Zur Naturgeschichte des deutschen Komödianten/Berichtigung

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Autor: George Hiltl
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Titel: Zur Naturgeschichte des deutschen Komödianten
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 24, S. 392–394
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1874
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Zäger : Theaterdiener an der K. Bühne zu Berlin : gest. 1861 zu Berlin, ULB Darmstadt digital
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Zur Naturgeschichte des deutschen Komödianten.*[1]

Berichtigung.

Die Nummer 19 der Gartenlaube enthält einen Artikel „Theaterdiener und Theaterfriseur“, welcher die Fortsetzung einer Reihe von Erinnerungen aus dem Bühnenleben bildet. Sie tragen den Titel „Zur Naturgeschichte des deutschen Komödianten“. Wie viel oder wenig des Authentischen die früher erschienenen Abtheilungen enthalten, vermag ich nicht zu entscheiden; aber der Artikel in Nr. 19 bringt eine Anzahl von Schilderungen einzelner Persönlichkeiten, gewisse Anekdoten und Mittheilungen, welche die königliche Bühne zu Berlin, resp. deren Angehörige betreffen, und es scheint mir geboten, diesen Aufzeichnungen entgegenzutreten, welche größtentheils vollständig unrichtig sind.

Man kann mir einwenden, daß die in dem Artikel enthaltenen Schilderungen Personen betreffen, deren Lebensstellungen nicht von so hervorragender Bedeutung gewesen sind, daß es sich der Mühe einer Berichtigung lohne. Abgesehen davon, daß nicht alle in dem Aufsatze der Nr. 19 besprochenen Personen zu den Unbedeutenden gehören, bin ich der Ansicht, man dürfe die Verbreitung unrichtiger oder entstellter Mittheilungen nicht stillschweigend geschehen lassen, wenn es sich um Personen- und Zeitschilderungen handelt, welche in einem Blatte von dem Range der „Gartenlaube“ Aufnahme gefunden haben, man dürfe dies um so weniger geschehen lassen, wenn man sich in der Lage befindet, jene [393] Unrichtigkeiten widerlegen zu können. Die Gartenlaube wird ohne Zweifel in späteren Zeiten eine Quelle sein, aus der Schriftsteller Material für umfangreiche Arbeiten, Schilderungen und Belege schöpfen. Weshalb soll diese Quelle getrübt werden? Und gerade für die Zeitgeschichte, insbesondere für die des Theaters, sind Details von höchstem Werthe; sie bilden die Steine, aus welchen der ganze Bau sich zusammensetzt.

Ich will gern annehmen, daß der Verfasser des betreffenden Artikels nicht absichtlich jene vielfachen Unrichtigkeiten seinem Aufsatze einverleibte; sie sind ihm augenscheinlich von Leuten mitgetheilt worden, die er für glaubhaft hielt, die, wie man zu sagen pflegt, Glocken läuten hörten, ohne zu wissen, wo sie hingen – und er nahm jene Mittheilungen auf Treu’ und Glauben hin; dann aber sei es erlaubt, ihm den Vorwurf zu machen, daß er sich selbst als handelnde Person einführte und den Leser dadurch zu der sehr verzeihlichen Annahme verleitete, daß alle von ihm gebrachten Aufzeichnungen den Anspruch auf vollständige Richtigkeit und Glaubwürdigkeit erheben dürften.

Der Verfasser will als Knabe zur Zeit des berühmten Ludwig Devrient die genaue Bekanntschaft des alten würdigen Zäger gemacht, sich seiner besondern Protection erfreut haben. Er hat, seinen Aufzeichnungen nach, den Alten noch eine ganze Zeit lang durch das Leben begleitet, muß also, wenn seine Aussagen richtig sind, sehr wohl Gelegenheit gehabt haben, den Charakter, die Art und Weise, das ganze Gebahren des alten Herrn kennen zu lernen. Dieses Charakterstudium ist aber jedenfalls ein sehr oberflächliches gewesen, denn der alte Zäger hat niemals ein solches Wesen zur Schau getragen, sich niemals in solchen Ausdrücken gefallen, wie der Herr Verfasser in Nr. 19 den Lesern der Gartenlaube glauben machen will. Wahr und richtig ist, daß Zäger in Folge seiner Rechtlichkeit das Vertrauen seiner Vorgesetzten in hohem Grade genoß, daß er ein sehr braver, gutmüthiger und freundlicher Mann war, dem Jeder ohne Ausnahme wohlwollte; schon mit diesen vom Verfasser angeführten Eigenschaften möchte die betonte „Wichtigthuerei“ sich ebenso wenig vereinbaren lassen, als das fast brutale Betragen gegen die Zöglinge des Ballets im Vorzimmer des Intendanten. Zäger war vielmehr ein sehr bescheidener, äußerst höflicher Mann, über dessen Lippen Ausdrücke wie „Bande“, „Bagage“, „Couleur“, „Sorte“ etc. niemals kamen. Ich bemerke hier sogleich, daß ich, seit dreißig Jahren der königlichen Bühne angehörend, fast täglich mit dem Alten – während einer Reihe von siebenzehn Jahren – zusammengekommen bin und stets dieselbe artige, freundliche und bescheidene Weise an ihm wahrgenommen habe, welche ihn uns Allen lieb und werth machte. Zäger hat niemals vergessen, daß seine Stellung eine subalterne war; das werden außer mir dem Herrn Verfasser noch viele meiner Collegen und die Beamten der Generalintendantur bezeugen können.

