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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

dieselbe nur ein paarmal flüchtig gesehen, immer so schlecht zu sprechen gewesen war. Dann mußte es das Unglück wollen, daß, kurz nachdem Hopps vor zwei Jahren nach Berlin gezogen waren, Schlagododro die Familie, die sich anfangs noch wohl zeigen konnte, in einem Vergnügungslokale getroffen und die alte Freundschaft erneuert hatte. Das war ein Fest für H. H. gewesen! Seinen lieben Herrn von Vogtriz wieder zu haben, mit dem es sich so prächtig spaßen, so gründlich über Pferde und was damit zusammenhing, plaudern und so gemüthlich trinken ließ! Bis dann eines Abends dem braven H. H. – ich hatte nicht erfahren, bei welcher Gelegenheit – die trunkenen Augen aufgingen über die eigentliche Veranlassung von des jungen Herrn Besuchen in seinem Hause und es zu einer Auseinandersetzung kam, die diesen Besuch zu einem letzten machte.

Und nun sollte Schlagododro, wenn Brinkmann richtig gesehen, das leidige Verhältniß doch fortgesetzt oder wieder aufgenommen haben. Was konnte für das arme Mädchen daraus kommen als das Elend, das mich, der ich so, düsteren Sinnes, eilig dahinschritt, nur allzu oft vorüberstreifend aus frechen Augen anstarrte, von geschminkten Lippen entgegengrinste!

Ein heftiger Regenguß, der sich plötzlich entlud, hatte mich mit einer Schar Anderer in dem zugigen Nebendurchgang eines Hauses Schutz suchen lassen. Es kamen noch Mehrere, die uns zuerst Untergetretene weiter nach hinten drängten. Plötzlich gewahrte ich über die Köpfe der Leute weg im Vordergrunde, wohin noch der Flackerschein der nahen Straßenlaterne fiel, Jemand, der den schwarzen Haufen ebenfalls um Kopfeslänge überragte und in welchem ich, als er, nach dem Wetter aufblickend, für einen Moment den Kopf hob, Schlagododro zu erkennen glaubte. Ohne zu überlegen, daß ich ihn ja nicht ansprechen durfte, wollte ich mein Inkognito, an dem mir so viel lag, bewahren, drängte ich, der Schelt– und Drohworte der Leute nicht achtend, gewaltsam durch den Knäuel – vergebens: als ich den Ausgang erreichte, war die Stelle, wo der Herr gestanden, leer. Auf dem schmalen Trottoir der Straße schoben sich dicht neben den vorüberrasselnden Droschken und Lastfuhrwerken die Regenschirme durch einander. War er nach rechts, war er nach links gegangen? Ein hoffnungsloser Fall. Und vielleicht hatte ich mich geirrt: der Kopf mit dem modisch kurz geschnittenen Haar, das Gesicht mit dem starken blonden Schnurrbarte und (wenn ich recht gesehen) der breiten rothen Narbe quer über die linke Wange – sie mochten der Himmel weiß wem gehören; es waren nur der hohe Wuchs, die breiten Schultern und die Weise gewesen, mit welcher der Herr den Kopf in den Nacken schleuderte, was mich an den Freund erinnerte. Und es war gut so. Die alte Zeit lag hinter mir – ein Ruinenfeld, auf dem ich nichts mehr zu schaffen, nichts mehr zu suchen hatte – vorbei, vorbei!

Da – zwanzig Schritte vor mir – taucht sie wieder auf, die breitschulterige Gestalt, jetzt aber mit einer Dame am Arme, die auch vorhin schon bei ihm gewesen sein mag, nur daß ich die so viel Kleinere nicht bemerken konnte. Er hält den Regenschirm sorgsam über sie, während er eifrig zu ihr hinabspricht. Jetzt stehen sie an der Kreuzung der Straßen still; er drückt ihr den Regenschirm in die Hand, winkt einer leer vorüberfahrenden Droschke, welche sich alsbald mit ihm in Bewegung setzt. Die nun Einsame an der Straßenecke blickt dem sich rasch entfernenden Wagen noch ein paar Momente nach und geht dann, ein kleines Bündel, das sie zusammen mit dem Schirme in der Rechten gehalten, in die Linke nehmend, weiter die Straße hinauf. Mit ein paar raschen Schritten bin ich an ihrer Seite.

„Christine!“

„Ach, Sie sind’s!“

„Wohin willst Du?“

„Ich habe diesen Hut hier in der Nachbarschaft abzugeben.“

„Darf ich Dich begleiten?“

Sie zögert mit der Antwort. Ein paar junge Männer, die an uns vorüberstreifen, stoßen einander an und fangen an zu lachen. Sie schaudert zusammen und ergreift hastig meinen Arm:

„Kommen Sie!“

(Fortsetzung folgt.)


