Beschreibung des Oberamts Stuttgart, Amt/Kapitel B 8

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
« Kapitel B 7 Beschreibung des Oberamts Stuttgart, Amt Kapitel B 9 »
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).
|
Gaisburg,
Gemeinde III. Kl. mit 916 Einw., wor. 4 Kath. und 3 Israeliten. – Ev. Pfarrei; die Kathol. gehören zur Pfarrei die Isr. zum Rabbin. Stuttgart.
Das Pfarrdorf Gaisburg, 1 Stunde östlich von Stuttgart und 3/4 Stunden südlich von Canstatt gelegen, ist zum größern Theil auf einem zwischen zwei scharf eingefurchten Thälchen ziehenden Bergrücken erbaut, der gegen den Neckar steil abfällt und von dem man eine reizende Aussicht über einen großen Theil des gesegneten Neckarthales genießt. Der ziemlich große Ort, welcher in einiger Entfernung gesehen, eine recht malerische Ansicht gewährt, steht mit Stuttgart durch einen gepflasterten | Weg[1], welcher früher die Hauptstraße von Stuttgart in das Neckarthal war, jetzt aber nur noch als Verkehrsweg für Fußgehende dient, in Verbindung. Zwei weitere Straßen, von welchen eine den Ort seiner Länge nach durchzieht, die andere nur das südliche Ende des Orts berührt (das s. g. Amtssträßle), führen auf die Stuttgart–Eßlinger Staatsstraße. An die Stelle des auf der Höhe des Berges gelegenen sog. Schlößchens, welches im Jahr 1618 von dem Burgvogt zu Stuttgart, Lutz von Menlishofen, der ihm auch gegen Bezahlung von 150 fl. die Steuerfreiheit erworben hatte, erbaut und in der späteren Zeit als Wirthshaus seines Gartens und seiner reizenden Aussicht wegen, viel besucht wurde, ließ der geh. Legationsrath von Pistorius, dessen Wittwe es gegenwärtig besitzt, im Jahr 1835 ein schönes Wohngebäude aufführen.

Die Kirche, nach der Jahrzahl, über dem südlichen Haupteingang im Jahr 1584 erbaut, ist klein, schmucklos und hat nur einige spitzbogige Fenster ohne Füllung; das unansehnliche Thürmchen, welches 3 Glocken enthält, ragt über den westlichen Giebel, auf dem es sitzt, nur wenig hervor. Im Innern verdienen einige geschnitzte Bilder, welche wohl von einem älteren Gotteshaus hieher versetzt wurden, Beachtung. Die Baulast der Kirche ruht auf dem Heiligen, für welchen im Falle der Unvermögenheit die Gemeinde einzutreten hat. Der Begräbnißplatz, der mitten im Ort lag, wurde 1837 außerhalb des Orts, südlich an die gepflasterte Straße, verlegt. Das gut eingerichtete, in der Mitte des Dorfs gelegene Pfarrhaus, welches von dem Staat zu unterhalten ist, wurde 1664 von dem Stift Stuttgart erbaut, 1835 und 1843 wesentlich verbessert. Das Rathhaus, in welchem sich auch der Gemeindebackofen befindet, ist 1835 neu erbaut worden, das frühere, im Jahr 1767 erbaute, ist noch durch sein Thürmchen erkennbar, liegt in der Nähe der Kirche und dient nun als Schule, welche Bestimmung es früher nur nebenbei hatte; an dieser Schule unterrichten ein Schulmeister und ein Lehrgehülfe. Seit 1835 befinden sich hier zum großen Gewinn der Kinder eine durch mildthätige Beiträge gegründete Industrie- und eine Kleinkinder-Schule, welche später ein gemeinschaftliches, eigenes Haus erhielten.

