Wie die geheimen Wiener Conferenzbeschlüsse an das Tageslicht gezogen wurden

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Autor: Friedrich Hecker
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Titel: Wie die geheimen Wiener Conferenzbeschlüsse an das Tageslicht gezogen wurden
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aus: Die Gartenlaube, Heft 35, S. 552–551
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
2. Der Hexenmeister der Prairie.
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[552]

Erinnerungen aus meinem Leben.

Von Friedrich Hecker.[1]
1. Wie die geheimen Wiener Conferenzbeschlüsse an das Tageslicht gezogen wurden.

Die Masse des Volkes, und insbesondere die jüngere Generation hat schwerlich einen Begriff von dem Ringen und den Kämpfen einer verhältnißmäßig kleinen Zahl von Männern gegen die systematische Unterdrückung aller bürgerlichen Freiheit in der düsteren Zeit von 1832 bis 1848. Man sehe sich nur die mit jesuitischer Casuistik stylisirten despotischen Bundesbeschlüsse von 1832 bis 1846 an, welche das sogenannte „öffentliche Recht“ bildeten, und vergleiche damit die Cäsarengesetzgebung von Rom und Byzanz.

Die Volksvertretung, wo sie überhaupt bestand, bereits zu einem elenden Gaukelspiel herabdecretirt, überwacht, bespionirt und vergewaltigt, sollte noch weiter bis zur Fratze erniedrigt werden, jede freie Aeußerung in Wort und Schrift mit endlosen Untersuchungen, Haft und Kerkerstrafen verfolgt; unschuldige Bänder, Hüte und Mützen Grund zu ruinosen Verfolgungen; Preßfreiheit, Vereins- und Versammlungsrecht, Volksfeste verpönt; die Universitäten und andere Unterrichts-Einrichtungen zu Dressur-Anstalten „zerbrechlicher Werkzeuge“ (Blittersdorf’scher Ausdruck für Staatsdiener) entwürdigt, gefälschte Geschichtschreibung decorirt und empfohlen, ein Spionirsystem der raffinirtesten Art bundestaglich officiell organisirt und mit „schwarzen Büchern“ und Listen versehen, welche die Namen aller dem herrschenden Systeme Verdächtigen nicht blos des In-, sondern auch des Auslandes enthielten. Das Reisen war mit endlosen Formalitäten, Plackereien und polizeilichen Flegeleien verwürzt; Erholungsreisen und Besuche bei Freunden Gegenstand einer auf Schritt und Tritt nachschleichenden Ueberlauerung. Die Post war zur Dienerin der infamsten Inquisition geworden, das Briefgeheimniß existirte nicht, wohl aber eigene Cabinete mit einem Apparat von nachgemachten Siegeln, feinen Messern, Scheeren und ähnlichen Instrumenten zur Eröffnung der Briefe, Apparate zur Lösung und Wiederaufsetzung von Siegeln, Lösung von Oblaten und Leim. Diese niederträchtige Kunst war zu solcher Perfection gediehen und von höchst salonfähigen Personen prakticirt, daß das schärfste Auge nicht im Stande war, zu entdecken, daß der Brief eröffnet worden war, und doch lieferten uns die, ähnlich dem schwarzen Streusand, verkleinerten schwarzen Katzenhaare, vom Schreiber verabredetermaßen benützt, den Beweis. Sie waren beim Eröffnen der Briefe herausgefallen oder herausgeweht, entflogen. Gegenstand ganz besonderer Ueberwachung waren nicht blos die im Auslande lebenden politischen Flüchtlinge, sondern überhaupt alle freisinnigen oder nur im Verdachte der Freisinnigkeit stehende Männer und vor Allen die Abgeordneten ständischer Körperschaften. Ja es ging, wie wir uns mit eigenen Augen überzeugten, so weit, daß sogar die Consuln entfernter kleiner Staaten, zum Beispiel von Chili, Spionenberichte über Reden, Gesinnungen und Treiben der dort sich aufhaltenden Deutschen liefern mußten und richtig regelmäßig lieferten. Auf den Reissepässen waren geheime Zeichen angebracht, so daß jede deutsche Polizeibehörde wissen konnte, mit wem sie es zu thun habe. Das ging so weit, daß selbst auf Pässen in’s Ausland, insbesondere Frankreich, solche Zeichen angebracht waren, damit auch sofort Louis Philippe’s Polizei über das Individuum informirt sei. Ich selbst habe, als ich 1847 eine Reise durch Frankreich und nach Afrika unternahm, Erfahrung gemacht. Es fiel mir auf und ich war erstaunt über die Art und Weise, wie die französischen Polizeibehörden, deren Visas ich bedurfte, sofort, nachdem sie kaum den Paß überblickt, mir recht deutlich merken ließen, ich sei eine verdächtige Person. Ich untersuchte auf das Sorgfältigste meinen Paß und fand endlich in einem Winkelchen, kaum sichtbar, mit Bleistift die Buchstaben F. O. Ein Franzose, kein Verehrer Philippe’s und seines Systems, erklärte mir das Zeichen fait opposition d. h. der ist schwarz, auf den paßt auf!