König Ludwig von Bayern an Josef Kainz.

Die folgenden Briefe des Königs Ludwig, welche vor Jahresfrist durch einen besonderen Anlaß von dem Empfänger derselben in meine Hände gelegt wurden, erregten mein größtes Interesse; zuerst weil sie in eigener Handschrift des Königs abgefaßt waren, dann auch weil die großen kräftigen Striche, welche die Schrift des Königs charakterisiren, verbunden mit der fast hilflosen Schrägheit der auswärtslaufenden Zeilen, zu der Einfachheit und Klarheit des königlichen Stils im hellen Widerspruch standen.

Die Briefe lagen lange Zeit hindurch unberührt in meinem Pulte. Die traurige Nachricht von dem jähen Tode des Monarchen ließ mich von Neuem dieselben durchsehen. Während ich die einzelnen Stellen der von wärmster Empfindung und von echtester Kunstbegeisterung durchglühten Briefe las, fühlte ich, daß ich nicht das Recht hatte, sie denen vorzuenthalten, die mit mir ein Interesse für die Herzensworte haben, welche in den nachfolgenden Schriften wiedergegeben sind.

Ich gebe den Inhalt möglichst wörtlich, nachdem ich mir dazu die Erlaubniß des jungen Künstlers, an den sie gerichtet sind, eingeholt und diejenigen Stellen, die allzu sehr auf seine Person lenken, zu kürzen versprochen. Wenn demungeachtet Vieles an persönlichem Lob für den Künstler stehen geblieben, so bitte ich den Adressaten deßwegen um Verzeihung!

Die Briefe sind geführt in der Orthographie des Königs in getreuer Wiedergabe aller seiner Eigenthümlichkeiten. Ein Theil der Schriften, der erste, der zweite und der dritte Brief, spricht für sich. Andere benöthigen der Erklärung, die ich, vom Empfänger aufs Genauste unterrichtet, an den geeigneten Stellen anfüge.

Wiederholt enthalten die Briefe Erwähnung der Namen „Saverny“ und „Didier“. Beide Benennungen wurden vom König und Kainz als Inkognito auf der später genannten Schweizerreise benutzt. Die Namen führen zurück auf die Bekanntschaft und spätere Freundschaft des jungen Künstlers mit dem König. Es war im Jahre 1881. In einer der Separatvorstellungen wurde „Marion de Lorme“ von Victor Hugo gegeben. Josef Kainz spielte den „jungen, heimathlosen Didier“, Herr Rohde den älteren Freund, „Marquis von Saverny“. Der König folgte dem Spiel mit regstem Interesse und übersandte, als die Vorstellung zu Ende war, dem überraschten Darsteller des „Didier“ einen überaus kostbaren, mit Sapphiren und Diamanten gefaßten Ring. Am folgenden Tage wurde das Stück „Marion de Lorme“ noch einmal befohlen.

Auch zum Schluß dieser Vorstellung erhielt Josef Kainz vom König ein werthvolles Andenken übersandt, begleitet von den Grüßen des Königs und dem Ausdruck seiner hohen Anerkennung.

Die Briefe, welche der jugendliche Künstler hierauf voll heißen Dankes an den König absandte, trugen ihm reiche Ernte. Von dem Ministerialrath von Bürkel erfuhr Josef Kainz, daß der König von dem stürmischen Wortlaut seines Schreibens aufs Angenehmste berührt worden war.

Es vergingen einige Tage, in denen zum Beschluß der Separatvorstellungen Vorbereitungen zu der Wagner’schen Oper „Meistersinger“ getroffen wurden. Am Tage der Vorstellung kam vom König der eben so überraschende als unbequeme Befehl, die Oper abzusetzen und an ihrer Stelle „Marion de Lorme“ zu bringen.

Der König folgte dem Spiel zum dritten Male von Anfang bis zu Ende und übersandte am Schluß des Abends dem jungen Didier-Kainz nachfolgende Botschaft: Er lasse ihn herzlichst grüßen, er danke ihm für den Genuß, den ihm sein Spiel bereitet, er hoffe, ihn dauernd an München zu fesseln.

Da diese Worte abermals begleitet waren von einem Werthgeschenk des Königs – ging selbstredend am kommenden Morgen ein glühender Dankesbrief von dem Künstler in das königliche Kabinet, und dieser Brief war es, der ihm das erste Schreiben aus der eigenen Feder des Königs eintrug. Dasselbe lautet:

      (Erster Brief.)

„Lieber Herr Kainz! Noch ganz unter dem mächtigen Eindrucke Ihres ergreifenden, unvergleichlichen Spieles und des heute

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 475. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_475.jpg&oldid=- (Version vom 14.7.2022)