Dies zur allgemeinen Berichtigung. Gehen wir nun auf Details über, so findet sich gleich im ersten Satze ein gewaltiger Fehler in der Zeitrechnung. Verfasser hat zur Zeit Devrient’s den Alten kennen gelernt. Nehmen wir das Aeußerste an, so wäre diese Zeit etwa das Jahr 1830 bis 1831 gewesen, weil Devrient, der 1832 starb, noch als Darsteller des Franz Moor angeführt wird. Damals soll Zäger schon ein hochbetagter Mann gewesen sein. Zäger starb im Jahre 1861 im Alter von neunundsiebenzig Jahren; nehmen wir an, der Verfasser lernte ihn Anno 1831 kennen, so hätte er die Bekanntschaft eines neunundvierzig Jahre alten Mannes gemacht, den er sehr irrthümlich hochbetagt nennt.

Die folgende dem Alten in den Mund gelegte Aeußerung: „Ich und der Intendant werden uns die Sache überlegen“, ist entschieden nie von ihm gemacht worden. Er war dazu viel zu bescheiden; daß die Diener des königlichen Theaters den Ausdruck: „Morgen spielen wir dies oder das“, oder „wir probiren morgen“, gebrauchen, ist bekannt, und die Bezeichnung „wir“ wird von einzelnen Subalternen auch bei anderen Ressorts, als es das königliche Theater ist, angewendet.

Für total unwahr erkläre ich die Geschichte der Ueberbringung der Rolle der Lady Macbeth an Frau Crelinger. Es hätte Einer dem alten Zäger zumuthen sollen, solch einen Auftrag durch einen Fremden ausführen zu lassen! Bis in die letzten Tage seines Lebens, schon krank und leidend, bestand er immer darauf, jeden Auftrag selbst zu vollziehen. Am allerwenigsten würde aber der – wie bemerkt – durch seine strenge Rechtschaffenheit, seine Pünktlichkeit den Vorgesetzten werthe Diener einen so wichtigen Auftrag durch einen „Jungen“ zur Erledigung gebracht haben. Der Herr Verfasser muß seltsame Anschauungen von dem Getriebe der Verwaltung des königlichen Theaters haben. Einer Crelinger, der ersten, der gefeiertsten Künstlerin des Hoftheaters, bringt ein Junge die Rolle der Lady Macbeth mit der Bitte, dem braven Theaterdiener Zäger zu Gefallen keine Störung zu machen. Was Frau Crelinger wohl geantwortet hätte? Und Zäger beauftragt den „Jungen“ mit einer Mission von so großer Wichtigkeit, weil er nicht „fort kann, denn es geht ohne ihn nicht“. – Der Verfasser documentirt hier seine vollständige Unkenntniß des Verwaltungsbetriebes des Hoftheaters, denn schon zu Zeiten Sr. Excellenz des Herrn Grafen Redern waren vier Theaterdiener (Schulz, Zäger, Linke, Hoffmann) angestellt, von denen stets einer für besondere Fälle auf dem Posten sein mußte, wie dies heute noch der Brauch; Zäger hätte also wahrlich nicht nöthig gehabt, einen „Jungen“ zur ersten Darstellerin der Bühne mit einer Rolle wie die der Lady Macbeth zu senden. Außerdem möchte ich fragen: „Wie kommt die Rolle in Zäger’s Hand?“ Frau Crelinger war ja Besitzerin der Rolle, und es ist niemals Brauch, eine Rolle von solcher Bedeutung der Verwaltung einzusenden, wenn eine Störung, Krankheit oder sonstige Hindernisse dem Darsteller die Ausübung seines Dienstes unmöglich machen – für Lady Macbeths giebt es keinen sofortigen Ersatz.