Das Empörendste bei dem ganzen reactionären Treiben war dies, daß die Bundesbeschlüsse, Gesetze und Ordonnanzen in solcher Sprache und solchem Style abgfaßt waren, daß sie für die Philisterruhe sorgend aussahen und so glatt und vieldeutig ein fast harmloses Aussehen annahmen und nur gegen die „schlechten Kerle“ gerichtet schienen, während sie, analysirt und mit Beispielen, in welchen sie zur Anwendung kamen, zusammengehalten, sich als ein mit jesuitischer Schlauheit abgefaßtes Gewebe von Maschen, Schlingen, Fußeisen und Fallthüren darstellten, um mißliebige Personen in willkürliche Verhaftungen, Untersuchungen und Strafen zu bringen, besonders aber die Aengstlichen und Vorsichtigen zu schrecken. Das System der Hierarchie mit Inquisition und Ketzergerichten war auf den weltlichen Staat übertragen und für ihn zurecht geschnitten.

All’ diesem gewaltigen Rüstzeuge der Macht und ihren tausenden von Hülfsmitteln und Hülfsbütteln gegenüber stand ein verhältnißmäßig kleines Häuflein von Männern, entschlossen das heilige Feuer zu hüten und zu bewahren und einen ständigen Guerillakrieg gegen die verbündete feindliche Macht zu führen. Es thut nach einem Menschenalter und schweren Erlebnissen wonnig wohl, auf den Aufwand von Ausdauer, Muth, Scharfsinn, Schlauheit und List hinzublicken, der in diesem Kampfe gegen die Uebermacht aufgeboten wurde. War das gesammte Postwesen zum Polizeispion geworden, so hatten wir eine mit Etappen, Boten zu Fuß, Pferd und Wagen versehene Volkspost. Ja mit fürstlicher Extrapost reisten Briefe und Documente, und drinnen im Wagen saß die hochmüthig prunkende Macht. Die Schnüffler fühlten den verbotenen Verkehr, er umschwebte sie wie Banquo’s Geist, aber fassen konnten sie ihn nicht, bei der Volkspost dienten keine Verräther. Hatten sie ihre Polizeibureaux, Gensd’armen und Posten, um Flüchtlinge aus Deutschland, Polen etc. zu hetzen, so hatte die Action ihr Personal und ihre sichern Etappen, und welche Wollust, wenn es gelang, die Polizei zur unwissentlichen Gehülfin zu narren! Wie die geheime Presse arbeitete, davon ein Beispiel an den 1834er Beschlüssen. Jede Kirmeß ober sonstige Lustbarkeit wurde zur geheimen Volksversammlung der Gesinnungsgenossen. Der Kitzel, der mit allen Mitteln versehenen Uebermacht ein Paroli zu biegen, war so groß, daß alle persönliche Gefahr vergessen wurde und das Häuflein täglich anwuchs. Vergebens keuchte, hetzte, zappelte der Polizeistaat sich ab und häufte hinterher nur Dummheiten zu Bosheiten und machte damit Proselyten für die gerechte Sache; er wurde der Masse nicht blos unerträglich und verhaßt, sondern auch verächtlich. Sie lernten 1848, daß es stets Danaidenarbeit sein muß, wenn man den Volksgeist einfangen will. Sie haben Alles probirt, Nichts ist ihnen gelungen. Werden sie wohl klug gemacht sein? Ich glaube nicht.

