Beschreibung des Oberamts Marbach/Kapitel B 22

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Rielingshausen,


Gemeinde II. Kl. mit 879 Einw., wor. 3 Kath. a. Rielingshausen, Pfarrdorf, 845 Einw.; b. Hinterbirkenhof, Weiler, 34 Einw. – Ev. Pfarrei; die Kath. sind nach Oppenweiler eingepfarrt.

Der ansehnliche, sehr freundliche und reinlich gehaltene Ort liegt frei auf der Hochebene am Anfang eines gegen das Murrthal hinziehenden Thälchens. Die Staatsstraße von der 11/4 Stunde südwestlich gelegenen Oberamtsstadt nach Backnang führt durch den nördlichen Theil des Dorfs; an ihr, wie auch an den übrigen, im allgemeinen ziemlich breiten Ortsstraßen lagern sich gedrängt die aus Holz erbauten und meist mit steinernen Unterstöcken versehenen Häuser, unter denen einzelne im städtischen Styl erbaut sind.

Am südlichen Ende des Orts steht die 1811 im modernen Styl erbaute Pfarrkirche, die an den Langseiten zwei übereinander liegende Reihen Fenster enthält. Der viereckige Thurm ist in seinen 3 untern Stockwerken noch alt, während das vierte Stockwerk mit seinem Pyramidendach erst im Jahr 1780 aufgebaut wurde. Chor ist keiner vorhanden. Das freundliche Innere der Kirche ist weiß getüncht und mit einer flachen Decke versehen und enthält außer einem alten, in dem untersten Stockwerk des Thurms eingemauerten| Christuskopf nichts bemerkenswerthes. Die Unterhaltung der Kirche hat die Gemeinde und die Heiligenpflege gemeinschaftlich zu bestreiten.

Der mit einer Mauer umfriedigte Begräbnißplatz liegt außerhalb (südlich) des Orts.

Das Pfarrhaus, welches der Staat zu unterhalten hat, steht nahe bei der Kirche und befindet sich in gutem baulichem Zustande.

Ein Schulhaus mit 2 Lehrzimmern, den Wohnungen des Schulmeisters und des Lehrgehilfen ist im Jahr 1837 am südlichen Ende des Dorfs neu erbaut worden; außer demselben stehen noch im Eigenthum der Gemeinde das 1863 schön erneuerte Rathhaus, eine Kelter mit 4 Bäumen und 2 Schnellpressen, ein Backhaus, ein Waschhaus und ein Schafhaus.

Sehr gutes Quellwasser liefern hinreichend ein laufender und 9 Pumpbrunnen; überdieß befindet sich an der Ostseite des Orts eine immer fließende Quelle, der Balthasar-Brunnen genannt, welche zugleich den Ursprung des durch den Ort fließenden Weidenbachs bildet; das Wasser soll sehr gesund sein und von Kranken öfters getrunken werden. Neben dem Gemeindebackhaus besteht ein kleiner See, der durch kräftige Quellen gespeist wird und dessen Ablauf in den Weidenbach fließt. Auch die Murr berührt auf eine kurze Strecke die Ortsmarkung.

Die Einwohner erfreuen sich im allgemeinen einer guten Gesundheit und nicht selten eines hohen Alters; Leute von 70–80 Jahren sind gegenwärtig 10 im Ort. In Beziehung auf Sitten trifft man Ordnungssinn, Einfachheit, große Sparsamkeit und sehr vielen Fleiß. Die Tracht ist noch die ländliche und von Volksbelustigungen findet der Tanz bei Hochzeiten etc. statt. Die Haupterwerbsmittel bestehen im Feldbau, Obstzucht, Weinbau und Viehzucht; von den Gewerben werden die gewöhnlichen und besonders die Weberei getrieben; zwei Weber treiben Hausirhandel mit Leinwand. Überdieß sind 3 Schildwirthschaften, ein Kaufladen und zwei Krämerläden vorhanden. Die ökonomischen Verhältnisse sind im allgemeinen ziemlich gut und der vermöglichste Ortsbürger besitzt 70 Morgen Grundeigenthum, der Mittelstand, welcher der vorherrschende ist, 20–25 Morgen und die unbemitteltste Klasse 1/41/2 Morgen. Gemeindeunterstützung erhalten gegenwärtig 3 Familien.

