Bei Königsgrätz am Tage nach der Schlacht

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Titel: Bei Königsgrätz am Tage nach der Schlacht
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aus: Die Gartenlaube, Heft 33, S. 512–514
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1866
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[512]
Bei Königsgrätz am Tage nach der Schlacht.
Von einem schlesischen Gutsbesitzer.


Schon in Gitschin, wo ich den 3. Juli Nachmittags auf einem Marketenderwagen des vierundsechszigsten preußischen Regiments eintraf, erfuhren wir, daß eine bedeutende Schlacht bei Josephstadt oder Königsgrätz wüthe. Wir wurden dadurch überrascht, da wir den ganzen Tag, in einer Entfernung von fünf bis sechs Meilen, vergeblich auf Kanonendonner gelauscht hatten; wahrscheinlich hatte das Regenwetter und die Windrichtung die Ausbreitung des Schalles in unserer Richtung verhindert. – Nach kurzer Rast eilten wir vorwärts, um wo möglich noch am Tage der Schlacht im Lager einzutreffen; die schöne breite Chaussee füllte sich aber mehr und mehr mit Proviant-, Munitions- und Fourage-Colonnen, so daß wir die ununterbrochene Wagenreihe nicht mehr verlassen durften: Bei einbrechender Dunkelheit entstand durch Aufstauung der drei Wagenreihen ein allgemeiner Halt, und da an ein Weiterkommen vorerst nicht zu denken war, bogen wir auf einem Seitenwege in das Dorf Konetzchlum ein.

Im Wirthshause fanden wir natürlich weder Wirthsleute, noch Lebensmittel, noch Stroh, im Hofe aber glücklicherweise Wasser. Nach vieler Mühe erlangten wir im Dorfe etwas Heu und bereiteten uns in der Wirthsstube ein Lager. Um zwei Uhr Nachts kamen einige siebenzig Verwundete auf Leiterwagen vorgefahren und schleppten sich in das dunkle Zimmer, wo sie ermattet über einander fielen und sich an die zerschossenen Glieder stießen. Durch den Ruf nach Licht und Wasser wurde ich erweckt, erlangte auch von einem Soldaten ein kleines Endchen Licht, zündete dies an und vertheilte das wenige Heu meines Lagers, damit wenigstens die Kränksten eine Unterlage bekämen. Immer mehr füllte sich indeß der Fußboden, auch die kleine anstoßende Küche lag gedrängt voll, so daß ich sogar strohigen Pferdedünger zu Kopfkissen verwenden mußte. Alle Verwundeten zeigten großen Durst, die meisten auch Hunger; ich holte denn einen Eimer Wasser, fand eine zersprungene Bierflasche und tränkte so die Lechzenden der Reihe nach; einige harte Commißzwiebacke, die ich bei mir hatte, vertheilte ich in kleinen Stücken. Das Licht war ausgebrannt, noch aber nicht alle Verwundeten versorgt, ich versuchte daher im Dorfe Licht aufzutreiben, doch vergeblich. Ich ging darauf nach einem an der Chaussee befindlichen Bivouak, weckte den in einer Strohhütte schlafenden commandirenden Officier und erhielt sehr bereitwillig das Licht seiner Wagenlaterne. Von Brod besaß er aber selbst keinen Bissen und nur ein Mann seiner Colonne konnte uns eine handgroße alte Commißbrodkruste geben; die Mannschaften banden mir das Stroh ihres Lagers zusammen und brachten es mit. Da begegneten wir, o Freude! auf der Straße einem Wagen mit Brod, von diesem wurden durch den gefälligen Officier sofort acht Brode für mich requirirt.

Die Verwundeten in unserem Gasthofe bildeten den ersten Transport von Blessirten aus der großen Schlacht bei Königsgrätz. Fast alle waren Preußen, sie hatten schon Vormittags das Schlachtfeld auf Wagen verlassen und kamen hier ohne jede ärztliche oder militärische Begleitung mit abgematteten böhmischen Pferdejungen an. Zwar war der größte Theil nur leicht verwundet, doch hatten Viele zerschmetterte Arme und Beine, ein Mann hatte einen Schuß im Kreuz, ein anderer einen Schuß durch die Brust und das fortwährende Röcheln desselben mag wohl sein Todesröcheln gewesen sein. Wir revidirten jetzt auch die Leiterwagen und fanden hier noch mehrere Schwerverwundete fast erstarrt durch die Kälte der Nacht.