Den leitenden Männern der Action war es längst klar, daß außer den veröffentlichten Beschlüssen, so reich ausgestattet auch dieser despotische Apparat war, noch geheime existirten, welche man darum zu publiciren nicht wagte, weil sie, das ganze schändliche System und sein Treiben enthüllend, ein wahrer Faustschlag in das Antlitz einer gebildeten Nation gewesen wären, daher die Ränke im Dunkeln arbeiten mußten.

Der unvergeßliche Carl von Rotteck scheint frühe positive Kenntniß von jenen geheim gehaltenen Beschlüssen gehabt zu haben, als er, wenn ich nicht irre, 1837 seine denkwürdige Motion „über die Gefahren des Vaterlandes“ begründete, über welche die [553] zweite badische Kammer zur Tagesordnung überging, obwohl der alte Mann, mit aufgehobenen Händen und Thränen in den Augen, ausrief. „Im Namen des Vaterlandes beschwöre ich Sie, schlagen Sie meine Motion nicht todt!“ Sie wurde todt gemacht.

Aus gewissen Andeutungen glaube ich annehmen zu dürfen, daß der auch von seinen Gegnern hochgeachtete Mann von einem Minister selbst Mittheilungen erhielt, einem Minister, zu dem er auf dem Standpunkte „Freund der Person, Feind der Sache“ stand, der, ein Bureaukrat vom reinsten Wasser, Monarchist aus tiefinnerster Ueberzeugung, aber ein weitsehender ehrlicher Mann, von der Unmöglichkeit der Durchführung des Metternich’schen Systems gegenüber der modernen Civilisation und geistigen Entwickelung des deutschen Volkes überzeugt war und außerdem der ewigen Bevormundung, der obligaten Rüffel und imperativen Dictate, welchen die kleineren Staaten unterworfen waren, ebenso müde gewesen ist, als sie für seinen Stolz kränkend waren.

Man gestatte mir hier eine kleine, den edlen von Rotteck charakterisirende Begebenheit einzuflechen. Rotteck war von der Stadt Freiburg zum Abgeordneten gewählt; die Zeit der düstersten Reaction brach herein, Pfaffen, Staatskrippenfresser, Adel und die ganze Heulmeierbande brachten eine Petition zu Stande, in welcher auf Ausschließung Rotteck’s aus der Volkskammer gedrungen wurde. Jeder, welcher nicht eine Sclavenseele im Leibe trug, war empört. Rotteck, schon seines Lehramts beraubt und vielfach anderweit verfolgt, sollte nun auch mit Eselstritten regalirt werden, er, der Alles dem Vaterlande, dem Volke, der Freiheit willig zum Opfer brachte. Auf einem Spaziergange konnte der Schreiber dieser Zeilen nicht umhin, die ferene Ruhe, die klare Heiterkeit und aufmerksame Liebenswürdigkeit des alten Mannes gegen die Gesellschaft, besonders die Damen, zu bewundern, des Mannes, dem kurz zuvor jene infame Kränkung in den schändlichsten Ausdrücken zugefügt war, und Schreiber dieser Zeilen, dessen ganzes Inneres vor Wuth über jene Niedertracht kochte, drückte diese Verwunderung gegen Rotteck aus, der solch’ unverdienten Schimpf und Schmach so gelassen und heiter trage. Da blieb der kleine Mann stehen, sah dem Schreiber, damals ein Mensch von einigen zwanzig Jahren, fest und freundlich in’s Auge und sagte, ihm die Hände auf die Schultern legend. „Junger Freund, sowie ich Sie ansehe und beobachtet habe, werden Sie dereinst im öffentlichen Leben vortreten. Wenn Sie dort irgend etwas unternehmen und verfechten, so thun Sie es nur allein aus reiner voller Ueberzeugung ohne Rücksicht auf Volksgunst oder Ungunst, dann werden Sie auch in düstern Lebenslagen so heiter und gelassen bleiben können, wie der alte Rotteck.“

