Wilhelm Löhes Leben (Band 2)/Nr. 5. Petition Löhes an das königliche Konsistorium

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
« Nr. 4. Desgleichen Johannes Deinzer
Wilhelm Löhes Leben (Band 2)
Nr. 6. Einige Fragen, das Beicht- und Parochialverhältnis betreffend, samt kurzen Antworten »
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).
|
Nr. 5.


Neuendettelsau am 14. Januar 1852.
Königliches Konsistorium.
 Da die von dem königlichen Oberkonsistorium durch Reskript vom 5. November vorigen Jahres erheischte letzte Erklärung des unterthänigst gehorsamst Unterzeichneten vom 20. November vorigen Jahres durch die| Hand des königlichen Konsistoriums gegangen ist; so werden demselben auch die sieben einzelnen Sätze bekannt sein, bei welchen gewissenshalber stehen bleiben zu müssen der gehorsamste Erstatter dieses Berichts erklärt hat. Der fünfte von diesen Sätzen war folgender:
„Ich muß daher jedem lutherischen Christen, welcher seinem Pfarrer wegen gemischter Abendmahlsgemeinschaft das Beichtverhältnis gekündigt hat, und mir davon, sowie von Einhaltung der im Amtshandbuch vorgeschriebenen Form Beweis und Nachweis bringt, an meinem Altare aufnehmen und in seiner Entschiedenheit stärken, wenn er zu mir kommt, Annahme begehrt und sonst gut Zeugnis hat.“

 Mit diesem Satze habe ich nichts ausgesprochen als was zum Beispiel die Brandenburg-Nürnberger Kirchenordnung (Folioausgabe von 1753) S. 126 mit folgenden Worten ausspricht:

„Man soll nicht leichtfertig oder ohne wichtige Ursachen fremden Pfarrkindern in den Pfarreien, darein sie nicht gehören, die Sakrament- oder andere Kirchendienste mitteilen, sondern dieselben vorher fleißig forschen, warum sie solches alles daheim bei ihren Pfarrern nicht suchen? Wo man aber die Person kennt, oder sie eine Zeit lang nicht daheim sein kann, oder unter einem solchen Pfarrer ist, von dem sie nicht alle zur Seligkeit nötigen Dienste kann bekommen, oder irgend sonst gewissenhaft Ursach hat, doch bei demselben ein christlich Gemüt und Verstand gespürt würde, soll man ihm nicht abschlagen.“
 Nach diesen Grundsätzen, welche sich gleichmäßig in allen lutherischen Kirchenordnungen und Kasuisten (vergleiche Balduin und König im Opus Novum S. 304 f., Dunte S. 201, Haus, Magdeburgisches Kirchenbuch, 6. Trakt. S. 286 etc.) finden, hat der Unterzeichnete je und je gefürchtet ἀλλοτριο-επίσκοπος zu sein. Er ist es auch in dem Fall nicht gewesen, von welchem hier die Rede ist, und welchen ich um so mehr ohne Schminke vortragen werde, weil ich zur Zeit, da ich die Aufforderung des königlichen Konsistoriums vom 2. d. Monats erhielt, ohnehin im Begriff stand, Anzeige zu erstatten. Ich zögerte| einen Augenblick nur darum, weil man zweifeln kann, ob er, bei den besonderen Verhältnissen, sich für eine Anzeige mit Beziehung auf Satz 5 meiner Erklärung vom 20. November eigne.

 Daß in Erlangen bei dem Gottesdienste der Universität gemischte Abendmahlsgemeinschaft gehalten wurde, ist leider bekannt, und ich muß es hier erwähnen, weil davon der ganze Vorfall, über den ich zu berichten habe, ausgeht. Einige junge Männer, welche in Erlangen den Studien obliegen, durch ihre Lebensführung aber zu entschieden konfessionellen Grundsätzen gekommen sind, stießen sich daran und zwei von ihnen baten dreimal den Universitätsprediger, Herrn Professor Thomasius, um Herstellung der namentlich in unseren Tagen so nötigen alten kirchlichen Praxis. Weil sie umsonst baten, erklärten sie, am Abendmahl des Universitätsgottesdienstes gewissenshalber keinen Anteil nehmen zu können. Daß sie durch ihre beiden Vertreter diese Erklärung gegeben hätten, sagten sie mir; die Vertreter sagten mirs selbst. Unter diesen Umständen willfahrte ich am 3. Adventssonntage dreien und am Sonntag nach Neujahr vieren von den jungen Männern, und reichte ihnen am hiesigen Altare das Sakrament. Ich sprach aber auch namentlich den ersten dreien die Hoffnung aus, daß ich ihnen nur ausnahmsweise müßte dienen dürfen, daß sich auch in Erlangen echt konfessionelle Praxis wieder Bahn machen würde, und habe auch aus bester Quelle vernommen, daß im Vergleich zu früherer Zeit ein Schritt vorwärts, wenn auch noch kein genügender geschehen sei.