Um vier Uhr Morgens setzten wir unsere Reise fort, nachdem ich die Verwundeten der Fürsorge des Officiers der Colonne empfohlen hatte. Der schönste Morgen folgte auf das Regenwetter des vorigen Tages und erfrischte die gesegneten Fluren. Prachtvoller Weizen, Raps und Klee erfreuten das Auge, so weit man blicken konnte, und nur zu beiden Seiten der mit doppelten Pflaumenbaumreihen eingefaßten Straße und an den Bivouakplätzen waren die Feldfrüchte in einer Breite von zehn bis zwanzig Ruthen total niedergetreten. – Im Wirthshause zu Wojic trafen wir einmal ausnahmsweise die böhmische Wirthin an; dieselbe erweckte unsere Theilnahme, da sie das anwesende Militär beim Kaffeekochen unterstützte, uns die Milch ihrer letzten Kuh ohne Bezahlung lieferte und beim Reinigen und Verbinden der Verwundeten freundlich half. Nach kurzer Erquickung schickten wir den Wagen voraus, als uns die freundliche Wirthin händeringend und schluchzend nachgeeilt kam und erzählte, wie ihr die soeben vorbeigezogene Munitions-Colonne ihre letzte Kuh aus dem Stalle mitgenommen hätte! Die Frau jammerte uns; wir vermochten deshalb einen nach dem Hauptquartier Horzitz reitenden Husaren, die Kuh wieder zurückzufordern, und erlebten die Freude, daß unsere Bemühungen erfolgreich waren.

Jetzt wurde die Straße von Courieren aller möglichen Cavalerieregimenter, von Officieren mit Depeschen, einem vorwärtseilenden Divisions- oder Brigadestab, mehreren Wagen der Feldpost, des Telegraphenamtes, von requirirten Wagen mit Civilbeamten oder Aerzten, Colonnen und Fouragewagen aller Art belebt – Alles eilte vorwärts nach dem Hauptquartier, nach dem Lager oder dem Schlachtfelde. Vor Horzitz begegnete uns ein Transport von ungefähr eintausend und fünfhundert österreichischen Gefangenen verschiedener Truppengattungen; alle sahen niedergedrückt, abgehungert und in ihrer Kleidung arg mitgenommen aus, besonders die Kopfbedeckung war sehr verschiedenen Ursprungs. So trug ein kleiner brauner Italiener seine Uniform und einen schwarzen Cylinderhut; Civilmützen der verschiedensten Form und Altersclasse sah man häufig an den Verwundeten. Hiergegen nahmen sich die Kaiserjäger mit ihren Tirolerhüten und Federbüschen natürlich sehr stattlich aus.

Horzitz selbst zeigte weniger Kugelschäden, als Gitschin, war aber so überfüllt mit Colonnen und requirirten Fuhren, daß man kaum durchkommen konnte. Die überaus große Zahl der durch ihre weiße Fahne kenntlichen Lazarethe überraschte uns; mitunter hatte zu diesen Fahnen jedoch der passende Stoff gefehlt und weiße Schürzen oder gar ein weißer Unterrock vertraten wohl auch die Stelle der Fahne. Wir schlossen uns einer Proviant-Colonne an und im scharfen Trabe ging es vorwärts. Die Felder hatten hier sehr gelitten; zu beiden Seiten der Straße waren die Früchte so niedergetreten, als wären die Fluren mit Strohmatten belegt. Die Kirschbäume an der Straße wurden von den vorübereilenden Mannschaften in der Eile geplündert und mancher Ast ward mit Bajonnet, Säbel oder Hirschfänger abgehackt, an die Cameraden vertheilt und beim Weitermarsch abgespeist. Mannschaften aller Regimenter trieben requirirtes Schlachtvieh, kleine Landkühchen, Zugochsen, Kälber, Schweine vor sich her, ein Infanterist sogar zur allgemeinen Erheiterung fünf bis sechs Stück allerliebste junge englische Schweinchen, die ihm nicht wenig zu schaffen machten. Bei dem Dorfe Klenitz erreichten wir das preußische Lager. Mit seinen zweimalhunderttausend Mann von allen Truppengattungen nebst den zu beiden Seiten der Chaussee weite Flächen bedeckenden Colonnen bot dasselbe einen wahrhaft großartigen Anblick dar.

