Zweihundert deutsche Männer in Bildnissen und Lebensbeschreibungen/Andreas Gryphius

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Textdaten
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Autor: Ludwig Bechstein
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Titel: Andreas Gryphius
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aus: Zweihundert deutsche Männer in Bildnissen und Lebensbeschreibungen, S. 155–156
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Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Georg Wigand's Verlag
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Erscheinungsort: Leipzig
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Andreas Gryphius.
Geb. d. 11. Oct. 1616, gest. d. 16. Juli 1664.


Der Vater des neuern deutschen Dramas gegenüber der uns von den Engländern überkommenen Volksbühne, schon als solcher des Namens würdig, den er als Mitglied der fruchtbringenden Gesellschaft führte: Der Unsterbliche. – Gryphius wurde als Sohn eines Archidiaconus zu Groß Glogau geboren, besuchte die Schule zu Görlitz, begann seine Studien zu Fraustadt und vollendete sie zu Breslau. Er hatte sich dem Rechtsfach gewidmet, fand aber, 1636 in die Heimath zurückgekehrt, nicht sofort eine geeignete Stellung, daher er die Stelle eines Informators bei dem Doctor Georg Schönborner, Herrn von Schönborn und Zinzendorf annahm. Dieser Prinzipal des jungen Rechtsgelehrten hatte eine gründliche Bildung genossen, war ein großer Verehrer der Wissenschaften, selbst Schriftsteller, Syndikus in Glogau und wurde Canzler des Grafen von Schafgotsch, ja kaiserlicher Rath und Fiscal; auch Pfalzgraf in Niederschlesien und der Lausitz. Ein solcher Mann konnte nur auf das anregendste und ermunterndste auf Gryphius einwirken, der sich bereits durch Sonette und andere lyrische Gedichte einen Namen gemacht hatte, und er förderte ihn in der That als ein wahrer Freund und Gönner. Kraft seines Amtes als Comes palatinus ernannte der Herr von Schönborn und Zinzendorf noch im letzten Jahre seines Lebens den von ihm geschätzten Hausgenossen zum Magister der freien Künste, krönte ihn zum Poeten, verlieh ihm den Adel und schuf ihm ein Wappen, doch hat der Dichter nie sein auf diesem Wege erlangtes Adelsdiplom geltend gemacht. Der Tod des Gönners und das vollendete Erziehergeschäft lösten Andreas Gryphius bisheriges Verhältniß, und er begab sich, von immer noch drohenden Kriegsgefahren umgeben, 1638 nach Danzig und von da nach Leiden, wo der berühmte Salmasius, Heinsius u. a. lehrten, wurde von diesen Männern freundlich und wohlwollend aufgenommen, und hielt 6 Jahre lang verschiedene wissenschaftliche Vorlesungen. Später begleitete er als Gesellschafter einige adelige Jünglinge auf Reisen, besuchte England und Frankreich, auch Italien, und nahm nach der Rückkehr eine Zeitlang Aufenthalt in Straßburg. Erst 1647 kehrte der vielgewanderte in seine Heimath zurück, wo [Ξ] er sich nach dem ihm lieben Fraustadt begab und sich dort mit Rosine Deutschländer verheiratete, die ihm auch dort den Sohn Christian schenkte, welcher später als Dichter in des Vaters Fußtapfen wandelte, als Lyriker ihm nahe kam, aber ihn nicht erreichte.

Andreas Gryphius liebte seine Heimath und Fraustadt so sehr, daß er verschiedene Professuren, die ihm in Heidelberg, Frankfurt a. d. O., ja in Schweden angetragen wurden, als sein Ruhm sich verbreitete, ausschlug. Er nahm vielmehr das Amt eines Landschaftsyndicus bei den niederschlesischen Landständen an, und in Glogau seinen Sitz. Dieses Amt mußte ihm anziehend erschienen sein, da sein Gönner Dr. Schönborner dasselbe ebenfalls bekleidet hatte, und vielleicht versprach er sich denselben glänzenden Lebensweg voll Ehren und Würden, den das günstige Schicksal jenen Mann geführt; nächstdem vergönnte das Amt die Musse für die Muse, welcher er ein treuer Jünger blieb. A. Gryphius Dichterleben fiel in die traurige Zeit, in welcher der dreißigjährige Krieg Deutschland verheerte; die Künste hatten den allerschwersten Stand, das Schauspiel zumal stand noch auf ziemlich tiefer Stufe; herumziehende Banden hatten es in ihrer Hand, oder es war Schüler- und Studentencomödie; letztere Darsteller kamen nicht aus der steifen, zum Theil frömmelnden Allegorie los, ersteren hing noch aller Jammer der Trivialität an. Gryphius, voll Kraft, Genialität und Kenntniß versuchte eine umwandelnde Läuterung, und sie gelang ihm, wenn nicht vollständig für die darstellende Bühnenwelt, doch für die dramatische Literatur. Gute Muster schwebten ihm vor, von den Römern wohl am meisten Seneca, von den Holländern Heinsius.

Gryphius schuf der deutschen Bühne den Pomp der Rede, er schuf das theatralische Pathos. Der naturwüchsigen Kraft der bisherigen Bandenbühne setzte er die Regelstrenge empfindungvoller aber handlungloser Stücke entgegen, und so machte er als Kunstdichter mit Recht Epoche, als Bühnendichter aber weder bei den Schauspielern seiner Zeit, noch bei dem Publikum Glück; er ward gelesen und anerkannt, aber seine Stücke wurden nur selten aufgeführt. Die Sprache derselben war kräftig, ja oft überkräftig, schwungvoll, phantasiereich. Die noch am meisten volksthümlich gehaltenen Stücke von Gryphius sind: »Peter Squenz« und »Horribilicribrifax«. Das erste geiselt die Bettelpoesie jener Zeit, in der fast jedes Anstellungsgesuch von Pfarr- und Schulamtscandidaten in griechischen oder lateinischen Versen geschrieben ward, das zweite die soldatische Prahlhansigkeit, welche zur Mutter der studentischen Renommisterei auf den Hochschulen wurde. Obschon Gryphius auch einige Stücke des Auslandes übertrug, begründete er dennoch die Unabhängkeit des deutschen Drama’s von dem Ausland und steht bei allen Mängeln seiner Stücke als Lichtträger an der Tempelpforte der vaterländischen dramatischen Kunst. Mitten in seinem Amtsberufe ereilte den Dichter der Tod. Er starb an einem plötzlichen Schlaganfall in einer Versammlung der Landschaft auf einem Fürsten-Tage als Mitabgeordneter in den Armen seiner Collegen.