Der Verfasser will als Knabe sich dem Statistendienste in Oper und Schauspiel gewidmet, er will als Affe in der Zauberflöte gewirkt haben – möglich, daß er zu solchem Dienst verwendet wurde, dann hat er aber die „Zwei Groschen“ nicht durch den „Statistengeneral“ Herrn von Michelis ausgezahlt erhalten, denn zur Zeit Devrient’s war mit jener Würde der alte Wack betraut. Michaelis – nicht Herr von Michelis – erhielt die Stelle viel später, etwa Mitte der vierziger Jahre. Der lange Michaelis, unser guter College, spielte nicht nur eine Rolle, den Samiel, sondern war vielmehr ein sehr stark beschäftigter Schauspieler, ein Darsteller kleiner, oft nicht unwichtiger Rollen in der Oper wie im Schauspiel, z. B. als Bob in „Die weiße Dame“, Frießhardt in „Tell“ und Andere mehr. Seine Söhne haben niemals die Bretter betreten, sondern eine viel zu gute Erziehung genossen, als daß sie sich als „Statisten“ auf der Bühne „umhergetrieben“ hätten.

Die Notiz über eine kleine Probenscene erkläre ich für ebenso unwahr, wie die Geschichte der Lady-Macbeth-Rolle. Der treffliche Stawinsky, ein wahrhaft feiner, hochgebildeter Mann, würde niemals seine Mißbilligung der Darstellung einer Crelinger dem Theaterdiener Zäger mitgetheilt haben. Stawinsky war – und mit vollem Rechte – ein hoher Verehrer der großen Darstellerin, und der alte Zäger würde es seinem ganzen bescheidenen Wesen nach nie gewagt haben, Aeußerungen, wie sie der Herr Verfasser mittheilt, über die Crelinger laut werden zu lassen. Mit einem spanischen Rohre dirigirte Stawinsky nicht. Er zog, wenn die Probe begann, seine Brille hoch und hielt seine Dose in der Hand; in den Opernproben stampfte er zuweilen mit seinem Stocke auf, wenn er reden wollte, um sich bei dem Geräusche und dem Schalle der Instrumente Gehör zu verschaffen.

Zäger hat nie „Breitspurigkeit“ im Vorzimmer des Intendanten gezeigt. Ebenso wenig war er „aufdringlich“ mit seiner Unterhaltung. Er war vielmehr sehr einsilbig, und nur mit genauen Bekannten ließ er sich in Gespräche ein, wobei er durchaus nicht schnell und geschwätzig war, es auch nicht sein konnte, weil er stotterte. Die Mittheilungen von Kritiken und Bemerkungen Zäger’s über Devrient gehören wohl ebenfalls in die Kategorie der oben angefochtenen; ebenso wenig nannte er sich einen „ollen Kunstkenner“, und seine Tochter, ein sehr liebenswürdiges Mädchen, welche Pagen und kleine Soubretten darstellte – sie lebt heute noch im besten Wohlsein – würde Zäger nie mit einer Crelinger zu vergleichen gewagt haben.

Das Benehmen Zäger’s gegen die Tänzerinnen im Vorzimmer des Intendanten gehört, der Schilderung des Herrn Verfassers nach, in die Kategorie des Brutalen. Die Schmeicheleien der jungen Mädchen scheinen eine Art von humoristischer Beilage bilden zu sollen, welche der simulirten Grobheit Zäger’s die Schärfe nehmen soll; ich habe mich über diese schon oben ausgesprochen, bemerke aber doch dem Herrn Verfasser noch nachträglich, daß ein solcher Ton in den Vorzimmern des Intendanten des Berliner Hoftheaters von den Theaterdienern nicht angeschlagen wurde und bis heute auch nicht angeschlagen wird. Mit „Sorte“, „Bande“ etc. redet kaum der Director einer reisenden Truppe heutzutage seine Mitglieder an. Bei der Hofbühne zu Berlin sind dergleichen Bezeichnungen nicht gebräuchlich – Zäger wäre der Letzte gewesen, sie anzuwenden. Die Zuneigung für den Alten Seitens der Balletdamen scheint mir bei den Haaren herbeigezogen, denn Zäger konnte niemals in so genauer Beziehung zu den Mitgliedern des Ballets stehen, weil seine Functionen ihn selten mit denselben in Berührung brachten. Die Theaterdiener der königlichen Bühne sind für Dienste bei Oper und Schauspiel bestimmt; Dienste beim Ballet verrichtet der Avertisseur, welcher mit den Dienern der Opern und des Schauspiels gar keine Gemeinschaft hat.