Mein Marketender verfügte sich zu seinem Regiment, welches auf einer Anhöhe links von der Straße lag, ich jedoch erstieg einen Proviantwagen, um zunächst erst einen raschen Ueberblick über das Schlachtfeld zu gewinnen; die genauere Besichtigung versparte ich für den Rückweg.

In langen Colonnen fuhren die Verwundeten auf gewöhnlichen landwirthschaftlichen und in Lazarethwagen an uns vorüber; die Leichen wurden auf Frachtwagen nach ihren Ruhestätten geschafft und lagen in ihren verschiedenen Uniformen hoch aufgeschichtet bis über die Leitern hinaus. Die Felder zu beiden Seiten waren mit Tausenden von Laubhütten bedeckt, in denselben hatten die österreichischen Jäger und Infanterie den Angriff abzuhalten gesucht. Der Saum des Waldes war niedergeschlagen, doch hatte man die Stammenden zwei Fuß hoch stehen lassen, um die Erstürmung zu erschweren. Reisig und Laub hatte zur Errichtung jener Hütten dienen müssen. Vielfach waren Merkstangen aufgestellt und die Rinde von den Stämmen abgeschält, um Zeichen der Entfernung für die österreichische Artillerie abzugeben; es ist daher eben nicht zu verwundern, daß dieselbe in einer ohnedies vorzüglichen Position so gut geschossen hat. Der Wald war von den österreichischen Kartätschen so verwüstet, als wären die alten Fichten und Kiefern von einem furchtbaren Hagelwetter zerschmettert [513] worden. Chausseegräben und Felder waren bunt übersät mit Leichen von Menschen und Pferden, Tornistern, Helmen und Käppis, mit Kochgeschirren, Bajonneten und Seitengewehren, mit Granaten, Zündnadelgewehren und österreichischen Büchsen – das Alles bunt durch- und übereinander.

Bei dem Dorfe Sadowa beginnt das Hauptschlachtfeld und erstreckt sich auf beiden Seiten der Königsgrätzer Straße bis hinter Lipa und Chlum. Bis nach Lipa, das rechts und links an der Chaussee auf der Höhe eines Bergrückens liegt, der sich regelmäßig nach der Elbe zu bis nach dem ein und eine Viertel Meile entfernten Königsgrätz hin abdacht, begleiteten mich vier Artilleristen nach den in der Nähe befindlichen Schanzen, und von hier aus hatte ich einen Ueberblick über das ganze fürchterliche Schlachtfeld. Ein anwesender Stabsofficier prüfte meine Legitimation und war dann so freundlich, mir die verschiedenen Positionen auf das Eingehendste und Instructivste zu erklären. Bei dem Sturm auf die Ziegelei bei Lipa wurde u. A. auch das Dorf Cistoves in Brand geschossen; leider verbrannte mit diesem Dorfe ein großer Theil der österreichischen Verwundeten, welche während des Kampfes, aus allzu großem Sicherheitsgefühl, in der Nähe der Schanzen untergebracht worden waren, wie ich dies später aus dem Munde eines älteren österreichischen Officiers erfuhr, der selbst einen Verwundeten aus einem brennenden Hause auf seinem Rücken auf freies Feld getragen hatte.

Von unsern Schanzen aus übersah man das ganze Schlachtfeld und darüber hinaus jenseit Sadowa das unendliche Lager der preußischen Armee; durch das Glas gesehen glich dies einem dunklen Ameisenhaufen. Die Schanzen selbst waren noch so scharfkantig und unversehrt, daß hier kaum ein allgemeiner Bajonnetkampf stattgefunden haben kann, obwohl ich allerdings mehrere Gewehre mit verbogenen Bajonneten gefunden habe. Geschütze waren nicht mehr zu erblicken. Dicht vor den Schanzen aber lagen von beiden streitenden Parteien Todte zu Hunderten, stellenweise zwei bis drei übereinander; hinter den Schanzen, nach Königsgrätz zu, sahen die weiten Ebenen von den Leichen der Oesterreicher wie buntgesprenkelt aus. Die Todten lagen theils noch in der Stellung wie sie gefallen waren, Arme und Beine ausgestreckt auf dem Boden; andern sah man an, daß sie sich wie getroffene Hasen überschlagen hatten und zusammengebrochen waren. Viele Leichen hatten das Taschentuch über das Gesicht gedeckt; entweder hatten sie sich so auf den erwarteten Tod vorbereitet, oder barmherzige Cameraden ihnen diesen letzten Liebesdienst erwiesen. Manche hatten beide Hände über die Augen gedrückt. Ein österreichischer Officier hielt noch einen geöffneten Brief in der kalten Hand. Ich nahm ihn auf, um ihn zu bestellen, er war jedoch an den Entschlafenen selbst gerichtet und ich legte ihn wieder nieder, da ich nicht berechtigt war, ihn zu lesen. Jetzt bedauere ich dies; er wäre vielleicht den Seinigen ein letztes liebes Andenken gewesen.

