, mag dies Intime noch so harmlos sein. – Natürlich darf Deine Rede aber auch nicht zu kurz sein; etwa wie die jenes „witzigen“ Leutnants, der seine Damenrede bei einer Hochzeit mit folgenden Verslein abtat:

Augen links, Augen r–r–rechts –!
Es leben die Vertreterinnen des schönen Geschlechts!
Es leben die Hoch – hoch – hoch –!

Etwas derartiges ist ebenfalls eine Entgleisung. –

Wie erleichtert sich nun der im Reden Ungeübte und der „Angstmeier“ seine Aufgabe? – Ich schlage folgendes vor. Jeder arbeite sich die Rede schriftlich aus und schreibe sie dann nochmals sauber ab. Er benutze bei dieser Ausarbeitung ruhig Bücher wie „Der Festredner“. Weshalb nicht?! Weshalb soll man stundenlang sich mit dem Entwurf einer solchen Rede abquälen, wenn man sich’s einfacher machen kann?! Diese Rede lies Dir dann laut so oft vor, bis Du sie etwas auswendig [57] kannst. Merke Dir gleichzeitig die einzelnen Abschnitte, wie sie aufeinander folgen, was darin steht usw. So erhältst Du im Kopfe ein sog. plastisches Bild der Disposition Deiner Rede. Dann versuche sie auswendig zu sprechen. Glaubst Du endlich, Deiner Sache nun ganz sicher zu sein, so halte die Rede vor Deiner teuren Gattin oder „in Ermangelung“ dieser vor einem Bekannten. An dem kritischen Abend gibst Du dann das Manuskript einer Dame, die neben Dir sitzt, mit der Bitte, Dir zu soufflieren. Dann weißt Du, daß Du gar nicht stecken bleiben kannst, und dies Bewußtsein wird Dir eine so große Beruhigung sein, daß Du – auch nicht ein einziges Mal den Faden verlierst. – Wer auf diese Weise die erste Scheu vor dem öffentlichen Sprechen überwindet, indem er sich selbst die nötige Sicherheit durch „die Souffleuse“ gibt, kann sogar mit der Zeit, falls Anlage vorhanden, ein sehr guter Redner werden. Es ist dies aber auch der einzige Weg, das Reden zu erlernen. Übung macht hier wie überall den Meister. Zum mindesten wirst Du allmählich das Kulissenfieber überwinden. – Wer aber so ein großer Angstmeier ist (und deren gibt es sehr viele!), daß selbst die „Souffleuse“ nichts hilft und daß so ein „Unglückswurm“ im entscheidenden Moment alles vergessen hat und vor Aufregung dann auch nicht mal die Souffleuse versteht, der werde nun nicht etwa „wild“, sondern nehme einfach der Souffleuse das Manuskript aus der Hand und lese „die Geschichte“ vor! Er wird sich dadurch bei der ganzen Tischgesellschaft nur beliebt machen, denn nichts ist ja furchtbarer als so ein vor Verlegenheit puterroter, stammelnder und hüstelnder Redner! –

Hier etwa Reden dieser und jener Art anzuführen, erübrigt sich. Man bekommt überall Bücher zu kaufen, die solche Reden, gleichzeitig auch Briefentwürfe enthalten. Über Briefe später unter 4. noch genaueres.

d) Familienverkehr.

Nicht ohne Grund will ich den Familienverkehr in einem besonderen Unterabschnitt behandeln. Nur er [58] kann uns meines Erachtens wieder von dem ungesunden „Zug der Zeit“, der Tanz- und Vergnügungssucht, befreien.

Nach der Rückkehr der Truppen aus Feld und Etappe Ende 1918 war es in gewisser Weise verständlich, daß diese in jeder Beziehung „ausgehungerten“ Feldgrauen nun auch wieder „leben“ wollten. Da setzte der große „Amüsiertaumel“ ein. Jetzt aber, zwei Jahre später, sollte das deutsche Volk seinen sittlichen Ernst längst wiedergefunden haben! Sollte! Leider sind wir davon noch immer weit entfernt. Ob Großstadt oder Kleinstadt, ob Berlin oder irgend ein Dorf: ohne Tanz, mindestens zweimal in der Woche, geht es nicht mehr! Jeder will sich jetzt noch immer „ausleben“ – jeder! Es gibt wenige Ausnahmen hiervon. Sogar in Kreisen, die sonst die Biederkeit und Ehrbarkeit selbst waren – Handwerker, kleine Kaufleute, Beamte und Arbeiterfamilien –, glaubt die Jugend ein Recht zu haben, sich - auszutoben. Noch immer! – Wie verderblich die Einflüsse dieser übermäßigen Vergnügungssucht sind, braucht nicht betont zu werden. Sparen ist für sehr viele ein Fremdwort geworden; Pflichttreue desgleichen. Wer nur daran denkt, daß er abends dies und das „vorhat“, wer seine größte Sorge die sein läßt, ja nicht etwa einen Abend daheim im Familienkreise zu „verstumpfsinnen“, wer im Elternhause nicht mehr die Stätte sieht, wo es schließlich doch am behaglichsten ist, der (oder „die“) wird seelisch immer mehr verflachen, wird schließlich an harmlosem stillen Zeitvertreib innerhalb der Familie keinerlei Reiz mehr finden und ist damit für die Gründung eines eigenen Hausstandes so gut wie verloren.

„Arbeitet – arbeitet – arbeitet!“ Das ist das eine Rezept nach dem wir innerlich und äußerlich als Volk wieder gesunden sollen. Das zweite Rezept aber lautet: Deutsche Jugend, lerne wieder, Dich daheim wohl zu fühlen!

Ihr Mädchen, Ihr jungen Leute! Wie sollen wohl aus Euch später ernstgerichtete, strebsame Ehepaare werden, wenn Ihr eins ganz auf den Kehrichthaufen [59] werft: den Familiensinn, die Freude an den harmlosen Veranstaltungen im engeren Familienverkehr! – Ich werde hierüber noch manches in Abschnitt 6 „Mädchen, die man heiratet, und Männer, die man heiratet“ zu sagen haben. Hier will ich nur darüber sprechen, wie man Familienverkehr pflegen soll, wie man es anfängt, die erwachsenen, unverheirateten Kinder ans Haus zu fesseln und wie man vonseiten der Eltern die – Heiratsaussichten der Töchter steigern kann. Ja – man kann es! Man fängt es aber meistens ganz falsch an.

Familienverkehr – das ist die zwangloseste, billigste Art der Geselligkeit, dabei die für alle Teile erfreulichste und – nutzbringendste. Man besucht sich ohne Einladung nach dem Abendbrot[2]. Man setzt den Gästen Tee oder Bier vor. Wer’s dazu hat, spendet noch Backwerk, Zigarren, Zigaretten. Nötig ist es nicht. Man macht zu diesen Besuchen nicht großartig „Toilette“. Alles ist auf das Zwanglose abgestimmt.

Nicht nur Müllers und Meiers sollen so miteinander verkehren. Nein, auch Jugend soll man daran gewöhnen, die Familie, vielleicht nach einer Anfrage am Vormittag, ob’s dem jungen Gast recht ist, abends zu einem Plauderstündchen zu besuchen. Auch der Gast kann sich anmelden, vielleicht telephonisch. Dann ist die Familie Meier noch in der Lage, Müllers davon zu verständigen, daß der junge Schulze um 1/29 erscheinen wird. Und Müllers haben eine Tochter, die sie dann mitbringen. –

Der junge Schulze muß Meiers natürlich erst eine Weile kennen, bevor diese ihn so zwanglos zu sich bitten werden. Meldet er sich nun zum ersten Male für 1/29 an, dann wird es ganz an Meiers liegen, ob der Gast den Abend und die Anwesenden in angenehmer Erinnerung behält.

Ein solcher Abend soll ein ganz intimes Gepräge haben. Danach richte man sich ein. Man empfange die Gäste nicht im „Salon“, sondern in dem Zimmer, das am behaglichsten ist. Im Winter sorge man für Wärme! Nichts ist der Stimmung so nachteilig, als ein kalter [60] Raum, in dem man nach fünf Minuten „Eisbeine“ hat und dauernd an den Schnupfen denkt, den man sich in dieser „Eishöhle“ holen wird. Ein überheiztes Zimmer läßt sich lüften; ein kaltes bekommt man in kurzem nicht warm. – Also: wählt einen gemütlichen, warmen Raum! Es kann auch das Eßzimmer sein. Stellt um den Eßtisch bequeme Stühle. Unterhaltet die Gäste durch allerlei, was niemandes Geist anstrengt; zeigt Photographien, Reiseandenken, Einkäufe; sprecht über Dinge, die jeden interessieren. – Nur soll man – und das trifft auf jede Tischunterhaltung zu! – Religion und Politik als Thema möglichst ausschalten. – Mögen die Damen ruhig eine Handarbeit vornehmen; oder spielt ein gemeinsames Spiel. – Ich kenne eine Familie, bei der – Roulette gespielt wurde, aber – auf Pfennige, so daß ein Verlust niemandem wehtat. Wir haben uns dabei stets prächtig amüsiert. In derselben Familie verkehrte ein altes Stiftsfräulein, das Karten legte. Ich glaube, sie hat durch die Karten mindestens fünf Ehen „gemanagert“. – Man spiele Klavier; man treibe dies und das; bei allem aber: Zwanglosigkeit! Auch vonseiten der Gäste.

Ganz besonders wird man ein gutes Werk an jenen jungen Leuten durch solchen Verkehr tun, die schüchtern und unbeholfen sind. Sie werden in einer zwanglos sich gebenden Familie am schnellsten auftauen und aus sich heraus gehen, während sie bei größeren Veranstaltungen ihre Scheu vor Fremden nie überwinden lernen.

Dieser Familienverkehr, in den auch junge Mädchen mit einbegriffen sind, soll sich nun nicht lediglich auf Besuche beschränken. Man ziehe alleinstehende junge Leute auch zu Ausflügen mit zu; man verabrede Zusammenkünfte auch außerhalb des Hauses.

Das alles ist eben: Familienverkehr! – Und – wie kann man nun die eigenen Kinder ans Haus fesseln?

Verehrte Eltern, schlagt bitte eine Anzahl Seiten zurück und lest nochmals das, was ich über „Mein Wesen zu Hause“ gesagt habe. Da steht: Nehmt Rücksicht [61] aufeinander! – Und das heißt in weiterem Sinne: Unterdrückt Eure Eigenheiten zum Wohle der Allgemeinheit!

Eine Mutter, die vom Sauberkeitsteufel geplagt ist und dem Manne und dem Sohne das Rauchen daheim „der Gardinen wegen“ und „der umhergestreuten Asche wegen“ verbietet, jagt sie ins Wirtshaus; ebenso die, die „es nicht leiden kann“, wenn nach dem Abendbrot am Familientisch von der Tochter an einer Stickerei gearbeitet wird, weil es „Fusseln auf den Teppich gibt“, oder die lesen will und daher keine Unterhaltung liebt. – Diese selbstsüchtigen und zumeist recht kleinlichen Eigenarten, die den Kindern das Elternbaus verleiden, haben so unendlich viel Variationen, daß man sie unmöglich alle aufzählen kann. So kenne ich ein älteres Ehepaar, das – aus Sparsamkeit die Gaslampe nach dem Abendbrot stets so schwach brennen ließ, daß stets ein mystisches Halbdunkel herrschte, bei dem man nicht mal lesen konnte. Der Sohn, Assessor, lebte daher ausschließlich im – Wirtshaus.

Wer also die Kinder gern daheim sieht, mache es ihnen genau so behaglich wie lieben Gästen. Wir Deutsche sind durch unsere Gemütsveranlagung zumeist sehr leicht zu „Familiensimplern“ zu erziehen. Und – welch eigener Reiz liegt gerade in diesem „Familie simpeln“! Nur muß dieser Reiz nicht durch starres Festhalten an den persönlichen Schrullen erstickt werden! Vater und Mutter müßten erkennen lernen, daß sie sich geradezu an den Kindern versündigen, wenn sie die eigene Bequemlichkeit und die eigenen Absonderlichkeiten über das stellen, was man Familienleben nennt. –

Heiratsaussichten steigern? – Ja – dadurch, daß die Mütter auch die berufstätigen Töchter dazu anhalten, sich um die Wirtschaft zu kümmern, „Hausmannskost“ kochen zu lernen und das Wäscheausbessern mit zu besorgen. – Man denke nicht, daß ich mit dem vorigen Satz etwas sehr Überflüssiges erwähne. Es gibt sehr viele Fanlilien, in denen z. B. die Mutter die Töchter absichtlich nicht an den Kochherd heranläßt. Meist sind dies Mütter jener gefährlichen Art, die stets das [62] Staubtuch unterm Arm haben, also, Reinlichkeitsfanatiker! Es sind dieselben Mütter, die wütend aufspringen, wenn der junge Schulze, der als Gast bei ihnen weilt, Asche auf das Tischtuch fallen läßt, die dann sofort die Asche mit dem Messer aufnehmen und dies mit einem Gesicht, als hätte der junge Mann einen Raubmord begangen! Oh – diese Sorte Hausfrauen ist gar nicht so selten!

Also, verehrte Mütter: macht es Euren berufstätigen Töchtern möglich, auch das zu lernen, was jedes Mädchen wissen sollte – wissen und können!

