Beschreibung des Oberamts Calw/Kapitel B 14

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Gechingen,
Gemeinde II. Kl. mit Mühle, 1142 Einw. – Ev. Pfarrei.


Das Pfarrdorf Gechingen hat 2 Stunden südöstlich von der Oberamtsstadt eine geschützte Lage in dem nicht besonders tief eingefurchten Thale der Irm, auch Sau genannt, welches 1/2 Stunde südwestlich vom Ort beginnt und bei Deufringen in das Aidthal einzieht, während bei Gechingen 2 Trockenthäler in dasselbe eingehen. Der ziemlich große, übrigens nicht regelmäßig angelegte, etwas unebene Ort ist theils in die Thalebene, theils an die südlich geneigten Thalgehänge hingebaut und an den gut hergestellten, gekandelten Ortsstraßen lagern sich gedrängt die meist ansehnlichen, zum Theil im städtischen Styl erbauten Wohnungen.

| Die mit der ehemaligen Kirchhofmauer umgebene Pfarrkirche, welche die Stiftungspflege zu unterhalten hat, liegt etwas erhöht im westlichen Theil des Orts und ganz in ihrer Nähe lagern sich, eine freundliche Gruppe bildend, das Pfarrhaus, die Schule und das Rathhaus.

Die Pfarrkirche, welche nach einer über dem südlichen Eingang angebrachten, nur theilweise lesbaren Inschrift dem heil. Martin geweiht ist und im Jahr 148... erbaut wurde, zeigt von ihrer ursprünglichen germanischen Bauweise nur noch die spitzbogigen, jedoch der Füllungen beraubten Fenster an dem Langhause, wie an dem mit einem halben Achteck schließenden Chor. Der ziemlich hohe, viereckige Thurm trägt ein einfaches Zeltdach; derselbe wurde nach einer an der Thurmecke angebrachten Inschrift im April 1561 von dem Blitze zerstört und im Jahr 1568 wieder aufgeführt. In diesem Jahr scheint auch die Kirche Veränderungen erlitten zu haben, indem über dem südlichen Eingang ebenfalls die Jahrszahl 1568 und der Name Lorentz Manner angebracht ist; über einem andern Eingang steht die Jahrszahl 1743, welche ohne Zweifel die Zeit einer zweiten Renovation andeutet. Das Innere der Kirche, welches in nächster Zeit erneuert werden soll, enthält außer einem hohlen, im germanischen Geschmack gehaltenen Taufstein, nichts Bemerkenswerthes. Auf dem Thurme hängen 3 Glocken mit folgenden Inschriften, und zwar auf der größten: Osanna heis ich, in unser Fraven Er levt ich, Bernhart Lachamann gos mich, anno 1499; auf der mittleren: Jesus Nazarenus rex Judeorum, Bernhart Lachamann gos mich 1499; auf der kleinsten: Hilf Jesus Maria, Bernhart Lachamann gos mich 1499.

Der Begräbnißplatz liegt hinter der Kirche.

Das vor etwa 10 Jahren bedeutend erneuerte Pfarrhaus unterhält der Staat.

Das ansehnliche Schulhaus, welches neben 3 Lehrzimmern auch die Wohnung des Schulmeisters und seines Gehilfen enthält, wurde im Jahr 1834 mit einem Gemeindeaufwand von 5000 fl. neu erbaut.

Das geräumige, schon ziemlich alte Rathhaus, auf dessen First sich ein Thürmchen mit Glocke befindet, ist im Jahr 1857 bedeutend erneuert worden. Seit 1838 ist ein Gemeindebackhaus vorhanden und ein öffentliches Waschhaus besteht schon längst.

Ein Schafhaus steht am nördlichen Ende des Orts.

Gutes, nie versiegendes Wasser liefern drei reichliche Schöpfbrunnen, ein laufender und gegen 20 Pumpbrunnen; überdieß entspringt die Irm oder Sau in der Nähe des Pfarrhauses, wo sie | an einer Scheune sehr stark hervortretend, alsbald zu einer Wette geschwellt wird. Der eigentliche Ursprung dieses Bachs ist 1/2 Stunde vom Ort im Irmthal, wo übrigens der Bach nach kurzem Lauf wieder verfällt und unterirdisch fortlauft, um erst im Ort selbst für immer zu Tage zu treten. Der Bach treibt 1/4 Stunde unterhalb des Orts eine Mühle mit 2 Mahlgängen und einem Gerbgang und 1/4 Stunde unterhalb derselben eine Ölmühle, die zugleich einen Mahlgang enthält.