Furchtbar muß der Zusammenstoß im Gehölze rechts an der Schanze bei Chlum gewesen sein. Hier häuften sich die Leichen auf bedeutenden Strecken oft so dicht, daß man beim Gehen Acht geben mußte, um nicht auf sie zu treten. An dieser Stelle lag auch ein österreichischer Jäger im Graben, in der linken Hand die Büchse mit dem gespannten Hahn, in der erhobenen rechten Hand zwischen Daumen und Zeigefinger noch das vierfach geschlitzte Zündhütchen zum Aufsetzen, das ich mir zum Andenken mitnahm. Sämmtliche Leichen hatten die Augen geöffnet, oft harte Brodstückchen in den Händen und meist wilde schmerzverzerrte Gesichtszüge. Sammt und sonders aber waren sie ausgeplündert, alle Taschen waren umgedreht und hingen noch heraus. Die Portemonnaies und Notizbücher waren geleert und lagen regelmäßig geöffnet neben ihren ehemaligen Besitzern, die Uniformen und Beinkleider waren aufgerissen, damit auch die auf bloßem Leibe befestigte letzte Baarschaft gestohlen werden konnte; jeder Tornister war geöffnet, reine Wäsche, das Rasirzeug, Gebetbücher, Kleider, Nähzeug, Instructionsbücher, Patronen, Packete etc. wurden als werthlos zerstreut; selbst Revolver und Feldgläser im Futteral habe ich noch neben Officiersleichen liegen sehen, aber keinen zugeschnallten Tornister und selten eine Tasche bemerkt, die nicht umgekehrt heraushing.

Wie innerhalb zwölf Stunden so viele Menschen zusammenströmen können, um diese Tausende von Leichen zu plündern, das ist mir geradezu unerklärlich. Eine Feldmütze, ein weißer Reitermantel, der Federbusch eines Kaiserjägers, die Schärpe eines Officiers, besonders aber Feldflaschen mögen wohl als Siegestrophäen oder als Ersatz von den Siegern mitgenommen worden sein; allein Werthgegenstände zu entwenden, würde sich jeder preußische Soldat als Schande anrechnen, wie ich mich zu überzeugen mehrfache Gelegenheit hatte. Auffällig war mir, daß die Oesterreicher vollständiges Rasirzeug und viele Laternen bei sich führten. Die zwei Zoll im Durchmesser haltenden messingnen Cocarden waren großentheils inwendig am Käppi an dazu bestimmten Schnüren am Deckel angebunden, wahrscheinlich weil sie allzu sehr glänzen und Zielpunkte hätten abgeben können. Einen rührenden Anblick boten mehrere Affenpinscher dar. Diese treuen Thierchen rannten zwischen den Leichen herum, suchten ihre Herren und sahen dabei selbst vor Hunger, Nässe und Angst ganz erbärmlich aus.