Dann: hütet Euch, sobald ein Freier in Sicht zu sein scheint, auf diesen – Jagd zu machen! Glaubt nicht, daß die Männer so kurzsichtig sind, dies nicht zu merken. Ladet ihn nicht in aufdringlicher Weise ein; arrangiert keine „Verlobungsvorfeiern“, bei denen dann Euer Lottchen im Kreise der Verwandtschaft dem Bewerber „auf dem Teebrett serviert wird,“ wie man zu sagen pflegt. Lobt Euer Lottchen nicht über den grünen Klee; weist nicht auf ihre vielfachen Tugenden und Fähigkeiten hin. All das sind – Abschreckungsmittel, keine – Fangmittel! – Soll ich Euch mal erzählen, wie es mir einst erging? Nun, ich verkehrte in einer Familie mit zwei Töchtern. Die ältere gefiel mir. Da wurde ich mal zum Kaffee eingeladen und fand die Wohnung leer – bis auf die ältere Tochter. Die anderen hatten „zufällig“ zu Onkel Max gehen müssen, erklärte „meine Liebe“. Da wurde ich stutzig, merkte, daß ich „geschlängt“ werden sollte und wurde – kühl bis ans Herz hinan, zumal die Ältere mich noch durch allerlei kokette Mätzchen zu „erwärmen“ suchte. – Nein – seid vorsichtig jedem Freier gegenüber. Jeder feinfühlige Mann wird dadurch, daß er herausmerkt, der Familienverkehr soll auch unbedingt zu einer Verlobung führen, unweigerlich abgeschreckt. Es gehört eben Taktgefühl dazu, hier von seiten töchterbegnadeter Eltern die richtige Grenze zwischen „Aufdrängen“ und einem herzlichen „Entgegenkommen“ zu finden. Besser ist stets etwas Zurückhaltung – stets! Nehmt dem Familienverkehr nicht das Zwanglose! – Wie unendlich viel wird gerade in [63] dieser Beziehung von Müttern gesündigt. Würde man aber diesen Müttern all ihre Fehler vorhalten, die sie zum Nachteil der Töchter Freiern gegenüber begehen, – sie würden’s nie glauben, daß sie im Unrecht sind. Sie halten „ihre Methode“ nun mal für die richtige und werden selbst dadurch nicht klüger, daß der Erfolg aus- und Lottchen sitzen bleibt! – Was ich sonst noch über „Heiratsaussichten“ zu sagen habe, will ich später bei Abschnitt 6 tun. –

Weshalb scheuen sich nun so viele junge Leute vor Familienverkehr? – Diejenigen, die ihrer ganzen Lebensführung nach für diese harmlos-gemütliche Art des Umgangs verloren sind, die sog. „Lebemänner“, die „geistreichen“ Verspotter alles dessen, was zum deutschen Familienleben gehört, – die will ich hier fortlassen Bei ihnen ist doch zumeist Hopfen und Malz verloren. – Es gibt sehr viele junge Männer, die oft aus ganz merkwürdigen Gründen Familienverkehr meiden. Ich spreche auch hier aus eigener Erfahrung. Dieser und jener Bekannte hat mir mal sein Herz ausgeschüttet. – So sagte mir zum Beispiel Meier, der etwas schüchtern und unbeholfen ist: „Sehen Sie, Herr von Neuhof, ich war da mal zu Müllers nach dem Abendessen eingeladen. Es war sehr nett, sehr! – nur – wenn man so ein paar Tassen Tee getrunken hat, dann muß man doch auch mal verschwinden. Sie verstehen: Badezimmer und so! – Ich saß schließlich wie auf Nadeln. Ich schwitzte Angst. Ich hatte schon Schmerzen –! Und – da schwor ich einen furchtbaren Eid: nie wieder so ein Familienabend! Bei einer Gesellschaft kann man leicht mal unauffällig „abseits gehen“. Aber wenn man so nur mit der Familie um den Tisch herumsitzt, wenn dann noch zwei Töchter da sind, dann – dann muß man eben am Stuhl kleben bleiben! Und das hält 31/2 Stunden lang kein Mensch aus.“

Sehr lehrreich für Dich, verehrter Hausherr! Vergiß nie, einen Gast von Zeit zu Zeit in den Flur zu nehmen, unter dem Vorwand, ihm Deinen Ulster oder ähnliches zeigen zu wollen. Gib ihm also Gelegenheit, zu verschwinden. Und die Hausfrau sollte es mit jungen [64] Mädchen genau so machen. – Ich will jetzt auch gleich noch die Frage erörtern, ob man bei Tisch (von einer festlichen Tafel usw., die sich lange ausdehnt) aufstehen und für ein paar Minuten verschwinden darf. – Gewiß darf man es. Man entschuldigt sich bei seiner Tischdame: „Ich will mir nur dies und das holen – oder ich habe noch dringend zu telephonieren,“ gibt man als Vorwand an. – Es ist eine Torheit, sich vielleicht gesundheitlich zu schädigen. Genau so kann man in jeder Familie den Hausherrn fragen, ob man sich nicht mal die Hände waschen darf. Der Hinweis genügt dann. Selbst dort wo nur eine Hausfrau vorhanden ist, kann man auf diese Weise sich etwas zurückziehen. –

Dann erzählte mir mal Schulze folgendes: „Zu Meiers kriegen mich keine zehn Pferde mehr hin. Ich kann nämlich eins nicht essen: Rührei! Ich kann es nicht! – Und – was setzen Meiers mir vor?! Was legt mir die liebenswürdige Hausfrau noch besonders reichlich eigenhändig auf den Teller?! – Rührei –! – Ich hab’s hinuntergewürgt. Und – nachher hatte ich acht Tage einen verdorbenen Magen. – Nein – zu Meiers nie mehr! Bei einem größeren Essen kann ich ein Gericht, das ich nicht mag, weglassen. In der Familie beim zwanglosen Abendbrot muß ich essen, was da ist! Und wenn dann noch gar die Hausfrau die Zwanglosigkeit so sehr übertreibt, daß sie mir selbst den Teller füllt, dann – dann –!

Schulze hat ganz recht: das sollte eine Hausfrau nie tun! Aber – er ist auch seinerseits insofern ein kleiner Stoffel gewesen, als er das Rührei ohne Scheu hätte sofort ablehnen müssen. „Ich muß leider danken. Mein Magen verträgt dies und das nicht.“ – Eine solche Bemerkung wird kein Mensch übelnehmen!

Auch diese Gründe für die „Familienscheu“ haben allerlei Variationen. – Bei Müllers ist stets schlecht geheizt; sie sind an 13 Grad gewöhnt. Meier, der tagsüber im mollig warmen Kontor sitzt, holt sich bei Müllers natürlich einen Schnupfen und – flieht fortan das Haus wie die Pest. – Dann: Schutzes sind „frische Luft-Fanatiker“, reißen alle Augenblick die Fenster auf ohne [65] jede Rücksicht auf den Gast, der durch diesen Besuch bei ihnen ein steifes Genick bekommt und auch schwört: „Nie wieder!“

All diese Hinweise auf Fehler in der Behandlung von Gästen mögen manchem unnötig erscheinen. Und doch: wer einmal gesellschaftlichen Verkehr der verschiedensten Art ausgekostet hat, weiß, daß derartige Fehler weit häufiger gemacht werden, als man schon dem gesunden Menschenverstand gastfreier Ehepaare zutrauen dürfte. –

Familienverkehr – zumeist auch die Einleitung einer Verlobung. Insofern gehört diese mit zu unserem Unterthema. – Wie verlobe ich mich? – O bitte – lächeln Sie nicht, verehrte Leser! Es laufen in Deutschland Tausende junger Leute umher, die sich über viele Fragen nicht klar sind, die mit dem Verloben zusammenhängen.

Soll ich mich erst der Geliebten erklären oder erst bei den Eltern um sie anhalten? – Antwort: Frage erst „sie“, ob sie die Deine werden will. Gelegenheit dazu bietet sich immer. Dann zieh’ Deinen Gehrock an, nachdem Du Dich bei Meiers entweder telephonisch oder brieflich zu einer „vertraulichen Rücksprache“ angemeldet hast, nimm gleich, wenn Du Deiner Sache sicher bist, rote Rosen für Lottchen mit (die Rosen läßt Du zuerst im Flur) und bringe dann bei den Eltern Dein Sprüchlein an – kurz und bündig: „Sie gestatten, daß ich folgendes vorausschicke. Ich habe das und das Einkommen, habe die und die Schulden (das beichte sofort!), kann also eine Frau ernähren. Ich liebe Ihre Tochter und bitte Sie sehr, in eine Verlobung zu willigen. Mit Lottchen bin ich einig.“ – In diesem Falle erst lange poetische Redensarten vom Stapel zu lassen, ist für die Eltern sehr peinlich und – für Dich auch, denn man redet da gewöhnlich Unsinn. – Wenn die Eltern ja sagen, kannst Du Deinem Lottchen gleich die Rosen überreichen. Und nachher gehst Du mit ihr zum Goldarbeiter und kaufst die Ringe. – Bieten Deine Schwiegereltern Dir nicht sofort das Du an, so bitte Du darum. Dasselbe tue den [66] nächsten Verwandten gegenüber. Es wird dies stets einen guten Eindruck machen. Das Verlobungsgeschenk hat ein paar Tage Zeit. Inzwischen merkst Du vielleicht, was Dein Lottchen gern geschenkt haben möchte. Dann folgen die „Brautbesuche“ bei Lottchens Verwandten, Bekannten und bei den Dir näher Stehenden – nur bei Verheirateten oder bei älteren alleinstehenden Damen. Bei Junggesellen stellt das Brautpaar sich nur vor, wenn es sich um nahe Verwandte handelt. –

Der junge Mann, der in einer Familie verkehrt, ebenso der, der zu deren entfernterem Verkehrskreis gehört, soll nach Ablauf der toten Saison (Sommer) etwa Ende September den Familien seines Umgangskreises den sogenannten Saisonbesuch machen, wodurch er zum Ausdruck bringt, daß er den Verkehr aufrecht erhalten möchte. Er wird sich bei diesem Besuch nach dem Ergehen der Familie erkundigen. So leitet er am besten die Unterhaltung ein. Übrigens möchte ich hier noch etwas über Besuche nachholen. Wird man von einer Familie nicht angenommen, läßt man seine Karten (zwei) dort. Wünscht man nur den Hausherrn oder die Hausfrau (bei einem zweiten Besuch) zu sprechen, so gibt man dem Mädchen eine Karte. Nach häufigeren Besuchen genügt: „Melden Sie mich der gnädigen Frau“, denn dann wird die Bedienung den Gast bereits kennen. –

Wir kommen nun zu den

e) Trauerfällen.

Ein Todesfall verlangt sowohl für die davon Betroffenen als auch von den Bekannten die Erfüllung gewisser gesellschaftlicher Formalitäten.

Die Angehörigen haben die Pflicht, den Todesfall den Bekannten durch gedruckte Karten oder, wo der Kreis ein kleiner ist, durch schriftliche Mitteilungen (Korrespondenzkarte mit schwarzem Rand und gleiche Umschläge genügen) bekannt zu geben. Die Bekannten haben daraufhin zu kondolieren, und zwar tun es fern Stehende schriftlich, näher Stehende durch einen Besuch [67] im Trauerhause, falls diese Beileidsbesuche von den Leidtragenden nicht ausdrücklich auf den Anzeigen abgelehnt werden.

Kränze schickt man am besten am Beerdigungstage mit einer daran befestigten Visitenkarte im Umschlag ins Haus. Wo Kranzspenden verbeten worden sind, sollten nähere Bekannte sie doch nie unterlassen, dann aber die Kränze mit auf den Kirchhof nehmen und nachher auf das Grab legen.

Der sog. Leichenschmaus ist lediglich in kleinen Städten und auf dem Lande üblich und bleibt eine grobe Unsitte. Anders verhält es sich mit einer Einladung an Verwandte und die nächsten Bekannten zu einer Tasse Kaffee im Trauerhause bei Nachmittagsbeerdigungen, obwohl dieses Beisammensein für alle Teile nur qualvoll ist. Man sollte besser auch hiervon Abstand nehmen.

Noch etwas über die Trauerkleidung. Diese zu beschaffen wird bei den heutigen Preisen vielen so gut wie unmöglich sein. Freilich: besonders Frauen glauben, es sei unbedingt nötig, daß sie Trauerschleier usw. tragen. Häufig wird (ich kenne solche Fälle) lieber dies und das verkauft oder versetzt, als daß man den Mut hat, sich mit dem Vorhandenen zu begnügen. Wie töricht ist das! Kein vernünftiger Mensch wird etwas dabei finden, wenn eine Witwe mit Kindern nicht in wallendem Schleier usw. dem Sarge folgt. Aber – wo ist die Frau, die so verständig denkt?! Es spielt stets bei diesem Traueraufputz Eitelkeit mit – stets! Das liegt eben in der weiblichen Natur. Frauen hungern oft, nur um „anständig“ sich präsentieren zu können.

Soll man nun Hinterbliebene zu Gesellschaften usw. während des Trauerjahres einladen? – Im ersten halben Jahr nicht zu großen Essen, Tanzabenden usw. Nur zu zwanglosen Abendessen kann man und soll man es tun, dann aber durch persönlichen Besuch, wobei man betont, daß an dem Abend nur die engsten Bekannten anwesend sind. – Nach einem halben Jahr soll man die Hinterbliebenen stets miteinladen, wenn man [68] auch weiß, daß sie absagen werden (bei größeren Festen). Es empfiehlt sich aber, im ersten halben Jahr die Hinterbliebenen, die man in Rücksicht auf die Trauer nicht einlädt, zu besuchen und dabei einzuflechten, weshalb man von einer Einladung absieht. –

Über die Dauer der Trauer noch folgendes: Um Ehegatten und Eltern trauern der hinterbliebene Ehegatte oder die Kinder ein Jahr. So ist es üblich. Diese Frist, seit langem gebräuchlich, ist ohne Frage zu lang. Man sollte sich nicht krampfhaft nur der Leute wegen daran binden. – Um andere Verwandte (Onkel, Tanten, Schwiegereltern, Schwäger usw.) trauert man höchstens ein halbes Jahr. Die verheiratete Frau, die etwa den Vater verloren hat, kann häufig schon in Rücksicht auf die gesellschaftlichen Verpflichtungen des Mannes die Trauerfrist nicht einhalten. – In dieser Beziehung wird vieles übertrieben. „Das Leben den Lebenden!“ Man kann eines lieben Toten auch gedenken, ohne ein Jahr lang nur Schwarz zu tragen. Von den meisten wird die Trauer bald nur noch als lästig empfunden. Aber – „die Leute“ könnten über einen „reden“ –! Und das gibt auch hier den Ausschlag.

f) Speisenfolge. Weine.

Jedes bessere Kochbuch enthält Angaben über die Zusammenstellung eines Menüs zu den verschiedensten Gelegenheiten. Aber all diese Menüs sind stets, wie ich vorher schon betont habe, auf Millionärbeutel „zugeschnitten“. Genau so wie die Weinfolge und das, was man in Kochbüchern vielleicht nach über Tafeldekoration findet.

Zunächst: Wenn Du Gäste zu Tisch hast, gib reichlich! Nichts ist peinlicher als wenn niemand sich satt zu essen wagt. – Dann: schmücke die Tafel! Du kannst es auch mit geringen Mitteln. Stelle Blumentöpfe mit Papiermanschetten auf den Tisch; kaufe Schnittblumen und verteile sie über die Tafel. – „Das Auge ißt mit,“ sagt man stets. An einem hübsch gedeckten Tisch speist man mit doppeltem Genuß. – Dann: sorge dafür, daß [69] die Teller vorgewärmt auf den Tisch kommen und die Speisen noch warm gereicht werden. – Peinlichste Sauberkeit überall. –

Gewöhne Deine Bedienung beizeiten an das Servieren! Übe es mit dem Mädchen, indem Du dieses beim Mittagessen die Speisen reichen läßt. Sonst benimmt die Bedienung sich nachher ungeschickt.

