Ein Admiral der künftigen deutschen Flotte
Der erste October 1867 wird unvergeßlich sein in den Annalen der preußischen Marine, aber auch unvergeßlich in den Jahrbüchern der deutschen Geschichte. Der Tag, an welchem Preußen, als der erste deutsche Staat, seine eigene Flagge streicht mit den an Siegen und Ehren reichen Farben, um dafür die Flagge des norddeutschen Bundes auf Befehl und in Gegenwart ihres Oberbefehlshabers, des Prinzen Adalbert, feierlichst aufzuhissen – er ist der Geburtstag der deutschen Flotte geworden, einer Flotte, die sicher nicht wieder unter dem Hammer eines „Fischer“ verschwinden wird. Mit dieser neuen Flagge ist gewonnen, was der deutsche Handel so lange vergeblich erstrebt hat, Unabhängigkeit und Schutz. Denn nicht mehr wird er jetzt kümmerlich leben müssen von der demüthigenden Protection anderer Seemächte, im stolzen Bewußtsein endlich errungener kraftvoller Selbstständigkeit an sämmtlichen Plätzen des großen Weltverkehrs wird er vielmehr der Concurrenz aller Nationen getrost begegnen können.
Die Umwandlung der preußischen in eine norddeutsche, hoffentlich bald schlechtweg deutsche Flotte kann natürlich auf alle Verhältnisse derselben und speciell ihre Leitung nicht ohne ebenfalls umgestaltenden Einfluß bleiben. Bisher war das Marinewesen nur einem besondern Departement des Kriegsministeriums, nunmehr wird es der Verwaltung eines eigenen Ministeriums unterstellt werden und die Ernennung eines Bundesmarineministers dürfte schon in der nächsten Zeit bevorstehen. Bestimmt auftretende Gerüchte nennen bekanntlich den preußischen Contreadmiral Jachmann als den zu dieser neuen Würde Ersehenen. „Was für ein Mann ist dieser Jachmann?“ fragt nun das deutsche Volk und es freut mich, daß ich ihm darauf antworten kann: Jachmann ist ein Mann, den die Regierung hoch schätzt, da sie seine seemännische Tüchtigkeit geprüft und erkannt hat. Nach dieser Erkenntniß wird sie ihn verwenden und wir können dieser Verwendung mit vollkommenstem Vertrauen entgegensehen. Jachmann ist ein Mann „mit Genie und Ellenbogen“ wie das Sprüchwort sagt, ein Mann, dessen Fähigkeiten stets in solchen glücklichen Momenten zu Tage traten, wo die Zeit ihrer am dringendsten bedurfte. Und so avancirte er von Stufe zu Stufe bis zum Admiral, eventuell zum Minister. Aber er ist ein Mann, der sich entschieden dagegen sträubt „besungen“ zu werden, weil er nach seiner Behauptung noch nichts Erhebliches geleistet. Dies sein Sträuben wird ihm freilich nichts helfen, er gehört nun einmal der Oeffentlichkeit an, und die Presse bringt’s doch an den Tag. So will ich denn getrost berichten, was ich von ihm weiß und was er mir selbst gesagt hat.
Der Admiral wurde in einem Städtchen Westpreußens etwa in den Jahren 1818 oder 1819 geboren und von seinem Vater, einem höheren Gerichtsbeamten, für eine gelehrte Carrière bestimmt. Demgemäß besuchte Jachmann das Gymnasium und wurde von seinen Eltern eifrig zum Studium angehalten. Allein die trockene Wissenschaft sagte dem lebendigen Geiste des jungen Mannes wenig zu; er sehnte sich schon früh nach dem Kampf mit dem Leben auf den wilden Wogen des unbegrenzten freien Weltmeeres. Nur der Widerstand seiner Eltern fesselte ihn an die Schulbank, und wenn er aus Achtung und Gehorsam vor diesen sich fügte, so waren es nur die praktischen Wissenschaften der Mathematik und Naturlehre, welche ihm einigermaßen Ersatz für den Zwang boten. Indeß mit jeder weitern Classe, welche Jachmann absolvirte, wuchs seine Lust zum Seeleben und, die oberen Classen des Gymnasiums erreicht, vermochte er nicht mehr zu widerstehen. Seine Eltern erkannten die Vergeblichkeit ferneren Widerstrebens, und so ging Jachmann in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre zur See. Dem Vaterlande war ein Admiral gegeben.
