Zwei Schwindlerinnen

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Textdaten
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Autor: M. Sch.
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Titel: Zwei Schwindlerinnen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 1, S. 18
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1873
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[018] Zwei Schwindlerinnen. Reisende, die über Augsburg nach München fahren, bemerken, ehe sie an unsere erzbischöfliche Metropole anfahren, linker Hand ein fernes Hochplateau mit einem sich namentlich bei Abendbeleuchtung sauber ausnehmenden Gemäuer. Es ist ein Ueberbleibsel des Schlosses Dachau, an dessen Terrassengeländen noch jetzt für die Hoftafel das feinste Obst gezogen wird. Der noch stehende Schloßflügel enthält einige wenige prakticable Localitäten, darunter einen Saal, dessen schöner Holzplafond zwar in’s Nationalmuseum gewandert ist, der aber vermöge seiner herrlichen Aussicht immer noch Anziehungskraft genug besitzt, den Prinzen Adalbert hier und da zur Einnahme eines Mittagsmahles in seinem verwaisten Raume zu veranlassen. Dieser conservativ gesinnte, mit einer spanischen Bourbonin vermählte, im Uebrigen aber sehr wohlwollende und in Sprachen und Musik bewanderte Herr wiegt sich nicht ungern in Erinnerungen an bessere Fürstenzeiten. Den Berg hinan führt eine von Karl Theodor „Commodo itinerantium“ (zum Nutzen der Reisenden) erbaute, gleichwohl wegen ihrer „zügigen Länge“ bei Fuhrleuten und Postgäulen in schlechtem Rufe stehende Straße. Wir gelangen auf ihr zunächst in den freundlichen, wohlhabenden Markt Dachau, dessen Gasthaus zur Post jahrelang durch guten billigen Tisch die intelligenten Münchener anzog.

Am Fuße des Dachauer Berges eilt die Amper vorüber, ein häufig floßbares, fischreiches, schön gefärbtes und, wie alle Verwandten der Isar, ziemlich ungezogenes Wasser. Spaziert man an demselben nur zwei Stunden aufwärts, so eröffnet sich die Brucker Gegend, in welcher vor zehn Jahren die sogenannte Schneiderprinzessin ihr Wesen trieb. Dieselbe wollte im Niederländischen in einer mit Kronen geschmückten Wiege gelegen haben, aber gegen einen plebejischen Homunculus (elendes Menschlein) ausgetauscht worden sein. Das Factum kam erst an den Tag, als die edle Verwechselte bereits an einen Schneider verheiratet war.

Gleichwohl gelang es ihr, Personen des höchsten Adels ihre Ebenbürtigkeit glaubhaft zu machen, ja selbst den alten König Ludwig um eine schöne Summe zur Verfolgung ihrer Ansprüche zu prellen. Sie verschmähte auch das Geld kleiner Leute nicht, die sich mitunter glücklich schätzten, eine so durchlauchtige Schuldnerin zu bekommen; man weiß nicht, wozu das gut ist. Ihr letzter Streich bestand darin, daß sie einen bis dahin ehrlichen Marktschreiber zur Unterschlagung verleitete und in’s Zuchthaus brachte. Endlich beschloß sie, ohne Furcht vor „Träumen, die da kommen mögen“, sich durch einen herzhaften Schluck von Bittermandelöl dem Todesschlaf zu überantworten. Und gerade aus der Gegend, wo sie die meisten Opfer beschwindelt hatte, strömten auch wieder die größten Summen in das Spitzeder’sche Danaidenfaß!

Uebrigens ist nicht etwa in den Auen der Amper, auch nicht oben in Dachau selbst die Entstehung der Dachauer Bank zu suchen, sondern in der theils liberalen, theils ultramontanen Stadt München. Der Name entsprang dem Umstand, daß die ersten Kundschaften, meist weiblichen Geschlechts, aus der Bruck-Dachauer Gegend kamen, und, durch ihre häßliche Tracht ohnehin, wie allgemein bekannt, auffällig, die Aufmerksamkeit des Publicums auf sich zogen.

Da wir nun wieder glücklich bei der Spitzeder angelangt sind, so sei erwähnt, daß der Zudrang sowohl zur Besichtigung als zur Versteigerung ihrer Mobilien – die Pretiosen mit dem famosen Bischofskreuz scheinen erst später zur Verwerthung zu kommen – ein ungeheurer war. Mancher dumme Teufel des schönen wie des unschönen Geschlechts, der sein Erspartes „im Feuer“ hat, begaffte sich den auch auf seine Kosten angeschafften Luxus. An die Spieluhren, Polyphonien etc. durfte bei der Ausstellung nicht gerührt werden; desto feierlicher machten sich die Töne bei der Versteigerung. Eine zu Hausandachten herrlich verwendbare Orgel rührte ganz besonders. Den zahlreichen Spieltischen nach zu schließen, scheinen bei Adelchen auch minder fromme Uebungen im Schwung gewesen zu sein, und es verlautet aus sicherer Quelle, daß die Trinkgelage meist noch fortdauerten, wenn sich die Spenderin mit ihrer Gesellschaftsdame längst zurückgezogen hatte.

Des Fräuleins gegenwärtige Wohnung in der Frohnveste an der Badstraße glänzt durch ungeheuchelte Bescheidenheit. Ein weißgetünchtes Zimmer, enthaltend eine Lagerstätte nebst einem Tisch und zwei Stühlen, das ist sicherlich genug – zur Reue. Jemand, der Gelegenheit hatte, durch das Fensterchen ihrer Thür zu blicken, sah wohl einen Pack Zeitungen auf dem Tische, Adele selbst aber lag in Kissen ganz vergraben. Sie laborirt an gichtischen Zuständen, neuestens auch etwas an Dysenterie, was sie aber nicht hindert, den einen Tag heiter zu scheinen, während ihr der Schicksalswechsel an einem andern wieder reichliche Thränen entlockt. Von dem schönen weiblichen Vorrecht, unlogisch zu antworten, macht sie gerne Gebrauch, besonders wenn es ihr vortheilhaft dünkt; ein ungewöhnlicher Grad von Schlauheit ist überhaupt der hauptsächlichste Eindruck, den man von einer Unterhaltung mit ihr empfängt, doch soll sie sich bereits die Frage haben entschlüpfen lassen: welche Strafe für sie beiläufig herausspringen dürfte? Ueber Gang und Stand der Untersuchung dringt natürlich nichts in die Oeffentlichkeit. Ein Ueberblick über die moralische Verheerung, welche das Meteor angerichtet hat, gelingt wohl erst am Tage des Gerichts, das heißt der öffentlichen Verhandlung, der sich für Manchen und Manche zu einem „Tage des Zorns“ gestalten dürfte. Vorläufig haben sich gegen fünfundzwanzigtausend Gläubiger herausgestellt. Die eigentliche Betrugssumme ist wohl nie zu erfahren, da Vieles verschwiegen wird. Aus einem Bezirke rechts der Isar sind z. B. zwanzigtausend Gulden angemeldet, während Ortskundige versichern, daß mindestens fünfzigtausend Gulden über die steinerne Brücke wanderten. Die betheiligten Taglöhner und Kleinhäusler fürchten nämlich, vielleicht nicht ganz mit Unrecht, wenn sie sich jetzt plötzlich als Capitalisten, wenn auch als unglückliche, entpuppen, nachträglich zur Capitalsteuer gezogen und mit der gesetzlichen Verschweigungsstrafe belegt zu werden. Und – „lieber die bekannten Uebel tragen, als zu unbekannten fliehen“, sagte schon Hamlet.

M. Sch.