Wilhelm Löhes Leben (Band 3)/Der Krieg des Jahres 1866 und Löhes Stellung zu demselben

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« Am Schluß des ersten Jahrzehnts. Rückblick und Vorausblick Johannes Deinzer
Wilhelm Löhes Leben (Band 3)
Der Krieg von 1870/71 »
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Die Thätigkeit der Diakonissen in den Kriegsjahren 1866 und 1870/71.
Der Krieg des Jahres 1866 und Löhes Stellung zu demselben.
 Den politischen Ereignissen des Jahres 1866 gegenüber nahm Löhe eine sehr zurückhaltende Stellung ein, wie er sie dem geistlichen Menschen, der alle Dinge geistlich richten soll, und obendrein dem Geistlichen von Beruf für allein geziemend achtete. Die christliche Betrachtung und Beurteilung aller Dinge, auch der Welthändel wollte er in den Herzen der ihm Befohlenen pflanzen, sich nicht zum Richter und Erbschichter in politischen Streitfragen aufwerfen, sondern sich ganz innerhalb der „Fortificationslinien seines Daseins“ d. h. in den Schranken seines göttlichen Berufes als Pfarrer halten. Über dem irdischen (noch dazu blos dem engeren) Vaterland stand ihm das Reich, das nicht von dieser Welt ist, und es war sein ernstes Anliegen und Gebet, daß nicht durch den traurigen Bruderkrieg, der die deutschen Stämme politisch entzweite, auch die Gemeinschaft des Glaubens zwischen den Kindern Gottes im Norden und Süden unseres Vaterlandes zerrissen würde. Überdies würde auch schon sein Beruf als Leiter und Seelsorger des Diakonissenhauses, dessen Bewohnerschaft aus Angehörigen der verschiedenen Stämme des deutschen Südens und Nordens sich zusammensetzte, dessen Schwestern zum Samariterdienst im Feld berufen, keinen Unterschied von Freund und Feind kennen durften, ihn zu einer solchen über dem Streit der Parteien erhabenen Haltung hingedrängt haben. Was die Gemüter einigen und versöhnen und den Hausfrieden in der Diakonissenanstalt erhalten konnte, war einzig und allein die geistliche Auffassung der Dinge. Mochte diese Haltung Löhes bei der damals hochgradigen Erhitzung der politischen Leidenschaften manchem, auch unter seinen näheren| Freunden, zu kühl und neutral erscheinen: der ruhigere Beurteiler von heute wird sie nicht anders denn als wahrhaft geistlich und, von deutsch-nationalem Standpunkt aus, auch als patriotisch bezeichnen können.
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 Demgemäß begnügte sich Löhe, seine Pflegebefohlenen in Anstalt und Gemeinde vor sündlicher Aufregung der Leidenschaft zu warnen, denen von ihnen, welche den durch das Jahr 1866 ihrer Selbständigkeit beraubten deutschen Stämmen angehörten, auf Grund von Röm. 13, 1 ff. ihre Unterthanenpflicht des Gehorsams gegen ihre neue Obrigkeit einzuschärfen und als Ausdruck der richtigen inneren Stellung zu derselben die Teilnahme an dem 1 Tim. 2 befohlenen Kirchengebet für den neuen Landesherrn zu fordern. Insoweit trat er mit allem Nachdruck seiner Person und seiner amtlichen Stellung auf, im Bewußtsein, daß er hier ganz auf dem festen Boden des göttlichen Wortes sich bewege, während er das Urteil über die Annexionen jenes Jahres dem höchsten Richter anheim stellte. Eben deshalb warnte er auf Grund von Dan. 4, 14. 22 (eine Stelle, welche überhaupt sein Leitstern in dem Wirrsal der politischen Wechselfälle jenes Jahres war) vor dem Rechtstrotz, der, ohne Buße für des eignen Volkes Sünde und ohne Erkenntnis der im Staub und Unrecht menschlicher Wege einherschreitenden Gerichte Gottes auf sein vermeintliches oder auch wirkliches Recht pochend, mit dem damals oft gehörten Feldgeschrei: „Recht muß doch Recht bleiben“ den Sieg nicht erbat, sondern forderte. Er lehrte dagegen in einem von ihm verfaßten und vielverbreiteten Kriegsgebet in demütigerem Vertrauen auf das gerechte Walten der Vorsehung bitten: „Schaffe Recht im blutigen Streit und Sieg dem Rechte, das vor Deinem Angesichte ist. Verleihe Deinen Kindern, daß sie durch das Wechselglück des Krieges an Dir und Deinem Wege nicht irre werden; erleuchte ihre Augen, daß sie erkennen Deinen Weg und unter den Völkern und| Stämmen Dein Heil.“ Nebenbei gesagt: der von den Preußen vor dem Auszug in den Krieg 1866 abgehaltene Bußtag (den freilich einer seiner Freunde höhnisch mit dem Gebet des Briganten verglich, der, ehe er auf seinen Raub ausgeht, vor dem Madonnenbilde am Weg sich niederwirft) imponierte ihm als Äußerung eines im preußischen Volk noch lebendigen religiösen Bewußtseins; er schrieb dieser öffentlichen Demütigung eines ganzen Volks vor Gott den Sieg von Königgrätz zu.
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 Alle seine Predigten aus der Kriegszeit jenes Jahres hatten das gemein, daß sie die Ereignisse von 1866 und die daraus entspringenden Fragen lediglich unter den Pastoralen Gesichtspunkt stellten. Anstatt die nationale Fiber aufzuregen oder die Antipathien zwischen den süd- und norddeutschen Stämmen zu nähren, betete er um „Bewahrung aller frommen Streiter auf beiden Seiten vor Leidenschaft und Wut im Kampf“. Einmal in einer Beichtrede brachte er den überraschenden Gedanken, den er mit Hiob 1, 5 biblisch begründete, daß es Kennzeichen wahrer Liebe zum Nächsten sei, wenn man für ihn nicht blos beten, sondern auch beichten könne, und schlug deshalb den Versammelten vor, nicht blos die eigne Sünde, sondern auch die unsrer Söhne und Brüder draußen im Feld, die nicht nur von gesteigerten Versuchungen aller Art, sondern auch von der Gefahr des Todes umringt seien, beichtend vor Gott zu bringen, was dann auch geschah. Als die Würfel gefallen waren und es galt, für viele unter Weh und Schmerz, in neue Verhältnisse sich zu fügen, zeigte er auf Grund von Jeremia Kap. 29, 4: daß, weil das Gedeihen des Teils vom Wohlergehen des Ganzen abhänge, dem man, sei es auch wider Willen und durch Gewaltthat, eingefügt sei, es Pflicht und Weisheit sei „der Stadt (des Ganzen) Bestes zu suchen“ etc. So regierte er mit dem Scepter des göttlichen Wortes seine Gemeinde und leitete sie zum „Stillesein und Hoffen“ in jener stürmisch| erregten Zeit an. Die Leiden des Krieges giengen übrigens an dem hiesigen Ort gnädig vorüber, bis Nürnberg kamen die feindlichen Heere; Dettelsau bekam keinen Preußen zu sehen.

