Beschreibung des Oberamts Stuttgart, Amt/Kapitel B 11

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Kaltenthal,
Gemeinde III. Kl. mit 513 Einw., wor. 4 Kathol. Pfarrfilial von Vaihingen. – Die Katholiken sind nach Stuttgart eingepfarrt.
Eine Stunde südwestlich von Stuttgart und 1/4 St. nordöstlich von Vaihingen im oberen engen Nesenbachthal (Kaltenthal), an der hier namhaft verbesserten Landstraße von Stuttgart nach Böblingen, liegt das freundliche mit reinlichen Ortsstraßen versehene Dorf Kaltenthal, welches in den Oberweiler, den Unterweiler und den Schloßberg zerfällt. Zu dem Unterweiler rechnet man die Wohnungen im Thal längs der Landstraße, zu dem Oberweiler die am südlichen Thalabhange und zu dem Schloßberg die stattliche Häusergruppe am nördlichen Thalabhange zunächst des Bergvorsprungs, auf dem einst die Burg Kaltenthal stand. Das Nesenbachthal zieht von seinem Beginne bis an die Stelle, wo die Heidenklinge in dasselbe eingeht, beinahe ganz nördlich und hat daher eine auffallend kältere Temperatur, als die weiter unten liegenden Thalgegenden. | Diese Temperaturverhältnisse gaben schon in den frühesten Zeiten Veranlassung, den oberen Theil des Nesenbachthals im „kalten Thal“ zu nennen, ein Name, der dann auch auf die Burg und das Ort überging; das nach Vaihingen eingepfarrte Dorf hat keine Kirche. Das jetzige Schulhaus ist ein von der Gemeinde erkauftes, im Jahr 1832 zur Schule eingerichtetes Gebäude; es enthält ein Lehrzimmer und die Wohnung des Schulmeisters, der ungefähr 80 Kinder unterrichtet; bis zum Jahr 1775 gingen die Kinder nach Vaihingen in die Schule. Es besteht seit 1831 auch eine Industrieschule, welche von 34 Mädchen besucht und von der Centralstelle des Wohlthätigkeits-Vereins unterstützt wird.

Auf der südlichen Anhöhe im Oberweiler steht das kleine Rathhaus, welches vor 1833 Schulhaus war und welchem im Jahr 1846 ein Thürmchen mit einer Glocke aufgesetzt wurde. Seit 1838 hat Kaltenthal einen eigenen Friedhof, welchen die Gemeinde südwestlich vom Ort an einem Bergabhang rechts der Straße von Kaltenthal nach Vaihingen anlegen ließ; früher mußten die Leichen nach Vaihingen gebracht werden.

Die Markung ist sehr reich an guten Quellen, die nicht nur den Ort hinlänglich mit gesundem Trinkwasser versehen, sondern auch mehrfach hier gefaßt und nach Stuttgart geleitet werden. Die Einwohner sind wenig bemittelt, aber rührig und fleißig. Die kleine Markung steht mit der Bevölkerung in keinem Verhältniß, daher nur die bemittelteren Einwohner sich von Feldbau und Viehzucht nähren. Von den 4 Ortsangehörigen, welche den größten Grundbesitz haben, besitzt der eine 19, der andere 14 und der dritte und vierte je 9 Morgen. Sowohl die vom eigenen Vieh gewonnene, als die in den Nachbarorten aufgekaufte Milch, wird nach Stuttgart abgesetzt und bildet einen Haupterwerbszweig der Kaltenthaler. Minder Bemittelten ist ein der Gemeinde gehöriger Steinbruch mit Sandgrube angewiesen, wodurch sie einen fortwährenden Verdienst von alljährlich mehreren 100 fl. (im Jahr 1846/47 sogar 1400 fl.) haben. Die größtentheils an den Abhängen liegenden Felder werden willkürlich gebaut und haben einen sehr verschiedenen, im Durchschnitt fruchtbaren Boden. Der weiße Stubensandstein, der beinahe durchgängig die Unterlage bildet, ist im Thal mit einem ziemlich mächtigen, der Vegetation sehr förderlichen, Diluviallehm und am Fuße der Filderterrasse mit einem schweren Thonboden überlagert. Dagegen ist auf dem übrigen Theil der Markung die Decke so gering, daß der aufgelöste unten liegende Sandstein eine Hauptrolle spielt und somit den Sandboden zum vorherrschenden macht. Heiße Jahrgänge sind daher dem Gedeihen der Gewächse nicht so zuträglich, wie mäßig nasse. Es werden die gewöhnlichen Getreidearten gebaut, welche, wie die Bracherzeugnisse, mit Ausnahme von Flachs und Kraut, recht gut gedeihen. Die Obstzucht ist | vorherrschend und im Zunehmen; der mittlere Obstertrag kann zu 8000 bis 10.000 Simri angeschlagen werden; neben dem Mostobst werden die meisten edlen Birn- und Äpfelsorten vielfach gezogen und in Handel gebracht. Zwetschgen und Kirschen, obgleich sie gut gedeihen, findet man wenige. Die Wiesen sind besonders ergiebig und erzeugen ein nahrhaftes Futter. Die Preise der Güter bewegen sich zwischen 400 und 600 fl. Die Viehzucht, die nur der Milch wegen getrieben wird, ist nicht bedeutend; die Verpflichtung zur Faselviehhaltung ruht auf der Gemeinde. Außer den 7 Privat-Steinbrüchen, die theils auf Pflastersteine (Liaskalk), theils auf Bausteine (weißer Keupersandstein), hier betrieben werden, beschränken sich die Gewerbe nur auf die gewöhnlichsten; dagegen sind mehrere Schuhmacher angesessen. Der Ort hat zwei Schildwirthschaften, von denen eine zugleich Bierbrauerei ist.

