Winke für die Philadelphia-Reisenden. I

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Textdaten
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Autor: Moritz Lindeman
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Titel: Winke für die Philadelphia-Reisenden. I
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 14, S. 242
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1876
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
vgl. Winke für die Philadelphia-Reisenden. II
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[242] Winke für die Philadelphia-Reisenden. I. Gern versuche ich denjenigen Deutschen, welche die Weltausstellung in Philadelphia sehen wollen und die transatlantische Republik noch nicht aus eigener Anschauung kennen, einige Andeutungen über das Reisen in Amerika zu geben. Ich setze voraus, daß sie das nöthige Englisch sprechen und verstehen, oder mit Jemandem reisen, welcher ihnen in dieser Beziehung zur Seite steht. Der Rathschlag Philander’s von Sittenwald: „Leicht Gepäck“, gilt auch für Amerika. Nichts mehr als einen Handkoffer, den man nöthigenfalls selbst tragen kann. Der Reisende wird sich damit der Zudringlichkeit gewisser nichts weniger als unbestechlicher Zollbeamten bei der Landung überhoben sehen und sich überhaupt freier bewegen. Kann er aber einen oder mehrere große Koffer nicht entbehren, nun so lasse er ihn bei Touren in’s Innere entweder in Philadelphia zurück oder dirigire sein großes Gepäck mit Hülfe der trefflichen, in Europa bis jetzt noch nicht erreichten Expreßcompagnien voraus. Als Landungsplatz ist für den europäischen Neuling, wenn er nicht Werth darauf legt, Amerika zuerst durch die herrliche Bai von New-York kennen zu lernen, Baltimore vorzugsweise zu empfehlen; er wird dort sogleich den Zug für Philadelphia bereit finden, während er bei der Landung in Hoboken, sobald er nach New-York hinüberfährt, mitten in den stärksten Strudel des amerikanischen Lebens geräth. Für die erste Zeit verliert er sich daselbst, was seine Gefahren, freilich auch für den unternehmenden Reisenden seine Reize hat. Zunächst wird der Reisende wohl ein Hôtel aufsuchen, wenn nicht Bekannte oder gar Verwandte für seine Aufnahme gesorgt haben. Die Einrichtung der amerikanischen Hôtels ist ja zur Genüge bekannt. Man wird am besten thun, nur Hôtels ersten Ranges aufzusuchen, denn die Preisunterschiede werden durch die erhöheten Annehmlichkeiten der größeren Hôtels ausgeglichen. Postbriefkasten, Telegraphenbureaux, Dampfer- und Bahnbilletverkaufsstellen, neben vielen sonstigen, nur bei einem großen Verkehre zu beschaffenden Einrichtungen findet man eben nur in jenen. Freilich geht es unruhig und lärmend her: der geräumige Hausflur ist häufig eine Art Börse für rauchende, zeitungslesende und spuckende Yankees. Der allmächtige Dirigent, von dessen Huld und Wohlwollen es abhängt, ob du ein gutes oder schlechtes Zimmer erhältst, ist der Clerk (Buchhalter) an der Office, dem Bureau, wo sich der Reisende zuerst zu melden und in ein Buch einzutragen hat.

Der Bekannte wird dem Unbekannten bei der Anweisung des Zimmers natürlich vorgezogen, und Freiherr von Hübner schlägt deshalb alles Ernstes vor, sich Empfehlungen an die Clerks der betreffenden Hôtels zu verschaffen. Ich setze voraus, daß der Reisende nur ein bed-room, ein Zimmer mit Bett, – viel mehr Möbeln sind in der Regel überhaupt nicht darin vorhanden – verlangt; drawing-room, Wohnzimmer mit anstoßendem Schlafgemache, die besonders zu bezahlen, sind meist nur in den unteren Stockwerken zu haben, während die oberen vorzugsweise jene bed-rooms, sagen wir lieber: Schlafstellen, enthalten. Für solche Wohnung sammt Frühstück, Mittagessen und Abendbrod zahlt der Reisende täglich drei bis fünf Dollars Papier (nach dem gegenwärtigen Course zwölf bis zwanzig Mark). Für jede dieser meals (Mahlzeiten) sind bestimmte Stunden, je anderthalb bis zwei, festgesetzt und durch Plakate den Gästen kundgegeben. Bei diesen Mahlzeiten bedienen Schwarze, Weiße, Chinesen, auch wohl, wie ich in einem Hôtel in Boston Highlands fand, nach der neuesten Mode gekleidete Kellnerinnen, die den nach der Sitte weißgetünchten Speisesaal mit der bekannten amerikanischen Time-is-money-Schnelligkeit auf und abrauschen, aber kein Wort der Unterhaltung mit den Gästen wechseln dürfen.

