Wilhelm Löhes Leben (Band 3)/Die verschiedenen Zwecke und Thätigkeiten der Diakonissenanstalt. Die Blödenanstalt

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
« Der Betsaal Johannes Deinzer
Wilhelm Löhes Leben (Band 3)
Das Krankenwesen der Diakonissenanstalt »
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).
|
Die verschiedenen Zwecke und Thätigkeiten der Diakonissenanstalt. Die Blödenanstalt.


 „Es lag im Plane der göttlichen Vorsehung – schreibt Löhe – daß die hiesige Diakonissenanstalt zugleich mit dem Gedanken an eine Blödenanstalt auftreten mußte, und daß ich das Elend der Blöden zu dem ersten gemacht habe, an dem meine Diakonissen sich abmühen, üben und plagen sollten.“ Wie die gesamte Liebesthätigkeit Dettelsaus dem Boden des Amtslebens Löhes entsproßt| war, so verdankte insonderheit die dort geübte Fürsorge für die Blöden Anregung und Ursprung den von Löhe im Bereich seiner Seelsorge gewonnenen Eindrücken und Erfahrungen. Das Mitleid mit einem blöden Knaben, dem einzigen Sohn eines zur Gemeinde Neuendettelsau gehörigen angesehenen Mannes, der immer und immer wieder das Elend seines Kindes dem Seelsorger ans Herz legte, reifte in diesem den Plan, mit dem entstehenden Diakonissenhaus eine Blödenanstalt zu verbinden. Einmal aufmerksam geworden forschte Löhe dem Kretinismus, seiner Verbreitung, seinen Ursachen eifriger nach und war erstaunt, dies Übel namentlich auch auf dem platten Lande viel häufiger zu finden als er dachte und man gemeinhin glaubt. Um so dringender wurde sein Wunsch, dem Elend des Blödsinns diejenige Abhilfe zu schaffen – die einzig mögliche, die in der anstaltlichen Pflege der Blöden liegt. Löhe hat kein Bedürfnis gefühlt, vor Gründung seines Diakonissenhauses andre Diakonissenanstalten zu besuchen. Aber für die Pflege und Behandlung von Blöden wünschte er an fremder Erfahrung zu lernen. Schon im Jahr 1853, also über ein Jahr vor Entstehung der Diakonissenanstalt, machte er mit einigen Amtsbrüdern eine Reise nach Winterbach, um die dortige unter Leitung von Dr. Müller und Landenberger stehende Anstalt zu besuchen. „Ich hatte – schreibt er später – das Glück, dort eine Anzahl von Menschen beisammen zu finden, die sich seit Guggenbühl viel mit Blöden abgegeben hatten und durch meinen Besuch sich besonders getrieben fühlten, von dahin einschlägigen Gegenständen zu reden. Fast in allen dargelegten Erfahrungen glaubte ich meine eigenen wieder zu erkennen, und ich kam schon damals mit Gedanken heim, die mich zu einem Freunde der Blöden machten. Es war mir mit der Stiftung einer Blödenanstalt voller Ernst. Ich fand es ganz der Mühe wert, daß Diakonissen mit ihnen sich abgäben. Es war mir, als müßten solche Diakonissen „der Blöden Lohn“ empfangen| Matth. 10, 42, denn wie wir später mit einer Art von Humor und Witz, aber doch auch mir voller Wahrheit sagten: Den Blöden ist Er hold.“
.