Total unrichtig sind die über Zäger’s frühere Lebensstellung gebrachten Notizen. Er war nicht Factotum bei Rust, sondern bei Hufeland. Hier haben wir die läutenden Glocken, die man hört, ohne sie zu sehen.

Im Dienste Hufeland’s kam Zäger mit Schiller in Berührung, der nach Berlin gekommen war, um neben anderen Angelegenheiten auch die Untersuchung seines Körpers durch Hufeland zu betreiben. Schiller wohnte bei Hufeland. Hier rasirte Zäger ihn täglich, und da der große Dichter an heftigem Husten litt, mußte Zäger des Nachts bei ihm wachen und zur Linderung der Hustenanfälle isländischen Moosthee bereit halten. Zäger hat mir oft genug sein Zusammensein mit Schiller erzählt, der beispielsweise an Hufeland’s Tafel die Geschichte seiner Flucht aus Stuttgart zum Besten gab. Zäger schilderte ihn allerdings als sehr liebenswürdig.

Nun hat man aber dem Herrn Verfasser in Nr. 19 wieder allerlei confuse Dinge mitgetheilt; Zäger lernte Herder, Wieland und Goethe kennen, aber sie waren nicht bei Rust (!!), auch nicht bei dem wirklichen Brodherrn Zäger’s, dem berühmten Hufeland, zum Besuche. Hufeland war dagegen in Weimar, wohin Zäger ihn begleitete. Hier sah er die Größen der Dichtkunst; er erzählte mir oftmals, wie Herder ihn in seinem Garten umhergeführt habe. Sein Urtheil über Goethe, der meines Wissens überhaupt nicht in Berlin war, stimmte allerdings mit dem in dem genannten Aufsatze angeführten überein, dagegen habe ich nie von ihm Schiller’s Gesicht in solcher Weise schildern hören, wie es der Herr Verfasser in Nr. 19 berichtet. Er pflegte zu sagen: „An seiner schönen, langen Nase habe ich ihn oft beim Rasiren gehalten.“ Daher mag auch wohl in dem Aufsatze die Notiz Platz gefunden haben: der Alte habe die ganze Dichtergesellschaft bei der Nase gehabt. Bemerkt sei noch, daß Zäger mir erzählte, wie Hufeland ohne jede Rückhaltung in Weimar dem großen Dichter die Zeit seines Absterbens fast bis auf Tag und Stunde vorausgesagt habe.

Die Notizen über den alten Warnicke sind so gehalten, wie sie Jeder bringen würde, der in den Straßen Berlins flanirte und den merkwürdigen alten Herrn in seinem sonderbaren Aufzuge sah, doch habe ich Warnicke oft mit bedecktem Haupte gesehen. Eine intime Freundschaft zwischen ihm und Zäger bestand durchaus nicht.

Bis hierher kann man die von dem Verfasser in Nr. 19 gebrachten Notizen noch als pure Irrthümer bezeichnen.

Anders aber verhält es sich mit der den Schlußsatz bildenden Erzählung. In derselben wird eines bedeutenden Mannes in einer Weise [394] gedacht, welche ganz dazu angethan erscheint, dem Andenken desselben zu schaden. Der Verfasser zieht die Person des Regisseurs Weiß in den Kreis seiner Betrachtung.

Weiß war eine der ausgezeichnetsten Persönlichkeiten, welche überhaupt die Geschichte des deutschen Theaters aufzuweisen hat. Nicht allein glänzte er als Darsteller in dem ihm zugewiesenen Rollenfache, seine hohe geistige Begabung, sein glänzendes Talent für den geistigen Theil der Regie, die Macht des Wortes, welche ihm namentlich in der Unterhaltung über künstlerische Gegenstände zu Gebote stand, seine großartige Anschauungsweise – dies Alles machte ihn schon zu einem Gegenstande hoher Verehrung für alle diejenigen, welche das Glück hatten ihm naher treten zu können. Vermehrt aber wurde diese Hochachtung noch besonders durch das Beispiel des regsten Eifers für die Sache der Schauspielkunst, welcher Weiß thatsächlich sein ganzes Leben gewidmet hat, durch die fast übertriebene Pflichttreue, welche er – oft im Kampfe gegen die Leiden seines zarten Körpers – an den Tag legte.

