Zweihundert deutsche Männer in Bildnissen und Lebensbeschreibungen/Benedict Carpzov d. j.

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Textdaten
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Autor: Ludwig Bechstein
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Titel: Benedict Carpzov d. j.
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aus: Zweihundert deutsche Männer in Bildnissen und Lebensbeschreibungen, S. 63–64
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Georg Wigand's Verlag
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Erscheinungsort: Leipzig
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Benedict Carpzov d. j.
Geb. d. 27. Mai 1595, gest. d. 30. Aug. 1666.


Benedict Carpzov war der beste Jurist seiner Zeit, war berühmt und wohl auch gefürchtet als ein strenger, unerbittlicher und unbestechlicher Handhaber des peinlichen Rechts, ein allgewaltiger Machthaber über Leben und Tod, dessen Thron in der Gerichtsstube des Schöppenstuhls errichtet stand. Er wurde zu Wittenberg geboren; der Vater gleichen Vornamens lebte dort als Professor der Rechte, erfreute sich bedeutenden Rufes und Ansehens als Rechtsgelehrter und erzog vier seiner Söhne für die Wissenschaft, die er selbst mit aller Liebe pflegte; nur einer von den Brüdern des jüngern Benedict wurde Theolog. Während der Vater einem Rufe nach Dresden als Kanzler und Appellationsrath gefolgt war, vollendete Benedict seine höheren Studien auf Wittenbergs Hochschule, die er nebst seinem Bruder Conrad 5 Jahre lang besuchte. Dann begaben sich beide Brüder 1615 auf 1 Jahr nach Leipzig und von da nach Jena, kehrten 1618 wieder nach Wittenberg zurück und erwarben 1619 den Doctorgrad. Darauf trennten sich die Brüder; Conrad wurde nach Pommern berufen und Benedict trat eine große Reise durch Deutschland, Italien, Frankreich, England und die Niederlande an, auf welcher er reiche Erfahrungen über die Rechtsverhältnisse in diesen Ländern sammelte und im Jahr 1620 in die Heimath zurückkehrte. Er fand bald eine Stelle als Assessor extraordinarius bei dem Schöppenstuhle zu Leipzig, an welchem er nach dreijährigem Dienst dann Assessor ordinarius wurde. Dieselbe Stelle nahm er 1636 im Ober-Hofgericht zu Leipzig ein, errang sich Namen durch viele juristische, sämmtlich lateinisch abgefaßte Schriften und wurde 1639 zum Appellationsgerichts-Assessor in Dresden mit Rang und Titel eines kurfürstlichen Rathes ernannt, wobei er den Wohnsitz in Leipzig beibehielt. In Anerkennung seiner großen Geschicklichkeit und Kenntniß ernannte Kurfürst Johann Georg I. 1644 Carpzov zum Hofrath und veranlaßte dessen Uebersiedelung mit der indeß gewonnenen Familie nach Dresden. Von dort rief der Tod des Professors der Rechte und Ordinarius der juristischen Facultät, Siegmund Finkelthaus, Carpzov abermals nach Leipzig zurück, um des Verstorbenen Dienst- und Amtsverrichtungen [Ξ] zu versehen. Als es später möglich geworden, diese Dienste durch andere ersetzen zu lassen, begab sich Carpzov nach Dresden zurück, wurde 1653 kurfürstlicher Geheimer Rath und diente als solcher auch noch dem Kurfürsten Johann Georg II., bis das herannahende Alter ihm Anlaß wurde, um Entlassung aus seiner Dresdner Bedienstigung zu bitten, die ihm auch gewährt wurde, worauf er 1661 zum letztenmale nach Leipzig zurückkehrte und die ihm liebgewordene Stelle im Leipziger Schöppenstuhl wieder einnahm. Ueberhaupt liebte Carpzov Leipzig so sehr, daß er den Studenten, die ihn um eine Einschrift in ihr Stammbuch baten, öfters hineinschrieb: extra Lipsiam vivere, est miserrime vivere. Urtheile sprechen war sein Beruf und der glänzende Kreis seiner Thätigkeit, glänzend von den Flammen der Scheiterhaufen, die des Schöpppenstuhles gnadenlose Urtheile schürten für die unseligen Opfer einer im Wahne völliger Vernunftumnebelung befangenen, von dem furchtbarsten Aberglauben geknechteten Zeit; denn alle diese hochgelehrten und hocherleuchteten Richter glaubten fest an den Teufel und an die Möglichkeit, Pacte mit ihm zu schließen. Die Schöppenstühle waren bleibende Geschwornengerichte, aber durch Richter, deren Kenntniß des Rechtes mittelst tiefeindringender Studien errungen war, nicht bestechlich durch Redegabe der Ankläger oder der Anwalte, oder durch unklare Gefühle in ihrem Urtheil geleitet. Die juristische Facultät bildete an jeder Hochschule den Schöppenstuhl, gegen dessen Urtelsspruch, wenn sich auswärtige Gerichte, wie häufigst der Fall war, und namentlich in den Zeiten der Hexenprozesse – an denselben um einen Richterspruch wandten, es keine Appellation gab, besonders nicht für die armen Hexen. Eine grauenvolle Einfachheit zeichnete die Sentenzen aus, die stets erst auf Anwendung der peinlichen Frage (Tortur) bei den Gefangenen lauteten, und dann, nach darauf erfolgtem Eingeständniß – auf den Tod durch Schwert, Strang oder Feuer, im mildesten Fall auf Staupenschlag, Brandmarkung und ewige Landesverweisung. Die Form der Schöppenstuhl-Urtheile war ein Brief an das Gericht, das den Ausspruch begehrt, und lautete z. B. bei Hexen nach dem Eingang: Demnach sprechen wir darauf vor Recht: »Hat erwähnte N. N. ausgesagt und bekannt, daß sie – (folgt der Inhalt des Bekenntnisses). Da sie nun auf solchem ihren Bekenntniß vor öffentlichem Gericht freiwillig verharren würde, so ist sie wegen erzählten ihren abscheulichen Verbrechungen vermöge beschriebner Rechten und des h. röm. Reichs peinlicher Halsgerichtsordnung mit dem Feuer vom Leben zum Tode zu bringen, von Rechtswegen.« Damit war das Todesurtheil ausgesprochen. Es wird dem berühmten Benedict Carpzov, dem Orakel der sächsischen Juristen seiner Zeit, nachgesagt, er habe 20,000 Missethäter zum Tode verurtheilt. Furchtbar, selbst wenn eine Null zu viel geschrieben worden wäre! Und er war ein frommer Mann, der jeden Monat einmal zum heiligen Abendmahl ging und die Bibel 53mal durchgelesen hatte. Er starb als ein Gerechter vor dem Herrn und ahnete nicht, daß im Gedächtniß der Nachwelt ein leiser Schauer seinen Namen umwehen werde.