 Auf welcher Seite damals Löhes Sympathien standen? Sein Herz (seine Psyche, wie er sich ausdrückte), fühlte mit den Süddeutschen und Österreichern, sein Verstand aber konnte von einem Sieg Österreichs kein Heil Deutschlands erwarten. Die größere staatliche und sittliche Tüchtigkeit lag ja doch bei den Preußen.

 Und so mag es mit der Äußerung, die ihm zugeschrieben wird, seine Richtigkeit haben: er wünsche den Preußen, zur Dämpfung ihres Übermuts, Schläge bis an die Alpen (wie bei Langensalza), aber auch Siege bis an die Alpen. Nachdem die Neuordnung der Verhältnisse Deutschlands in Angriff genommen worden war, wünschte er die Arbeit gründlich gethan. Die eine Weile auf der Bildfläche auftauchende Möglichkeit eines Südbundes erfüllte ihn mit Besorgnis. „Ich – schreibt er damals – der ich aller Politik mich längst entzogen habe, werde kaum über die öffentlichen Zustände trauriger werden können, als ich’s schon bin. Kein größeres Elend als ein südlicher Bund; ich wünsche Anschluß an die Herren von Deutschland.“

 Für das Diakonissenhaus war das Jahr 1866 von Bedeutung. Man kann wol sagen, daß das protestantische Diakonissentum überhaupt damals eine Art Feuertaufe erhielt, sofern es damals zuerst berufen wurde, im Ernstfall des Krieges durch Mitarbeit an einer großen nationalen Aufgabe die Probe seines Wertes abzulegen. Sicher datiert von diesem Jahre an die wachsende Anerkennung des Diakonissentums wenigstens in Süddeutschland.