Jachmann machte seine Laufbahn, wie man sagt, von der Pike auf, das heißt, er war gewöhnlicher Schiffsjunge und leistete alle diejenigen schweren Dienste, welche jedem andern Schiffsjungen aufgetragen werden. Und wer von diesen Diensten einen Begriff hat, der weiß, was das sagen will. Damals dachte noch kein Mensch daran, daß die Entstehung einer preußischen Flotte in den Grenzen der Möglichkeit liege; es gab also noch keine Cadetten, und auf den Schiffen war jeder Standesunterschied aufgehoben. Ob der eine Schiffsjunge Secundaner und Sohn eines Präsidenten, der andere der gänzlich unwissende Sohn eines Hausknechtes, das war dem Capitän und der Schiffsmannschaft vollkommen gleichgültig, sie waren eben Beide Schiffsjungen, nichts weiter, thaten als solche ihre schwere Arbeit und machten ihre Zeit in dieser Stellung durch. Mühsam avancirte Jachmann zum Leichtmatrosen und war stolz, als er nach Ablauf mehrerer Jahre voll harter Arbeit zur Würde eines Vollmatrosen emporstieg. Denn ein Vollmatrose ist ein ganzer Mann, der für den Capitän einen hohen Werth hat, der aber auch im vollen Bewußtsein seines Werthes nach Erfüllung seiner harten Pflicht die Achtung seiner Rechte begehrt. Als Vollmatrose fuhr Jachmann mehrere Jahre zur See und eignete sich in vollkommenster Weise die Praxis dieser Charge an. Indeß fühlte er den Drang zur Fortbildung in sich; zu Anfang der vierziger Jahre begab er sich auf die Danziger Navigationsschule, machte den Cursus zum Steuermannsexamen durch und bestand die Prüfung zur vollkommenen Zufriedenheit. Auch hier folgte der Theorie die Praxis und Jachmann fuhr wiederum mehrere Jahre zur See in der hochwichtigen Stellung als Steuermann, um sich hier diejenige Kaltblütigkeit anzueignen, welche den Seemann und vorzugsweise den Steuermann selbst bei plötzlich hereinbrechenden Gefahren keinen Augenblick verlassen darf.
Nach einigen Jahren begab sich Jachmann wiederum zur Navigationsschule, um sich zum Capitänsexamen vorzubereiten. Es war im Jahr 1849; die preußische Regierung war zu dem Entschluß gekommen, eine Kriegsflotille zum Schutz der Küsten zu begründen. In Verlegenheit um Seeofficiere stellte sie eine prüfende Wahl unter den jungen Seeleuten an, welche sich zur Vorbereitung [711] für das Capitänsexamen eben auf der Navigationsschule befanden. Sie fand darunter blos zwei, die nach ihrem wissenschaftlichen, socialen und sittlichen Standpunkte sich für die Stellung eines preußischen Officiers eigneten. Es waren Jachmann und Barrandon. Beide wurden zu Officieren zur See ernannt. Damit war Jachmann’s Carriere entschieden.
Freilich konnte der Uebergang von einem Seemanne zu einem Marineofficier kein ganz glatter sein. Die starre, unbeugsame Ueberzeugung eines Seemannes und seine Biderbheit treten oft in Formen zu Tage, welche für eine andere Welt unverständlich bleiben und eine irrthümliche Beurtheilung finden. Auch ist die wenngleich strenge Disciplin des Seemannes eine ganz andere, als die des Soldaten. Der Seemann leistet bei jedem Dienst unbedingten Gehorsam und büßt mit schweren Strafen jede Unpünktlichkeit, aber außerhalb des Dienstes steht er als unabhängiger Mann, der seinen Werth kennt, seinem Vorgesetzten gleich und ist in seiner Ansicht ebenso starr, wie dieser. Der Soldat ist unter allen Umständen und stets seinem Vorgesetzten Gehorsam und Achtung schuldig, er gehorcht immer unbedingt, er beurtheilt und lernt schweigend. Was Wunder, daß aus diesen Contrasten Unebenheiten entstehen mußten, welche eben nur die Zeit verschwinden machen konnte.
Noch ein Umstand kommt in Betracht. Die Kaltblütigkeit des Seemanns hat gegen die Gefahren des Landes, des Wassers und der Luft anzukämpfen. Allein bei dem Kriegsseemann tritt die dringende Gefahr eines neuen Elementes zu allen übrigen Fährlichkeiten hinzu, die Gefahr, die ihm in Gestalt feindlicher Feuerschlünde entgegendroht. Und die Kaltblütigkeit dieser Gefahr gegenüber läßt sich nicht erlernen, die Praxis muß sie bringen. Es liegt in der Natur der Sache, daß ein Seemann, der sich dieser Gefahr zum ersten Male gegenüber befindet, einer Gefahr, welche jeden Augenblick sein eigenes und das Leben seiner Mannschaft vernichten, sein Fahrzeug zum sinkenden oder gänzlich hülflosen Wrack machen kann, nicht den Grad von Ruhe und Geistesgegenwart bewahren vermag, als wäre er in der kriegerischen Seemannscarriere erzogen. Die Schwierigkeit wächst, wenn mit ihm die ganze Mannschaft auf diese Gefahr nicht vorbereitet ist, wenn die Fahrzeuge noch der leichten Manövrirfähigkeit entbehren, welche für solche Fälle ebenso wichtig ist wie die Kaltblütigkeit der Mannschaft.