Die Landwirthschaft wird sehr gut betrieben und durch günstige klimatische und Bodenverhältnisse unterstützt. Der Boden besteht größtentheils aus einem fruchtbaren Diluviallehm, der gegen den Hardtwald hin, wo der Keupermergel auf ihn einwirkt, thoniger und etwas| gebunden wird, daher er in nassen Jahrgängen etwas kalt und weniger fruchtbar, dagegen in trockenen nicht selten ergiebiger als der Lehm ist. Die ergiebigsten Felder liegen in den Fluren Zeil, Osterfeld, Kirchhofäcker und Grund. Mehrere Muschelkalksteinbrüche und eine Lehmgrube sind vorhanden.

In dreizelgiger Flureintheilung mit beinahe vollständig angeblümter Brache baut man die gewöhnlichen Cerealien, sehr viel Kartoffeln, welche hier vorzüglich gedeihen, Futterkräuter, hauptsächlich dreiblättrigen Klee und Luzerne, Wicken, Angersen, Welschkorn, Hirsen, Flachs, Hanf, Reps, Erbsen, Linsen etc. Auf den Morgen sät man 7–8 Sri. Dinkel, 3 Sri. Gerste, 4 Sri. Haber, 4 Sri. Einkorn, 3 Sri. Weizen, 4 Sri. Roggen und erntet 8–10 Scheffel Dinkel, 4 Scheffel Gerste, 6–8 Scheffel Haber, 6 Scheffel Einkorn, 4 Scheffel Weizen und 4–5 Scheffel Roggen. Die Preise eines Morgens Acker bewegen sich von 150–800 fl. Von den Feldererzeugnissen werden jährlich 500–600 Scheffel Dinkel und 300 bis 400 Scheffel Haber meist auf der Schranne in Backnang abgesetzt, der Repsertrag, der jedoch nur etwa 6 Scheffel beträgt, kommt meist nach Heilbronn zum Verkauf. Kartoffeln werden in großer Ausdehnung, hauptsächlich nach Stuttgart, Ludwigsburg, Heilbronn etc. verkauft.

Der nicht besonders ausgedehnte Wiesenbau liefert einen mittelmäßigen Ertrag, durchschnittlich etwa 24–32 Centner Futter von dem Morgen; von den durchgängig zweimähdigen Wiesen kann ungefähr die Hälfte bewässert werden. Der höchste Preis eines Morgens beträgt 600 fl., der mittlere 300 fl. und der geringste 200 fl.

Der Weinbau, welcher in der üblichen Weise der Neckargegend betrieben wird, beschäftigt sich hauptsächlich mit Elblingen, Silvanern, Affenthalern, Gutedeln etc., von denen etwa 3000 Stöcke auf den Morgen zu stehen kommen. Die Weinberge liegen größtentheils an stark südlich geneigten Abhängen auf Muschelkalk und theilweise auch auf der Lettenkohlengruppe; die geschätzteste Lage ist der Steinberg an der Schweißbrücke. Der Wein ist gut, besonders mild und von Farbe vorherrschend ein sog. Schiller; der höchste Ertrag eines Morgens wird zu 12 Eimer angegeben und die Preise eines Morgens bewegen sich von 150–600 fl. Der Absatz geht vorzugsweise nach Backnang und Ludwigsburg. Die Preise eines Eimers waren in den Jahren 1857 36–48 fl., 1859 40–50 fl., 1860 30–40 fl., 1861 25–30 fl., 1862 25–36 fl., 1863 30–40 fl., 1864 33–48 fl., 1865 66–80 fl.

| Von Bedeutung ist der Obstbau, der sich nicht nur auf die um das Dorf gelegenen namhaften Obstbaumgärten, sondern auch auf die an den Straßen gepflanzten Obstbäume ausdehnt; man pflegt vorzugsweise Luiken, Fleiner, Rosenäpfel, viele sog. Chausseäpfel, Bratbirnen, Palmischbirnen, Wolfsbirnen, Knausbirnen etc. und etwas Steinobst. Die Jungstämme werden in den Weinbergen nachgezogen. Das Obst gedeiht gerne und erlaubt in günstigen Jahren, über den eigenen beträchtlichen Bedarf, einen Verkauf von etwa 1500 Sri. nach Außen.