 Und so wurde denn die Blödenanstalt gleichzeitig mit der Diakonissenanstalt – am 9. Mai 1854 – mit einem blödsinnigen Knaben eröffnet. Mit der Diakonissenanstalt zusammen wohnte sie in deren erstem Miethlokale, dem oberen Stockwerk des „Gasthauses zur Sonne“ und zog darauf mit derselben im Oktober 1854 in das neuerbaute Diakonissenhaus ein. Da aber die Zahl der Pfleglinge schon im ersten Jahr auf 28 stieg, so kaufte die Diakonissenanstalt zwei kleine nebeneinanderstehende Häuser im Dorf in unmittelbarer Nähe des Pfarrhauses und ließ dieselben dem Zweck entsprechend umbauen. In dieser Nachbarschaft, gewissermaßen unter dem Schatten und Schutz des Pfarrhauses, blieb die Blödenanstalt bis zum Jahre 1864, in welchem sie in das zu diesem Zweck eigens erbaute große dreistöckige Gebäude übersiedelte, welches heute noch die weiblichen Blöden beherbergt. Die Blödenanstalt in Neuendettelsau war die erste und ist bis zu dieser Stunde mit ihrem Filial in Polsingen die einzige derartige Anstalt im protestantischen Bayern. Kein Wunder daher, daß die kleine Anstalt, die einem so dringenden Bedürfnis abhalf, schon in den ersten Jahren den sich häufenden Anmeldungen nicht mehr genügen konnte und man, so sehr man auch unter dem Druck der schon vorhandenen Schulden seufzte, sich zu einem Neubau und damit freilich zu einer Vermehrung der Schuldenlast um ca. 18000 fl. getrieben sah. Da die Blödenfürsorge ein Gegenstand allgemeinen Landesinteresses ist, da andrerseits die Thätigkeit der Löheschen Diakonissen an den Blöden über den Verdacht des Propagandamachens für die sog. „Dettelsauer Richtung“ erhaben war, so glaubte Löhe, abweichend von seiner bisherigen Gewohnheit, bei den kirchlichen Behörden zur Deckung der Baukosten des neuen Blödenhauses| um Bewilligung einer allgemeinen Landeskollekte nachsuchen zu dürfen, welche denn auch nach einigen Jahren zum ersten Mal und seitdem immer wieder aufs neue bewilligt wurde und der Anstalt nicht nur erkleckliche finanzielle Erleichterung, sondern auch die Mittel zur bald notwendig gewordenen räumlichen Ausdehnung gewährte. Zwar war die neue Blödenanstalt von Vorneherein in größeren Maßverhältnissen angelegt und längere Zeit das dominierende Gebäude der ganzen Anstaltskolonie, um 10 Fuß länger und ein Stockwerk höher als selbst das Mutterhaus, so daß Löhe scherzend warnte, sie möge sich nicht hoffärtig über die Mutteranstalt erheben, wie Hagar gegen Sara; aber dennoch erwies sich die Vorhersagung eines sachverständigen Besuchers, der der eben in ihr neues Heim übergesiedelten Blödenanstalt die Notwendigkeit einer baldigen Erweiterung prophezeite, als zutreffend. Schon nach Verlauf eines Jahres war die Zahl der Pfleglinge auf 50 gestiegen (auf 60 war die Anstalt berechnet), die Anmeldungen nahmen kein Ende, und die Anforderung zu neuer Erweiterung der Anstalt konnte nicht mehr unberücksichtigt bleiben. Von dem Grundsatz ausgehend, daß zu große Anstalten der inneren Führung nicht gedeihlich seien, wollte man jedoch die fernere Erweiterung nicht in einer abermaligen Vergrößerung des Gebäudes suchen, sondern lieber für die einzelnen Kreise Bayerns Filiale errichten und dabei zugleich die längst für notwendig erkannte Trennung der Geschlechter durchführen. Das erste Filial sollte zunächst für die männlichen Blöden bestimmt sein. Dieses erste – und bis jetzt einzige – Filial der Neuendettelsauer Blödenanstalt wurde im Jahr 1866 in dem Dörflein Polsingen errichtet, das, am Abhang des dort gegen die Ebene des Rieses sich abdachenden Hahnenkammes lieblich gelegen, durch die Abgeschiedenheit seiner Lage im Vergleich zu dem belebteren Dettelsau den Blöden nach Löhes Wunsch eine Stätte „süßen Stilllebens“ werden sollte. Löhes ältester Sohn hatte das| Rittergut Polsingen gekauft, und