Der Ort, der 125 württ. Fuß über dem Neckarspiegel bei der Canstatter Brücke liegt, leidet zwar keinen Mangel an Wasser, allein dasselbe ist meist von geringer Beschaffenheit, indem das für die Rohrbrunnen größtentheils von den südlich gelegenen Waldhöhen, ziemlich weit, hergeleitet werden muß. Für Brandfälle sind an den Rohrbrunnen zum Pumpen | eingerichtete Cisternen angelegt. Die Luft ist auf der Höhe mild, im Thal auch zur Sommerszeit Abends und Morgens feucht und kalt. Frühlingsfröste schaden häufig den frühen Gewächsen; Nebel gibt es wenig. Hagelschlag trifft selten die Markung, und wenn je vorkommt, nur von Westen her. Dagegen waren die Bewohner von einem Übel anderer Art, dem sog. dreitägigen Fieber, bis vor Kurzem öfter heimgesucht, dessen Ursache nun beseitigt ist. Der Neckar hatte nämlich oberhalb des Berger Wasserhauses sein früheres Bett verlassen und durch den großen Eisgang im Jahr 1784 und die Hochwasser der folgenden Jahre sich ein neues, das in der Nähe von Canstatt beinahe die Landstraße berührt, geschaffen. Das verlassene Bett blieb mehrere Jahre lang sumpfig, und die daraus aufsteigenden, schädlichen Dünste hatten, ungeachtet der bedeutenden Entfernung, in Gaisburg Fieber hervorgerufen, die jedoch wieder aufhörten, als sich durch die Hochwasser späterer Jahre das alte Bett mit Schutt anfüllte. Als man aber im Jahr 1826 dem Neckar mittelst eines Durchstiches sein ehemaliges, von ihm noch jetzt eingenommenes Bett wieder anwies, verwandelte sich das früher 1784 selbst geschaffene, in ein Altwasser, durch dessen Ausdünstung die Wechselfieber in Gaisburg endemisch wurden. Gewöhnlich zu Ende des Frühjahrs entstanden, breiteten sie sich den Sommer und Herbst über immer mehr aus, worauf dann im Winter Nervenfieber folgten. Besonders nachtheilig wirkten die von den Altwassern herziehenden Ostwinde, daher in den Jahren 1834–1837, wo sie vorherrschten, die Krankheit dergestalt überhand nahm, daß auch nicht eine Familie davon verschont blieb, und die epidemische Behandlung der Krankheit in den Jahren 1834–1838 unter Staatsfürsorge fast unausgesetzt statt fand, so daß die zu 2/3 auf die Staatskasse übernommenen Kosten hievon sich auf 3205 fl. beliefen. Hatte gleich die Epidemie eine auffallende Sterblichkeit nicht im Gefolge, so war sie doch von großen Übeln begleitet. Der größere Theil der Bevölkerung kam in seinen Vermögensumständen zurück und körperliche und geistige Abnahme war allgemein bemerkbar. Das Unglück wäre noch größer geworden, wenn nicht in den Jahren 1838–1840 die Altlachen auf den Markungen von Canstatt, Wangen und Gaisburg ausgetrocknet worden wären, worauf theils von diesen Gemeinden, hauptsächlich aber von Seiten des Staats sehr bedeutende Summen verwendet wurden. Seit dieser Zeit verschwanden die Fieber allmählig und kommen gegenwärtig gar nicht mehr vor, so daß sich Gaisburg eines durchaus guten Gesundheitszustandes erfreut, auch ist Sorge getragen, daß in dem, in dem Thale gelegenen als besonders ungesund bekannten Theile des Dorfes keine neuen Wohnungen mehr erbaut werden dürfen. | Indessen sind die Einwohner doch größerntheils körperlich unansehnlich, nicht selten mit Kröpfen behaftet und stehen, überdieß durch harte Arbeit und Entbehrung niedergedrückt, auch in geistiger Beziehung und an kirchlichem Sinn gegen ihre Nachbarn, zurück. Dabei sind sie jedoch sehr fleißig und arbeitsam. Ihre ökonomischen Umstände aber sind keineswegs günstig; Wohlhabende zählt der Ort nur wenige, die übrigen sind mittellos und nicht selten sehr verarmt. Während das Grundeigenthum der 4 größten Gutsbesitzer sich zwischen 8–14 Morgen bewegt, ist der ganze Privat-Grundbesitz mit der Summe von 160.000 fl. versicherter Privat-Capitalien belastet. Durch unermüdlichen Fleiß und hochgetriebene Pflege wird dem im Durchschnitt fruchtbaren Boden das Möglichste abgewonnen; bemerkenswerth ist, daß der Ackerbau, bei welchem der Dinkel vorherrscht, ohne Pflug, nur mit Spaten und Haue betrieben wird. Ein Morgen kostet im Durchschnitt 800–1000 fl. und ist schon bis auf 1400 fl. gesteigert worden.