Über die Art, wie serviert werden soll, herrscht (gerade in einschlägigen Büchern) viel Unstimmigkeit. Richtig ist allein folgendes:

Das Anbieten von Speisen auf Platten geschieht mit der linken Hand an der linken Seite des Gastes, damit dieser die Rechte bequem zum Zulangen benutzen kann. (Also zerlegtes Geflügel, Braten usw.)

Alle bereits auf Tellern angerichteten Speisen (z. B. gefüllte Suppenteller), ebenso gefüllte Tassen und Weingläser werden von rechts mit der rechten Hand gereicht oder besser hingestellt.

Das Wechseln der Teller geschieht von rechts mit der rechten Hand (ebenso gegebenen Falles das der Eßbestecke. Bei kleineren Essen erübrigt sich ein Auswechseln der Bestecke.) Ebenso wird beim Abräumen verfahren. –

Dies sind die Hauptregeln des Servierens. Nebenbei ist noch zu beachten: Man lasse die Bedienung am besten Platten usw. mit einer Serviette anfassen, damit die Hand verdeckt wird. Die so oft benutzten weißen Handschuhe sind weniger zu empfehlen. Jedenfalls darf die Bedienung nie Platten usw. mit allzuweit über den Rand hinwegragenden Fingern anfassen. – Fällt einem Gast ein Messer usw. zur Erde, so ist ihm ein anderes auf einem Teller zu reichen. Nichts darf ohne Teller angeboten werden (ein Glas Wasser usw.). Nur bei Selterwasser macht man eine Ausnahme. Hier kann die Flasche ohne weiters rechts neben den Gast gestellt werden, der darum gebeten hat. Weinflaschen werden beim Einschenken stets so in eine Serviette eingehüllt, daß die Hand unsichtbar ist. – Niemals darf einem Gast das letzte Stück auf einer Platte angeboten werden. Die Platte muß vorher frisch belegt werden.

[70] Das wären die Hauptsachen über das Servieren. Alles andere hierüber findet man in jedem Kochbuch. Ich habe hier nur das erwähnt, worin diese Bücher nicht übereinstimmen. Der heutige Gesellschaftskodex verlangt die Beachtung obiger Einzelheiten. –

Nun zu dem Menü, die Speisenfolge. Ich will hier aus eigener Erfahrung einige Menüs angeben, die mit Geschick in Rücksicht auf Teuerung usw. zusammengestellt worden sind.


Ein einfaches Mittagessen (auch als Hochzeitsdiner zu verwerten).

Klare Nudelsuppe (in Tellern).

Schellfisch mit pikanter Tunke.

Rinderbraten. Kompott. Salat.

Hühnerfrikassee (verlängert durch Fleischstückchen).

Apfeltorte.

Obst. Süßigkeiten (Dessert).


Ein besseres Diner.

Klare Gemüsesuppe (in Tellern).

Steinbutt mit holländischer Tunke.

Schweinsrücken.

Entenbraten. Kompott. Salat.

Reisspeise mit Äpfeln.

Obst. Süßigkeiten.


Ein noch besseres Diner.

Königinsuppe (in Tellern).

Zander mit Champignontunke.

Rinderbraten.

Frikassee von Huhn.

Rehbraten. Salat. Kompott.

Torte mit Schlagsahne.

Gefrorenes.

Obst. Süßigkeiten.


Sodann einige Abendessen (Soupers).


Im Familienkreise:

Fleischbrühe (in Tassen).

Schellfisch mit pikanter Tunke.

Schweinekotelettes. Salat. Kompott.

Apfeltorte.

[71]
Oder – noch bescheidener.

Bierfisch (oder Fisch in Petersilientunke).

Wildbraten (oder Rinderbraten). Kompott.

Einfache Reisspeise.


Ein einfaches Abendessen.

Hühnersuppe (in Tassen).

Schellfisch mit pikanter Tunke (oder Heringssalat).

Kalbskotelettes mit Gemüsebeilage.

Torte


oder:


Reissuppe (in Tassen).

Zander mit holländ. Tunke.

Hasenbraten. Salat. Kompott.

Obst. Süßigkeiten.


Ein besseres Abendessen.

Hühnersuppe mit Schaumklößchen (in Tassen).

Steinbutt mit zerlassener Butter.

Hühnerfrikassee.

Kalbsbraten. Salat. Kompott.

Torte.

Obst. Süßigkeiten.


Man sieht, daß zwischen dem Menü für ein Diner und ein Souper kaum ein Unterschied gemacht wird. Beim Diner soll die Suppe zumeist in Tellern gereicht werden, beim Souper in Tassen. Letzteres soll leichtere Speisen enthalten. Scharf gewürzte Gerichte gehören in das Diner hinein, ebenso sehr fette Speisen. – Zur Fleischbrühe kann man stets Pasteten reichen. Austern und Hummer gehören als Vorgerichte vor die Suppe. Dann fällt der Fischgang fort. Eier – etwa in pikanter Mostrichtunke – geben ein gutes Zwischengericht bei einfachen Abendessen ab, ebenso Aufschnitt mit Gemüsebeilage. – Hammel reicht man nur in Form a la Reh als Braten, sonst als Zwischengericht (gebratene Hammelrippchen). – Gerichte, die man zur Hausmannskost zählt, setzt man Gästen nicht vor, also nicht Rührei, Backobst mit Klößen, Bratfisch (anders aber gespickten Hecht), [72] Fleischbrühe mit gekochtem Fleisch usw. Man soll auch alle Gerichte vermeiden, die sog. provinzieller Art sind. Aber: ich habe ja bereits über Königsberger Fleck vorher gesprochen. –

Nun die Weine. – Auch darüber enthält jedes Kochbuch genaueres. Ich will hier also nur das anführen, was man in den Kochbüchern vermißt.

Man gibt (wenn man es kann!):

Zum Vorgericht (Austern), und zur Suppe: Portwein, Madeira und ähnliche schwere, süße Weine.
Zum Fisch: Weißweine.
Zum Braten: Rotwein oder Sekt.
Nach der Speise: Liköre.

Bei den vorstehend angegebenen Menüs genügt aber auch ein Mosel- oder Rheinwein in Rücksicht auf die Preise. Will man noch Rotwein reichen lassen, dann nach dem Zwischengericht. Gibt man nur Mosel z. B., so kann man zur Suppe auch Porter in (kleinen) Gläsern, vielleicht in Bechern, anbieten. Wer nur süße Weine zur Verfügung hat, gebe Porter zum Braten. Es sei hier überhaupt auf die „Salonfähigkeit“ von Porter als Tischgetränk hingewiesen, ebenso auf die Mischung von Porter mit süßem Sekt (1 Flasche Sekt auf 1 Liter Porter). Man reiche diese Mischung in Bowlenkannen, dazu Rotweingläser.

Rheinwein soll stets nur die gewöhnliche Kellertemperatur haben. Jeder Wärmeumschlag ist seinem Geschmack nachteilig. Moselweine gibt man gekühlt, aber nicht zu kalt. Nur Sekt (ebenso Porter und Sekt) von Eis. – Bei einfachen Abendessen und solchen im Familienkreise genügt auch ein gut temperiertes (gekühltes) Bier, hell oder dunkel, aus einem Siphon. – Neuerdings ist auch eine bisher nicht gebräuchlich gewesene Mischung von süßem Sekt und echtem dunklen Bier in Mode gekommen. Man beachte aber, daß Sekt mit Porter oder mit Echtem recht schwer ist.

[73]
g) Unsere Kinder und unser Verkehr.

In gewissem Sinne gehört die Kindererziehung auch mit in das Gebiet des guten Tones, – nämlich stets dann, wenn unser geselliger Verkehr durch falsche Kindererziehung nachteilig beeinflußt wird.

Kindererziehung! – Wer es wagen wollte, darüber ein Buch zu schreiben, in dem er den Leuten, die ihre Sprößlinge nicht zu brauchbaren Menschen, sondern zu wandelnden Musterkarten von allerlei Unarten heranreifen lassen, einmal gründlich die Wahrheit sagt, über den würde man wie über einen Wüterich herfallen.

Einige von diesen Erziehungsfehlern muß ich hier besprechen, da sie ohne Zweifel durch ihr Hinübergreifen auf das Gebiet der Anstandsfragen mit unserem Thema eng zusammenhängen. Ich werde diese Fehler ganz offen erörtern. Jeder Einsichtsvolle wird dann zugeben, daß es sich um große Verstöße gegen den guten Ton dabei handelt, um Rücksichtslosigkeiten zum Teil, unter denen die Allgemeinheit zu leiden hat.

Beginnen wir mit „einem Fall aus eigener Praxis.“ – Meine Frau und ich fahren von Stettin nach Berlin, Personenzug. In Pasewalk steigt in unser bis dahin leeres Abteil eine Dame mit einem etwa fünfjährigen Knaben ein. Der Zug rollt weiter. Die Dame gibt ihrem Söhnchen, das dauernd im Abteil von Tür zur Tür pendelt und beim Schleudern des Wagens mir schon zweimal auf die Füße getreten hat, eine belegte Butterstulle, mit der der Kleine nun, die Stulle bald in diese, bald in jene (natürlich längst fettbeschmierte) Hand nehmend, seine Entdeckungsreisen im Abteil fortsetzt, wobei er mit den fettigen Händen sich an den Bänken festhält, diese beschmutzt und jedem, der den Platz dort einnimmt, unweigerlich ein paar Fettflecke besorgt. Als der Kleine dann beinahe auf meine Frau gestolpert wäre (deren Kostüm dann die Spuren von Butter und Leberwurst zum Andenken an diese Mustermama wohl für immer behalten hätte!), bitte ich die Dame sehr höflich, ihr Söhnchen zu veranlassen, neben ihr Platz zu nehmen, indem ich auf die fettbeschmierten Bänke [74] und die Gefahr, daß uns die Kleider beschmutzt werden, hinweise, – alles in sehr höflichem Tone. – Und der Erfolg? – Wütende Blicke, gemurmelte Beleidigungen usw. Aber – diese treffliche Mama stieg dann wenigstens sofort auf der nächsten Station in ein anderes Abteil um, wo sie vielleicht weniger empfindliche Leute zu finden hoffte.

Gerade Damen, die gern ihre Sachen schonen, werden mir beipflichten, daß ein derartiges Verhalten einer Mutter nicht streng genug verurteilt werden kann. Solche Kinder mit Butterstullen in der Hand in einem öffentlichen Verkehrsmittel (denn gleiches habe ich auch oft genug in elektrischen Straßenbahnen und auf Vergnügungsdampfern beobachtet) sind gemeingefährlich. Wer Kinder in der Eisenbahn füttert, halte sie neben sich und beaufsichtige sie. Überhaupt sollte man Kinder zwingen, in diesen öffentlichen Verkehrsmitteln still zu sitzen. Jeder, der mal in der Straßenbahn neben oder gegenüber einem solchen schlecht erzogenen Kinde, das mit seinen Schuhen uns jeden Moment zu beschmutzen droht, gesessen hat, versteht mich fraglos!

Still sitzen! – Damit will ich überleiten zu „Unsere Kinder und unser Verkehr.“ – Meiers sind sehr nette Menschen. Nur – sie haben zwei Knaben, neun und zehn Jahre alt, und diese Knaben verleiden einem Meiers vollständig. Wenn man bei Meiers zwanglos zum Abendbrot eingeladen ist, sitzen diese Musterknäbchen, an denen Meiers mit jener Liebe hängen, die man Affenliebe nennt, mit bei Tisch. Das heißt: sie sollten bei Tisch sitzen! Sie tun es aber nicht, kriechen unter dem Tisch herum, treiben Allotria, und – Meiers finden das „entzückend“. Nachdem der ältere „junge Meier“ meiner Frau mit seiner fettglänzenden Hand einen dauerhaften Stempel auf einen schwarzen Tuchrock beigebracht hat, meiden wir Meiers, zumal man bei ihnen ja auch nach Tisch bis gegen 1/210 keine Ruhe hat, da die lieben Söhnchen stets bis zum Schlafengehen im Salon oder Herrenzimmer bleiben dürfen. –

Zunächst: Kinder in solchem Alter gehören um 8 Uhr spätestens ins Bett! Dann: man sollte Kinder bis [75] zu 12 Jahren nie mit am Tisch essen lassen, wenn Gäste da sind. Am besten läßt man Kinder überhaupt im Kinderzimmer, sobald Besuch da ist. Ganz abgesehen davon, daß schlecht erzogene Kinder jede Mahlzeit für Gäste zur Qual machen können, soll man auch daran denken, daß sie alles „aufschnappen“ was gesprochen wird. Eine zwanglose Unterhaltung in Gegenwart von Kindern ist unmöglich.

Als wir mal bei Schulzes nach dem Abendessen zum Tee eingeladen waren, war auch das zehnjährige Lieschen Schulze mit dabei. Drei Tage später erzählte mir ein Bekannter, in der Stadt sei das Gerücht verbreitet, ich hätte im – Zuchthaus gesessen und dies bei Schulzes selbst zugegeben. – Natürlich ging ich der Sache nach. Da kam zu Tage, daß ich damals bei Schulzes über meine Festungsstrafe wegen Zweikampfs gesprochen und scherzend dabei den Ausdruck „Zuchthaus“ gebraucht hatte. Lieschen Schulze aber hatte schleunigst in der Schule dies weiterverbreitet. So wurde ich Zuchthäusler!

Man sieht schon an diesem einen Beispiel wie verkehrt es ist, Kinder im Zimmer zu dulden, wenn Gäste anwesend sind, mögen dies auch ganz nahe Bekannte sein.

Dann der umgekehrte Fall: Meiers sollen abends zu uns kommen: Meiers Mädchen hat Ausgehtag. Also bringen Meiers ihre beiden „Schreckmittel“ mit. Die Herren Söhne haben nun keine Ahnung davon, daß Kinder wohl alles sich ansehen, aber nichts anfassen sollen. Zu Hause dürfen die lieben Kleinen eben alles tun, was sie wollen, – alles! Die Affenliebe –! – Wir als Gastgeber haben nun nur ein Vergnügen an diesem Abend: ständig aufzupassen, daß die jungen Meiers nicht Glassachen zertrümmern, Gläser umgießen, nicht Löcher in Tischdecken schneiden usw. Ein sehr angenehmer Abend also! –

Kinder soll man zu Bekannten nur dann mitnehmen, wenn diese es ausdrücklich wünschen. Gewiß: wer nicht in der Lage ist, sich Bedienung zu halten, wird oft gezwungen sein, die Kinder mitzubringen. [76] Dann soll man aber auch dafür sorgen, daß die Kleinen still sitzen, daß sie sich sitzend irgendwie beschäftigen und nicht dauernd allen Anwesenden die Ruhe rauben.