Die der Gemeinde gehörigen 250 Morgen Laubwaldungen werden als Mittelwald bewirthschaftet; von dem jährlichen Ertrag erhält jeder Bürger 30 Stück Wellen, das Oberholz wird samt der Rindenutzung verkauft, was der Gemeinde 7–800 fl. jährlich einträgt. Überdieß besitzt die Gemeinde 40 Morgen Felder, die sie um 12–16 fl. per Morgen verleiht, und 25 Morgen mit Obstbäumen besetzte Allmanden, die in günstigen Jahren eine Rente von 600 fl. liefern.

Die Herbst- und Allmandenweide ist an einen Gemeindeschäfer, der den Sommer über 100, den Winter über 350 Stück feine Bastarde auf ihr laufen läßt, um 200 fl. verpachtet und der Pfercherlös trägt der Gemeindekasse gegen 200 fl. jährlich ein.

Der Rindviehstand, von dem etwa 2/3 dem Neckarschlag angehören, ist ziemlich beträchtlich und wird durch 3, von der Gemeinde in Pacht gegebene Farren (Neckarschlag) nachgezüchtet. Mit Vieh wird ein lebhafter Handel auf benachbarten Märkten getrieben.

Eigentliche Schweinezucht wird nicht getrieben und die Ferkel, von Land-, hallischer und halbenglischer Race, werden eingeführt und theils für den eigenen Bedarf, theils zum Verkauf gemästet.

Die Zucht der Ziegen, des Geflügels und der Bienen ist von keinem Belang.

Den Verkehr vermitteln außer der schon angeführten Staatsstraße noch Vicinalstraßen nach Kirchberg und Birkenhof.

Am westlichen Ende des Dorfs liegt die sog. Burg, ein kreisrunder, künstlich aufgeworfener Hügel, der 80′ im Durchmesser, und eine Höhe von 12′ hat; er soll mit einem See umgeben gewesen sein. Hier stand vermuthlich ein sog. Wasserschloß.

Die Römerstraße von Marbach nach Murrhardt führt unter den Benennungen „Salzstraße, Teufelsbrück“ am Ort vorüber gegen den Bilsberg im Hardtwald; an ihr liegt 1/4 Stunde nördlich vom Ort im Wald „Bronnhau“ ein etwa 12′ hoher und 70′ im Durchmesser haltender Grabhügel, vielleicht Wachhügel. Etwa 1/8 Stunde| östlich von demselben fand man im Wald „Reuterhau“ ebenfalls an der Römerstraße Spuren eines römischen Wohnplatzes.

Kl. Lorsch besaß 844 Güter in Reginhereshusen im Murrgau (Cod. Laur. Nr. 3511) und dieser Name wird gewöhnlich hieher gedeutet. Es ist freilich sprachlich nicht identisch mit Ruodingeshusa, wie der Ort 978 und ähnlich das ganze Mittelalter hindurch (Rudingshusen 1478 Sattler 3. Beil. Nr. 77) hieß. Mit Marbach erscheint R. 978 unter den durch das Hochstift Speier ertauschten Ortschaften und kam wohl gleichfalls mit Marbach an Württemberg.

Ein Ruding de Rutingsshusen war um 1120 Zeuge auf der Dingstätte des Grafen Adalbert (von Calw) in Ingersheim. Cod. Hirs. 40a.

Güter besaß allhier das Stift Backnang. Demselben überließ am 7. Mai 1453 Graf Ulrich von Württemberg die hiesige Kirche, welche mit dem Stifte an Württemberg zurückfiel.

Zu der Gemeinde gehört:

b. Hinter-Birkenhof, ein Weiler, der 1/2 Stunde nördlich vom Mutterort eine freie, angenehme Lage unfern des Hardtwaldes hat. Trinkwasser ist vorhanden. Die natürlichen und landwirthschaftlichen Verhältnisse sind wie im Mutterort, nur ist der Boden etwas weniger ergiebig.

Die schulpflichtigen Kinder besuchen die Schule in Rielingshausen, wohin auch die Verstorbenen beerdigt werden.

Der Birkenhof soll in den Jahren 1715–1720 angelegt worden sein; früher forstamtlich steuerfrei wurde er erst am 27. Aug. 1740 zur Steuer gezogen.


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