Die im Allgemeinen körperlich kräftigen Einwohner, welche seit Menschengedenken von epidemischen Krankheiten verschont blieben, sind sehr fleißig und finden ihre Nahrungsquellen im Feldbau und Viehzucht, indem die Gewerbe, mit Ausnahme einer Ziegelhütte, nur den örtlichen Bedürfnissen dienen. Schildwirthschaften bestehen drei und ein Kaufmann, wie auch ein Krämer sind vorhanden. Die Vermögensumstände gehören zu den besseren des Bezirks, indem der sogen. Mittelstand vorherrscht und eigentliche Arme nur wenige im Ort sich befinden. Der vermöglichste Bürger hat einen Güterbesitz von 33 Mrg., während der größere Theil der Einwohner 10–15 Mrg. besitzt; die Unbemittelteren haben 1–2 Mrg. und nur wenige sind ohne Grundbesitz. Die Markung ist so sehr vertheilt, daß die meisten Grundstücke nur 1/41/2 Mrg. betragen.

Bemerkenswerth ist, daß auf der Ortspfarrei seit 86 Jahren sich nur 2 Geistliche folgten, M. Klinger, der Vater, von 1772 bis 1828, und der Sohn, seit 1828 im Amt. Im Jahr 1822 feierte der Vater sein 50jähriges, im Jahr 1853 der Sohn sein 25jähriges Amtsjubiläum.

Die unebene, von mehreren Thälchen durchzogene, ausgedehnte Markung hat im Allgemeinen einen fruchtbaren Boden, der neben günstigen Diluviallehmablagerungen meist aus Humus und den Verwitterungen des Hauptmuschelkalks besteht, dessen Bruchstücke zum Theil in großer Anzahl auf den Feldern herumliegen oder in langen Steinwällen (Steinriegeln) aufgehäuft sind, was der Gegend ein etwas steriles Ansehen gibt, obgleich diese steinreichen Äcker meist sehr gute und reichliche Früchte erzeugen. Auch zu Straßenmaterial und zum Kalkbrennen werden diese Muschelkalktrümmer häufig benützt.

Die klimatischen Verhältnisse sind günstig und die Luft ist sehr gesund; Hagelschlag kommt höchst selten vor, dagegen schaden zuweilen Frühlingsfröste dem Obst und den feinern Gewächsen.

Die Landwirthschaft wird mit vieler Umsicht und großem Fleiß betrieben; landwirthschaftliche Neuerungen, wie verbesserte Pflüge, Walzen, Repssämaschinen, einfache Joche etc. haben Eingang gefunden, | nur läßt sich der deutsche Wendepflug wegen des steinigen Bodens nicht ganz entbehren. Die Düngerstätten sind meist gut eingerichtet und mit Güllenvorrichtung versehen; übrigens kommt, außer den gewöhnlichen Düngungsmitteln auch der Gyps sehr häufig in Anwendung.

Zum Anbau kommt hauptsächlich Dinkel, Hafer und Gerste, und in der zu 1/3 eingeblümten Brache zieht man vorzugsweise Kartoffeln, Klee, Esparsette, weiße Rüben, Hanf, welcher sehr gut gedeiht und häufig gebaut wird, und etwas Reps. In neuerer Zeit hat man auch den Hopfenbau mit gutem Erfolg eingeführt. Ein Morgen Acker erträgt durchschnittlich 10–12 Scheffel Dinkel, 6–8 Scheffel Hafer und 4–6 Scheffel Gerste. Von dem erzeugten Getreide werden jährlich gegen 1500 Scheffel Dinkel und 3–400 Scheffel Hafer meist nach Calw auf die Schranne abgesetzt. Die Preise eines Morgens Acker bewegen sich von 40–700 fl.

Der Wiesenbau ist ausgedehnt und liefert ein gutes, nahrhaftes Futter, welches, wegen des namhaften Viehstandes, im Ort selbst verbraucht wird; die Wiesen, von denen etwa 1/3 wässerbar sind, ertragen durchschnittlich 20–25 Centner Heu und 8–10 Centner Öhmd pr. Morgen. Die Preise eines Morgens Wiese steigern sich von 4–500 fl. bis zu 7–800 fl.