Goldene, unvergeßliche, wahre und wahrhaftige Worte! Unablässig war man von Seiten der für bürgerliche Freiheit kämpfenden Männer bemüht, den Schleier zu lüften und in den Besitz jener geheimen Verschwörungsbeschlüsse der Talleyrand-Metternich’schen Legitimität zu gelangen. Es gelang endlich im Jahre 1843, zwei Jahre nachdem durch geheimen Bundesbeschlnß vom 29. Juli 1841 deren Gültigkeit und verbindliche Kraft auf weitere sechs Jahre verlängert worden war. Sie wirken heute noch fort und sind der permanente Polarstern aller Reaction. An einem heiteren Frühlingstage fand sich verabredetermaßen auf dem Landgut des alten Adam von Itzstein zu Hallgarten am Rhein, dicht beim Metternich’schen Johannisberge, eine Versammlung gleichgesinnter Männer ein, aus verschiedenen Theilen Deutschlands, worunter viele ständische Abgeordnete; Männer aus Preußen, Sachsen, den Thüringischen Staaten, Hessen, Nassau, Würtemberg und Baden. Es war die in gewissen Zeiträumen wiederkehrende gleichzeitige Eröffnung der Ständeversammlungen Sachsens, Würtembergs und Badens bevorstehend.

Schon früher hatten solche Zusammenkünfte stattgefunden, um durch gemeinschaftliche Berathung und Beschlußfassung, durch gemeinschaftliche Maßregeln und Schritte Einheit und damit Kraft in den Widerstand gegen die Reaction und Unterdrückung der bürgerlichen Freiheit zu bringen. Die meisten der gamals in Hallgarten Versammelten sind eingegangen zur ewigen Freiheit. Thomas Moore’s herrliches Gedicht. „Oft, in the stilly night“ will uns nicht aus dem Sinn, wenn wir auf die vergangene Zeit blicken.

Einige Namen der dort Versammelten mögen hier stehen: Robert Blum, von Watzdorf, v. Dieskau aus Sachsen, die Brüder Alfred und Ottmar Behr aus Köthen, die Gebrüder Leisler und Hergenhahn aus Wiesbaden, Römer und Andere aus Würtemberg, Gratz, Dupré und Andere aus Hessen, Itzstein, Welcker, Sander, Mathy, Bassermann, Farnow, Rindeschwender und Andere aus Baden. Es war eine zahlreiche Versammlung ernstgewillter Männer. Itzstein’s wie immer freundlichem und liebenswürdigem Benehmen war ein gewisser feierlicher Ernst beigemischt. Nachdem er sich im Geheimen mit sechs bis acht der Anwesenden berathen, wurden sämmtliche Gäste nach dem größten Salon des Hauses, nach dem Billardzimmer geführt; man nahm Platz, und Itzstein, ein Manuscript hoch in der Hand haltend, erklärte: endlich in den Besitz des Documentes der Verschwörung gegen das deutsche Volk gelangt zu sein. Feierliche Stille folgte seiner energischen, ausdrucksvollen kurzen Anrede. Der Ausdruck der Gesichter der Anwesenden, verbunden mit der feierlichen Stille, hatte etwas Großartiges, Imposantes. Drüben glitzerten im Sonnenschein die Fenster des Johannisberger Schlosses. Spannung, Erwartung, gewaltsam niedergehaltene Erregung, Hohn, Haß, Wuth, was eines Jeden Brust gerade erfüllte, malte sich auf den Gesichtern der schweigenden Versammlung. Die Vehme saß zu Gericht über die Verräter.