Jenseit der Chaussee kamen wir hinter den Häusern von Lipa wieder bei dicht gedrängten Leichenfeldern vorbei und stießen hier auf siebenundzwanzig vorzügliche gezogene österreichische Geschütze; nur ein einziges davon war vernagelt! An einem Geschütz lagen noch fünf Pferde im Sielengeschirr, das sechste hatte sich losgerissen und streckte sich dicht daneben, die fahrende Mannschaft lag über den Pferden. Einem Kanonier waren beide Beine durch eine Granate abgerissen und man konnte den Stiefel mit dem darin steckenden Beine buchstäblich an eine andere Stelle werfen. Manche Pferde waren fast zerrissen, andere hatten bis zu fünfzehn Wunden; ein Pferd hatte in der Stirn ein Loch, so daß man mit der Faust hineingreifen konnte, ein anderes eine einzige Flintenkugel mitten in der Stirn. Eine rothe Blase zeigte die Stelle; die Oeffnung war so klein, daß kaum das Ende eines Spazierstockes hineinzudringen vermochte. Das Thier lag so ruhig, als hätte es sich behaglich auf frische Streu im Stall hingestreckt. Hier war auch die preußische Artillerie mehr zur Geltung gekommen.. Einem Manne war die Hirnschale völlig abgerissen, die Extremitäten waren vom Körper fast verschwunden, die Brust war so zerrissen, daß der Leib in einer Lache geronnenen Blutes schwamm. Die Ebene vor diesen Geschützen gegen das Wäldchen vor Sadowa und Dohaliz zu war schon von Leichen abgeräumt, allein die ganze Ebene mit todten Pferden der tapferen preußischen Gardedragoner und Zietenhusaren überdeckt. Wie vom Blitz getroffen lagen die schönen, zum Theil edlen Thiere da; die meisten schienen sofort verendet zu sein. Sie hatten noch ihre Hufeisen, Mähnen und Schweife, während bei Gitschin selbst diese abgeschnitten und abgerissen und geraubt worden waren. In den Protzkasten der Geschütze war die Munition noch massenhaft vorhanden; in Beuteln fanden wir die bestimmten Ladungsquantitäten eines groben, unpolirten, sehr leicht zerreibbaren Sprengpulvers und zahlreiche Kartätschen.

Bei Lipa trafen wir einzelne Truppenabtheilungen, die sich gelagert hatten und gerade ihr Mittagsessen bereiteten. Gänse, Hühner, Ferkel waren noch aufgetrieben worden und wurden mit Commißzwieback zu kräftigen Suppen gekocht oder an grünen Erlenstangen gebraten; oft bildeten die abgerupften Gänsefedern förmlich wie weißbeschneite Flecken auf der Straße. Ich theilte meine letzten Cigarren mit einigen Officieren und ging dann nach kurzer Rast nach den Laubhütten auf der rechten Seite der Chaussee über dem erwähnten Wäldchen. Auch hier gab es der Leichen eine grausige Menge, fast jede Hütte hatte einen oder mehrere stille Bewohner. Die meisten schienen einem ungarischen Regimente angehört zu haben; viele hatten sich bis auf Beinkleider und Hemd entkleidet, die Hemdärmel aufgestreift, um recht unbehindert ihrem blutigen Handwerk obliegen zu können; oft sah ich auch bei ihnen noch die gespannte Büchse in der kalten Hand.

Jenseit der Wiese am Walde wurden die Gefallenen in großen Massen begraben, Freund und Feind in ihren Uniformen zusammen. Auch mit dem Vergraben der Pferde hatte man schon begonnen; es ist dies eine sehr zeitraubende Arbeit. Zwei bis drei Thiere kamen in eine Grube, die oft widerspenstigen Beine wurden zerhackt oder zerbrochen und ein bis zwei Fuß Erde darübergeworfen. In einigen Wochen muß diese Gegend todbringende Miasmen aushauchen!

Auf der Straße wogte das bunteste Kriegsgetümmel durcheinander. In langen Reihen fuhren die aus den Provinzen Schlesien, Sachsen, Brandenburg requirirten Gespanne, ich kann jedoch ihren Besitzern versichern, daß die vielen Tausend Gespanne, welche ich bis jetzt getroffen habe, im Allgemeinen gut aussahen. Die Fuhrleute selbst waren im Allgemeinen freilich übler daran, als die Thiere, da sie nur von Commißbrod, Speck und Wasser lebten, zeitweis [514] auch daran Mangel litten; dabei mußten sie in Hitze, Kälte und Regen im Freien aushalten, und wenn es auch einmal heißen Kaffee und Branntwein gab, so fehlte es den armen Burschen meist an Geld, um das Labsal kaufen zu können. Uebrigens zeigten die Fuhrleute merkwürdiger Weise eine besondere Zuneigung für die blauen österreichischen Feldmützen; mehrmals habe ich selbst gesehen, wie mit der Kopfbedeckung eines stillen Mannes getauscht ward.