 Löhe hatte beim Ausbruch des Kriegs den obersten Militärbehörden Bayerns 30 Schwestern zur Pflege der Verwundeten zur Verfügung gestellt und sich auch erboten, in Dettelsau selbst ein Lazareth mit 30 Krankenbetten herzustellen. Das Anerbieten wurde| zwar angenommen, die Schwestern fanden aber keine Berufung und mußten, um nicht müßig am Markt zu stehen, selbst ausgehen und sehen, wo ihre Hilfe angenommen würde. Der Überfluß an katholischen Pflegern und Pflegerinen, sowie die schärfere Spannung der confessionellen Gegensätze (die katholische Bevölkerung Bayerns faßte den Krieg als Religionskrieg), machte es ihnen jedoch auch an Ort und Stelle schwer, Gelegenheit zur Bethätigung ihres guten Willens zu finden. So kam es, daß sie ihre ersten Dienste verwundeten Preußen in Kissingen zu leisten hatten. Später erst fanden sie ihren Wirkungskreis in den bayerischen Lazarethen von Würzburg und Veitshöchheim. Die Kaiserswerther Schwestern, die in Böhmen, und die Dresdener, die in Österreich zu dienen hatten, haben ohne Zweifel großartigere und mannigfaltigere Erfahrungen zu sammeln Gelegenheit gehabt, aber auch für die Dettelsauer Schwestern war die bescheidene Lazareththätigkeit im Jahr 1866 eine Vorschule für die viel ernsteren und größeren Aufgaben, die ihnen der Krieg von 1870/71 stellte.
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 Das Jahr 1867 brachte Löhe als Anerkennung seiner Thätigkeit auf dem Gebiet der Diakonie und seiner Verdienste um Pflege der bayerischen Verwundeten im Krieg von 1866 das Ritterkreuz I. Klasse vom Orden des heil. Michael, die einzige öffentliche Auszeichnung, die sein Wirken jemals fand. Er berichtete darüber seiner damals abwesenden Tochter in einem Brief, aus dem wir Folgendes ausheben: „Mit dieser Woche geht bei mir eine Art von Festwoche zu Ende. Vorigen Dienstag Nachmittags gabs den Anfang. Hr. Regierungsrat hatte die verschiedenen Collegien und alle Angehörigen des Diakonissenhauses versammelt und übergab mir im Auftrag das Ritterkreuz I. vom Orden des heil. Michael. Er selbst trägt ja das gleiche; ich trage es nicht. Er redete, ich antwortete. Dann brachte die Versammlung dem König ein dreimaliges Hoch, und die Schwestern sangen (auf meine Anordnung)| vierstimmig Psalm 21, 1–8. Dann saßen wir beim Kaffee zusammen. Das Ober-Consistorium, das Consistorium, das Dekanat sandten mir Gratulationen. Von allen Seiten Gratulationen, und ich weiß eigentlich nicht, warum? Aber freilich: die Anstalten sind damit gehoben im ganzen Land, das ist die Hauptsache... Ich bin nun froh, daß das alles vorüber ist, und danke Gott für alles. Er wird mich behüten, daß mir aus all dem Lob kein Leid kommt. Ich will lieber selig sterben, als durch Anerkennung gehn, die mich nicht mehr hebt als der Blick auf Ihn, den ich meine, und auf Seinen heil. Willen.“
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 Eine Folge der Löhe zu teil gewordenen öffentlichen Ehrung war es, daß in den höheren Regionen Münchens die Vorurteile gegen ihn und seine Diakonissen zu schwinden anfiengen. Seine Münchener Freunde rieten ihm das Eisen zu schmieden, so lange es warm sei. „Mich reut zwar mein Geld – meinte Löhe –, aber vielleicht kann jetzt in München eine Station gegründet werden. Das und dergleichen soll mein Besuch zu wege bringen.“ So reiste er denn nach München, wo er diesmal in allen Kreisen, bei Geistlich und Weltlich, freundliche Aufnahme fand. Nicht nur wurde er von dem Minister, Fürsten Hohenlohe, gütig empfangen, sondern er erhielt auch von der (damals noch protestantischen) Königinmutter Marie eine Einladung. Die „herzensgute“ Fürstin, die Dettelsau und Löhe längst gern gesehen hätte und ihren Wunsch, wie man sagte, nur dem entschiedenen Nein ihres (damals schon verewigten) Gemahls untergeordnet hatte, freute sich der Unterhaltung mit ihm und dehnte dieselbe über 11/2 Stunden aus. Freilich war Löhe für eine Aufwartung bei Hofe schlecht genug gerüstet. So lange sich Schreiber dieses erinnern kann, besaß er weder Amtsrock, noch Cylinder, noch Handschuhe. So mußte er von Münchener Freunden mit diesen zum Erscheinen bei Hofe unentbehrlichen Requisiten leihweise ausgestattet werden. Der Zweck| seiner Münchener Reise wurde erreicht. „Freilich – meint er scherzend in einem Brief an seine Tochter – was mußte ich alles reden. Ich gieng zu allen Geistlichen, um sie mit den Diakonissen von Neuendettelsau, die sie für die tüchtigsten halten, doch aber fürchten, auszusöhnen. Es scheint ganz gelungen. Aber ich war von 1/29 Uhr morgens bis abends 11 Uhr (münchnerisch zu reden) der reine Geschäftshuber von Dettelsau. Vielleicht geht nun gerade in München alles empor. Ich war aber abends so müde vom Reden, daß ich ein Glas Bier (!) trank.“

 Es gelang Löhe damals die Gründung eines Vereins für Werke der Barmherzigkeit einzuleiten, der noch im gleichen Jahre an die neu errichtete Wartstation die ersten Neuendettelsauer Diakonissen berief. Dies ist der Keim zu den umfangreichen Anstalten der Diakonie in München geworden, die unlängst das Jubiläum ihres 25jährigen Bestehens begangen haben.





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