Itzstein händigte das Manuscript einem der Anwesenden, wenn ich mich recht erinnere, Robert Blum, zur Vorlesung ein. Langsam, feierlich, sonor und betont wurde das Actenstück verlesen, mit der größten Spannung hingen die Blicke der Anwesenden an den Lippen des Vorlesenden. Dann und wann wurde ein kurz ausgestoßener Ausruf des Einen oder des Anderen laut. „Pfui!“ „infam!“ „jetzt wird’s klar!“ – Wir hatten mit einem Mal den officiellen Schlüssel zum Gebahren der Minister in allen constitutionellen Lebensfragen, vom Urlaubsrecht der Staatsdiener, dem Steuerbewilligungsrecht der Stände, der Nichtbeeidigung des Militärs auf die Verfassung, der Preßknebelung und dem Censurunwesen, der Vernichtung der Lehrfreiheit, kurz, der ganze Volksknebelungs- und Verknechtungsapparat lag vor uns. Mir war es, als schritten die Schatten des ermordeten Pfarrers Weidig mit von Farrenschwanzhieben blutrüstigem Körper und zerschnittener Kehle und anderer todter Märtyrer, gleich den Eumeniden des Aeschylos, durch die Versammlung.

Daß die vollständige Enthüllung dieser Verschwörung gegen die Völker wie ein Sturm über das Land brausen und auch den Ungläubigsten und Blindesten, welche uns stets der Uebertreibung beschuldigten, die Augen öffnen müsse, daß der Einfluß der Veröffentlichung dieser geheimen Conferenzbeschlüsse auf die öffentliche Stimmung und Meinung ein unberechenbarer sein müsse, darüber war man sich allseitig klar.

Metternich sollte bald erfahren, daß ein System, welches auf Slovaken, Hannaken, Böhmaken, Grenzer und dergleichen Cultur berechnet war, nicht intelligenten Volkstämmen aufgezwängt werden könne. An der Echtheit des Documentes konnte kein Mensch zweifeln, welcher den parlamentarischen Kämpfen zwischen Regierungen und Ständen gefolgt war. Was vorher höchste Wahrscheinlichkeit war, lag als apodiktische Wahrheit vor uns. Aber um allen und jeden Zweifel gründlich zu heben, eröffnete Itzstein den Anwesenden, daß der Sohn eines deutschen Ministers diese Copie von der in dem Geheimarchiv seines Vater niedergelegten officiellen Ausfertigung Wort für Wort und genau genomnen und Itzstein und Blum eingehändigt habe.

An der Echtheit war sohin kein Zweifel, und in einer späteren geheimen Sitzung einer erwählten Commission der badischen Ständekammer, in welcher es ziemlich aufgeregt und stürmisch zuging, gab der badische Finanzminister von Boekh in seiner bekannten barschen und manchmal hochfahrenden Weise die Echtheit mit den Worten zu: „Sie sind nicht nur echt, sondern sie sind auch gut!“, eine Aeußerung, die eben nicht wie Oel auf die Wogen wirkte. Manchen der Anwesenden berührte es nachmals fast komisch, daß Welcker in seinem Buche „Wichtige Urkunden für den Rechtszustand deutscher Nation“ aus Gründen der äußeren und inneren Wahrscheinlichkeit mit dem ernsthaftesten Gesicht von der Welt auf fast sechs Großactavseiten die Echtheit zu beweisen suchte, als ob er nie in Hallgarten dabei gesessen und nicht gewußt hätte, daß sofort auf sicherem Wege eine Copie derselben an den Herausgeber der „Deutschen Schnellpost“ in New-York, Herrn Eichthal, gesendet worden war. Natürlich that jenes Welcker nur, um die Spürnasen deutscher Polizei von der Fährte abzulenken.

