Zweihundert deutsche Männer in Bildnissen und Lebensbeschreibungen/Christian Gotthilf Salzmann
Ein echter Jünger der Religion der Liebe war Salzmann,
der Sohn eines Predigers zu Sömmerda an
der Unstrut, also ein Thüringer von Geburt. Später
zog der Vater mit ihm nach Erfurt. Dort empfing
der Knabe den ersten Unterricht, welchen er hernach
auf der Schule zu Langensalza fortsetzte, worauf er in
Jena Theologie studierte. So ging sein Jugendleben
einen geräuschlos stillen, frommen Gang. Er erhielt
ein Pfarramt auf dem Dorfe Rohrborn bei Erfurt im
Jahre 1763 und verheirathete sich mit der Tochter
eines benachbarten Predigers. In der Sphäre seines
Wirkens kamen ihm häufig Gedanken über die Mittel
und Wege, einen großen Theil der in sittliches Elend
versunkenen Menschheit dieser Noth durch eine bessere
Erziehung zu entreissen, und er begann in Rohrborn,
wie auch später in Erfurt, wohin er 1772 als Diaconus
an der Andreaskirche berufen wurde, die Ausarbeitung
mehrer dahin zielenden Schriften, welche den
Beifall der Verständigen fanden, bei manchen minder
Einsichtvollen hingegen auch Mißfallen erregten. Zu
den ersteren gehörte namentlich der Statthalter von Erfurt,
Coadjutor Freiherr von Dalberg, und die Leiter des
von Basedow in Dessau begründeten Philanthropins.
Salzmann’s Schriften, besonders seine „Unterhaltungen
für Kinder und Kinderfreunde“, und das „Krebsbüchlein
oder Anweisung zu einer unvernünftigen Erziehung
der Kinder“, das mit treffender Satire und schneidender
Schärfe die bisherigen Erziehungsweisen geißelte,
ließen jene Männer in dem jungen pädagogischen Schriftsteller
einen für das Philanthropin höchst brauchbaren
Mann erkennen. Salzmann folgte freudig dem an ihn
ergangenen ehrenvollen Rufe, da er sich in Erfurt verkannt
und verketzert sah, und wirkte in Dessau von
1781 als Religionslehrer und Liturg eine Zeitlang mit
Erfolg und Segen. Indessen fand er dort auch manches,
das ihm minder zusagte, und nährte im Stillen
den Gedanken, sich selbst einen eigenen Wirkungskreis
für seine Ideen und Erziehungspläne zu schaffen. Um
ihn auszuführen, verließ Salzmann 1784 Dessau, und
begründete, von dem Herzog Ernst zu Sachsen-Gotha
unterstützt, die Erziehungsanstalt Schnepfenthal zwischen
Waltershausen und Reinhardsbrunn, in glücklicher
[Ξ] gesunder Gegend, auf sonniger Höhe, genau an der
Grenzlinie, wo der Thüringer Wald sich gegen die
weite thüringische Ebene nach Norden abdacht. Dort
in einem sich erfreulich mehrenden Kreise anvertrauter
und eigener Kinder, in welchen letzteren er sich selbst
Gehülfen und Gehülfinnen heranzog, entfaltete nun
Salzmann eine Thätigkeit als Erzieher, welche der
Himmel mit dem reichsten Segen lohnte. Er umgab
sich mit jungen wissenschaftlich gebildeten Männern, die
ihn als Gehülfen unterstützten. Unter diesen war neben
Beutler aus Suhl J. M. Bechstein der erste, André
kam aus Arolsen und führte Zöglinge zu, Solger und
Guthsmuths schlossen sich an, Glatz, Lenz, Blasche folgten,
und Schnepfenthal erwuchs und erblühte. Ein
Familienkreis umschlang alle Glieder der Anstalt, Fleiß
und Liebe, Thätigkeit und Arbeitsfreude, frommer Sinn
und ungeschminkte, ungeheuchelte Gottesfurcht waren
ihre kräftigen Stützen. Das Grabscheit wählte Salzmann
zum Wappen, D. D. H. „denke, dulde, handele“,
war sein Wahl- und Sinnspruch, und so ging er durch
gute und trübe Zeit, oft wegen seiner kostspieligen Bauten,
durch welche er die stets wachsende Anstalt erweiterte,
in große Sorge gestürzt, siegreich und ehrenvoll
dem Ziele entgegen. Oft erging es ihm, wie A. H.
Franke, daß der Lohn- und Zahltag kam, und kein
Geld da war – immer und immer war die Hülfe
dann am nächsten, wenn die Noth am größten war.
Bald nach dem Beginn des neuen Jahrhunderts zählte
Schnepfenthal schon 60 Zöglinge – so war Salzmann’s
Hoffnung, der nur auf zwölf gerechnet, glänzend
übertroffen. Wie sehr auch Salzmann’s spätere
pädagogische Schriften, wie z. B. das trübgefärbte
Buch: „Carl von Carlsberg, über das menschliche
Elend“ u. a. Beifall und zahlreiche Leser fanden, noch
mehr und besser wirkte der gottgetroste Mann durch
seine persönliche lebendige Lehre, sein Beispiel der Arbeitsamkeit,
des Biedersinnes, überhaupt durch seine
einfache, naturgemäße Erziehungsmethode, die den Kindern
das Lernen lieb und theuer machte, die körperliche
Arbeit zum Fest, die Anstrengung zum Spiel, den
Spatziergang zur Belehrung, die Natur zum Tempel,
ohne die jungen Gemüther der kirchlichen Gottesverehrung
zu entfremden. Schnepfenthal hatte und hat
noch einen Betsaal, ein eigenes Gesangbuch, es hatte
auch eine selbständige Druckerei. – Siebenundzwanzig
Jahre lang war es Salzmann vergönnt seiner
Erziehungsanstalt persönlich vorzustehen, bis seine Fackel
sich senkte und erlosch. Auf seinen Hügel wurde ein
Hollunderbaum gepflanzt, nach seinem Wunsche. Söhne
Töchter und Enkel, Schwiegersöhne und Schwiegertöchter
leiteten in dem ächten Sinn und Streben Vater
Salzmann’s die Anstalt fort, sie besteht und blüht noch
heute, und vererbt den Namen ihres Gründers auf die
Nachwelt. Sie hat in der stillen Friedensbucht am
romantischen Waldeshang des thüringischen Gebirges
alle Stürme der Zeiten über sich dahin und neben
sich vorüberbrausen lassen, und wird von einem guten
Geiste fortgeleitet und fortgepflegt auch noch spätere
Wehen der Zeiten überdauern.