die Räume des von ihm nicht benutzten herrschaftlichen Schlosses boten den männlichen Blöden erwünschte Unterkunft. Kein Wunder, daß Löhe ein besondres Wohlgefallen an Polsingen hatte und dem Gedeihen der dortigen Anstalten mit einem durch die Teilnahme an dem Gelingen des Sohnes noch erhöhten Interesse zusah. Dazu gaben geschichtliche Erinnerungen der ganzen Gegend, die auch landschaftlichen Reizes nicht ermangelt, in seinen Augen noch eine besondere Weihe. In der That ist die ganze Umgegend des Hahnenkamms geschichtlicher Boden. Dort erinnert noch mancherlei an die germanische Heidenzeit und die Menschenopfer der Druiden oder auch an die Römerherschaft während der ersten Jahrhunderte der christlichen Zeitrechnung. Aber auch heilige Erinnerungen aus kirchengeschichtlicher Vergangenheit wachen dort auf. „Auf den feierlich stillen Höhen – sagt Löhe – kann einem werden, wie wenn man die Füße der Boten Gottes von Heidenheim (Wunibald, Willibalds Bruder) rauschen oder die Füße der heil. Walpurgis durchs Dickicht nach Hohentrüdingen eilen hörte“ (wo sie eine wunderbare Heilung durchs Gebet vollbracht haben soll). Dieses Land reicher Erinnerungen, wo Willibald, Wunibald und die Seinigen predigten und Walpurgis Diakonissin war, freute sich Löhe „aufs neue einnehmen und mit Bächen der Barmherzigkeit bewässern zu dürfen“. Auch die Blödenanstalt in Polsingen füllte sich rasch und kann schon seit Jahren dem sich steigernden Bedürfnis nicht genügen, so daß das Diakonissenhaus an Errichtung eines neuen Blödenfilials ernstlich denken muß. Doch gehört Näheres über diesen neuen Vergrößerungsplan nicht mehr in den Rahmen dieser Lebensbeschreibung, wol aber werden einige Mitteilungen darüber, wie Löhe über den Blödsinn, diese rätselhafte Krankheitserscheinung des Seelenlebens, seine Behandlung, seine Heilbarkeit etc. dachte, nicht unerwünscht sein. Bemerkenswert erscheint hier vor allem die| Sicherheit und Nüchternheit, mit welcher Löhe zu einer Zeit, wo man vielerseits in Bezug auf Heilung des Blödsinns noch sehr sanguinische Hoffnungen hegte, die Aufgabe aller körperlichen und geistigen Pflege der Blöden und das für diese allein erreichbare Ziel bezeichnete. „Was den Blöden zum Blöden macht – sagt er in einem Jahresbericht von 1866/7 – scheint weniger die geringe Begabung in allen oder vielen Gegenständen zu sein (es können sogar nicht unbedeutende vereinzelte Anlagen vorhanden sein) als der Mangel an Selbständigkeit und Selbstbeherschung“ – es fehlt ihm oft in auffallender Weise „jene Linie mitten auf der Stirne, welche nach den Phrenologen die Fähigkeit der Selbstbestimmung andeutet“. „Wer wirklich blöde ist, wird nie vollsinnig und gesund.“ „Der Blöde ist wie ein andrer Mensch, aber er hat einen niedrigeren Horizont als der Gesunde, innerhalb dessen er nach seinem Maße alle Veränderungen des geistigen und geistlichen Lebens durchmachen kann wie wir vollsinnigen Leute; aber wie sehr er innerhalb seiner Schranken vorwärts komme, außer dieselbigen hinaus kommt er doch nicht.“ Da man eben deshalb nicht daran denken kann, den Blöden je zu einem brauchbaren Glied der menschlichen Gesellschaft heranzubilden, so muß man die Anstalt als die einzig für ihn passende Heimat und das Anstaltsleben als die größte Wohlthat für ihn erkennen. Dabei unterschied Löhe selbstverständlich unter den Blöden zwischen Bildungsfähigen und sog. Asylisten und hielt es für Pflicht, jede in einem Blöden schlummernde Anlage zu wecken und zu üben, um ihn dadurch auf eine höhere Stufe des geistigen Lebens zu erheben. Es gehöre – meinte er – dazu freilich nicht bloß ein Bienenfleiß, sondern noch mehr große Demut; aber es gebe für die, welche es verstünden, so arme Geister mit Brosamen zu füttern, doch auch lohnende Freuden des Gelingens.