 Dies die Sachlage, zu welcher ich jedoch noch einiges unten hinzufügen muß, was die Form meines Verfahrens betrifft.

 Der unterthänig gehorsamst Unterzeichnete sah und sieht ganz wohl, wie wehe er nicht bloß anderen, sondern vor anderen sich selbst und seinem guten Namen bei vielen Menschen thut, indem er handelt wie er handelt. Er hat sich aber darein ergeben, zu thun und zu leiden, was aus seinen Grundsätzen folgt. Bevor er die Feder zu dieser Berichterstattung ergriff, prüfte er wiederholt sein Thun und las so manches Gutachten älterer anerkannter Theologen und theologischer Fakultäten| wieder. Aber immer aufs neue findet er sich zu den folgenden Sätzen gezwungen und getrieben:
1. Es ist unzweifelhafte und allein lutherische Praxis, nur Lutheranern und solchen, die es werden wollen, das Sakrament zu reichen. Ausnahmen in jähen Todes- oder Pestfällen verstehen sich von selbst und gehören nicht hieher, entschuldigen uns in unsern Verhältnissen nicht, wenn wir Unierten etc. das Abendmahl reichen. Reichen wir wissentlich Unierten das Sakrament, so verpflanzen wir die Union selbst an den Altar, wohin sie am allerwenigsten gehört.
2. Es ist ferner unzweifelhaft kirchlich-konfessionelle Praxis, das hl. Abendmahl aus der Hand eines wenn auch noch so vortrefflichen Mannes nicht zu nehmen, wenn er – nicht aus Schwachheit oder Unbedacht, sondern mit Überlegung, wohl gar mit Verteidigung des Princips, als eines lutherischen, – an seinem Altar gemischte Abendmahlsgemeinschaft pflegt.
3. Wer die Überzeugung hat, welche in den beiden vorigen Sätzen ausgesprochen ist, hat auch die Pflicht, an seinem Altare solche auszunehmen, die anderwärts ihrer Konfession und der Wahrheit ungetreu sein würden, wenn sie das Sakrament nähmen.
4. Ist die bayerische Kirche lutherisch, so hat lutherische Praxis, wie sie sich z. B. in Misler, Opus Novum S. 359 Qu. IX., p. 376 Qu. IV., S. 386 Qu. XXXV. u. XXXVI., S. 407 Qu. III. IV. S. 417 (Deus mixturae religionis gravissime interdixit) S. 423 (Qu. XXXI. Num Lutherani neutris se adsociare debeant?) S. 463 Qu. VII. S. 469 Qu. XIV. (Ob Synkretismus zu dulden, bis man der Konfession wegen einig geworden?) – oder aus Dunte S. 585 Qu. XXI. S. 707. Qu. V etc. etc. etc. mit den Worten der angesehensten Lehrer verteidigen läßt, – das Recht, sich geltend zu machen. Hätten hingegen Seelsorger, welche unierte Abendmahlsgemeinschaft pflegen, volle Freiheit, während ein Pfarrer dem Tadel unterläge, der nach übereinstimmend lutherischer Praxis verfährt (cf. Opus Nov. S. 314),| so nämlich, wie ich in Anbetracht der sieben Erlanger Abendmahlsgäste zu verfahren wagte: so würde man das Prädikat „lutherisch“ gewiß in Zweifel ziehen müssen.

 Für den unterthänigst gehorsamst Unterzeichneten fragt sich nur, ob er nicht formaliter gefehlt hat, indem er den obgenannten Sieben das Sakrament reichte.