So nur konnte es kommen, daß in dem damaligen Kriege eine dänische Fregatte im Angesicht von Swinemünde und trotz der Nähe einiger preußischer Kriegsfahrzeuge friedliche Kauffahrteischiffe entführen durfte. Das Begebniß ist zur Genüge bekannt.
Allein häufig hat ein Unfall die segensreichsten Folgen. Der Tag von Jena war die innere Ursache des Tages von Leipzig, des Tages von Waterloo; ja, ich gehe weiter und behaupte, daß wir dem Tage von Jena die Tage von Düppel, Alsen und Königgrätz verdanken. So auch hatte der Tag von Swinemünde – wenn auch nicht in so eminentem Maßstabe – seine glücklichen Folgen. Jachmann erkannte an diesem Tage Zweierlei. Zuvörderst, daß der preußischen Flotte noch gänzlich die leichte Beweglichkeit, die Fähigkeit des Manövrirens und die geeignete Bewaffnung für Angriff und Vertheidigung fehle; sodann, daß zwischen einem tüchtigen, bereits erprobten Seemann und einem fähigen Kriegsmarineofficier noch ein gewaltiger Unterschied bestehe.
Er hatte den hohen Muth, seine bisher so starre Ueberzeugung in Anschauung der Dinge und Personen zu modificiren. Sein ganzes Wesen erfuhr eine Wandlung und in tiefstem Ernste trat nunmehr die Aufgabe an ihn heran, seinem Vaterlande eine Flotte zu bilden. Unter oberster Leitung des Prinz-Admiral, unterstützt durch seine vielseitigen nautischen Erfahrungen und durch vergleichende Studien mit den Kriegsflotten anderer Nationen, förderte Jachmann diese Aufgabe mit aller Kraft seiner Energie und benutzte dazu jede Expedition während der Zeit des Friedens. Sein Streben war, die preußische Flotte ebenso kriegstüchtig und gewandt zu machen, wie es die preußische Landarmee ist. In solcher Thätigkeit erwartete er sehnsuchtsvoll den Tag der Revanche für Swinemünde. Und er kam, dieser Tag. Das Jahr 1864 brachte ihn, und der Däne, der wohl solche Fortschritte der verhöhnten preußischen Flotte nicht für möglich gehalten hatte, erkaufte sich die Belehrung ziemlich theuer. Der „Adler“ und die „Grille“ waren es, die sich vom Dänen nicht lange bitten ließen. Unter Jachmann’s Befehl spielten sie ihm ein unerwartet Lied und umtanzten ihn rechts und links, sodaß dem alten Knaben angst und bange wurde und er trotz seiner Uebermacht schleunigst von dannen dampfte. Das war der Tag von Rügen, welcher der jungen preußischen Flotte mehr als Revanche für Swinemünde gab und Jachmann das Patent als Contre-Admiral einbrachte. Damit wird seine Laufbahn indessen nicht beendet sein; er ist zu jung dazu, und die norddeutsche Bundesflotte hat eine zu reiche Zukunft.
Vor Kurzem hatte ich bei dem Marine-Minister die Nothwendigkeit beleuchtet, zwischen Volk und Marine eine lebhaftere Verbindung herzustellen, und hatte darin sowohl bei ihm als bei Jachmann Anerkennung gefunden. Um die Sache mit dem Letztern nochmals zu besprechen, freilich auch, um hinterlistiger Weise etwas Näheres über ihn zu erfahren, begab ich mich zu ihm.
Ich war eben im Begriff, in seinem Vorzimmer ein bis in das kleinste Detail genaues Modell der „Gazelle“ zu betrachten, als der Admiral mit schnellem, leichtem Schritt eintrat, meinen Namen nannte und mich mit höflicher Handbewegung in ein anderes Zimmer einlud. Tournure eines Seemannes, dachte ich, übertragen in den Stil der Salons. Dem entsprachen auch seine Statur und Toilette; mittelgroß, elastisch, kleine Neigung zum anständigen Embonpoint; eleganter, aber bequemer offen stehender Officier-Ueberrock und – Lackstiefeln.