Die Versammelten beschlossen sofort den Druck und die Verbreitung [554] des merkwürdigen Actenstücks. Viel war daran gelegen, daß keine Regierung des In- und Auslandes erfahre, wie, wo und von wem die Veröffentlichung ausgegangen sei. Alle freuten sich darauf, den gesammten polizeistaatlichen Apparat in nervöse Bewegung zu setzen und vergeblich sich abzappeln zu lassen. Vater Winter, der Heidelberger Bürgermeister und Buchhändler, die derbe ehrliche gute alte Haut, wies den Versammelten sofort nach, daß eigene, von den gebräuchlichen abweichende Typen müßten gegossen und nach vollendetem Druck sofort zerstört werden. Denn benütze man Typen, wie sie in den Schriftgießereien üblich und geliefert werden, so könne man leicht aus dem Druck die Typen, die Schriftgießerei und Druckerei und Drucker ermitteln. Er bemerkte ferner, daß Satz und Druck von Männern aus unserer Mitte müßte bewerkstelligt werden, und schlug dazu den leider zu früh verstorbenen Philologen und Philosophen A. Deeg vor, welcher denn auch seines Auftrages sich meisterhaft entledigte.

Aus dem Papier, aus dessen Format, Wasserzeichen und dergleichen könne man auf die Siebe und den Apparat zur Papierfabrikation schließen und die Papiermühle ermitteln, daher das zum Druck nöthige Papier aus besonders für diesen Zweck construirten Sieben und Geräthen hergestellt werden müsse. Winter setzte mit vielem Humor auseinander, wie die Spürhunde sich mit Cirkel, Maßstab, Vergrößerungsgläsern etc. vergebens abmühen würden.

So wurden Papier, Typen, Druck an verschiedenen Orten in verschiedenen Ländern, in Frankreich, Deutschland, der Schweiz und, als Viertem im Bunde, Nordamerika hergestellt, und die „Einbringung“ über die Grenze war für uns ein Leichtes; das hatte man seit Langem prakticirt. Und als jene drei Ständeversammlungen eröffnet wurden, da lagen, wie aus den Wolken geschneit, auf jedem Ministertische, auf jedem Sitze der Abgeordneten Exemplare der geheimen Wiener Conferenzbeschlüsse von 1834.

Die monarchische Polizei arbeitete im Schweiße ihres Angesichts, um hinter die Geschichte zu kommen – vergebens. Frustra – sed non gratis. (Zwar vergeblich – doch nicht umsonst.) Das Volk mußte deren lächerliche Arbeit bezahlen. Die Wirkung der Veröffentlichung jener geheimen Verschwörungsbeschlüsse war ungeheuer und nachhaltig, der Eindruck auf die Regierungsbänke niederschlagend. Von dort an wurde die Reaction bedenklicher, die Action schritt „im Zeug“ vorwärts.



  1. Friedrich Hecker, der alte gefeierte Volkstribun vom Sturmjahr Achtundvierzig und einer der Helden der geretteten Union Nordamerika’s spricht im Vorstehenden wieder einmal direct zum deutschen Volke. Wir finden in ihm völlig noch den alten Kämpfer und freuen uns, daß seine Worte in voller Wucht und Schärfe gerade dem Gegenstand gegenüber, welchen sie treffen, mit dem echten Manneszorn urehrlich und urkräftig heraustreten. Warum diese schon so lange angekündigte Mittheilung aus so lieber Hand uns so spät zukommt, darüber giebt uns Hecker in einem Briefe Aufschluß, aus welchem wir die folgende Stelle seinen vielen Freunden und Verehrern nicht vorenthalten dürfen: „Sie haben keine Idee davon, daß und wie schwer es mir in dieser Zeit wird zu schreiben. Nicht weil ich nicht Lust habe oder der Thermometer auf 102 Grad Fahrenheit steht, sondern weil die Ernte eingebracht werden muß, Arbeitshände rar, theuer und unverschämt sind, und ich daher trotz meiner achtundfünfzig Jahre im Felde mitarbeiten muß wie ein tüchtiger Tagelöhner. Um zweier meiner Söhne willen kann ich mein Land nicht verkaufen und mich zur Ruhe setzen , will auch, was ich geschaffen, nicht in fremden Händen sehen, und wenn man, wie ich, stets das Haus voll Besucher hat, und Strolch und Gentleman offene Tafel beansprucht, so muß man die Ohren steif halten, um nicht, wie so viele Flüchtlinge, ein alter Lump zu werden.“
    Die Redaction.