.
 In der That wurde in Neuendettelsau viel treuer Fleiß auf| den Unterricht der Blöden verwendet. Man scheute die Mühe nicht, die Pfleglinge beim Unterricht in verschiedene Abteilungen einzureihen, deren man oft bei einem Gegenstand 4–5 bildete. Hauptgegenstand des Unterrichts war biblische Geschichte und Katechismus, außerdem die Lehrgegenstände der Volksschule: Lesen, Schreiben, selbst Rechnen (freilich für die meisten Blöden eine unüberwindliche crux), auch Geographie und Naturgeschichte wurde – natürlich nur auf der Stufe des Anschauungsunterrichts – gelehrt. Durch tägliche Übungen im Auswendiglernen suchte man das Gedächtnis zu stärken und zugleich Samenkörner göttlicher Gedanken in die Seelen der armen Blöden zu legen, durch Übungen im Artikulieren angeborne oder angewöhnte Fehler der Sprechweise zu überwinden. Selbst die „schönen Künste“ des Singens und Zeichnens standen auf dem Lehrplan der Blödenschule. Das Ziel steckte man sich so bescheiden als möglich. Nicht darin sah man die Aufgabe „das von der krankhaften Organisation der Blöden frei gebliebene Gebiet der Bildungsfähigkeit zu erweitern“, sondern darin: den Horizont dieser Bildungsfähigkeit zu erforschen und die Methode zu finden, wie man die wirklich vorhandenen aber verborgenen Keime hervorlocken und entwickeln könne“. Fremde, die früher bei den Jahresprüfungen des Diakonissenhauses sich gerne einfanden, pflegten namentlich den Prüfungen im Blödenhaus mit dem größten Vergnügen beizuwohnen und oft genug ihre Verwunderung über die Erfolge der Blödenschule auszusprechen – eine Anerkennung, die man den Schwestern von Herzen gönnen mochte, wenn auch von den Lobrednern nur die wenigsten eine Ahnung davon hatten, unter welch unsäglicher Mühe und Arbeit die relative Leistung zu Stande gekommen war. Schwerlich ist auch die Treue und der Fleiß, den die Dettelsauer Blödenschule auf die Unterweisung und Bildung ihrer Pfleglinge wendete, von andern ähnlichen Anstalten übertroffen worden. Die| Erfolge mögen anderswo glänzender gewesen sein, sowol die auf dem Gebiet des Lernens als auch die auf dem der Handarbeiten und mechanischen Fertigkeiten erzielten. Dies lag wol an dem bildungsfähigeren Menschenmaterial, welches man dort unter den Händen hatte. Wenigstens glaubte Löhe, der ja auch andre Anstalten besucht hatte und darum Vergleiche anstellen konnte, nirgends ein so elendes und verkommenes Geschlecht von Blöden gefunden zu haben wie es die Dettelsauer Blödenanstalt der überwiegenden Mehrzahl nach beherbergte. Gewiß aber hatte er Recht, wenn er meinte: die Blödenanstalten seien nicht dazu da, um durch glänzende Leistungen zu frappieren, und am Ende sei gerade die Arbeit an jenen Pfleglingen, bei denen kein großer Erfolg sichtbar werde, die schönste.
