Wilhelmsthal bei Eisenach
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Die Gegend zwischen Eisenach und Bad-Liebenstein ist „der Thüringer Park“: – und ein Park ist’s, wie ihn nur die Hand des Allmächtigen schaffen, – wie ihn kein König, kein Millionär, keine Kunst herstellen konnte. Menschen haben dabei nichts zu thun gehabt, als ihn zugänglich zu machen, Wege zu bauen, Pfade zu ziehen, Durchsichten zu hauen und einzelne Partien mit den Zierden der Kultur zu schmücken. Zwei Punkte sind es vorzugsweise, die, bezüglich einer Fülle anmuthiger und romantischer Scenerie, mit einander um den Vorrang streiten: – Wilhelmsthal, ein Lustschloß des Weimarischen Hofs, und Bad-Liebenstein mit Schloß Altenstein, die Residenz der Meininger Herzogsfamilie in der schönen Jahreszeit.
Von Eisenach ist Wilhelmsthal zwei Stunden entfernt. Die Chaussee dahin führt durch das romantische Marienthal, hinan zur „hohen Sonne“, einem Jagdhause mit Kneipe, gelegen auf dem Scheitel einer felsigen Höhe mitten im wohlgepflegten Buchenforste. Die Straße ist streckenweise aus dem harten Konglomeratfels gehauen und auf mehren Punkten gönnt sie freie Blicke über Land und Wald. Von der „hohen Sonne“ aus lohnt es, die Straße zu verlassen und auf dem Fußsteige nach Wilhelmsthal zu wandern, auch den kleinen Umweg über den Hirschenstein nicht zu scheuen, ein aus Waldesnacht emporsteigender Bergrücken, von dessen spärlich bewachsener Zinne der Blick weit über Berg und Thal hin, westwärts bis zur Rhön, südwärts durch das offene Werrathal bis zu den Höhenzügen Frankens reicht. Dicht unter dem Hirschenstein, tief unten im Grunde, blicken die Gebäude Wilhelmsthals aus einem Kranze von bunten Wiesen und glitzernden Seen. Die Anlage ist so anspruchslos, einfach, traulich und friedlich – „ähnlicher einer Herrenhuter Kolonie, denn einer großherzoglichen Residenz“. Sie besteht aus einer Gruppe zweistöckiger Wohnungen und Oekonomiegebäuden und einem Wirthshaus. Das Schloß selbst ist ein kleines zweistöckiges Gebäude, eher ein Gartenhäuschen als ein Palast zu nennen, im italienischen Styl, dessen Säulenfronte sich dem See zukehrt. Ein Paar Blumenbeete umgeben es, breite Kiespfade führen an seine Pforte, eine Einfriedigung oder Schranke ist so wenig zu sehen, wie Garden und Polizei. Das Ganze ein Bild fürstlicher Bescheidenheit und Genügsamkeit, das jedem Fremden, der den Maßstab für die Sommerresidenz eines Monarchen den gewöhnlichen Vorstellungen entnimmt, überrascht.
[169] Das Schlößchen hat sich Karl August nach Göthe’s Entwurf gebaut, und es hat auch seinem Nachfolger genügt. Der zum Schloß gehörende Park bedeckt eine Quadratstunde Flächenraum. Ohne bestimmte Begrenzung schmilzt er unmerklich mit den Bergen und Thälern, Wäldern und Gründen der Umgebung zusammen.
Bequeme, guterhaltene Kiespfade durchwinden den Park in allen Richtungen, und überall, bald im Gebüsch versteckt, bald von den schönsten Baumgruppen beschattet, bald auf dem grünen Sammet eines Rasenplatzes, bald neben der Kaskade eines Forellenbachs, sind Sitze von Stein oder Holz angebracht, und kein Punkt, der einen schönen Ausblick gibt, ist ohne Ruheplatz, wäre es auch nur ein breiter, bemooster Felsblock. Manche werden als Lieblingsorte Karl August’s und Göthe’s (der manchmal von seinem fürstlichen Freunde auf ein Paar Wochen herbeschieden wurde) noch jetzt ausgezeichnet. Vor der einen dieser Bänke breitet sich der kleine See aus und tiefe Baumschatten färben seinen Spiegel. Die Sänger des Waldes lieben diese Stelle besonders, und mit tiefem Gefühle beschreibt der Fürst in einem Briefe an Göthe das Koncert, das ihm Grasmücke, Amsel, Drossel und Nachtigal an einem hellen Maimorgen gaben. – Auf einer andern, die von einem Hagedornbusch beschattet wird und mitten auf einer Wiese steht, saß der Fürst oft Stunden lang im Schmelze von tausend Blumen und lauschte dem Summen der Bienen und Käfer, oder sah dem Spiel der Schmetterlinge zu, die sich von Blumenkelch zu Blumenkelch jagten. – Auf einer Felsknppe, in der Tiefe des Waldes, hatte er sich mit eigner Hand ein Paar Steine zum Sitz hergerichtet. Dort sah er am liebsten die Sonne untergehen, und er hielt das Plätzchen so geheim, daß es nur wenige seiner Vertrautesten kannten. Manchmal verbrachte er da die Sommerabende bis Mitternacht, sich freuend des Himmels voll strahlender Welten, lauschend den Chorälen des Waldes, oder des fernen Wehrs, einathmend die Balsamdüfte, die über die blühenden Baumwipfel strömten. Verborgen vor der Welt konnte sich der Fürst in diesen heimlichen, genußreichen Stunden zur Ueberschau der großen Pflichten des Regenten, der allgemeinen Verhältnisse des Lebens, der Politik und der Menschheit ungestört erheben und seinen Geist von dem Kleinlichen freihalten oder befreien, das beständig so zudringlich an hochgestellten und großen Menschen sich hinanrankt, wie die Waldrebe an der Ulme oder dem Eichbaum. In solchen Weihestunden war es auch, wo jene Freiheit und Unbefangenheit der Anschauung und des Urtheils in seine Brust einzog, und jener Hochsinn seine Stärkung fand, der diesen Fürsten ausgezeichnet hat vor allen andern seiner Zeit. „Da erhält meine Seele“, schrieb er „ihre Botschaften vom Himmel, und selig, wie ein Gottverwandter, schaue ich hinein in das Meer seiner Welten und erfreue mich der Schönheit und Größe des Unbegreiflichen".