Die Obstzucht, welche sich hauptsächlich auf die um das Dorf gelegenen Baumgärten beschränkt, ist nicht bedeutend und erlaubt keinen Verkauf nach Außen, sondern es wird noch viel Obst auswärts zugekauft; vorzugsweise werden Zwetschgen und von Kernobst Luiken, Goldparmänen, Palmischbirnen, Knausbirnen etc. gezogen. Ein südlicher Abhang, der Weingarten genannt, deutet auf früher getriebenen Weinbau.

Der meist aus einer rothen Landrace bestehende Rindviehstand ist sehr bedeutend und bildet eine namhafte Erwerbsquelle, indem mit Vieh ein lebhafter Handel auf benachbarten Märkten getrieben wird; Namens der Gemeinde hält ein Bürger 3 tüchtige Landfarren gegen eine jährliche Entschädigung von 140 fl.

Auf der Weide laufen etwa 500 Stücke Schafe, welche theils den Bürgern, theils dem Ortsschäfer gehören; jeder Schafeigenthümer entrichtet für ein Schaf 32 kr. und für das Lamm 20 kr., was der Gemeindekasse nebst der Pferchnutzung etwa 6–700 fl. einträgt. Die Wolle kommt nach Kirchheim und in die Umgegend.

Die Zucht der Schweine ist nicht sehr ausgedehnt, indem die meisten Ferkel von Außen bezogen werden.

| Die Haltung der Ziegen ist von keinem Belang, dagegen die Geflügelzucht ziemlich beträchtlich, jedoch nur für den eigenen Bedarf.

Die Bienenzucht ist mittelmäßig.

Vicinalstraßen führen nach Alt-Hengstett, Stammheim, Gültlingen, Dachtel, Deufringen und Ostelsheim.

Über den Gemeinde- und Stiftungshaushalt s. Tabelle III. Die Gemeinde besitzt 1400 Morgen Laub- und Nadelwaldungen, aus denen jährlich etwa 530 Klafter und 12.000 Stück Wellen geschlagen werden. Hievon erhält jeder Bürger 1 Klafter und 50–60 Stück Wellen; der Rest wird verkauft, was der Gemeindekasse eine jährliche Rente von 1000–1800 fl. sichert. Auch die Stiftungspflege besitzt 31 Morgen Forchenwaldungen.

Ein Schulfonds von 1200 fl. ist vorhanden.

Über den westlichen Theil der Markung zieht eine von Deckenpfronn herkommende Römerstraße unter der Benennung „Hochsträß“ über die zu Gechingen gehörige Flur „Altenburg“ gegen Alt-Hengstett.

Auf dem nordwestlich am Ort gelegenen sogen. Angel wurden im Jahr 1841 2 Furchengräber aufgefunden, welche Skelette enthielten, denen bronzene Arm-, Ohren- und Fußringe, eine schön gearbeitete Fibula und kurze einschneidige Schwerte von Eisen beigegeben waren. Nur etwa 300 Schritte von dieser Stelle auf dem sogen. Käpelesberg wurden im Jahr 1845 beim Graben eines Kellers ähnliche Gräber aufgedeckt, die eiserne Waffen enthielten.

Etwa 1/4 Stunde östlich vom Ort, unfern der Markungsgrenze gegen Deufringen, stand im Walde oben an der Riedhalde die längst abgegangene Burg Gechingen, von der nicht nur die kreisrunden doppelten Burggräben noch sichtbar sind, sondern auch in neuester Zeit die Grundreste eines Thurms aufgedeckt wurden. Der 4eckige Thurm hatte 5′ dicke Mauern und je eine Seite desselben war 15′ lang. Bei den vorgenommenen Nachgrabungen fand man in den Trümmern alte Waffen, kurze Schwerte, Lanzenspitzen, etwa 20 Pfeilspitzen, Hacken, Ketten, Beschläge etc. von Eisen und eine Menge irdener, roh gearbeiteter Becher in Form kleiner Blumentöpfe.