Sehr wenige Kinder sind so erzogen, daß sie es verstehen, zu spielen, ohne zu toben. Dieses „Sich austollen“ sollen sie im Freien besorgen, nicht im Zimmer, so daß vielleicht die Unterwohner genötigt sind, des öfteren zu „Meiers“ hinaufzuschicken und sich Ruhe auszubitten. Man gewöhne Kinder rechtzeitig daran, am Tisch sitzend zu spielen. Man bedenke dabei, daß auch Kinder leicht nervös werden, gerade durch dieses ständige Umhertollen! Viele Eltern wundern sich, daß ihre Kinder in der Schule nichts leisten. Vielfach hat dies seinen Grund in nervöser Zerfahrenheit, die auf – mangelnde Erziehung, eben auf fortwährendes Umherhasten bei Spielen, die keine Spiele sind, zurückzuführen ist. – Das Stillsitzen, ferner das „Nichts anfassen“ und drittens das „Mund halten“, das „Nicht vorlaut sein“ sind Eigenschaften, die jedem Kinde unbedingt beigebracht werden müßten. –

Die Quintessenz des eben Ausgeführten ist also: Kinder gehören nicht mit an den Tisch, wenn Gäste da sind, ebensowenig mit in das Zimmer, in dem man mit den Gästen Platz genommen hat; Nur tadellos erzogene Kinder, die bereits wissen, wie sie sich beim Essen zu benehmen haben, dulde man an der Tafel, setze sie dann aber nie neben Gäste, da einem Kinde stets das Malheur passieren kann, etwas umzugießen usw., wodurch die Kleider der Gäste gefährdet werden. –

Im übrigen ist es auch eine grobe Unsitte, Hunde im Zimmer zu belassen, wenn Gäste da sind. Es gibt sehr viele Leute, die eine starke Abneigung gegen Hunde haben. Hierauf muß man Rücksicht nehmen. Das verlangt der gute Ton.




[77]
Drittens.
Die Kunst, ein angenehmer Gast zu sein, eine Unterhaltung zu führen und zur Unterhaltung anderer beizutragen.

Es gibt zwei Sorten von Gästen: solche, die glauben, nur der Gastgeber hätte ihnen gegenüber Verpflichtungen, und solche, die sich bewußt, daß auch der Gast dem Gastgeber gegenüber Pflichten hat.

Die ersteren denken: „Gut – ich bin heute zu Schulzes zu einem einfachen Abendessen geladen. Also ziehe ich mir den Smoking an, und damit habe ich meine Pflicht als Gast erfüllt. Alles übrige liegt Schulzes ob: daß es gut und reichlich zu essen und zu trinken gibt, und daß ich mich auch bei ihnen „amüsiere“.“ –

Die anderen aber denken richtiger: „Hm – bei Schulzes geht es immer ein wenig steif her. Die Leute haben wenig Geschick, einen netten Ton in die Gesellschaft zu bringen. Aber sie sind dankbar, wenn einer der Gäste „die Sache etwas in Schwung bringt.“ Also sehen wir zu, daß wir unser Renommee als angenehmer Gast auch heute wahren und die Gesellschaft etwas aufheitern.“ –

Ein angenehmer Gast ist der, der folgendes beachtet:

1. der pünktlich ist

2. der „sich nicht nötigen läßt“

3. der nicht nur seine Dame in eine lebhafte Unterhaltung zu verstricken weiß, sondern der auch die Umsetzenden an diesem Gespräch zu beteiligen versteht

4. der bei Tisch gerade nur so viel trinkt, daß er in angeregter Stimmung von der Tafel sich erhebt, nicht aber angeheitert

5. der nach Tisch seine Hauptaufgabe nicht darin sieht, einen Sessel in einem verborgenen Winkel [78] zu zieren, um mit seinem überladenen Magen allein zu sein

6. der vielmehr sich weiter der Allgemeinheit widmet

7. der nicht etwa in einem Kreise, wo junge Mädchen vorhanden sind, ein paar der jungen Leute zum – Skat verführt

8. der sich nicht ängstlich davor drückt, eine Dame nach Hause begleiten zu müssen.

Das alles macht den – „angenehmen“ Gast aus!

Gehen wir nun die einzelnen Punkte durch. – Man soll nicht zu spät kommen! Darüber sprach ich schon an anderer Stelle. – Dann: bilde Dir nicht ein, es wäre „vornehm“, sich dauernd zum Zugreifen nötigen zu lassen! – Die wahre Vornehmheit besteht in zwangloser Sicherheit des Auftretens bei allen Gelegenheiten. Dazu gehört auch, daß Du Dich als Gast auch zwanglos satt ißt! – Nichts ist für Gastgeber unangenehmer, als dauernd nötigen zu müssen! Aber bitte, lieber Herr Schulze, legen Sie sich doch ein besseres Stück auf! – Eine solche Bescheidenheit bei Tisch ist ganz unangebracht; angebracht ist sie nur da, wo der Gast merkt, daß – es sehr knapp hergeht! Aber dies wird bei zwanglosen Abendessen oder Mittagseinladungen kaum der Fall sein. Und das „Nötigen“ kann die Hausfrau ja nur im kleinen Kreise tun, wo sie jeden einzelnen Gast zu beobachten vermag. – Nein – jeder lange ruhig zu und esse sich satt! Wer sich nötigen läßt, beweist nur, daß es ihm an gesellschaftlicher Sicherheit fehlt.

Dann drittens: Du sollst Deine Tischunterhaltung so einrichten, daß alle daran teilnehmen können. – Eine gemeinsame Tafel ist nicht der Ort, mit einer Dame, der Tischdame, sich sozusagen durch das Gespräch abzusondern. Insbesondere gilt es mit Recht als unfein, wenn man mit seiner Tischdame andauernd ganz leise sich unterhält. Tischunterhaltung soll so geführt werden, daß sie Allgemeingut ist. Daraus ergibt sich [79] auch, was ich nachher näher erörtern werde, welche Themen man bei Tischgesprächen wählen soll. –

Weiter: Du sollst Dich und Deinen Körper so weit kennen, daß Du abzuschätzen vermagst, wieviel Du an Wein usw. verträgst. Wer angeheitert von der Tafel aufsteht, begeht die gröbste aller Taktlosigkeiten, denn er scheidet als Gast damit sozusagen aus, da er für die Gastgeber und die anderen Gäste nur noch eine Person ist, von der man noch weitere Taktlosigkeiten befürchtet! – Wem es trotz aller Vorsicht zustößt, daß er nach Tisch seiner Sinne nicht mehr ganz mächtig ist, der soll sich in einen stillen Winkel zurückziehen, soll sich Selterwasser bringen lassen und möglichst hintereinander zwei bis drei Flaschen davon trinken. Es ist das ein bewährtes Mittel, die Teufel des Alkohols zu verscheuchen. Er vermeide zunächst auch zu rauchen, esse dafür besser Obst. – Wer schon bei Tisch merkt, daß er „mit der Zunge stolpert,“ dem empfehle ich (vielleicht auch aus eigener Erfahrung), recht reichlich vom Dessert (Obst, Süßigkeiten) zu nehmen und keinen Schluck Wein mehr zu trinken. Drei, vier Äpfel zum Beispiel tun oft Wunder, falls man nicht gerade bereits in einem – „zu vorgeschrittenen Stadium“ sich befindet.

Dann zu Punkt 5: Laß Dich nicht nötigen! Aber iß auch nicht zu viel! Nicht so viel, daß Du nachher unfähig bist, Dich zu bewegen oder Dich zu unterhalten! – Es gibt auch solche Vielfraße! Sie stehen denen gleich, die nach Tisch ihre Tischdame ganz links liegen lassen und wieder den Hagestolz spielen.

Zu 6. ist nichts Näheres zu bemerken. Zu 7. auch nur, daß es allgemein für taktlos gilt, wenn in einer Gesellschaft nach der Tafel einer der Gäste ein Kartenspiel nur für Herren anregt. Zum mindesten sollte man sich sehr vorsichtig beim Hausherrn vorher erkundigen ob man vielleicht ein Spielchen machen könne. Aus der Antwort wird dann jeder feinfühlige leicht herausmerken, ob des Hausherrn Ja ein verschleiertes Nein ist. – Glückspiele (Mauscheln z. B.) darf man nun schon gar nicht anregen. – Junge Leute an den Skattisch locken, wenn junge Mädchen anwesend sind, wird keine [80] Hausfrau dem Übeltäter verzeihen, denn er nimmt der holden Weiblichkeit damit ja den Hauptreiz des Abends, und das sind – die süßen Männer, die noch süßeren – Verlobungsaussichten.

Auch zu 8. brauche ich hier nichts zuzufügen. Es ist eine Anstandspflicht, alleinstehenden Damen nach einer Gesellschaft seine Begleitung anzubieten. Man tut dies am besten, indem man der Hausfrau erklärt, man sei gern bereit, eine der Damen heim zu geleiten. Jede Hausfrau wird eine solche Frage durch ein dankbares Lächeln lohnen. –

Du siehst also, wie leicht es ist, ein angenehmer Gast zu sein. Versuche, nach diesen acht Punkten Dich zu richten, und Du wirst sicherlich nie ein – unangenehmer Gast werden! –

Wie führe ich eine Unterhaltung? – Nach dem bekannten Vorschlag des berühmten ostpreußischen Dialektdichters Robert Johannes soll man ja wohl ein Tischgespräch mit seiner Dame durch die Frage einleiten: „Freileinchen, essen Sie gern Käse? – Ich ess’ ihn nämlich gar nich jern.“ – Ich würde diese Einleitung nicht empfehlen. Käse ist ein zu anrüchiges Thema. – Bevor wir aber über Gesprächsthemen reden, einige allgemeine Bemerkungen über die Kunst des Plauderns.

Von dem Durchschnittseuropäer verlangt man keine geistreiche Unterhaltung. Es genügt, wenn er frei und fließend zu plaudern versteht, das heißt, über allgemein interessante Dinge so sprechen kann, daß dadurch die Fortführung dieses Gesprächs erleichtert wird. Denn das ist die Hauptsache!

Nicht der ist ein guter Gesellschafter, der überall und stets den „Kanzelredner“ spielt, das heißt, der sich nicht unterhält, sondern „vorträgt“, ohne andere zu Worte kommen zu lassen. – „Unterhalten“ ist ja abgeleitet von „etwas unterhalten“, z. B. ein Feuer unterhalten, also „sorgen, daß das Feuer weiterbrennt“, oder – daß das Gespräch in Fluß bleibt! Darin liegt die Kunst des Plauderns.

Diese Kunst kann man erlernen. Ohne Zweifel. [81] – Wer ein wenig „begriffsstutzig“ ist, dem rate ich folgendes. Wenn er eingeladen ist und also weiß, daß ihm die Pflicht obliegt, zum mindesten seine Dame zu unterhalten, der bereite sich auf ein paar gerade aktuelle Gesprächsthemen vor. Was aktuell ist, ersieht er aus jeder Zeitung. Dann wähle er etwas davon, worüber er sich leicht aus einem Buche näher unterrichten kann. Schon das Bewußtsein, drei Gesprächsthemen in Bereitschaft zu haben, wird auch den Unbeholfensten sicherer machen.

Wie soll er nun diese Themen anschneiden und erörtern? – Die Überleitung zu einem der Themen mag er getrost etwas gewaltsam veranlassen, durch eine Bemerkung etwa, die etwas Ähnliches betrifft. – Dann heißt es, beim Thema zu bleiben, es fortzuspinnen. Dies geschieht am besten durch eingestreute Fragen, indem er von seiner Dame ihre Ansicht über eine Einzelheit des Themas einholt. Weiter auch kann man unschwer bei jedem derartigen Gespräch Eigenerlebtes einflechten und auch die Dame dazu bringen, dasselbe zu tun.

Es gibt da einen alten Kniff, eine Unterhaltung sehr leicht fortzusetzen. Er besteht darin, aus der Antwort oder Bemerkung des anderen Teiles ein Wort herauszugreifen und mit dessen Hilfe zu einer neuen eigenen Bemerkung zu kommen, – etwa so:

Sie: Gestern gab es auf der Untergrundbahn wieder eine Verkehrsstockung. Das passiert jetzt so häufig.

Er: Sehr richtig, zu häufig passiert es. Ich habe letztens deshalb die Zeit für eine wichtige Zusammenkunft mit einem Geschäftsfreunde im Hotel Bristol verpaßt.

Sie: Hotel Bristol – auch eins von den großen Hotels, die letztens polizeilich geschlossen wurden.

Er: Ja – geschlossen! Als ob diese Hotels ihre Gäste wohl ohne Lebensmittelschiebungen ernähren könnten.

Sie: Mit der Ernährung wird’s überhaupt von [82] Tag zu Tag schlechter. Diese Preise kann kein Mensch mehr zahlen.

Er: Wenigstens kein Mensch mit einem normalen Einkommen –

Und so fort. –

Wer erst einige Male sich auf Gesprächsthemen vorbereitet hat, der wird bald so viel Sicherheit in der Unterhaltung sich aneignen, daß er auf dieses Hilfsmittel des „Sich präparieren“ verzichten kann.

Es eignen sich jedoch nicht alle Themen für die Unterhaltung in größerem Kreise. Während man im Familienverkehr jedes Thema (außer anstößigen) erörtern kann, sogar das der Religion und der Politik, wird man bei Tischgesprächen und mit Leuten, die man nicht genauer kennt, besser auch folgende vermeiden. Zunächst alles, was zartbesaitete Naturen abstoßen kann, also Morde, Roheitsverbrechen, Selbstmorde, Krankheiten usw. Dann ferner Themen, die ein Spezialwissen erfordern, ebenso solche, die eben die Allgemeinheit nicht interessieren. Eine Dame z. B. über ein neues Verfahren zur Gewinnung von Kunstdünger zu unterhalten, dürfte verfehlt sein. – Schließlich scheide man alle Themen aus, die dem andern Teil aus bestimmten Gründen peinlich sein müssen. Wenn mir z. B. bekannt ist, daß die Dame einmal verlobt war, mit der ich gerade spreche, werde ich nicht von einem Freunde erzählen, der endlich seine Braut, die gar nicht zu ihm paßte, losgeworden ist. Oder: meiner Tischdame Bruder ist von den Eltern nach Amerika abgeschoben worden. Da darf ich nicht von Freund Meier berichten, der „ein ganz übles Früchtchen“ war und nun in New York Stiefelputzer ist.

Man sei also vorsichtig bei der Wahl dessen, was man zum Gegenstand der Unterhaltung macht; man suche am besten Themen harmloser und heiterer Art aus.

Heiterer Art! Das gibt die Überleitung zu der Frage: Wie trage ich zur Unterhaltung anderer bei?

