Zur Maifeier

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Textdaten
Autor: Rudolf Lavant
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Titel: Zur Maifeier
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aus: Die Neue Welt
Nr.17, S.129
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Erscheinungsdatum: 1894
Verlag: Goldhausen
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Erscheinungsort: Leipzig
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Zur Maifeier.

Dich läuten nicht der Dome Glocken ein,
Dir flammen nicht am Hochaltar die Kerzen,
Dir tönen keines Priesters Litanei’n ―
Was wissen die vom Volk und seinen Schmerzen?

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Doch wirst du deshalb um so theurer sein

Millionen treuer, kummervoller Herzen,
Die außerhalb des Kirchenschattens stehen
Und eig’ne Wege still und muthig gehen.

Das Volk hat nichts mit Denen mehr gemein,

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Die es in Schlaf gelullt durch Sang der Pfaffen,

Um ungestört sich ihrem Zweck zu weih’n,
Dem löblichen Erlisten und Erraffen.
Man gab ihm statt des Brotes einen Stein ―
So hat sich’s denn ein eig’nes Fest geschaffen,

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Das mächtig rührt an sein geheimstes Leben,

Dem seine ganze Seele sich ergeben.

Geschieden ist durch eine tiefe Kluft
Das Fest der Arbeit von den andern allen.
Es hüllt uns nicht in schwülen Weihrauchduft,

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Es führt uns nicht in düst’re Kirchenhallen.

Die Stirn zu baden in der Maienluft,
Läßt es hinaus zu Hain und Flur uns wallen
Und in des Waldes feierlichem Rauschen
Dem ew’gen Wort der großen Mutter lauschen.

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Kein müßig Hirn hat spielend es erdacht,

Gleich manchem hohen Kirchenfest der Frommen.
Wie wären sonst aus ihrer Gruben Nacht
Auf steiler Leiter sie empor geklommen?
Vom Ofen, der zu ew’ger Gluth entfacht,

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Und von der Werft, wie wären sie gekommen?

Wie wäre seinethalb’ zu kurzen Pausen
Gelangt des Webstuhls ruheloses Sausen?

Nein, als das Wort in ihre Herzen fiel,
Da jauchzte auf das Volk in allen Landen,

35
Denn eine Losung gab das Wort, ein Ziel ―

Den ersten Mai, den haben sie verstanden!
Sie richteten in Hast des Schiffleins Kiel
Nach diesem Stern, der hell und klar erstanden
Und der verhieß: „zu lieblichen Gestaden

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Führ’ ich der dunklen, wüsten Fluth Nomaden!"


Sie wollten nicht die seelenlose Fron
Erneuert seh’n mit jeder grauen Frühe,
Sie wollten nicht für einen Hungerlohn
Die ungeheure, nimmersatte Mühe,

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Und nannten’s Schande, Tyrannei und Hohn,

Daß nur dem Herrn des Wissens Fackel sprühe,
Daß er allein am Born der Künste schlürfe,
Dem nur von fern das Volk sich nahen dürfe.

Denn auf dem Grunde aller Herzen lag

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In Ost und Westen, wie in Süd und Norden,

Die Sehnsucht längst nach dem Achtstundentag,
Für den die Menschheit mälig reif geworden.
Dawider möge streiten, wer da mag ―
Er fas’le nur von arbeitsscheuen Horden!

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Den von der Hand des Trugs gewebten Schleier

Zerriss des ersten Maitags erste Feier.

Daß Völker, die einander nicht versteh’n
Und die sich darum Hass mit Hass vergalten,
Im Erbfeind heute einen Bruder seh’n,

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Dem sie die Arglist künstlich fern gehalten,

Daß Arm in Arm die Langentzweiten geh’n ―
Wem dünkt es nicht wie eines Wunders Walten?
Ja, Ruhm und Ehre sei dem Maienfeste,
Das siegend bannt des dunk’len Wahnes Reste!

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Die Jahr um Jahr die Welt mit Trost beglückt,

Sei uns gegrüßt, erhaben-schlichte Feier,
Die königlich und jugendlich sich schmückt
Mit zarten Birkengrünes losem Schleier ―
Ein Ehrentag für Alle, die gedrückt,

70
Ein Tag des stummen Grimms für die Entzweier!

Und über dir in blauer Luft mag klingen
Der sonnenfrohen Lerchen hellstes Singen!
                                                                      R. Lavant.