Eine äußerst angenehme, ich möchte sagen vertrauliche Handbewegung lud mich ein Platz zu nehmen, er setzte sich mir dicht gegenüber und hatte es glücklich so eingerichtet, daß ich gegen das Licht saß, um mein Gesicht besser prüfen zu können. „Ich kenne,“ begann er, „Ihre Absicht und sowohl der Marineminister als auch ich billige dieselbe vollkommen, indeß sind wir über die Form noch nicht recht einig …“ – Ohne alles Vorspiel mit einem Sprunge mitten hinein in die Handlung, um die es sich eben dreht, – das ist praktisch. Nach meiner Idee hatte der Admiral nun mein Gesicht lange genug studirt, und ich wollte die Sache jetzt umkehren. Mitten im eifrigsten Gespräch rückte ich wie unwillkürlich einige Male mit dem Stuhle, er merkte meinen Verrath nicht – und richtig, jetzt hatte ich halbes Licht. Nun konnte ich auch sein Gesicht studiren. Etwas zurückweichende breite Stirn, gewährt viel Platz für Gedanken, deren wirkliche Gegenwart die lebhaften, intelligenten Augen verkünden. Ziemlich starke Nase. Regelmäßige Lippen, umspielt von derjenigen Faltenlage, welche auf sichere Berechnung und hohe Energie deutet. So auch das Ensemble. Klare, objective Prüfung der Dinge. Berechnung der Ursachen und Wirkungen, demgemäße Feststellung des Handelns, welches mit derselben ruhigen Sicherheit folgt, wie die Nacht dem Tage folgt. Dies ganze Gesicht sagt: „Ich kenne Deine Absicht, lieber Freund, und bin gänzlich darauf vorbereitet, komme also gefälligst offen damit hervor.“
Mit meiner Hinterlist war es also nichts, das merkte ich wohl, und als das erste Thema beendet, hielt ich es für das Beste, mit meiner Bitte um biographische Notizen herauszurücken. Ich schmücke meine Rede aus mit den verführerischsten Bemerkungen als ‚Unmöglichkeit, sich der Aufmerksamkeit des Publicums zu entziehen, weil zu bedeutungsvolle Stellung‘ – ‚Wunsch der Gartenlaube‘ – ‚Stimme der Welt‘ – ‚Recht der Nation, ihre bedeutenden Männer kennen zu lernen‘. Kurz, ich leistete das Menschenmögliche, ohne daß es mir gelungen wäre, dies Lächeln aus dem Gesicht zu verbannen, dies Lächeln, welches mir sagte: „Da habe ich Dich, mein Guter, ich wußte es längst, aber es wird nichts daraus.“ – Er ließ mich ruhig meine schöne, extemporirte Rede enden und erwiderte dann mit der verbindlichsten Miene: „Ich würde Ihnen schon deshalb Ihre Bitte versagen müssen, weil ich sie bereits Anderen ablehnte. Außerdem habe ich bisher nichts Großes geleistet; sollte ich später in die glückliche Lage kommen, Hervorragendes zu vollbringen, dann überlasse ich meinen Nachfolgern, meine Biographie zu schreiben. Ich selbst kann dazu nichts thun, es widerstrebt meiner Ueberzeugung. Endlich aber versichere ich Sie, weiß ich aus meinem Leben nichts irgend Erwähnenswerthes zu berichten. Daß ich geboren bin, sehen Sie; ich wurde dann erzogen, ging zur See und bin jetzt preußischer Contre-Admiral.“ – Damit endete er und schien äußerst vergnügt über diese wohlgelungene Lebensskizze. – „Schön abgefallen,“ dachte ich und nahm mir sogleich vor, die ganze Scene niederzuschreiben. Aber ich hatte mich geirrt, ich war nicht abgefallen; denn der Admiral ging nun wiederum zum ersten Thema über und setzte mir die Schwierigkeiten [712] auseinander, welche eine freilich als wünschenswerth erkannte nähere Verbindung zwischen Flotte und Volk herbeiführe. Sein Wesen war dabei von so gewinnender Einfachheit und Offenheit, daß ich seine Weigerung vollkommen darüber vergaß.
Damit wird der Leser freilich noch kein rechtes Bild von Jachmann bekommen; zum Glück kann ich indeß noch etwas leisten. Herrn Photograph Brandt in Flensburg begünstigte das Schicksal mehr als mich; er photographirte den Admiral und behielt die Platte für sich, er vermag ein deutlicheres Bild zu liefern als meine Feder; deshalb werde ich der Gartenlaube demnächst diese Photographie übersenden, natürlich hinter dem Rücken des Admirals, der davon kein Wörtchen weiß. Das wird aber die Redaction gewiß nicht abhalten, danach recht bald für das gesammte große Publicum ihres Blattes ein Bildniß herstellen zu lassen. –