Die ökonomische Lage der Gemeinde als Corporation ist eine höchst ungünstige. Außer dem Rathhaus und dem Schulhaus und 223/8 Morgen ehemaligen Staatswalds, wo ihre Steingruben sind, besitzt sie nicht ganz zwei Morgen Grundeigenthum. Auf der Gemeindepflege ruhen 2450 fl. Passiv-Capitalien; alljährlich muß das Doppelte, ja oft Dreifache der Staatssteuer als Gemeindeschaden umgelegt werden. Die örtliche Stiftungspflege hat nur 743 fl. Vermögen. Vor den Theuerungsjahren belief sich die Summe der versicherten Passiv-Capitalien der Gemeindeangehörigen auf 93.632 fl. Die gemeinschaftlichen Kirchen- und Kultkosten hat die Stiftungspflege Vaihingen zu bestreiten (s. u.). Den großen Zehenten bezieht die Stiftungsverwaltung Eßlingen; der kleine und der Heuzehenten gehört derselben, ist aber der Pfarrei Vaihingen als Besoldungstheil überlassen; die Grundgefälle, welche nach den Gesetzen von 1836 ablösbar waren, sind abgelöst. Als Eßlingen noch Reichsstadt war, gehörte dieser die kirchliche Jurisdiction im Orte.

Die früheste Erwähnung Kaltenthals geschieht um’s Jahr 1125; in einer Kl. Hirschauer Urkunde aus jener Zeit sind Zeugen: Ruggerus et Sigebolt filii domni Engelboldi de Kaltendal (Cod. Hirsaug. 57). Möglich ist, daß einer dieser Brüder ein Ahnherr der späteren Herren von Kaltenthal war. Unter diesen treten auf im Jahr 1236 Febr. 8 Gothefridus de Kaltindal, im Jahr 1270 Waltherus de Kaltenthal (Sattler, Grafen 1 Beilage Nr. 3), und seitdem eine ununterbrochene Reihe dieser Herren; im Jahr 1278 Nov. 3 wird Walther von Kaltenthal von Graf Ulrich von Tübingen mit dem Orte Eltingen belehnt.[1] Im Jahr 1281 nach Jacobi hatte die Veste Kaltenthal eine Belagerung durch die Eßlinger Bürger zu bestehen (Chron. Sindelf.).