.
 Weitaus die Hauptsache bei aller Arbeit an den Blöden war ihm die geistliche Unterweisung und Erziehung. In dieser Beziehung war es für ihn ein Trost, auf der Lehre der lutherischen Kirche von der Kindertaufe und dem Kinderglauben fußen zu können. Es leuchtet ja ein, wie viel Trost und Ermutigung für alle seelsorgerische Bemühung mit den Blöden in der Wahrheit liegt, daß es auch ein geistliches Empfangen gibt, welches nicht durch das Selbstbewußtsein und das reflektierende Denken vermittelt ist, wie ja auf allen Stufen geistlichen Lebens die Aufnahmefähigkeit größer ist als die Fähigkeit der Reflexion oder vollends der Äußerung inneren Lebens. „Wir glauben – sagt Löhe einmal – daß ein blödes Kind viel mehr aufnimmt als es scheint, und daß der Tag der Ewigkeit davon die überzeugendsten Beweise liefern wird.“ Den Schriftgrund für diese Überzeugung fand Löhe in alle dem, was die heil. Schrift von der Disposition der Kinder für das Reich Gottes sagt. „Die Blöden sind und bleiben Kinder ihr Leben lang,“ pflegte er zu sagen, darum gehört ihnen das große Wort des Taufevangeliums: „Solcher ist das Himmelreich“| und das andre Matth. 18, 1–5, in welchem der Herr Kindeseinfalt und Demut als die allein zum Eingang ins Himmelreich befähigende Seelenverfassung bezeichnet. Man darf sie – meinte er – doch auch in gewissem Sinne zu jenen Unmündigen Matth. 11, 25 rechnen, über welchen der eingeborne Sohn Gottes seinen himmlischen Vater preist, daß er ihnen die Geheimnisse des Himmelreichs geoffenbart habe, die den Weisen und Klugen verborgen geblieben seien, und jedenfalls gehörten sie zu jenen „geringsten Brüdern“ Jesu, die der Herr selbst Matth. 25 zu seinen Stellvertretern einsetzt und in deren Namen er jede ihnen erwiesene Wohlthat belohnen will, als wäre sie ihm selbst geschehen. Von solchen Anschauungen aus hielt es Löhe für keine zu geringe Aufgabe, sich selbst mit der Unterweisung der Blöden abzugeben und auch seine geistlichen Gehilfen damit zu befassen. Den Konfirmandenunterricht pflegte er denjenigen Blöden, die er zum Genuß des Sakramentes zulassen zu können glaubte, selbst zu erteilen, ebenso sie zur Beichte und zum Empfang der Absolution anzuleiten. In den Jahren zunehmender Leibesschwachheit hielt er sonntäglich den Blöden Christenlehre und ließ sich in der Pfarrkirche durch seinen Vikar vertreten. Die Art und Weise, wie er da mit den Blöden verkehrte, war nicht blos in Folge der oft drolligen Antworten der Blöden ergötzlich, sondern durch die hier gebotene Beschränkung auf das knappste Maß des Inhalts und höchste Einfalt der Lehrweise auch für andre Zuhörer lehrreich und erbaulich.
.
 Auch für das leibliche Wohlbefinden der Blöden sorgte er nach Kräften. Da für die Blöden der Aufenthalt im Freien zur wärmeren Jahreszeit die größte Wohlthat ist, derselbe aber in der schattenlosen Umgebung der Blödenanstalt wenig erquicklich war, so scheute Löhe die Ausgabe von ca. 2000 fl. nicht, um den „Luxus“ einer Parkanlage zu schaffen, wodurch er es in der That erreichte, „den Gang rings um das Blödenhaus zum angenehmsten| in der ganzen Gegend zu machen.“ Denn im Lauf der Jahre sind aus den Reisern und Sträuchern stattliche Bäume und Bosquets geworden, die kühlenden Schatten spenden und dem Complex der Anstaltsgebäude als Rahmen dienen, aus dessen Einfassung sie sich um so wirkungsvoller abheben, gleich dem Baum, der (mit Löhes Worten zu reden) seine goldenen Früchte auch nicht an kahlen Zweigen, sondern im verhüllenden Schmuck seiner Blätter darbietet.