Meine Absicht ging dahin, bei dem Marketender, meinem neuen Freund und Lagerbruder, über Nacht zu bleiben, um wo möglich dem erwarteten Bombardement von Königsgrätz beizuwohnen; als ich indeß in die Amputationsanstalten von Sadowa kam, überzeugte ich mich, daß ich als Begleiter der Verwundeten von Nutzen sein könnte, und stellte mich einem der Stabsärzte zur Verfügung. Derselbe gab mir eine Colonne von ungefähr hundertundfünfzig schwer und leicht Verwundeten mit der Weisung, sie in den Lazarethen von Millowitz und Horzitz unterzubringen, leichter Verwundete einzutauschen und diese so weit als möglich fortzuschaffen. Den zwei begleitenden Husaren wurde mein neuer Posten bekannt gemacht, ich setzte mich auf den ersten Wagen und fuhr ab.

Rechts und links fuhren ununterbrochen Colonnen, wir in der Mitte der Straße. In der Gegend von Klenitz kam mir das Hauptquartier des Königs von Preußen entgegen. Er fuhr in einem eleganten mit vier Rappen bespannten Wagen langsam vorbei und der ganze Zug dauerte wohl eine Viertelstunde, da das Ausweichen natürlich nur langsam von statten ging. Bei der so großen Anzahl der begleitenden Officiere in fast allen europäischen Uniformen, nebst den Adjutanten, den Feldjägern, der Leibwache etc. war es mir nicht möglich, die hervorragenden Personen der gegenwärtigen Situation zu erkennen. Auch der Kronprinz kam zu Wagen vorbei. Ein Adjutant befahl, ich solle aus dem Wege fahren; ich remonstrirte jedoch, daß dies meinen Kranken zu viel Schmerzen verursachen würde, und so wich der Prinz ebenso wie der König langsam aus.

Die Fahrt bis nach dem dreiviertel Meilen entfernten Millowitz wurde mir zu einer sehr peinlichen. Beim geringsten Hinderniß im Wege oder bei schärferem Tempo der Pferde schrie und stöhnte der größte Theil der Verwundeten; die Italiener beteten laut ein Ave Maria nach dem andern. Einmal wurde ich an einen Wagen gerufen; da war einem Italiener das unterhalb des Leibes zerschmetterte Bein über den Wagen heruntergeglitten. Keiner der anderen Verwundeten hatte die Kraft es heraufzulegen; ich schlang die Kette des Frachtwagens darum und gab so dem Beine Festigkeit. Endlich erreichten wir das Dorf Millowitz. Drei bis vier Gebäude waren hier als Lazarethe eingerichtet, doch bestand die ganze Einrichtung darin, daß Zimmer, Hausflur und Böden ausgeräumt und die Dielen nothdürftig mit Stroh belegt waren. Schwer und leicht Verwundete lagen dicht gedrängt darauf, so daß kaum Platz für die neu zutretenden vorhanden war. Ich verlangte nach dem Vorstande, nach einem Arzt oder Krankenwärter – Niemand war da; die Leichtverwundeten versorgten die andern mit Wasser, Brod war nicht aufzutreiben. Da erfuhr ich schließlich, daß einige preußische Officiere in einem Häuschen gegenüber lägen; hier gab es wenigstens einige Feldbetten, sonst aber war auch an Allem Mangel. Ich sprach den Hauptmann v. Kr. und den Major R. von der Artillerie; Letzterer war amputirt und lag nun hier ohne jede Hülfe und Erquickung, Ersterer litt heftig an einem Schuß durch das Bein. Er sagte mir, es sei hier nur ein Assistenzarzt, welcher selbst leidend zurückgeblieben sei, als sich das Dorf plötzlich nach der Schlacht mit mehreren Hundert Verwundeten gefüllt habe. Wohl habe sich der Arzt derselben Tag und Nacht redlich angenommen, müsse sich aber jetzt etwas Ruhe gönnen. Wie gern hätte ich diese beiden Officiere mit in bessere Pflege genommen! Aber auf gewöhnlichen Fracht- und Leiterwagen waren sie nicht transportabel und ich konnte ihnen nur dadurch dienen, daß ich ihnen möglichst schnell ärztliche Hülfe und Lazarethbedürfnisse erbat.

Gern hätte ich überhaupt alle meine Verwundeten weiter transportirt, doch war es leider nicht möglich, da die beiden Husaren mit dem größten Theil der Wagen Befehl zum Fouragiren hatten und, nur um die leeren Wagen zu benutzen, zum Verwundetentransport beordert waren. So brachten wir denn mit Hülfe des jetzt erscheinenden leidenden Arztes die Kranken unter Obdach; die traurige Fracht eines Wagens konnte ich indeß nicht unterbringen und ein requirirtes Gespann, welches vorüberfuhr, hatte eine Bescheinigung zur Rückkehr in die Heimath. Ebensowenig war ich im Stande den böhmischen Knecht zu veranlassen, meinen Wagen fortzuschaffen, und bat daher einen vorübereilenden Officier um Unterstützung, welche auch in so praktischer Art zur Ausführung kam, daß der Mensch mit größter Behendigkeit einspannte und bis zur Ablieferung in Horzitz gefügig blieb.