Ich kannte seiner Zeit einen Privatdozenten, der vielleicht der angenehmste Gesellschafter war, dem ich [83] bisher begegnet bin. Er brachte für jede Abendgesellschaft eine neue Tischüberraschung mit. Er war ein Genie im Entdecken von kleinen Scherzen, die alle Welt amüsierten. Bald holte er bei Tisch aus der Tasche irgend einen Scherzartikel hervor, der die Stimmung sofort auf den Höhepunkt hob. Manchmal war’s ein ulkiges Kinderspielzeug, manchmal eine chemische Spielerei. Dann wieder zauberte er aus einem (natürlich von ihm selbst mitgebrachten) Brötchen oder einem Apfel allerlei Sächelchen hervor, die allgemein belacht wurden; so z. B. ein Gedicht, das er, den Ahnungslosen spielend, verlas und das in Knüttelversen diesen und jenen der Tischrunde „verherrlichte“. Er war auch ein Meister in Kartenkunststücken; ebenso leistete er in der Rolle des Rezitators allermodernster Dichtungen Hervorragendes, wobei er stets Gedichte wählte, die unfehlbar „einschlagen“ mußten. Obwohl eingefleischter Junggeselle, wußte gerade er junge Mädchen aufs beste zu unterhalten. Er war der „Erfinder“ neuer Gesellschaftsspiele mit witzigen Pointen; er war überall Hähnchen im Korbe. Kein Wunder! Denn wo er geladen, da fehlte es nie an Stimmung!

Solche Leute wie er sind selten. Ihnen ist diese Gabe einen ganzen Kreis anzuregen und zu zerstreuen, angeboren. Aber auch jeder andere vermag wenigstens etwas mitzuhelfen, eine Gesellschaft zu belegen. Wer das Talent dazu in sich fühlt, der bereite sich auf kleine Scherze usw. vor. Ich empfehle z. B. den allerliebsten Trick mit dem eingeschmuggelten Apfel, den man von seiner Tischdame zerschneiden läßt, die dann darin ein Papierröllchen usw. findet. Es gibt ja für jemand, der nur etwas Erfindungsgeist hat, genug Möglichkeiten, ähnliche Überraschungen auszuführen.

Wer die Gabe besitzt, humoristische Gedichte vorzutragen oder dergleichen, sollte sein Licht stets nach Tisch leuchten lassen. In dieser Hinsicht ist Bescheidenheit verkehrt. – Ich besinne mich noch, daß ich einmal einen Vetter, der mich von auswärts besucht hatte, mit zu Bekannten nahm. Dieser Vetter war (und ist noch heute) ein feiner Komiker, obwohl sonst von Beruf [84] Brennereibesitzer. Er unterhielt damals die ganze Gesellschaft, indem er mit den einfachsten Mitteln sich – als Verwandlungskünstler produzierte.

Wer also über eine besondere Fähigkeit verfügt, stelle sie auch in den Dienst der Geselligkeit. Die Kunst, zur Unterhaltung anderer beizutragen, ist oft nichts anderes als lediglich das Überwinden einer gewissen Scheu, seine geselligen Talente zwanglos zu betätigen.




Viertens.
Wie schreibe ich Briefe?

Keine Sorge! – Ich will hier weder einen „Briefsteller für Liebende“ noch ähnliches in Abschnitt 4 bringen.

Ich will nur auf einiges hinweisen, was im Briefwechsel zum guten Ton gehört.

Zunächst das Papier. Wer sich ganz streng an das halten will, was hier der Anstand verlangt, benutzt am besten nur weißes oder elfenbeinfarbenes Briefpapier, da gewisse Papierfarben bei bestimmten Gelegenheiten verpönt sind. So darf man niemals auf farbigem Papier, etwa rosa oder grünlich, die sog. offiziellen Schreiben erledigen. Hierzu gehören: Die schriftliche Werbung, sei es, daß sie an die Erwählte oder die Eltern gerichtet ist; ferner jeder schriftliche Glückwunsch bei Familienereignissen, als da sind: Verlobung, Hochzeit, Geburt, Kindtaufe.

Bei Glückwünschen zu Geburtstagen ist man weniger streng. In den vorher genannten Fällen sollte man aber farbiges Briefpapier unbedingt vermeiden.

Manchem mag diese Art Anstandspflicht übertrieben [85] vorkommen. Ich kann auf ihre Entstehung hier nicht näher eingehen. Jedenfalls spielt dabei der Aberglaube eine gewisse Rolle.

Daß man zu Kondolenzbriefen nur Papier mit schwarzem Rand und ebensolche Umschläge verwenden soll, habe ich bereits früher hervorgehoben. Betonen will ich noch, daß man zu den vorher genannten Schreiben keine Korrespondenzkarten benutzen darf; ebensowenig zu Absagen auf Einladungen. –

Das Äußere des Briefes. – Die Aufschrift auf dem Umschlag muß bei Frauen den Titel des Mannes mitenthalten. Man läßt die Standesbezeichnung nur weg bei Frauen von Kaufleuten. „Frau Kaufmann Helene Meier“ würde andeuten, daß Frau Meier selbst Geschäftsinhaberin ist. – Die Frage, ob man dort, wo es früher üblich, auch jetzt noch der Adresse das „Hochwohlgeboren“ voransetzt, ist unbedingt zu bejahen. Genau so wie man bei Geistlichen vor die Anschrift das „Hochwürden“ nicht weglassen soll. Man kann feststellen, daß auch die Behörden immer mehr zu diesem Brauch zurückkehren. Deshalb darf man ihn im gesellschaftlichen Leben erst recht nicht in die Rumpelkammer tun. Es gibt eben sehr empfindliche Leute, die das fehlende „Hochwohlgeboren“ dem Briefschreiber geradezu als Mangel an Höflichkeit auslegen, genau so wie dessen Abkürzung durch „S. H.“. Will man sich des „Hochwohlgeboren“ bedienen, dann schreibe man es auch aus. Ich persönlich halte es für überflüssigen Ballast. Etwas anderes ist es mit dem Exzellenz-Titel. Diesen fortzulassen, ist ungehörig. Dagegen ist es abgekommen, Exzellenzen in der dritten Person anzureden. Also nicht mehr: „Exzellenz haben die Güte gehabt,“ sondern das – fraglos weniger kriecherisch klingende – allgemein übliche „Sie“. – Der Absender soll sich stets nur auf der Rückseite vermerken.

Der Brief selbst. Ort und Datum rechts einen Fingerbreit unter dem oberen Rande. Mindestens zwei Finger darunter die Anrede, die nicht mit einem Ausrufungszeichen versehen werden soll, sondern mit einem Komma, was eine gewisse Berechtigung hat, da das Ausrufungszeichen [86] stets wie ein Befehl wirkt: „Gib gefälligst acht, was ich Dir mitzuteilen habe!“ – Das Komma hinter der Anrede verhütet auch, daß man den Brief mit „ich“ beginnt, was unhöflich ist. Schreibe ich zum Beispiel:

Sehr geehrter Herr Geheimrat, (also Komma!)
Sie waren so liebenswürdig – usw. – oder –
auf Ihre freundliche Einladung zu dem –

so werde ich weniger leicht dazu verführt, etwa sofort mit einem „Ich“ herauszuplatzen.

Der Brief selbst soll wieder anderthalb Fingerbreit unter der Anrede beginnen. Am linken Rande bleibt ein mindestens fingerbreiter Streifen unbeschrieben, ebenso am unteren Rande. Die jetzt häufig zu findende Art, nach Füllung der ersten Seite auf der letzten weiter zu schreiben, also das Innere des Briefbogens zuletzt zu benutzen, gilt als nicht fein, obwohl es fraglos bequemer ist.

Noch etwas über die Anrede. – Leute in gleichen Stellungen lassen den Titel im Briefe weg. Es wird also Postsekretär Meier nicht an Postsekretär Schulze schreiben: „Geehrter Herr Postsekretär“, sondern „Geehrter Herr Schulze“. Der im Range niedriger stehende Beamte muß dagegen bei dem Höherstehenden stets den Titel hinzufügen. Ebenso wird dies auch ein an Jahren bedeutend jüngerer Gleichgestellter dem älteren Herrn gegenüber tun. –

„Musterbriefe“ (Briefentwürfe) hier zu bringen, würde über den Zweck unseres Buches hinausgehen. Ich kann nur jedem, der im Briefschreiben nicht gewandt ist, raten, einen Briefsteller[WS 2] zu Rate zu ziehen. Weshalb soll man viel kostbare Zeit damit vergeuden, etwa ein recht herzlich gehaltenes Glückwunschschreiben aufzusetzen, wenn man sich die Sache vereinfachen kann?

Das Beifügen von Rückporto bei Schreiben im geselligen Verkehr (Frau Meier in Stettin fragt bei Frau Müller in Berlin an, ob sie ihr dort dies und jenes besorgen könne) war früher bei den billigen Portosätzen nicht üblich. Heute würde ich jedem raten, es zu tun, [87] besonders dann, wenn man weiß, daß der andere Teil sich nicht gerade in glänzenden Vermögensverhältnissen befindet. Man gebrauche dann am Schluß des Briefes vielleicht die Wendung: „Sie gestatten, daß ich zu Ihrer Bequemlichkeit einen adressierten Umschlag beifüge.“ Man legt also am besten in den Brief einen solchen frankierten Umschlag hinein. Das wird jeder nur angenehm begrüßen. –

Soweit mir bekannt, bringen die „Briefsteller“ jedoch keine Entwürfe von den im geselligen Verkehr gerade so häufigen Absage- und Zusagebriefen auf Einladungen. Ich will also als einzige Muster von Briefen hier einige solche Briefe anführen. – Zunächst die Frage noch: an wen richte ich die Ab- oder Zusage? An den Hausherrn oder die Hausfrau? – Man wird hier folgenden Unterschied zu machen haben. Verkehre ich irgendwo intimer, gehöre ich also zum engeren Verkehrskreis einer Familie, werde ich z. B. auch zu gemütlichen Teeabenden zwanglos (mündlich) eingeladen, so werde ich die Zusage an die Hausfrau richten. Muß ich absagen, gehe ich am besten persönlich zu den Bekannten, wie schon vorher betont ist. Kann ich dies aus irgendwelchen Gründen nicht, so schreibe ich auch an die Hausfrau. Stets fügt man aber natürlich einen Gruß an den Hausherrn hinzu. – Wer nur zum entfernteren Verkehr einer Familie zählt, wer also nur zu den „großen Abfütterungen“ geladen wird, richtet Ab- und Zusage an den Hausherrn und fügt eine Empfehlung an die Hausfrau hinzu.

Man faßt einen Zusagebrief etwa so ab (als intimer Bekannter):

     Meine verehrteste gnädige Frau,

(oder)

     Meine verehrteste Frau Doktor,

für Ihre liebenswürdige Einladung zum .. des Monats[* 1] meinen herzlichen Dank. Ich werde nicht verfehlen, mich [88] pünktlich wie immer einzufinden, und verspreche auch, die Ihrem gastfreien Hause gebührende „Stimmung“ mitzubringen.

Mit bestem Gruß, auch an Ihren Herrn Gemahl,

Ihr sehr ergebener 
X. Y.gebener 

Man kann eine solche Zusage also in eine zwanglosere Form kleiden.

Die Absage des intimeren Bekannten würde lauten:

     Anrede ....,

Ihrer liebenswürdigen Einladung zum .. des Monats kann ich zu meinem größten Bedauern nicht Folge leisten. Ich bin gezwungen, gerade an dem Tage dienstlich (geschäftlich) nach ... zu reisen. Diese Reise läßt sich leider nicht verschieben. Sie wissen, verehrteste Frau Doktor, wie gern ich stets als Gast in Ihrem Hause weile, und werden daher begreifen, daß ich untröstlich bin, diesmal fernbleiben zu müssen.

     Mit ....

oder:

.... nicht Folge leisten. Ich erhielt gestern die Nachricht, daß mein Onkel ... in ... plötzlich verstorben ist. Unter diesen Umständen muß ich Ihrem gastfreien Hause diesmal fernbleiben.

     Mit ....

Ein entfernterer Bekannter sagt so zu:

     Sehr geehrter Herr Müller,

für Ihre liebenswürdige Einladung um ... des Monats meinen besten Dank. Ich werde ihr gern wie immer Folge leisten.

Ich bitte, mich Ihrer verehrten Frau Gemahlin zu empfehlen, und bleibe mit bestem Gruß

Ihr ergebenster 
X. Y.nster 

[89] Absage wie oben, nur unter Fortlassung der Schlußsätze –: „Sie wissen“ usw. –

Diese Ab- und Zusagen eines einzelstehenden Herrn genügen auch für ein Ehepaar. Gehört dieses zum intimeren Verkehr der Einladenden, so wird auch die Hausfrau diese Ab- und Zusagen erledigen können, indem sie das Schreiben mit „wir“ abfaßt statt mit „ich“. Nur schreibt eine Dame an eine andere dann von „Ihrem Herrn Gemahl“, wenn die Einladenden ältere Herrschaften oder Höherstehende sind. Sonst genügt „Mann“. – Rechnet das Ehepaar nur zum entfernteren Verkehr, so schreibt der Ehemann ab oder zu, wieder mit „wir“ statt „ich“, im übrigen wie oben.




Fünftens.
Einige Winke über richtiges und[3] gutes Deutsch.

„Oh, was ist die deutsch Sprak für ein arm Sprak, für ein plump Sprak!“

So sagt der elegante Falschspieler Riccaut in Lessings urdeutschem Lustspiel „Minna von Barnhelm“.

Dieser geschmeidige Vertreter der grande nation, wie sich die Herren Franzosen gern nennen lassen, tut der deutschen Sprache unrecht. Sie ist weder arm, d. h. sie verfügt weder über einen geringen Wortschatz, noch ist sie plump, womit Monsieur Riccaut wohl das Fehlen von schönen Redensarten meint, mit denen man etwa Grobheiten usw. fein umschreiben kann.