.
 Gerne hätte Löhe auch für das dem Blödsinn so nah verwandte und so oft mit ihm verbundene Elend der Epileptischen durch Gründung eines eigenen Epileptischenhauses in zweckmäßiger Weise gesorgt. An Epileptischen zwar hat es dem Diakonissenhause von Anfang nicht gemangelt, und zu den Insassen der Blödenanstalt stellten sie ein so bedeutendes Kontingent, daß dieselbe sich ganz wol „Anstalt für Blöde und Epileptische“ hätte nennen können. Löhe hatte auch für diese Leidenden ein besonderes Mitgefühl, hatte er doch als Kind bei einer seiner Schwestern dies Leiden in seiner fürchterlichsten Gestalt kennen gelernt. An eine Heilbarkeit des Übels hatte er allerdings nie gedacht, aber es schien ihm Lohns genug, wenn nur „unter treuer Pflege die Anfälle der Kranken sich verringerten oder verminderten, und ihr Geist und Sinn ergebener und fröhlicher würde“. Dies schien ihm aber am ersten auf dem Weg selbständiger Führung und Pflege der Epileptischen in besonderen Anstalten erreichbar. Indes noch seufzte die Blödenanstalt, von der das Epileptischenhaus hätte abgezweigt werden müßen, unter der Last ihrer Bauschulden.[1] Man scheute sich, dieselben aufs neue zu vermehren ohne Aussicht auf neue Hilfsquellen. Dem ohnehin nicht großen Kreis der Freunde und| Geber für die Anstalten wollte man nicht neue Anstrengungen zumuten. So erließ denn Löhe im Jahr 1868 einen Aufruf an alle, die für den genannten Zweck Teilnahme hätten oder Hilfe wüßten. Er dachte dabei sonderlich an solche Wohlhabende, die an Angehörigen des eigenen Familienkreises diesen Jammer der Menschheit kennen und bemitleiden gelernt hätten. „Wir fürchten uns nicht – so schloß sein Aufruf – zur Milderung des menschlichen Elends Schulden zu machen, wenn uns nur irgend der HErr und seine Glieder Mittel und Wege zu deren Abtragung zeigen. Ebenso aber wollen wir uns darein ergeben, dies unzweifelige Werk der Barmherzigkeit mit unsern Händen nicht zu berühren, wenn uns der HErr auf die Bitte und Anfrage, die wir durch diese Bekanntmachung wagen, die Antwort gibt, daß er uns in der guten Sache nicht haben will. Was Sein ist, dazu findet Er Seine Leute, und Seine erwählten Leute finden ihre Helfer und ihre Hilfe. Das haben wir selbst oft genug erfahren, das wissen und glauben wir und lassen Ihn darum walten.“

 Der Aufruf fand nicht den erwünschten Anklang. Löhe, der übrigens dem Ziel seines Lebens damals schon nahe gekommen war, mußte auf die Ausführung dieses Planes verzichten. Was als Erfolg des Aufrufs an Gaben einging, wurde zweckentsprechend zur Herstellung von Tobzellen verwendet.





  1. Die landeskirchliche Kollekte für die Blödenanstalt, die seitdem in dankenswerter Weise immer aufs neue wieder gewährt worden ist, war um diese Zeit zwar als einmalige bereits bewilligt worden, man hatte aber damals noch nicht den Mut, noch die sichere Hoffnung auf Gewährung einer zweiten Bitte.


« Der Betsaal Johannes Deinzer
Wilhelm Löhes Leben (Band 3)
Das Krankenwesen der Diakonissenanstalt »
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).