| Nach der frühe erfolgten Veräußerung der Stammburg (s. unten) erwarben sich die Herren von Kaltenthal Wohnsitze, Güter und Rechte in Aldingen (ursprünglich tübingisch-aspergisches, dann württembergisches Lehen, wo in der Kirche Grabdenkmale der Herren von Kaltenthal), Osweil, Mühlhausen, Neuhausen, Osterzell (im jetzt bair. Schwaben). Ihr Wappen ist ein Hirschgeweih im rothen Felde. Sie nannten sich am Schlusse des 13. und Anfang des 14. Jahrh. „Burggrafen“ von Kaltenthal, z. B. im Jahr 1283 „Marquart der Burcgrave von Caltental.“ Vorkommende Namen aus der ersten Zeit bis 1318 sind, neben Walther: Götz, Johann, Wolfram, Kaspar, Marquart, Georg, Wilhelm, Konrad; nach 1318 außer den erwähnten: Rudolf, Henel, Burkhard, Engelbold, Christoph, Reinhard, Wolf etc. Eine bis zum Schlusse des vorigen Jahrhunderts herunterreichende Stammtafel gibt die Schillingische Geschlechtsbeschreibung S. 359–361.

Ehemaliges Schloß Kaltenthal.

Württemberg, und zwar Graf Eberhard der Erlauchte, erkaufte im Jahr 1318 Juli 31 von Johann, Rudolf und Walther, Gebrüdern von Kaltenthal, um 630 Pfd. Heller die Burg Kaltenthal nebst Zugehörenden, auch eigenen Leuten zu Vaihingen und Möhringen (Sattler, Grafen 1, 84 Beil. Nr. 56; durch die genannte Summe löste der Graf zugleich 13 Morgen Weinberge zu Hedelfingen ein, welche an die von Kaltenthal versetzt waren). Von dieser Burg datirt Graf Ulrich von Württemberg den 25. Juli 1342 und den 22. Januar 1343 Urkunden; sie diente ihm wohl zu längerem Aufenthalte. Zur Belohnung treuer Dienste belehnte späterhin, den 29. Jan. 1455, Graf Ulrich von Württemberg den Wolf | von Tachenhausen mit dieser Veste sammt Graben, Garten und Zugehör unter Vorbehalt des Öffnungsrechts und mit der Bestimmung, daß die Herrschaft Württemberg, wie bisher geschehen, so noch 4 Jahre lang ihre Gefangenen in den Burgthurm einsperren dürfe (Sattler, Grafen 2, 190 Beil. Nr. 89). Ein gleichnamiger Nachkomme dieses Herrn von Tachenhausen verkaufte im Jahr 1550 diesen Besitz für 2930 fl. an Veit Schöner von Strubenhard, welcher im Jahr 1551 von Württemberg damit belehnt wurde. Von den Herren von Strubenhard kam dieses Lehen im Jahr 1593 an die Herren von Anweil; im Jahr 1611 besitzt solches Hans Wolf von Anweil († 1613), im Jahr 1623 Ludwig von Anweil, welcher es noch im Jahr 1623 an die von Remchingen verkauft. Von letzteren kam Kaltenthal an die von Löwenstern, und Friedrich Gottlieb von Löwenstern verkaufte im Jahr 1709 das Schloßgut theils Lehen, theils Allod, um 10.000 fl. an Herzog Eberhard Ludwig von Württemberg (Breyer, Elem. jur. publ. Wirt. 98. Scheffer 202.[2]) Dieser Herzog veräußerte das ganze Besitzthum, jedoch mit Beschränkung der Jagdgerechtigkeit auf des Guts Kaltenthal Zwäng und Bänne, noch im Jahr 1709 an den Rentkammerprocurator Dr. Stephan Christoph Harpprecht als Allod für 6000 fl. Von dessen Wittwe ging es durch Kaufvertrag an den württ. Regierungsrath Christoph Carl Friedrich von Pfeil über, welcher es 1741 für 12.000 fl. an die Gebrüder Autenrieth, Metzger in Stuttgart, verkaufte. In dieser Familie blieb es bis zum Jahr 1796, wo solches mit den Steuer-, Zehent- und anderen Freiheiten 10 Kaltenthaler und ein Stuttgarter Bürger (Georg Konrad Autenrieth) für 41.000 fl. erwarben. Letzterer Autenrieth ließ die Mauern des allmählig sehr zerfallenen Schlosses abtragen und zur Erbauung einiger Bauernwohnungen auf dem Schloßberge verwenden, und veräußerte später seinen hiesigen Antheil, wozu außer den Burgtrümmern auch ein wohnliches Haus mit altem Unterstocke (1850 im Besitz des Gemeindepflegers Krämer) gehörte, an den Oberjustizprocurator Mörike, dieser an den Grafen v. Normann-Ehrenfels, genannter Graf, im Jahr 1831, an den Kaufmann Bohm. Die Burgreste hatten im J. 1831 schon so abgenommen, daß nur noch die steinerne Brücke über dem ausgemauerten Graben, einige Mauerreste und Kellergewölbe übrig waren. Diese ließ nun Bohm vollends abtragen und überdieß noch den Sandsteinfelsen, auf dem die Burg stand, ausbrechen, so daß endlich 1837 die ehemalige ansehnlichen Veste Kaltenthal, bis auf eine am südlichen Graben stehende Mauer, spurlos | verschwunden war. Beim Abtragen der Kellergewölbe fand man im Grund derselben mehrere alte Gefäße von seltener Form, die theils aus Thon, theils aus feinkörnigem Sandstein gefertigt waren. Diesseits des ehemaligen Burggrabens steht ein Bauernhaus (gegenwärtig im Besitz der Wittwe des Ludwig Berger), mit massivem Unterstock, vorstehendem, zum Theil verziertem Gesimse, rundbogigen Thüren, zwei Wappen und der Jahrzahl 1551, welches von Veit Schöner von Strubenhard erbaut wurde. An dem der Burg gegenüber gelegenen Thalabhange stand das in dem Landbuche von 1624 aufgeführte fürstl. Viehhaus, womit eine Maierei (genannt der herrschaftliche Viehhof) verbunden war, von welcher der Staat im Jahr 1827 Baulichkeiten nebst 20 Morgen Wiesen um 9500 fl. an einen Kaltenthaler Bürger verkaufte, 30 Morgen dagegen noch besitzt und in Pacht gibt.