Mit dem Glockenschlage erschien er zur bestimmten Zeit auf den Proben. Gleichviel ob ausübender Darsteller oder nur mit der Regie betraut, fand er sich jeden Abend zur rechten Zeit im Theater ein. Er nahm, wenn er nicht als Darsteller beschäftigt war, sofort seinen Sitz im Versammlungszimmer ein. Ehe die Vorstellung begann, revidirte er genau die Bühne, die Requisiten etc. und kehrte dann wieder zu seinem Platze in das Versammlungszimmer zurück. Hier saß er in der Ecke des noch heute vorhandenen Sophas; hier konnte man in freien Momenten sich an seiner hochinteressanten Unterhaltung, an den Spenden seines seltenen Geistes erfreuen; hier war es, wo man sich oftmals Rath und treffliche Hinweise erholen durfte, mit denen der ausgezeichnete Mann niemals kargte. Er war von der liebenswürdigsten, vollendetsten Form im gesellschaftlichen Umgange und schätzte jedes Talent; wodurch aber auch der Begabteste seine Gunst verscherzen konnte, das war eine Verletzung der Dienstpflicht, eine Unpünktlichkeit. Er verzieh dergleichen nur schwer – er vergaß es nie.

Einen solchen Mann läßt der Verfasser in Nr. 19 mit Warnicke und Zäger, dem Friseur und dem Theaterdiener, schach- und kartenspielend auftreten, während draußen die Vorstellung stattfindet, in welcher Weiß beschäftigt ist, der denn auch natürlich den richtigen Moment des Auftretens versäumt und dafür ein Mal vom Publicum durch Pfeifen und Zischen, das andere Mal von der Intendanz durch ein Mandat, welches die Spielpartie in der Garderobe verbietet – gestraft wird.

Ich enthalte mich der näheren Bezeichnungen, welche diesen Mittheilungen gebühren, aber dem Herrn Verfasser kann ich die Versicherung geben, daß sie eine wahrhafte Entrüstung bei allen den Mitgliedern des Hoftheaters wach gerufen haben, welche jemals in irgend einer Beziehung zu Weiß standen. Ihm nahte man sich nur mit jener Ehrerbietung, die uns unwillkürlich erfaßt, wenn wir ausgezeichneten Menschen gegenübertreten; sie macht bei aller Liebenswürdigkeit jede Cordialität unmöglich. Die hervorragendsten Persönlichkeiten hatten vor Weiß gewaltigen Respect. Er hatte es vermocht, Ludwig Devrient, als diesen die unselige Leidenschaft des Trunkes erfaßt hatte, eine Zeitlang von der Champagnerflasche fern zu halten. Als leider Devrient im Kampfe gegen seine Gelüste erlag, wagte er es nicht, Weiß sofort gegenüber zu treten, und als dieser ihm, ohne ein Wort zu sprechen, den Blick fest auf das gewaltige Antlitz des großen Menschendarstellers geheftet, nahte, senkte Devrient beschämt seine Feueraugen zur Erde und stotterte, mit der von der Gicht gekrümmten Hand jene bekannte, schnellende Bewegung machend: „Ach – was Du Dir wieder denkst!“ Weiß war ein aristokratischer Schauspieler. Er würde niemals mit Leuten wie Warnicke und Zäger vertraulich geworden sein, so sehr er sie auch als brave Männer schätzte. Er war in den ersten Kreisen gesucht, und jene Beiden zählten sich, bescheiden und sich ihrer Stellung bewußt, zu den Untergebenen des Regisseurs, dem sie, wie Alle, ihre Hochachtung zollten.

Warnicke schlich nicht in das Theater, um hier und da an den Frisuren der Damen etwas zu ordnen; als er pensionirt worden war, besuchte er wohl hin und wieder die Stätte seines ehemaligen Wirkens, aber er that keine Dienste daselbst. Diese Pensionirung soll nun nach Nr. 19 schon zu jener Zeit und zwar damals „schon lange“ stattgehabt haben, als Hendrichs zum ersten Male die Hofbühne betrat. Dieses Auftreten geschah am 28. Juni 1838. Warnicke ist pensionirt worden am 1. November 1846, also etwa acht Jahre später, als der Artikel in Nr. 19 angiebt.