 Ich kenne nun ganz wohl die im Amtshandbuch vorgeschriebene Form, kraft welcher bei Lösung des beichtväterlichen Verhältnisses die Hauptsache in die Hände des Dekans gelegt ist. Auch werde ich mich gerne dieser Form unterwerfen, so wenig sie vielleicht insgemein beachtet wird und so sehr sich in vorkommenden Fällen die Natur des Beichtverhältnisses, welches rein auf Vertrauen beruht und deshalb die Sache zweier Kontrahenten und ihres freien Willens sein muß, dagegen sträube. Welche Anwendung soll nun aber von dieser Form gemacht werden, wenn man es mit dem Universitätsprediger zu thun hat, und namentlich, wenn es die wandernde Bevölkerung der Universität und nun gar Studierende von der Art, wie die in gegenwärtigem Fall mit ihm zu thun haben? Der Universitätsprediger hat eine Ausnahmsstellung, bei der vielleicht der Fall eines Beichtvaterwechsels nicht einmal vorgesehen ist. Dürfte mans wagen, dem Dekan eine Differenz der Art zur Lösung und Entscheidung vorzulegen? Es war mir leid, mit so flüssigen und zarten Verhältnissen in Berührung zu kommen, und gewiß: ich würde in großer Verlegenheit gewesen sein, wenn nicht die Bitte um Abendmahlsgenuß in der hiesigen Gemeinde von Leuten ausgegangen wäre, die selbst eine Ausnahmsstellung haben, nemlich von Studierenden, die kein festes Beichtverhältnis bindet, – von zu sechs Siebenteln dem Ausland angehörigen Studierenden, von Studierenden, die größerenteils, so viel ich weiß, dem Kandidatenstande angehören, von Studierenden, die größerenteils Religionsgesellschaften angehören, deren ganze Existenz auf einem Gegensatz gegen Synkretismus und gemischte Abendmahlsgemeinschaft beruht....

 Unter diesen Umständen konnte und durfte ich mich, so scheint es mir, bei der mündlichen Erklärung der mir mit Ausnahme eines einzigen| längst rühmlich bekannten jungen Männer begnügen. Habe ich die Erlanger Verhältnisse nicht durchweg richtig gefaßt, so werde ich mich, kommt mir je ein Fall der Art wieder, nach gewonnener besserer Einsicht richten. In der Hauptsache aber wüßte ich zur Stunde nicht anders zu handeln, als ich gehandelt habe.

 Zwar habe ich durch eine sehr achtbare Mitteilung erfahren, daß sich Professor Thomasius neuerdings entschlossen habe, keinem Reformierten das hl. Abendmahl zu reichen, lutherisch gesinnten linierten aber nur gegen Versprechen der Bekenntnistreue, jedoch ohne von ihnen völlige Absage der unierten Kirche zu verlangen. Allein dieser Entschluß genügt nicht, weil unter diesen Umständen die ganze Fraktion der unierten Lutheraner Preußens in Erlangen zum hl. Abendmahl gehen, in Preußen selbst aber desto gewisser der lutherischen Kirche gegenüber stehen könnte. Hier liegt eine Principienfrage, die mancher bayerische Lutheraner allenfalls nicht würdigt oder übersieht, die aber anderwärts richtig erkannt und gewogen wird. Es werden sich gewiß, so lange es so steht, immer Ausländer finden, welche sich scheuen, in Erlangen sich einer Abendmahlsgemeinschaft anzuschließen, gegen welche sie daheim im strengsten Gegensatz stehen.

 Vielleicht darf ich hoffen, daß mein treu vorgelegtes Verfahren eine günstige und billige Beurteilung findet. Jedenfalls handle ich nach meinem Gewissen. Ist die bayerische Landeskirche lutherisch, so darf und muß ich also, wie ich gethan, handeln; ja, ich und andere müssen zur lutherischen Abendmahlspraxis gehalten sein. Ist sie aber eine aus ungleichartigen Teilen bestehende protestantische Gesamtgemeinde, so muß doch auch der Lutheraner so in ihrer Mitte stehen können, daß er seines Glaubens zu leben vermag. Dürfte er das nicht, während Uniertgesinnte ihren Brauch und ihre Lehre ohne allen Anhalt in der Verfassung, allenthalben ungehindert üben und verteidigen, so müßte jedermann offenbar sein, daß man auch bei uns, wie an andern Orten etwas anderes für lutherisch hält, als Luther und die Seinigen. Und das geschehe uns doch nicht.

|  Die Wiederholung der Hauptgedanken sei mir verziehen.

 Mit schuldiger Hochachtung und Ehrerbietung verharrt

des königlichen Konsistoriums
unterthänig-gehorsamstes Pfarramt
Löhe, Pfr. 





« Nr. 4. Desgleichen Johannes Deinzer
Wilhelm Löhes Leben (Band 2)
Nr. 6. Einige Fragen, das Beicht- und Parochialverhältnis betreffend, samt kurzen Antworten »
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).