Je mehr bald nach dem Übergange des Schloßguts in bürgerliche Hände sein Besitz sich vertheilte, um so unvereinbarer mit diesem neuen Verhältnisse erwies sich die auf dem Gute ruhende Befreiung von Gemeindelasten, und bei dem im J. 1837 gehaltenen Ruggerichte kam denn auch zwischen den Gemeindebehörden und den Schloßgutsbesitzern eine Übereinkunft zu Stande, durch welche unter Verzichtleistung der letzteren auf Exemtion von Gemeinde-, nicht aber auch von Amtsumlagen eine vollständige Vereinigung und Gleichstellung des Schloßguts mit dem übrigen bürgerlichen Besitzthum in der Gemeinde Kaltenthal erzielt wurde.

Kaltenthal hatte früher zwei Mühlen, von welchen die obere noch vor 60 Jahren an der Stelle des jetzigen Wirthshauses zur Krone stand, die untere (s. g. Eselsmühle) am s. g. Müllerwäldle am Ende der Ortsmarkung gegen Stuttgart hin schon früher einging.

Für den der Gemeinde früher zuständigen Viehtrieb in den herrschaftlichen Waldungen Wolfsberg und Pfaffenwald, wurde ihr i. J. 1834 durch Finanzmimsterialverfügung ein Bezirk zum unentgeldlichen Laubrechen angewiesen.

Gemeindenutzungen finden keine statt; dagegen haben die Besitzer der längst in viele Theile zerstückelten 2 Erblehenhöfe zusammen das Recht zum jährlichen unentgeldlichen Bezüge von 12 Klaftern Scheiterholz und 600 Wellen.



  1. Als württemb. „Dienstmann,“ und zwar Graf Eberhard’s, erscheint Johann von Kaltenthal, ein Ritter, i. J. 1303. Salemer Schenkungsbuch in Carlsr. 3, 317.
  2. Zum Schloßgut gehörte damals ein unterer Baumgarten von 31/2 Morgen, der Hungerberg mit 20 Morgen, worauf 2 starke Quellen, ein Wald von 50 Morgen (jetzt längst ausgestockt), der Burgrain von 5 Morgen, der Vorhof zu Kaltenthal mit den Gebäuden darin, das Mühlhaus unten am Berg (an dessen Stelle jetzt das Wirthshaus zur Krone), 211/2 Morgen Wiesen, 60 Morgen Äcker, das kleine Waidwerk auf einem Bezirk von 10.000 Morgen u. a. m.


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