Weiß spielte überhaupt weder Schach noch Karten. Er kannte beide Spiele nur dem Namen und dem Ansehen nach. Die noch lebende Gattin und die beiden Söhne, die Herren Maler Ferdinand und Professor Hermann Weiß, Vorsteher des königlichen Kupferstich-Cabinets und Verfasser des berühmten Werkes über Costümkunde, können dies bezeugen.

Hendrichs ist nicht bei seinem ersten Erscheinen an der Berliner Hofbühne als Don Carlos, sondern als Don Cesar (Braut von Messina) aufgetreten, hat überhaupt während jenes Gastspiels nur den Clavigo, den Isidor, den Prinzen in Emilia Galotti und den Sittig in „Bürgerlich und romantisch“, nicht aber den Infanten Don Carlos dargestellt. Weiß konnte daher auch nicht als Domingo bei dem Gastspiele eines Künstlers fungiren, der den Carlos nicht darstellte. Wenn aber Hendrichs auch den Sohn des zweiten Philipp zur Darstellung gebracht hätte, so würde Weiß den Domingo nicht gespielt haben, da jene Rolle sich schon seit 1837 gar nicht mehr in seinen Händen, sondern im Besitze von Emil Franz, gegenwärtig am kaiserlich königlichen Hofburgtheater zu Wien, befand.

Eines Vorfalles, der irgend welche Aehnlichkeit mit dem in Nr. 19 angeführten haben konnte, weiß sich Niemand bei uns zu erinnern, er müßte aber zu ermitteln sein, und zwar amtlich, denn der Verfasser jenes Aufsatzes theilt mit, daß durch ein Mandat der Intendanz dem Trifolium das Vergnügen des Spiels zu Wasser gemacht worden sei. Ein solches Mandat ist in den Acten des königlichen Hoftheaters, welche mit größter Gewissenhaftigkeit durch Herrn Geheimerath Heuser geführt werden, nicht zu finden. Heuser ist zu jener Zeit schon längst in Function gewesen, und bezeugt, daß solcher Vorgang nie zur Kenntniß der Intendanz gekommen oder irgend eine darauf bezügliche Anordnung erlassen worden sei. Es konnte also auch dem alten Warnicke deshalb nicht der Zutritt zur Bühne verboten werden. Er besuchte sie noch öfter nach seiner Pensionirung, Niemand weigerte ihm dies. Und damit der Artikel in Nr. 19 auch bis zum letzten Satze mit Unrichtigkeiten angefüllt bleibe, wird noch erzählt, daß Zäger kurze Zeit nach seinem Freunde (!) Warnicke gestorben sei. Warnicke starb 1851 den 1. October, Zäger am 29. März 1861 (!!) – Es dürfte mit diesem Allen wohl dargethan sein, was von der Richtigkeit jener Schilderungen in Nr. 19 zu halten sei. Sie zu widerlegen erschien als Pflicht. Die Verhältnisse des Theaters sind ohnehin schon, ebenso wie die Leistungen der Darsteller, mit dem traurigen Vorzuge begabt, eine willkommene Beute für Jeden zu sein, der sich ihrer bemächtigen will. Dagegen giebt es eben kein Mittel als das der Widerlegung, das leider nicht immer zur Hand ist, das aber, wo es irgend thunlich scheint, angewendet werden muß. Verhehlen kann ich mein Erstaunen darüber nicht, daß der Herr Verfasser, der selbst darstellender Künstler war (oder es noch ist?), mit so wenig Vorsicht und ohne alle Prüfung gewisse ihm zugegangene Mittheilungen benutzt, in denen unrichtige und entstellte Thatsachen über Personen beigebracht werden, von deren hoher Bedeutung für die Bühne er als Darsteller und Schilderer vergangener Zeiten ohne Zweifel Kenntniß haben mußte. Genaue Prüfung des zugegangenen Materials war hier um so mehr geboten, als die Redaction der Gartenlaube in solchen Fällen der Zuverlässigkeit ihrer Mitarbeiter vertrauen muß.

George Hiltl.



  1. * Indem wir wegen der mannigfachen Unrichtigkeiten, welche der Artikel „Theaterdiener und Theaterfriseur“ in Nr. 19 unseres Blattes enthält, noch einmal eines Längeren auf denselben zurückkommen, folgen wir darin nur dem Gefühle der Gerechtigkeit. Wir sehen uns zu einer Berichtigung des Aufsatzes namentlich deßhalb veranlaßt, weil es gilt, zwei in demselben falsch geschilderte Persönlichkeiten in dem Andenken der Gegenwart und Nachwelt wieder in das richtige Licht zu setzen.
    D. Red.