Sie ist etwas ganz anderes: sie ist schwer, – anerkannt schwierig für jeden Ausländer. Wer von sich [90] behauptet, er spricht und schreibt ein fehlerfreies Deutsch, renommiert. Jedem kann man Fehler nachweisen, nämlich insofern, als der Sprachgebrauch in vielem ein völlig schwankender ist. Was der eine Sprachforscher als richtig verteidigt, belächelt der andere sehr von oben herab als falsch. Ich möchte da nur an die Frage erinnern, die seiner Zeit viel erörtert wurde, als Bismarck im Reichstag gesagt hatte: „Wir Deutsche fürchten Gott, sonst nichts auf der Welt.“ Was ist richtig: Wir Deutschen oder wir Deutsche? – Damals wurde um dieses n zwischen den Gelehrten ein monatelanger Streit ausgefochten. Dieser kennzeichnet treffend als Musterbeispiel die Unsicherheit, die im Gebrauch unserer eigenen Sprache herrscht. Ich könnte hier Seiten mit solchen „Streitpunkten“ füllen. Es mögen sich also die trösten, die das Gefühl haben: Mit meinem Deutsch ist es nicht weit her! Sie mögen an jenen geistvollen Mann denken (es war irgend ein Philosoph; welcher, fällt mir im Augenblick nicht ein), der einmal schrieb: „Jeder Sprachfehler läßt sich verteidigen, wenn man nur ein wenig Geist und Haare auf den Zähnen hat.“

Wir Deutsche (denn ich halte dies für richtig, da man auch im gleichgebildeten Akkusativ „uns Deutsche“ allgemein sagt, und nicht uns Deutschen, da dies zu leicht mit dem Dativ zu verwechseln ist) sind, was unsere Sprache angeht, vielfach sehr engherzig. Das mag daran liegen, weil wir eben – ein Volk von Gelehrten sind, und bekanntlich schon zwei Gelehrte über dieselbe Sache drei Meinungen vertreten, wodurch notwendig ein Übermaß von Sprachvorschriften und eine gewisse Unduldsamkeit in sprachlicher Beziehung großgezogen wird.

Es braucht sich niemand zu schämen, der selbst grobe Sprachschnitzer macht. Nicht jeder wächst in einer Umgebung auf, die das Kind schon auf solche Fehler hinweist. Wer über solche Leute lächelt oder spöttelt, zeigt nur, daß er von einem ganz unbegründeten Hochmut beseelt ist. Man soll jeden achten, der sich ehrlich durch Arbeit ernährt – jeden! Und – man soll [91] stets daran denken, daß man selbst – Sprachschnitzer nicht vermeiden kann!

Wenn ich nun hier versuche, einige Winke zu geben, wie man richtig und gewandt sich mündlich und schriftlich ausdrücken kann, so wird dies im Rahmen dieses Buches sich nur auf die gröbsten sprachlichen und stilistischen Fehler beschränken können.

Zunächst: Wenn Du ein Buch liest, dann überfliege es nicht, sondern suche zwanglos daraus zu lernen! Präge Dir gewisse stets wiederkehrende Redewendungen ein, schaffe Dir auf diese Weise einen Vorrat solcher Redewendungen, von denen Du bestimmt weißt, sie sind richtig. – Vergleiche in Gedanken beim Lesen Deine Ausdrucksweise, Deine Art, „mir“ und „mich“ und ähnliches zu gebrauchen, mit dem Gedruckten. Treibe auf diese Weise Sprachstudien; verbessere Dein Deutsch durch diese leichte Methode!

Dann: Vermeide (mündlich und schriftlich) sogenannte Satzperioden. Drücke Dich in kurzen Sätzen aus. So wirst Du vielen Fehlern aus dem Wege gehen.

In folgendem will ich nun die am häufigsten wiederkehrenden Sprachfehler kurz beleuchten.

Heißt es Worte oder Wörter? – Beides! Worte haben stets Sinn (Dichterworte), Wörter sind aneinandergereiht ohne Sinn (Wörterbuch). Wenn also der Lehrer in der Schule sagt: „Ihr schreibt zu morgen zehn Worte auf, die auf „ung“ enden,“ so ist das falsch. – Fünf Pfennig oder fünf Pfennige? – Beides! Ich zahle für eine Zigarette fünf Pfennig; aber ich gebe meinem Jungen zum Spielen 5 Pfennige – nämlich 5 einzelne Pfennigstücke. – Friedrich des Großen oder Friedrichs des Großen? Des Rhein oder des Rheins? Die Bildung mit s ist die richtige. – Jemandem oder jemand vertrauen? Beides ist richtig. – Heißt es: „Ich bin größer wie Du“ Nein! „Als Du“. Nach jeder Steigerung steht als, also mächtiger als, besser als. schöner als. Wie steht nur bei Vergleichen: „Er ist genau so groß wie ich“. Nur nach anders steht ebenfalls als. – „Die Leiche wurde nach der Kapelle überführt.“ Falsch! Übergeführt. – Überführt wird nur ein [92] Verbrecher – und zwar seiner Schandtaten überführt. Dann wird er aber ins Zuchthaus übergeführt. – Ich habe singen gehört oder singen hören? Beides ist gebräuchlich. – Derselbe, dieselbe, dasselbe. Im Deutschen vollständig entbehrlich. Man vermeide es. Es läßt sich stets durch er, sie, es ersetzen, genau so wie welcher, welche, welches nur Sprachschwulst sind. Z. B.: „Herr Müller kam nach Hause. Derselbe fand die Tür verschlossen.“ Weshalb derselbe? Es heißt: „Er fand“ usw. – Genau so falsch, weil schwerfällig, ist folgendes: „Das Haus in dem er wohnte.“ Es heißt: „wo er wohnte“. Oder: „Auf welche Weise ihm der Hut gestohlen worden war, wußte er nicht.“ „Wie ihm“ usw. genügt und klingt gefälliger. – „Ich gehe nach Hause mich umziehen.“ Falsch! „um mich umzuziehen“, muß es heißen, denn sobald jemand einen bestimmtem Zweck mit einer Handlung verbindet, muß „um zu“ stehen. „Er ging in den Garten, frische Luft zu schöpfen“. Also falsch! „Um frische Luft“ usw. Diesen Fehler kann man in den meisten Zeitungsromanen dutzendweise finden. – Es kostet mir viel Geld oder mich viel Geld? Beides ist gebräuchlich. In letzter Zeit gilt „mich“ für vornehmer, aber ohne jeden Grund. – „Wer hat Dir das gelernt?“ - Falsch. Ich lerne etwas; mich lehrt jemand etwas. – „Ich versichere Dir, daß dies die Wahrheit ist.“ Richtig! „Ich versichere Dich“ – dann bin ich Versicherungsagent. – „Dieser Hut steht Dir“, aber: „Dieser Hut kleidet Dich“. – Er hat mir oder er hat mich auf den Fuß getreten? – Beides ist richtig. Aber: „Das schlägt der Wahrheit ins Gesicht“, während man „jemanden ins Gesicht schlägt.“ – Heißt es: dank deiner oder deinen Bemühungen, trotz Deiner oder Deinen Bemühungen? – Richtiger ist „deinen“. Aber der Genetiv nach dank und trotz bürgert sich immer mehr ein. – „Das Mädchen hatte frühzeitig seine oder ihre Mutter verloren?“ – Beides ist gebräuchlich. – Hierzu gehört auch: „Ihr Fräulein Tochter oder Ihre Fräulein Tochter.“ Das letztere ist das richtigere, wird aber selten gesagt oder geschrieben. – Nimmt man eingehende Kenntnis von etwas oder eingehend Kenntnis? [93] Eingehend allein ist richtig. Also: ich führe nicht bittere Klage über etwas, sondern bitter usw. Niemand wird sagen: „Ich nehme dies in kritischen Augenschein“, sondern stets „kritisch in Augenschein“. – Ein dauernd wiederkehrender Fehler ist folgender. Da steht z. B. in einem Roman: „Der Polizei war es unverständlich, daß der Besitzer dieses Juwelenschatzes denselben so lange hatte verbergen können.“ Es muß richtig heißen: „–, daß der Besitzer diesen Juwelenschatz so lange –“. Genau so der bekannte Unfug des „Kaufmannsstils“, zu schreiben: „Wir bieten Ihnen die Ware – an, und haben wir außerdem noch – auf Lager –“. Also es ist falsch, einem Hauptsatz einen andern mit „und“ anzuschließen. Man findet das aber auch in Briefen von „Gebildeten“ alle Tage. Würden die Betreffenden kurze Sätze schreiben, könnten sie diesen Fehler bequem vermeiden. – Wenn im Theater „Wilhelm Tell“ zu kleinen Preisen gegeben wird (wie oft auf Theaterzetteln steht), so ist das falsch. Bei Preisausschreiben gibt es kleine und große Preise, im Handel nur billige, niedrige, hohe oder ermäßigte Preise, also auch an der Theaterkasse. – Wie oft wird das Gehalt und der Gehalt irgendwie verwechselt! Das Gehalt empfängt der Beamte; den Fettgehalt der Milch prüft man. Die Mehrzahl von das Gehalt lautet die Gehälter; von der Gehalt gibt es keine Mehrzahl. – Welcher Unterschied ist zwischen fort und weg? – Wenn ich sage: „Ich will verreisen. Mein Koffer ist schon fort“, dann meine ich: der Koffer ist schon vorausgeschickt. – Sage ich aber: „Ich wollte verreisen. Mein Koffer ist weg“, dann hört jeder sofort heraus: „Aha – er hat nicht verreisen können, weil der Koffer verschwunden ist.“ Ein Dach wird also vom Sturme weggerissen ich aber werde von einer Menschenwoge mit fortgerissen; man trinkt jemanden weg, aber der Bierparagraph 11 lautet: „Es wird fortgesoffen!“ Heißt es als Mehrzahl von Stiefel „die Stiefeln“? Nein! Dagegen ist es richtig, von Kartoffel die Mehrzahl mit n zu bilden, ebenso von Gabel. –

Hiermit will ich diese Übersicht über die häufigsten [94] Sprachfehler schließen. Wer sich die Mühe macht, sie nicht lediglich zu überfliegen, sondern sie einzeln zu prüfen, wird[4] dadurch vielleicht zum Nachdenken über weitere Fehler angeregt werden, auf die er irgendwo stößt.

Gehen wir noch kurz auf die Interpunktion, die Zeichensetzung, ein. Gerade Frauen werden hiermit nie fertig. Es ist erstaunlich, wie schwer ihnen eine richtige Interpunktion fällt. Ich kann auch hier nur raten: Kurze Sätze! – Ein Brief läßt sich auch ohne eingeschaltete (und dann falsch interpungierte!) Sätze schreiben. Jeder gewöhne sich daran, möglichst nur Hauptsätze zu bilden. Es geht. Man muß es nur versuchen. Das in dieser Art Geschriebene liest sich dabei nicht einmal schlecht. Es gewinnt an Klarheit. Man überzeuge sich hiervon. Meine letzten Sätze behelfen sich alle mit dem „Punkt“.

Gewinnt an Klarheit – lesen sich nicht schlecht! – Damit kommen wir zum „Stil“ – zum fließenden Stil, den jeder sich aneignen möchte.

Was versteht man unter fließendem Stil, der ja mit ein Erfordernis von gutem Deutsch ist? – Fließender Stil ist eine Schreibweise, die sich durch Wohllaut und auch durch Klarheit auszeichnet. Wer es dem Leser möglich macht, gleich beim ersten Lesen alles richtig zu verstehen, und in ihm dabei noch den Eindruck erweckt, Verse in Prosa vor sich zu haben, der schreibt fließend.

Abermals derselbe Rat: Gewöhne Dich an kurze Sätze, und – Du gewöhnst Dir auch klares, logisches Denken an! – Wer lange Satzperioden baut, beweist nur, daß er nicht scharf zu denken vermag. Heute ist man von derartigen Satzungetümen ganz abgekommen. Liest man einen älteren Roman mit Perioden, die etwa fünf Zeilen in Anspruch nehmen, so merkt man sehr bald, wie ermüdend dieser frühere gekünstelte Stil ist. – Als Kuriosum will ich hier aus einem Oberlandesgerichtsurteil so ein Satzungeheuer zur Abschreckung anführen: „Kläger beantragt, das Gericht wolle erkennen, der Beklagte habe Kläger für die von diesem an die in dem von ihm zur Bearbeitung übernommenen [95] Steinbruch beschäftigten Arbeiter vorgeschossenen Löhne Ersatz zu leisten.“ Das nennt man Juristendeutsch! Es ist genau so wenig nachahmenswert wie der berüchtigte Kaufmannsstil.




Sechstens.
Mädchen, die man heiratet und Männer, die man heiratet.

Wieder ein gefährliches Thema! Vielleicht noch gefährlicher als das der Kindererziehung.

Ich weiß im voraus, daß ein Teil – ein großer Teil der jungen Mädchen, wenn sie diesen Abschnitt lesen, sehr erhaben über die „Rückständigkeit“ dieses Herrn von Neuhof lächeln werden, der da behauptet, 90 Prozent der „sitzengebliebenen“ Jungfrauen trügen selbst die Schuld daran, daß – „keiner angebissen hat.“

Verehrteste Leserinnen! Ich will dieses erhaben-spöttische Lächeln gern auf mich nehmen, wenn ich nur hoffen darf, wenigstens einigen von den „süßen Mädels,“ die die Suche nach dem Mann falsch betreiben, noch vor Toresschluß den richtigen Weg gezeigt zu haben, wie man zu dem begehrten „Ringlein am Finger, Ringlein so hold“ kommt. –

Mädchen, die man heiratet.

In jeder Heiratsannonce steht schämig: „Vermögen erwünscht.“ So ganz zum Schluß. Und doch ist’s den Herren die auf diese Art eine Frau suchen, die Hauptsache – nämlich das Vermögen!

Wie viele junge Mädchen, die gern heiraten möchten, verschwenden nun Porto, indem sie sich auf eine [96] solche Anzeige hin melden, indem sie schreiben: „Geld habe ich zwar nicht, dafür besitze ich aber ein reiches Gemüt und alle anderen Eigenschaften, einen Mann sehr glücklich zu machen. Ich bin wirtschaftlich, kann kochen, plätten, Wäsche ausbessern, bin auch von Jugend auf zur Arbeit angehalten worden“ – usw.

Schade um das Porto! Schade um dieses stumme Flehen: „Nimm mich! Ich möchte ja so gern ein eigenes Heim haben!“

Wer sich auf eine solche Anzeige mit dem heuchlerischen „Vermögen erwünscht“ darin hoffnungsfroh meldet, wird stets eine Enttäuschung erleben, falls er eben nicht von sich behaupten kann: „Ich bekomme 150 000 Mark mit.“

Spart das Porto! Meldet Euch nur auf solche Anzeigen, in denen betont ist, daß der Betreffende nicht auf Geld, sondern auf ein reiches Innenleben sieht. Da habt Ihr vielleicht Glück – vielleicht!

Diese Art, zu einem gülden Ringlein zu gelangen, bleibt stets eine sehr wenig aussichtsreiche Lotterie. Es gibt für arme oder mäßig begüterte Mädchen bessere Wege, den schmalen, seltenen Pfad zum Traualtar zu finden.

Und welche Wege sind dies? – Jeder kann sie betreten, besser jede, die nur den ernsten Willen hat, sich selbst zu erziehen.

