Zum 1. April

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Autor: Carl Busse
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Titel: Zum 1. April
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aus: Die Gartenlaube, Heft 6, S. 176–177
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1898
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Zum 1. April


Wenn ich ’mal Söhne habe … nach Jahren,
Sie sollen mir eins im Herzen bewahren.
Da will ich den lauschenden Kinderseelen
Von einem Tag meiner Jugend erzählen.
Und ob mich die dunkelsten Schatten umwehn,
Sie sollen mein Auge leuchten sehn.

 *      *      *

Wir waren Studenten – drei Bursche gut,
Die Augen voll Glück, die Herzen voll Glut,
Und schickten zum Herrn, so die Welt regiert
Und sie gar meisterlich ausstaffiert,
Manchmal vor Tollheit und Jugendlust
Einen Juchzer aus voller Burschenbrust.

Da war es in goldnen Ferienstunden,
In Hamburg hatten wir uns gefunden,
Hatten schon wacker die Stadt besehn,
Hafengetöse – Wimpelwehn,
Vergaßen auch nicht über andern Sachen,
Den Mägdlein unter den Hut zu lachen,
Dann hurtig des Abends zum Glase gesetzt:
      „Brüder – was jetzt?“

So wurden denn mancherlei Heldenthaten
Von uns beraten.
Doch that auch Stimm’ über Stimm’ erschallen,
Das rechte Wort – es wollte nicht fallen.
Da ist der Jüngste denn aufgesprungen,
Mächtig ist seine Stimme erklungen.
Die Narben brannten in seinem Gesicht,
Sein volles Herz, es hielt ihn nicht.
Er sprach nur wenig, nur kurze Worte,
Er faßte sein Glas: „Brüder, hört zu!
Ich weiß ein Örtlein –“
  „Heraus mit dem Orte!“
Und jubelnd sagte er: „Friedrichsruh!“

Blitz! Wie fuhren wir andern drein!
„Das Wort – es mag dir gesegnet sein!“

 *      *      *

Ueber den Straßen und Plätzen lag
Sonnengoldig ein Nachmittag.
Der Himmel selber in aller Schöne,
Der sorgte für seine Musensöhne,
Führte bei hellstem Sonnenschein
Ins Dörfchen uns ein. –
Keuchend kamen die Züge und schwanden,
Wir grüßten sie froh,
Dann haben wir drei vor dem Schlosse gestanden
Und die Herzen klopften nur so!

Neben uns – gegen Park und Thor –
Schob sich langsam die Menge vor,
Neue Scharen drängten sich nach –
O wie das summte, lachte, sprach,
Bis plötzlich – halb verschollen – ein Klang
In all das Summen und Lärmen drang.
Lauschend neigte sich jedes Ohr,
Ein tiefes Schweigen in aller Runde,
Dann flog es hastig von Munde zu Munde:
      „Der Wagen fährt vor!“

Vorwärtsgeschoben, zusammengedrückt,
Eine Mauer – so sind wir vorgerückt.
Und als wir’s sahen – die Pferde – den Wagen
Ein Sturmwind, ist es emporgeschlagen:
Hin durch die Lüfte Strauß um Strauß,
Hundert Hände streckten sich aus,
Und die Kinder wurden emporgehalten,
So sahen auch sie den herrlichen Alten:
Ueber den Knieen leichte Decken,
Im breiten Schlapphut – so saß er da.
Mir blieb das Hurra in der Kehle stecken,
Doch die andern riefen Hurra!
Das war ein Jubel, ein Stoßen und Drängen,
Immer wieder flogen die Tücher empor,
Bis unter den vollen, brausenden Klängen
Der wagen sich rasch im Walde verlor.

Ein Alter – er war weit hergekommen –
Hatte sein Mützlein abgenommen.
Der stand, als alles vorüber war,
Noch immer in seinem weißen Haar.
Weit war die Welt versunken um ihn,
Er hatte auch nicht Hurra geschrien,

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Und mählich waren die meisten verstoben,
Lachten und lärmten vom Walde droben,
Da ward er lebendig, und siehe da,
Mit einem Male rief er Hurra,
So hell, so jubelnd, so tief beglückt,
– Dem hab’ ich vor Freuden die Hand gedrückt.

Zwei Stündlein mochten vergangen sein,
Von neuem schlossen sich die Reihn.

Und siehe: noch einmal das alte Gesicht,
Still und freundlich – eisern nicht!
Und immer wieder jubelnden Schalles
Die „Wacht am Rhein“, und was sangen wir alles!



Und als er thät den Wagen verlassen,
Gemach den schweren Krückstock fassen –
Unsagbar schwoll es in allen empor,
Hunderte stürmten ihm nach durchs Thor,
Da ward ihm selbst wie in alter Zeit
Das Herze weit;
Als wär’ der alte Leu erweckt,
Mächtig hat er sich aufgereckt,
Da stand er noch einmal, so schien es mir,
Der Halberstädter Kürassier,
Eisern – gewaltig – titanengroß,
Brausender brach der Jubel los.
Und als er sich dann hinüberbog,
Noch einmal grüßend den Schlapphut zog
Und bedächtig zu seinem Hause schritt –
Aller Herzen nahm er mit.

Die Thore geschlossen – das Brausen verhallt –
Wir gingen zurück durch den Sachsenwald.
Drunten und droben Klang und Schall,
Weiße Kleider flatterten überall.
Neckisch riefen von fernen wegen
Die Mädchen uns lustige Worte entgegen.

Was war’s? Kaum haben wir hingeblickt,
Haben nicht einmal Antwort geschickt:
Liebe – du bunter Schmetterling,
Mannestreue: ein besser Ding!

Mit freudigen Herzen und seltsam befangen,
So sind wir schweigend dahingegangen.
Haben uns jeder für Alltagswochen
Ein Zweiglein gebrochen,
Doch jeder für sich – ganz heimlich beim Gehn,
Als dürft’ es selber der Freund nicht sehn.

      Mit bunten Scharen
Sind wir nach Hamburg zurückgefahren,
Suchte wohl jeder in seiner Tasche,
Ob es auch reichte zur besten Flasche,
Es reichte – Hurra und ein Vivat drein!
Herr Wirt, nun leg’ er sich Ehre ein!

Bald stieg es empor – herb – frisch –
Der beste Tropfen auf unserm Tisch!
Das war’s – so hatten wir’s alle gewollt,
In grünen Römern deutsches Gold,
Gold vom Rheine – edelste Blüte –
Wärm’ auch weiter ein treu’ Gemüte!

Die Gläser zitterten in der Hand,
Wir haben keinen Namen genannt.
Doch als wir drei sie hoben und führten,
Daß sich die vollen tönend berührten,
– Wie’s da zu unsern Ohren drang!
Den ganzen Raum durchlief der Klang,
Das macht’, es stimmten wunderfein
Drei junge begeisterte Herzen ein!
Und leuchtenden Auges setzten wir an –
Ward wohl tiefer Trunk gethan!

So haben wir drei zusammengesessen,
Keiner von uns hat die Stunde vergessen.
Und Jahr für Jahr, am ersten April,
Thut jeder gar heimlich und lächelt still,
Und jeder von uns, wo er auch sei,
Holt seine beste Flasche herbei,
Füllet sein Glas und neiget sich:

Otto von Bismarck, wir grüßen Dich!
 Carl Busse.