Die amerikanische Küche zu besprechen, würde mich viel zu weit führen; sie ist stofflich reichlich, aber der zum ersten Mal in’s Land kommende Europäer muß sich oft sehr daran gewöhnen. Neben diesen Hôtels im amerikanischen Style giebt es auch mehrere nach europäischem Zuschnitt, das heißt solche, wo man nur für Wohnung (gewöhnlich einen Dollar täglich) zahlt, aber in einem Restaurant des Hauses Beköstigung à la carte gegen besondere Bezahlung haben kann. Solche sind z. B. Astor House und French Hôtel. Trinkgelder zu zahlen ist nicht Sitte. In der bezeichneten Summe ist Alles, auch „Lichte und Bedienung“ enthalten; die ersteren giebt es freilich nicht, da die Gasflamme auch in kleinen Städten an ihre Stelle tritt. Von Bedienung ist nun freilich nicht viel zu reden; nach öfterem Klingeln erscheint höchstens einmal ein Hausknecht. Was man etwa auf das Zimmer verlangt, sage man beim Eintritte in’s Hôtel dem Clerk, der auch alle Briefe für den Gast in Empfang nimmt und sie nicht etwa Dir auf das Zimmer schickt, sondern in das mit der Nummer des Zimmers versehene Fach, welches in seinem Bureau für die Aufnahme von Depeschen und Briefen vorhanden, legt, bis der Reisende im Bureau erscheint.

Mit vielen Hôtels sind Erfrischungs-, Billard-, Rauch-, Damen- und Lesezimmer verbunden, und der Elevator, jene Hebemaschine, welche den Gast mühelos in einem bequemen Coupé bis in sein Zimmer des vierten Stockes bringt, wird wohl jetzt noch viel allgemeiner sein, als vor drei Jahren. Briefpapier, Couverts und dergleichen werden dem Reisenden nicht besonders berechnet. Marken erhält er bei dem Buchhändler und Zeitungsverkäufer, welcher gewöhnlich auch gegen hohe Pacht eine Stelle im Hausflur oder ein Zimmer zu ebener Erde inne hat. Man mache nicht den Anspruch, nach seinen jeweiligen individuellen Bedürfnissen im Gasthause zu leben, sondern vergegenwärtige sich nur, daß der Einzelne eben nur ein Bruchtheil, nach Procenten berechnet, der zahlreichen Bevölkerung ist, welche ein vielbesuchtes Hôtel in der Regel hat. Das Fortkommen in den großen Städten und ebenso in den kleinen, welche bei der amerikanischen Bauweise auch verhältnißmäßig sehr ausgedehnt sind, geschieht mittelst der street-car, der Pferdeeisenbahn. Droschken giebt es wenige, und sie sind sehr theuer. Letztere – wer denkt nicht hierbei an die flinken, jederzeit bereiten Londoner Cabs? – haben den großen Vorzug, daß sie den in eine große Stadt wildfremd Hineinkommenden bis unmittelbar vor die Thür des Hauses, wohin ihn sein Geschäft ruft, bringen. Die Course der Pferdeeisenbahn muß der Reisende erst ein wenig studiren, doch wird dies durch die je nach der Linie verschiedene Farbe der Wagen und durch die regelmäßige Bauart der amerikanischen Städte erleichtert. Die „Cars“, wie sie der Amerikaner kurzweg nennt, haben ihre bestimmten Stationen, welche von dem Conducteur laut ausgerufen werden, oder der Conducteur findet auch, wenn der Fahrgast aussteigt, noch Zeit, demselben die Lage der von ihm gesuchten Straße mit „die erste zur Rechten, die zweite zur Linken“ anzudeuten, und überdem giebt der Vorübergehende dem Fremden auf seine Frage überall gern und höflich Auskunft. Da Gerhard Rohlfs in der vorigen Nummer dieses Blattes den nordamerikanischen Eisenbahnen bereits einen eingehenden Artikel gewidmet hat, so gehe ich auf dieses Thema hier nicht weiter ein, komme aber vielleicht später noch einmal darauf zurück.

Einige Unannehmlichkeiten muß jeder Reisende freilich für all das Interessante und Großartige, für all die Kenntnisse und reichen Eindrücke, welche ihm die Ausstellung und überhaupt der Besuch der Vereinigten Staaten bieten werden, mit in den Kauf nehmen. Das Gute und Angenehme wird bei Weitem überwiegen. Vor Allem wird der Amerikaner dem Fremden, der sein Land zu sehen gekommen ist, alle erdenklichen Erleichterungen bieten, und unsere deutschen Landsleute drüben werden in der Uebung der edlen Tugend der Gastfreundschaft nicht zurückstehen. Ich reiste vier Monate in den Vereinigten Staaten, und von ein paar unartigen Clerks und Bahnconducteuren abgesehen, kam man mir überall auf das Freundlichste und Liebenswürdigste entgegen. Indem ich aller dieser Freundlichkeiten, die ich mit meinem Gefährten drüben erfuhr, gedenke, spreche ich die feste Ueberzeugung aus, daß die in diesem Jahre der Jubelfeier der Republik Hinübergehenden sicher ähnliche Erfahrungen machen werden. Allen meinen lieben Landsleuten und Freunden drüben hiermit herzlichen Gruß! M. Lindeman.