Mit dem Rest von sechs bis acht Wagen fuhr ich weiter und erreichte Horzitz bei heftigem Regen spät am Abend, hier meine Verwundeten in verschiedenen Lazarethe vertheilend. Nur einem österreichischen Officier mußte sein Quartier in einem Hintergebäude angewiesen werden, da er leider unterwegs ruhig entschlummert war, ohne daß seine beiden Begleiter etwas gemerkt hatten – so krank waren auch diese.

Bei einbrechender Nacht setzten wir mit zwei Wagen unsern Weitertransport fort, rasteten in Gitschin, wo wir Nachts ein Uhr ankamen, einige Stunden im Lazareth und hielten früh neun Uhr vor dem Bahnhofe zu Turnau. Hier hatten sich mehrere Hundert Preußen und Oesterreicher aller Grade und Regimenter angesammelt; der Bahnhof wurde reparirt, um Verwundete unterbringen zu können, doch fehlte es auch hier noch an jeglicher Nahrung und Erfrischung. Erst gegen Mittag erhielt ich einige Commißbrode zur Vertheilung; später kam ein Marketender mit Bier und mancher Verwundete konnte nun gelabt werden. Um zwei Uhr stand ein Zug mit acht Güterwagen fertig, es wurde Stroh eingestreut und an hundert der Schwerstverwundeten eingeladen. Auch hier war kein Arzt oder Krankenwärter zu erübrigen; ich begleitete also den Transport weiter, um die nöthigsten Hülfeleistungen zu thun. Vor der Abfahrt erhielt jeder Wagen von einem Johanniterritter eine Flasche Rothwein. Wie wurde hier dies edle Labsal geschätzt und sorgfältig vertheilt! Der schwer verwundete österreichische Kammerherr theilte das kleine Glas mit dem neben ihm auf knappem Stroh liegenden preußischen Jäger; ein Hauptmann, der bei Magenta und Solferino gekämpft, theilte mit dem sechszehnjährigen Tertianer aus Olmütz, der erst seit vierzehn Tagen als Avantageur bei einem italienischen Regimente eingetreten war! Jeder National- und Rangunterschied pflegt in solchen Fällen aufzuhören; Jeder unterstützt den Andern nach Kräften, wie er es vermag und versteht. Wie wunderherrlich erwächst die Blume der wahren Nächstenliebe aus diesen blutrauchenden Feldern, wo noch vor wenigen Stunden die entfesselten Leidenschaften mit Aufgebot und Erschöpfung aller Kräfte gegen einander gewüthet haben!

In Zittau, Herrnhut, Löbau, überall wurden uns ärztliche Hülfe und Erquickungen jeder Art im vollsten Maße zu Theil. Um Mitternacht waren wir in Görlitz. Auch hier war unser Transport erst der erste oder zweite, welcher von Königsgrätz aus ankam; darum ließen die Einrichtungen auf dem Bahnhofe noch gar viel zu wünschen übrig. Kein Arzt war aufzutreiben und es waren nur zwei Tragbahren für Verwundete zu finden! Meine Blessirten waren mir allmählich förmlich an’s Herz gewachsen; es wurde mir ordentlich schwer, mich hier, wo sie meiner nicht mehr bedurften, von ihnen zu trennen, und mancher herzliche Händedruck und dankbare Blick belohnten mich überreichlich für das Wenige, was ich hatte thun können. –

Ihr Alle aber, die Ihr in diesem großen Kämpfe geblutet habt, möchtet Ihr nicht zu schwer zu leiden haben; möchtet Ihr Alle dereinst geheilt in die Arme der Eurigen zurückkehren! Gebe das Geschick, daß Ihr alsdann auf ein großes, einiges Deutschland unter kräftiger einheitlicher Führung blicken und mit Stolz von Euch sagen könnt: „Wir haben es mit unserem Blute erkauft!“ Der unvergängliche Lorbeer dieses Ruhmes schmücke Euch dereinst noch das Greisenhaupt!