Bei der nicht unbedeutenden Obstzucht, deren Ertrag in mittleren Jahren sich auf 3000–4000 Simri beläuft, ist es meist auf das Mostobst abgesehen, doch werden auch feine Äpfel- und Birnsorten gezogen und zum Verkauf gebracht. Mit Pfirsichen, Aprikosen, Kirschen, Pflaumen und Zwetschen wird ein einträglicher Handel in die nahe gelegenen Städte, ja öfters bis nach Augsburg und München getrieben. Ein Dörrhaus hat die Gemeinde im Jahre 1847 eingerichtet. Die ziemlich beschränkte Wiesenfläche liefert reichlichen Ertrag; der Morgen ohne Obstbäume kostet 7–800 fl., mit Obstbäumen aber 1000–1100 fl. Da beinahe jede Familie 2 Kühe hält, so reicht das Wiesenfutter zum Erhalten des Viehstandes nicht hin, es wird daher der künstliche Futterbau häufig und mit gutem Erfolg betrieben.

Der Weinbau ist sehr beträchtlich und bildet die Hauptnahrungsquelle der Gaisburger; die Hauptsorten sind Silvaner und Trollinger, es werden aber auch Elbling, Gutedel und in neuerer Zeit Klevner und etwas Rißling gebaut. In der Regel ist der Ertrag reichlich und von mittlerer Qualität, er belauft sich auf 600 Eimer. Von den besseren Weinbergen wird der Morgen mit 800–1000 fl., von den geringeren mit 6–700 fl. bezahlt. Die Kelter hat die Gemeinde im Jahre 1823 dem Staate abgekauft. Die Viehzucht ist hauptsächlich auf den Milchverkauf nach Stuttgart berechnet, welcher einen bedeutenden Erwerbszweig bildet, auf den manche Familie beinahe ausschließlich angewiesen ist. Die Farrenhaltung ruht auf der Gemeinde, welche solche in neuerer Zeit verpachtet. Leute, die nur wenige oder gar keine Güter haben, arbeiten auswärts im Taglohn oder nähren sich mit Sandverkaufen; die Kinder gehen in die Fabriken nach Berg, Canstatt und Stuttgart. Neben den gewöhnlichsten Gewerben, unter denen 15 meist nach | Stuttgart arbeitende Schuhmacher aufzuzählen sind, befinden sich hier 5 Schildwirthschaften, von denen 2 zugleich Bierbrauereien besitzen. Auf der Markung liegen 2 Steinbrüche, einer südlich vom Ort liefert gute Keuperwerksteine, von denen zum Theil die, Gaisburg gegenüber gelegene Villa des Kronprinzen (Stuttgarter Markung) erbaut wurde, der andere, im Wald gelegene, ist ein grobkörniger, weißer Keupersandsteinbruch, der auf Fegsand und Bausteine abgebaut wird.

Die Gemeinde besitzt 167 Morgen Nadelholzwald, aus welchem 57 Klafter und 1800 Wellen geschlagen und den Bürgern zu 1/4 Klafter jährlich unentgeldlich abgegeben werden; desgleichen 18 M. 1/2 Vrtl. 10 Ruthen Wiesen in den sogenannten Theilezen am Rain und an der Straße, welche Graf Ulrich von Württemberg im Jahr 1467 „den armen Lüten zu Gaisburg" gegen einen von der Gemeinde zu entrichtenden Martinzins erblehensweise überließ, sie sind anfänglich halbmorgen-, später viertelweise unter die Bürger zur Nutznießung vertheilt worden und werden nun halbviertelweise als unentgeldliche Nutzung abgegeben, in welche die Bürger nach der Zeit der Erlangung des Activbürgerrechts eintreten, wogegen die jüngeren Bürger, für welche die Theilländer nicht zureichen, je 1/8 Morgen von dem der Gemeinde gehörigen, größtentheUs mit Bäumen ausgesetzten Viehwasen gegen ein niedrig bestimmtes Pachtgeld von 1 fl. 30 kr. bis 2 fl., mit Vorbehalt des Obstes für die Gemeinde, zum Genusse erhalten. Das Geldvermögen der Gemeinde besteht nach der Rechnung von 1848/49 in 2921 fl. Activen, auf welchen aber 2530 fl. Passiven haften. An Gemeindeschaden wird alljährlich eine den Betrag der Staatssteuer weit übersteigende Summe umgelegt. Die Stiftungspflege hatte im Jahr 1848 nur 1384 fl., während ihr Grundstockssoll auf 1801 fl. gesetzt ist; sie bestritt bis zum Jahr 1837 außer den Kosten für Kirche und Gottesdienst auch die Armen- und einen Theil der Schulkosten, vereinigte sich aber in jenem Jahre mit der Gemeindepflege dahin, daß diese die letzteren ganz übernehme.