Es ist eine seltsame, man kann mit Recht sagen „traurige“ Erscheinung unserer Zeit, daß die Mehrzahl der jungen Mädchen, was ihr Benehmen Herren gegenüber betrifft, der Meinung ist, diese Ehekandidaten verlangten von ihnen ein gewisses freies Auftreten, dazu ein jeder „Prüderie“ entbehrendes Entgegenkommen. Sie glauben – ich spreche auch hier aus Erfahrung –, Herren könnten sie als „altfränksch“, als „unmodern“ übersehen, wenn sie nicht ihre „modernen“ Lebensanschauungen durch Wort und Wesen recht deutlich betonten.

Hier nur als Beispiel ein Fall, der „als Muster“ eines derartigen Benehmens und dessen Folgen gelten kann. – Lottchen Meier ist Buchhalterin, hat noch drei [97] Schwestern. Der Papa ist Beamter – irgend ein „Rat“. Nennenswertes Vermögen nicht vorhanden. – Lottchen macht die Hochzeit einer Freundin mit, die „ohne Geld“ sogar einen Rechtsanwalt bekommen hat, weil sie – eben das gerade Gegenteil von Lottchen ist. Lottchens Tischherr ist ein sehr wohlhabender Assessor. Bereits bei der Tafel benimmt Lottchen sich so „modern“, daß der Tischherr ihr heimlich die Hände drückt und ihr manches ins Ohr flüstert, was an den Ton in Bars usw. erinnert. Beim Tanz nachher wird der flotte Assessor noch „freier“. Bei guter Gelegenheit küßt er Lottchen sogar. Sie schwimmt in Seligkeit: „Er muß sich jetzt ja mit mir verloben!“ – Für den nächsten Abend verabredet man sich vor einem Kino. Er ist pünktlich da. Auf dem Heimweg küßt er Lottchen abermals. – Eine Woche lang geht das so weiter. Lottchen wartet darauf, daß er nun endlich „Ernst machen“ wird. Als er noch immer kein Wort von Verloben spricht, macht sie schließlich zarte Andeutungen, daß er nun doch bei ihren Eltern „Visite schneiden“ könne. Da – ist alles aus. Er gebraucht allerlei Ausflüchte. Es gibt keine Stelldicheins mehr. Lottchen – ist empört, vertraut sich dem Bruder an, der irgendwo Prokurist ist, der aber Lottchens „Eigenart“ kennt. Er tut trotzdem ein übriges und schreibt an den spurlos Verdufteten. Der antwortet: „Ihre Schwester hat sich mir gegenüber von vornherein so benommen, wie ich dies von „Damen“ nicht gewöhnt bin. Ich konnte daher nicht annehmen, daß Ihre Schwester irgendwie in den Irrtum verfallen würde, ich käme für sie als ernsthafter Bewerber in Frage. Ein junges Mädchen, das sich so frei gibt, wie Ihre Schwester, darf sich nicht wundern, wenn man sie anders einschätzt als andere, die weniger offen ihre „modernen“ Ansichten hervorkehren. Wenn Sie wünschen, will ich Ihnen im einzelnen das Benehmen Ihrer Schwester mir gegenüber schildern. Dann werden Sie selbst einsehen, daß hier meinerseits nicht die geringste Verpflichtung vorliegt, dieser harmlosen Tändelei einen anderen Abschluß zu geben.“ – Der [98] Bruder verzichtete auf diese Schilderung, gab Lottchen den Brief und hoffte, diese herbe Kritik würde die Schwester nun bessern. Er irrte sich. Lottchen gehört zu den absolut Einsichtslosen. Sie schwört weiter auf ihre „Methode“, hat inzwischen schon wieder ein halbes Dutzend ähnliche „halbe Verlobte“ gehabt und wird es fraglos nie zu einer „ganzen“ Verlobung bringen.

Von der Sorte dieses Lottchen laufen in der Welt jetzt ungezählte Exemplare herum. Sie alle haben jede weibliche Zurückhaltung in die Rumpelkammer geworfen, sind „modern“ und rümpfen die Nase, wenn sie mal irgendwo eine Altersgenossin „von der alten Art“ kennen lernen – so eine „ganz Prüde“, „ganz Feine“, wie sie ironisch diese seltene Kategorie bezeichnen.

Nein – diese Lottchen-Sorte wird in den allerseltensten Fällen einen Mann bekommen. Sie müßten denn gerade das unerhörte Glück haben, an ein sehr harmloses Gemüt von Jüngling zu geraten. Den könnten sie dann vielleicht dazu bewegen, bei den Eltern Besuch zu machen – und so weiter. Doch – solche harmlosen Gemüter gibt es heute kaum noch.

Leider, leider sind diese Anhängerinnen der Lottchen-Methode dabei sehr häufig nicht einmal wirklich leichtfertig. Nein – sehr viele unter ihnen sind sogar fleißig, verstehen etwas von der Wirtschaft und würden tüchtige Hausfrauen abgeben. Was sie so vollständig „umkrempelt“, daß sie all das Holde, Zarte, Unberührte verlieren, das ja den Reiz echter Weiblichkeit ausmacht, ist eben die sie stets und ständig peinigende Angst, „sitzen zu bleiben“. Diese Angst läßt sie die fehlerhaftesten Mittel wählen einen Mann „zu angeln“. – Ich habe ja bereits vorher über die falsche Taktik von Müttern gesprochen, die aus jedem unverheirateten Familiengast schleunigst einen Bewerber machen möchten. Genau so verkehrt ist es, wenn die Töchter es sich angewöhnen, jeden Junggesellen sofort als „Fangobjekt“ zu betrachten und die „Treibjagd“ ebenso schnell zu eröffnen.

Meine jungen Damen, Sie können wirklich überzeugt sein: mögen Herren auch noch so „modern“ sein, [99] alle verlangen sie von ihrer zukünftigen Lebensgefährtin (die Mitgiftjäger scheiden hier aus) in erster Linie ein echt weibliches Benehmen!

Mädchen, wie Lottchen etwa, heiratet man nicht! Die sind Spielzeuge, Zeitvertreib! Achtung muß der Mann vor der haben, die ihm in Gesellschaft begegnet und die ihm äußerlich gefällt. Mit dieser Achtung muß er sich ihr nähern, muß merken, daß er hier nicht eine vor sich hat, die zu den Heiratswütigen gehört und sich jedem in gleicher Weise aufdrängt! Lernt wieder Weib werden, wie Eure Mütter und Großmütter es waren! –

Das ist der eine Pfad zur Ehe. Der andere heißt: Wirtschaftlichkeit! – Ich will darunter folgendes verstanden wissen: die Kenntnis alles dessen, was zur Führung eines Haushalts nötig ist – alles, auch – das Sparen!

Und jetzt wende ich mich an die heiratsfähige männliche Jugend, halte ihr folgendes vor. – Ein großer Teil von Euch glaubt richtig zu handeln, wenn er bei der Wahl der Lebensgefährtin auf Geld sieht. Die Zeiten sind teuer, das Einkommen würde nur knapp für zwei reichen. Also – soll die Zukünftige Vermögen mitbringen! – Das hat eine gewisse Berechtigung heutzutage. Ihr gestattet aber, daß ich hier eine kleine Berechnung anstelle.

Jemand verlobt sich mit Margot Müller. Der Papa gibt 150 000 Mark mit. Margot ist sehr verwöhnt, malt, spielt Chopin und treibt andere brotlose Künste. Kochen kann sie nicht. Also muß, da Margot doch unmöglich Dienstmädchen spielen kann, eine Köchin gemietet werden. Eine Köchin kostet jetzt rund 4500 Mk. jährlich alles in allem. Es ist so! Mein Schwiegervater hat mir das letztens vorgerechnet. Margots Mitgift gibt etwa 7000 Mark Zinsen jährlich. Das ist doch was, denkt der glückliche junge Ehemann. – Nein – das ist gar nichts! 4500 Mark gehen für die Köchin drauf. Und der Rest von 2500 Mark wird durch Margots Toilettenansprüche verbraucht. Mehr noch: diese [100] 2500 Mark werden nicht reichen! Denn Margot ist ja „verwöhnt“, wünscht Verkehr, wünscht dies und das! – Und der junge Ehemann wird schon nach einem halben Jahr mit Schrecken feststellen, daß er – Schulden zu machen beginnt. Das aber ist der Anfang vom Ende!

Hätte er statt Margot vielleicht deren „arme“ Freundin Hedwig geheiratet, die in allen Wirtschaftsfragen firm ist, die von der Mutter auch zum Sparen stets angehalten wurde, dann – hätte er einen guten Treffer in der Ehelotterie gemacht, denn diese Hedwig versteht es ja von daheim, wie man mit wenigem sich einrichtet, weiß, daß der Papa für jede Ausgabe eine besondere Kasse hat, daß er das Gehalt stets sofort auf diese Kassen verteilt, zu denen auch eine für Extraausgaben, eine andere für Vergnügungen bestimmt ist. Der Papa kommt stets mit seinem Gelde aus. Und Hedwig würde ihrem Mann beweisen, daß sie dies auch kann!

Und die Moral von der Geschicht’? –: Sieh nicht auf Geld, wenn Du heiraten willst, junger Mann! Wählt ein Mädchen, von der Du bestimmt weißt, daß sie auch wirklich Hausfrau und nicht nur Frau spielen kann. Solche Mädchen soll man heiraten, – heute bei den teuren Zeiten mehr denn je! Ein solches verständig erzogenes Mädchen wird Dir alles sein: Geliebte, Kameradin, kluge Vertraute! Suche nur, Du findest so eine tüchtige Hedwig schon! Suche sie im Familienverkehr, glaubst Du sie entdeckt zu haben, dann beobachte, prüfe, denn – und dies zur Warnung! – es gibt auch gerissene kleine „Hochstaplerinnen“, die die Tüchtigkeit nur vortäuschen und dabei von Eltern und Tanten wacker unterstützt werden, die Dir im Flur mit der Wirtschaftsschürze über dem Kleide entgegenkommen und nachher behaupten, den Braten hätten sie ganz allein so delikat zubereitet, die Dich auch auf andere Art hinters Licht führen, wenn Du nicht eben weltklug genug bist, all das zu durchschauen. Immerhin – diese kleinen netten Gaunerinnen sind selten. Du brauchst [101] also nicht jedem tüchtigen Mädchen von vornherein mit Mißtrauen zu begegnen. –

Der andere Pfad zur Ehe heißt: Kümmert Euch um die Wirtschaft! – Das gilt für jedes junge Mädchen, ob reich, ob arm, ob in Stellung oder daheim. Die beste Mitgift ist noch immer wirtschaftlicher Sinn! – Ich könnte hier zahllose Fälle aus Bekanntenkreisen anführen, wo die Entwertung des Geldes eine Familie plötzlich zwang, ihr Leben ganz anders einzurichten, wo dann eine Tochter wie die vorerwähnte Margot etwa mit einem Male dem Haushalt vorstehen sollte, da die Bedienung als zu teuer abgeschafft werden mußte! Dann war das Unglück da! Dann hatte diese Margot von nichts eine Ahnung, was zum Wirtschaften gehört! Dann klagten Vater und Mutter: „Hätten wir doch nur das Mädel beizeiten etwas Vernünftiges lernen lassen.“ –

Ja – wer eine Margot mit 150 000 Mark Mitgift bekommt, die sofort erklärt: „Bedienung brauchen wir nicht. Ich kann ja kochen, und mit dem Haushalt werde ich schon fertig!“ – der freilich kann sich über diesen Treffer freuen. Aber – leider – leider, eine solche Perle ist selten. –

Wer mit offenen Augen den heutigen Zuständen gegenübersteht, merkt sehr bald, daß der größere Teil der berufstätigen Mädchen mit dem jetzt zumeist recht reichlichen Verdienst alles andere nur nicht verständig umgeht. Es wird Toilettenluxus getrieben, wie er früher nicht gebräuchlich war; in Cafees, Kinos, Restaurants amüsiert die Jugend sich – über ein erträgliches Maß hinaus. An Sparen denken die wenigsten. – Ich kenne eine Familie, in der die beiden Töchter in Stellung sind und jede etwa[5] 700 Mark monatlich verdient. Die eine kaufte sich im Frühjahr gleichzeitig vier Paar Schuhe für die Saison. Die andere hat mindestens sechs elegante Blusen stets zur Verfügung. – Daß solche jungen Mädchen niemals eine gute Hausfrau abgeben, leuchtet wohl jedem ein. Hier sollten unbedingt die Eltern eingreifen. Ihre Pflicht ist es, die Töchter zur Sparsamkeit [102] zu erziehen und ihnen klar zu machen, daß sie als verheiratete Frau später sich solchen Luxus kaum gestatten können, daß Cafees und Restaurants als ständiger Aufenthalt für junge Mädchen sich nicht eignen, daß Herren solche Mädchen, denen sie immer wieder ohne Begleitung der Eltern begegnen, niemals für vollwertig halten! Das müßte jede Mutter tun! Denn es wird ja stets ihr sehnlichster Wunsch sein, ihre Töchter möchten einen Mann finden. In Kneipen findet man wohl Männer, aber keine zukünftigen Ehemänner!

Also: Laßt allen übertriebenen Luxus! Spart! Schließt Euch mehr an Eure Familie an. Denkt nicht, daß Eure Garderobe der Magnet ist, der Freier anzieht! Euer Wesen, Euer Charakter soll bestechend sein, nicht Euer Äußeres! Kein Mann ist ein solcher Narr, daß er nicht sehr bald herausmerkt, wie wenig offenbar der väterliche Geldbeutel mit diesem Toilettenprunk in Einklang steht! –

Das ist’s, was ich den Leserinnen über Mädchen, die man heiratet, ungeschminkt vorhalten wollte. –

UndMänner, die man heiratet? – Hierbei gibt es einige andere Fragen zu besprechen; hier handelt es sich ja nicht darum, zu erörtern, wie der Mann seine Heiratsaussichten verbessert, denn er ist ja der werbende Teil. Nein, unsere beiden Hauptfragen lauten:

Soll ein Mädchen auch einen Mann heiraten, der ihr persönlich zuwider ist, nur um versorgt zu sein? – und: Soll ein Mädchen auch einen bedeutend älteren Mann oder einen älteren Witwer mit Kindern heiraten, um sich so eine Altersversorgung zu schaffen?

Die erste Frage muß ich verneinen, muß geradezu davor warnen, daß nicht etwa Eltern den schweren, an Gewissenlosigkeit grenzenden Fehler begehen, ihre Töchter zu einer solchen Ehe zu überreden oder gar halb und halb zu zwingen.