Der hiesige Ortsadel scheint sehr frühe ausgestorben zu sein; zu ihm gehörte im 12. Jahrhundert Marquard, welcher das Kloster Hirschau mit zwei hiesigen Huben beschenkte (Cod. Hirsaug. 30b). Die Burgherren waren ohne Zweifel Dienstmannen der ältesten Oberherren Gechingens, der Grafen von Calw. Über die Beziehung dieser Grafen zu dem Ort hat sich übrigens keine Urkunde mehr erhalten, wohl aber treten deren Rechtsnachfolger, die Pfalzgrafen von Tübingen, urkundlich hervor. Graf Gottfried von Tübingen-Böblingen | † 1316, dessen Vater Rudolph Schwiegersohn des letzten Calwer Grafen gewesen war, benützte gegenüber seiner Gemahlin Elisabeth, geb. Gräfin von Fürstenberg, im Jahr 1295 Gechingen (villa Gachingen) mit Schönaich zum Ersatz für Möhringen, als er letzteres der genannten Gemahlin als Widerlage verschriebenes Besitzthum an das Hospital zu Eßlingen verkaufte (Schmid Pfalzgrafen von Tüb. Urk. 102. 104). Auch Gechingen hatte als Widerlage für Elisabeth keinen Bestand; sie gab diesen Ort im J. 1303 gegen Entschädigung mit Dagersheim und Darmsheim zurück an ihren verkaufslustigen Gemahl (Mone Zeitschr. 3, 332), welcher ihn alsbald veräußerte[1]. In den Jahren 1308 und 1309 kam es in dauernden Besitz des Klosters Herrenalb, welches am 4. Dez. 1308 von Konrad Möchinger, Heinrich Stölzlin von Höfingen, Reinhart von Gärtringen und den Frauen der beiden letzteren, und am 30. April 1309 von Graf Gottfried von Tübingen das Dorf mit allen Rechten und Nutzungen erkaufte (Mone a. a. O. 5, 355. 359).

Von der hiesigen Mühle konnte jedoch noch am 10. Dez. 1333 Graf Heinrich von Tübingen, obigen Gottfrieds Sohn, einen Antheil an das Kloster Hirschau, welches noch im 14. Jahrhundert hiesige Zehntentheile erkaufte, veräußern; doch hatte er solchen erst von den Kindern Konrads, Stadelherrn von Waldeck erkauft (St. A.). Letztere Truchseßenfamilie hatte auch sonst hiesige Güter und Rechte; einen Antheil an der Kirche, dem Kirchensatz und dem Wittumhof erkaufte die Herrschaft Württemberg von Heinrich Truchseß von Waldeck genannt von Altburg und dessen Bruderssohn Konrad in den Jahren 1417 und 1419 und von Tristram und Wilhelm den Truchseßen von Waldeck im J. 1428 (Steinhofer Wirt. Chronik 2, 653. 678. 742).

Später gelangte der Pfarrsatz zur St. Martinskirche überhaupt an die Markgrafschaft Baden. Als der Markgraf Jakob am 10. April 1453, nicht lange vor seinem Tode, das Stift Baden-Baden errichtete, verwandte er zu dessen Ausstattung eben das Patronatrecht | über die hiesige Kirche, welche übrigens der Pabst auf Bitte des Markgrafen dem neuen Stifte selbst einverleibte (Schöpflin Hist. Zar. Bad. 6, 316). Und so behielt dieses Stift die hiesige Pfarrnomination, während die Collation der Herrschaft Württemberg zustand (Binder 920), bis der württembergisch-badische Staatsvertrag vom 17. Oktober 1806 den Pfarrsatz mit badischer Pflege Gechingen an die Krone Württemberg brachte.

Des St. Martins Heiligengefälle wurden 1497 von der Gemeinde Gechingen dem Predigerkloster in Pforzheim abgekauft.


  1. Schon unter dem obigen Jahr 1303 wurden, mit Ausnahme der Namen der Käufer, zwei ganz wörtlich gleichlautende Urkunden über den Verkauf von Gechingen ausgefertigt; in einer ist der Käufer das Kloster Herrenalb (Mone Zeitschr. 5, 332–334), welches jedoch erst 1308–1309 wirklich den Kauf zu Stand brachte, in der andern der Schultheiß Roth von Weil der Stadt (Schmid a. a. O. Urk. 114, vgl. eb. 108), nach welch letzterer Urkunde schon unmittelbar zuvor Weilderstädter Bürger Gechingen zum Pfand von den Grafen hatten.
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