Nach dem Lagerbuch von 1701 steht der große Zehenten zu 1/3 der Herrschaft Württemberg und zu 2/3 dem Stifte Stuttgart zu; gegenwärtig wird derselbe von dem Staate allein bezogen und ist an die Gemeinde verpachtet. Der von der Pfarrei auf die Staatsfinanzverwaltung übernommene kleine und Obstzehente sowie der der letzteren längst zugehörige Weinzehenten ist ebenfalls an die Gemeinde verpachtet. Den Heuzehenten aus 85 Morgen hat die Gemeinde im Jahr 1838–39 von der Staatsfinanzverwaltung für 812 fl. 48 kr. abgekauft. Ein Bodenweingefäll wurde im Jahr 1846 mit 414 fl. abgelöst. Die übrigen noch auf der Gemeinde ruhenden Grundlasten sind von keinem Belang.

Der Ort gehörte zur ältesten Grafschaft Württemberg. Um’s Jahr | 1140 schenkte Reginbert von Canstatt dem Kloster Hirschau ein Gut in Geiseburg (Cod. Hirsaug. 67). Im Besitze von Gütern und Rechten waren: die Herren von Echterdingen (z. B. Markward und Heinrich, Gebrüder, unter Oberherrlichkeit Schwiggers von Blankenstein), welchen das Kloster Bebenhausen in den Jahren 1282–94 Güter und Zehenten abkaufte, Werner von Ebersberg, welcher im Jahr 1362 an Reinhard von Neuhausen Güter verkaufte (Gabelk.), die Herren von Neuhausen, in deren Familie Werner im Jahr 1366 Sept. 21 seine Leibeigenen in Gaisburg an Württemberg veräußerte; – von geistlichen Stiftern: Kloster Kaisersheim, welches im Jahr 1318 März 18 dem Kloster Bebenhausen hiesige Weinberge abkaufte (Reg. Boic. 5, 387), der Eßlinger Spital (erkaufte 1346 Juli 23 eine Gült von Schwigger von Gundelfingen), das Barfüßer-, St. Clarakloster und die Pfarrkirche in Eßlingen. Ursprünglich war Gaisburg Filial von Berg (Kastkellereilagerbuch von Stuttgart, 1524). Um’s Jahr 1590 wurde der Pfarrsitz nach Gaisburg verlegt, vielleicht weil Gablenberg auch zur Pfarrei gehörte und dieses von Berg zu weit entfernt lag. Es erhielt damals eine Kirche, die Todten mußten aber bis zum Jahr 1610 nach Berg gebracht werden und erst von der Zeit an erhielt Gaisburg einen eigenen Begräbnißplatz. Die Taufen der Gablenberger durften bis gegen 1650 nur in Gaisburg vollzogen werden. Im Jahr 1834 wurden Gablenberg und 1845 Berg von Gaisburg getrennt und zu selbstständigen Kirchengemeinden erhoben.



  1. Ein langwieriger, über die Unterhaltungslast jenes Weges auf der Markung von Gaisburg zwischen dieser Gemeinde und der Stadt Stuttgart geführte Proceß ist im Jahr 1840 durch Erkenntnis des K. Obertribunals zu Gunsten der ersteren entschieden worden.


« Kapitel B 7 Beschreibung des Oberamts Stuttgart, Amt Kapitel B 9 »
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).