Es gibt ohne Frage Männer, die nicht nur für jedes Mädchen, sondern auch für andere Männer in ihrem [103] ganzen Wesen etwas Widerwärtiges, etwas Abstoßendes haben. Ich will hier schon darauf hinweisen, was ich im Schlußwort nochmals erwähne, daß besonders Männer, die alles höhnisch „durch die Zähne ziehen“, die stets ein höhnisches Lächeln auf dem Gesicht haben, geradezu unleidlich sind. Diese Sorte Männer gehört stets mit zu den Gemütsrohen, den Brutalen. Ihre Brutalität grinst überall durch die Ritzen ihres Hohns hindurch. Äußere Häßlichkeit wird wettgemacht durch ein gütiges Herz; innere Häßlichkeit kann auch das bestechendste Äußere nicht ausgleichen. Wo es sich also um einen Mann handelt, der dem jungen Mädchen seines ganzen Wesens wegen widerlich ist, wo also eine Abneigung besteht, die die feinsten seelischen Empfindungen berührt, da müßte ja das Mädchen, das einem solchen Menschen sein Jawort gibt, schon während der Verlobung dauernd heucheln, müßte fortgesetzt Komödie spielen, um diese Abneigung zu verbergen! Das wäre eine Marter, die in der Ehe sich schließlich noch mehr steigern würde; bald würde stiller Haß daraus entstehen, jener Haß, der stets die Familientragödien hervorruft.

Nein – wo ein Mädchen sich von dem Wesen eines Freiers abgestoßen fühlt, da soll es jeden Heiratsgedanken weit von sich weisen! – Anders ist es, wenn nur eine Abneigung wegen körperlicher Mängel vorhanden ist. Hier ist es Pflicht der Mutter, gegebenen Falles der Tochter vor Augen zu führen, daß der Freier, wenn er auch kein „schöner Mann“ ist, so doch über so viel innere Schönheit verfügt, daß das Mädchen töricht wäre, die gute Partie auszuschlagen. Gewiß: jedes Mädchen trägt zunächst so allerlei romantische Liebesträume im Herzen! Jede malt sich in Gedanken das Bild des Zukünftigen – nach der Gestalt des Helden irgend eines vielgelesenen Romans, jede! Je schneller sie aber erkennen lernt, daß das nüchterne Leben zumeist ganz anders ist als diese Romane, wo sie sich regelmäßig „kriegen“ und wo die Ehe dann stets eitel Glück und Sonnenschein ist, desto leichter wird sie ein wahres [104] Glück in einer Ehe auch mit einem Manne finden, der ihrem „Helden“ in keiner Weise entspricht – äußerlich.

Handelt es sich also um eine Abneigung, die mehr dem romantisch-weltunkundigen Sinn des Mädchens entspringt, dann sei die Mutter diejenige, die ihre Tochter liebevoll aus der Welt der Romane auf die so unglaublich nüchtern-praktische Erde zurückführt. Sollte jedoch das Äußere des Freiers wirklich derart sein, daß einem frischen, netten Mädel nicht zugemutet werden kann, ihn zu heiraten, dann soll weder sie selbst es freiwillig aus sog. Vernunftgründen tun noch sollen andere sie zu einer solchen Ehe verleiten. Dieser Fall, wo äußere Mängel des Bewerbers vorliegen, wird stets sehr schwer zu entscheiden sein. Immer aber kann ein solcher Mann, wenn er ein gütiges Herz und Verständnis für die Weibesseele besitzt, allmählich einem Mädchen beweisen, daß er sehr wohl imstande ist, ihr ein guter Lebenskamerad zu sein. Und diese Lebenskameradschaft meine jungen Damen, ist ja das köstliche Fahrwasser, in das jede harmonische Ehe sehr bald übergleitet. –

Unsere zweite Frage kann ich nach dem soeben Gesagten kürzer behandeln.

Ein Mädchen soll einen älteren Mann getrost heiraten, wenn er ihr nur nicht geradezu widerwärtig ist; genau so einen Witwer mit Kindern; diesen aber nur dann, wenn sie sich fähig fühlt, einem solchen Hausstand auch vorzustehen. – Ich kenne einen Fall, wo ein Gutsbesitzer mit 55 Jahren eine Zwanzigjährige heiratete. Die Ehe wurde überaus glücklich – trotz aller Unkenrufe der Bekannten!




[105]
Schluß.
Über Leute, die jedem auf die Nerven fallen.

Dieses „angenehme“ Genre von Menschen ist gar nicht so selten. Man trifft sie überall: in der Straßenbahn, in der Eisenbahn, im Theater, in Gesellschaft. Sie fallen einem stets auf – natürlich unangenehm! Mehr noch – sie fallen einem auf die Nerven!

Da ist zunächst ein Typ: die alles wissen, bei allem dabei gewesen sind, alles haben! – Männer und Frauen teilen sich etwa gleichmäßig in den traurigen Ruhm, zu diesem Typ zu gehören. Wenn es sich um das handelt, was man „sich mit etwas brüsten“ nennt, hat die holde Weiblichkeit sogar bedeutend das Übergewicht.

Erzählt Frau Meier, sie habe sich eine Kristallschale gekauft, so beginnt der „Typ“, Frau Müller, sofort von ihren echten Kristallsachen zu sprechen, von deren Preisen, von der Anzahl, – daß nur sie Karaffen mit echtem „Silberschliff“ habe, die jetzt gar nicht mehr erhältlich wären. Auf die Zuhörer macht eine solche stets mit Stentorstimme vorgetragene Aufzählung der eigenen Wertgegenstände immer einen teils peinlichen, teils erheiternden Eindruck. Jeder merkt: die Müller „protzt“!

Dann spricht Herr Schulze über die letzte Wagner-Vorstellung in der Staatsoper. Natürlich war Frau Müller auch dabei. Oft ist das eine glatte Lüge. Aber – solche Leute können nicht anders: sie müssen sich vordrängen! So auch jetzt. Frau Müller reißt herunter, was Herr Schulze gelobt hat, beginnt dann von der Münchener Staatsoper zu erzählen. Jeder fühlt: sie tut es nur, damit sie mit der letzten Reise nach Oberbayern [106] renommieren kann. Frau Müller wirkt jetzt nicht mehr peinlich-erheiternd, sondern lästig. Und sehr bald – unangenehm! Herr Schulze sagt nachher zu Frau Meier: „Das ist ja ein gräßliches Weib, diese Müller!“ Stimmt: Solche Leute sind gräßlich, besonders wenn sie noch im Theater, in der Eisenbahn und im Restaurant so laut sprechen, daß die Umsitzenden alles mitanhören! Und – sie sprechen immer laut, diese Vertreter dieses Typs. Sie wollen gehört werden! Sie reden geradezu für die Umgebung. Sie glauben nämlich, sich und ihren Wert dadurch ins rechte Licht zu rücken! Daß jeder über sie die Achseln zuckt, mehr noch, daß man solche Menschen insgeheim als Störenfriede mit Bezeichnungen belegt, die Beleidigungen sind, scheinen sie nicht zu ahnen.

Einmal fuhr ich von Berlin nach Stettin mit einem jungen Arzt und mit einer Krankenschwester zusammen. Der fünfte Satz des Medizinmannes lautete regelmäßig: „Wirklich – das weiß keiner außer mir!“ – Er erzählte für das ganze Abteil. Die Sache war so widerwärtig, daß ein dicker Herr dem unleidlichen Schwätzer schließlich die Zigarrentasche hinhielt und sagte: „Bitte – bedienen Sie sich! Wenn Sie rauchen, haben wir wenigstens etwas Ruhe vor Ihrem Geschwafel!“ – Das half. Der Herr Doktor verstummte. –

Dann ein anderer Typ, den ich schon vorhin kurz kennzeichnete: der des Spötters mit dem ewigen Grinsen auf dem Gesicht, dem nichts heilig ist! – Alles ziehen diese Leute durch die Zähne. In Gesellschaft verderben sie die Stimmung durch ihre oft taktlosen, verletzenden Bemerkungen. Sie halten sich für geistvolle Spötter. Jeder andere ist für sie „Banause“ – „beschränkt“. Leider lassen sich viele von solchen Leuten (es sind meist Männer) geradezu einschüchtern, besonders junge Mädchen und jüngere, etwas ungewandte Herren. Gerade diese erwählt dieser Typ sich als Zielscheibe für hämische Spottgeschosse. Bis dann doch mal einem die Geduld reißt und er dem widerwärtigen Menschen gehörig über den Mund fährt. Zu näherem Verkehr erwählt niemand diesen Typ. Begegnet man ihm [107] in Gesellschaft, so gehört er stets zu den entfernteren Bekannten, die man „leider“ einladen muß. –

Dann – die Rücksichtslosen! Die „Kraftnaturen“, die ich auch bereits erwähnt habe; die jede Dame wegstoßen, um sich einen Platz auf der Straßenbahn zu sichern; die überall „Krach schagen“; die sich einfach auf einen ganz schmalen freien Platz in der Stadtbahn wie ein Keil eindrängen und jedem, der sich das verbittet, sofort Ohrfeigen anbieten. – Von diesem Typ gibt es sehr verschiedene Variationen bis hinab zu dem, der rücksichtslos überall ausspeit. – In Gesellschaft begegnet man diesen völlig unerzogenen Leuten selten, denn niemand, wenigstens kein Feinfühliger, verkehrt mit solchen Herren. Sie merken, daß sie gemieden werden. Und dann wird aus der Rücksichtslosigkeit eine dumpfe Feindschaft gegen all und jeden!

Weiter – die ganz Bescheidenen als Gegenstück zu den vorigen. Entweder ist ihre Bescheidenheit Kriecherei, dann wirken sie noch widerwärtiger, oder entspringt einer gewissen Unbeholfenheit. Solch ein Mensch, der auch nicht die Spur gesundes Selbstbewußtsein oder Rückgrat hat, wird in kurzem jedem lästig. Ihr zweites Wort ist: „Verzeihung“; anders als mit „dürfte ich vielleicht“ beginnen sie keinen Satz. Bei jeder Gelegenheit springen sie vom Stuhl auf und wollen sich „nützlich machen“. Es sind Lakaiennaturen; es sind nie wirklich Männer; sie bleiben stets unfertige Knaben.

Dann noch der Gesellschaftstyp des „Unwiderstehlichen“. Das sind jene Herren, die da wissen, daß sie leidlich aussehen, die da stets ein eitles Lächeln um den Mund haben, die nach einer Anzahl „Eroberungen“ wähnen, die ganze holde Weiblichkeit läge ihnen anbetend zu Füßen. Dieser Typ stiftet überall Unfrieden. Die zudringliche Art, wie sie jungen Frauen huldigen, wird oft Ursache einer ernsten Auseinandersetzung mit dem Ehemann. Diese eitlen „Herzensknicker“ verlieren sehr bald jede Schätzung dafür, wie weit sie bei ihrer Tourmacherei gehen dürfen. Auch sie sind Schädlinge [108] des geselligen Lebens. Auch sie sollte man ohne weiteres boykottieren.

Auf die Nerven fallen uns schließlich noch die sog. Pumpgenies; dann auch die Freunde und Verwandten, die unter dem Vorgeben, sich bei uns besonders wohl zu fühlen, dauernd sich selbst zum Mittagessen und Abendbrot einladen, um – sich durchfüttern zu lassen; ebenso die Sorte „Büchermarder“, die sich Bücher leihen und sie nie abgeben. –




Hiermit verabschiede ich mich von den geneigten Lesern.

Der Kluge, er mag lesen, was er will,
Wird aus allem etwas lernen.
Auch der andre leicht es kann,
Strengt er nur den Kopf mit an!
Liest Du mit den Augen bloß,
Läßt den Geist dabei nur schlummern,
Bringt kein Buch Dir den Gewinn,
Den der Autor hatt’ im Sinn.




[II]

Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin SO. 26
Elisabeth Ufer 44.
Gelbsternbücher
Band 1: Die Lahore Vase
Kriminalroman von W. Kabel
Band 2: Der hüpfende Teufel
Kriminalroman von W. Kabel
Band 3: Der Tempel der Liebe
Kriminalroman von W. Kabel
Band 4: Das Haus am Mühlengraben
Kriminalroman von W. Kabel
Band 5: Der Mutter Name
Familienroman von O. Elster
Band 6: Komm an mein Herz
Liebesroman v. G. v. Hohenfels
Band 7: Eine Geldheirat
Liebesroman von Hans Reis
Band 8: Die Brettldiva
Liebesroman von R. Ortmann
Band 9: Rittergut Tressin
Liebesroman v. Robert Misch
Band 10: Ich liebe Dich
Liebesroman v. Guido Kreutzer
Band 11: Das Gift des Vergessens
Kriminalroman von W. Kabel
Band 12: Im Schatten der Schuld
Kriminalroman v. W. v. Neuhof
Band 13: Um Leben und Tod
Australischer Roman v. J. E. Harrison
Band 14: Der Universal-Erbe
Kriminalroman von W. Kabel
Band 15: Die Stimme des Blutes
Kriminalroman von W. Kabel
Band 16: Das Haus des Hasses
Kriminalroman von W. Kabel
Zu beziehen durch jede Buchhandlung sowie v. Verlag
Preis pro Band 2,- Mark.

[III]
Verlag Moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin.


Frau Zoes Rache.

Sensationsroman von

H. Hosken.

Autorisierte Übersetzung von

H. v. Wentzel.

Elegant broschiert. 0000000000 288 Seiten.

9 Textillustrationen.

Preis 3,- Mk.



Als dieser Roman vor vielen Jahren im Unterhaltungsteil einer der ersten Berliner Zeitungen erschien, war er tatsächlich auf Wochen täglich Gesprächsstoff fast ganz Berlins. Einen gleichen Roman in so spannender und packender Handlung hat die Unterhaltungsliteratur nicht mehr aufzuweisen.



Zu beziehen durch jede Buchhandlung sowie vom Verlag.


[IV]
Verlag Moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin.

Friedrich Meister:Friedrich

Auf Marschland0Meer

Auf Marsund Meer.

Elegant broschiert. 0000000000 360 Seiten.

Preis 3,- Mk.



In Friedrich Meisters Meisterwerk wird in ergreifender Schilderung die Liebe zweier edler Menschen dem Leser nahe gerückt. Selten wohl ist ein Roman geschrieben worden, der so stimmungsvoll und lebenswahr das Herzeleid, zugleich aber auch das Hohelied der Liebe verkündet.



Zu beziehen durch jede Buchhandlung sowie vom Verlag.



Fußnoten

  1. Abkürzungen in offiziellen Gesellschaftsbriefen, etwa d. M. statt des Monats, sind unbedingt verpönt.

Errata (Wikisource)

  1. Vorlage: Wohttätigkeit
  2. Vorlage: Abenbrot
  3. Vorlage: nnd
  4. Vorlage: wir
  5. Vorlage: etwas

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vgl. den Beitrag Licht und Laune von Walther Kabel, erschienen 1915 in der Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens.
  2. Als Briefsteller bezeichnet man ein Buch, das Anleitung zum Briefeschreiben gibt.