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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Reinhold Begas.

Begasscher Garten mit Ateliergebäude.

Bis gegen das Ende der sechziger Jahre war das „Karlsbad“ eine der stillsten, ländlichsten und anmuthigsten Straßen Berlins, eine Sackgasse, die sich an der Südseite der Potsdamerstraße, nahe hinter der Brücke über den Kanal, öffnete und an ihrem südlichen Ende durch einen Bretterzaun, welcher eine Wiese umhegte, abgeschlossen war. Ihr Damm war ein ungepflasterter, ja nicht einmal chaussierter breiter Weg, der sich, ohne Trottoirs auf den Seiten, zwischen meist nur ein- oder zweistöckigen, mitten in Gärten liegenden Landhäusern und bescheidenen Villen dahinzog. Ihren Namen hatte diese merkwürdige Straße ursprünglich von einer großen Badeanstalt, die sich an ihrem Eingang links an der Ecke der Potsdamerstraße in einem weiten Garten befand, erst in den fünfziger Jahren den Gebäuden des Restaurants Mielang gewichen ist und nach dem Begründer oder zu Ehren des Prinzen Karl so genannt wurde. Die Gärten der Häuser an der Ostseite erstreckten sich bis zum Ufer des alten Landwehrgrabens, welcher 1848 in den jetzigen Schiffahrtskanal verwandelt wurde, und an der Westseite bis weithin zur „Lützower Wegstraße“, die heute den Namen Lützowstraße führt. Nur zwei Häuser in der östlichen Reihe nahe dem Ende der Straße ragten hoch über die andern ländlichen niedrigen Baulichkeiten empor. Das eine von ihnen schaute aus einem fast waldartigen Park hervor, der es auf allen Seiten umgab und mit seinen hohen dichten Laubbäumen umschattete: ein seltsamer Bau in mittelalterlichem Burgcharakter, welcher durch Lage, Erscheinung und Einrichtung die Geistesart und künstlerische Gesinnung seines Erbauers und Bewohners, eines echten Romantikers, des Baumeisters Stier, jedem, der sehen und urtheilen konnte, sofort verrieth. Im Volksmunde führte dies im Frühling von Pirol-, Finken- und Nachtigallengesang umtönte Haus den Namen die „Stierburg“. Unmittelbar an die Südseite seines Parkes grenzte der weite, wohl gehaltene Frucht-, Blumen- und Gemüsegarten, in dessen Mitte sich das andere der beiden einzigen „hohen Häuser“ der Straße „Auf dem Karlsbade“ erhob. Seine ganze Erscheinung trug einen nicht minder eigenartigen persönlichen Stempel als jene Nachbarburg. Das mächtige obere Stockwerk zeigte in seiner Nord- und Ostwand kolossale Atelierfenster. Man sah, daß es von einem Maler bewohnt und für dessen Zwecke nach seinem eigenen Plan erbaut worden war.

Dieser Erbauer, Eigenthümer und Bewohner war der berühmte Maler Professor Karl Begas. In den dreißiger Jahren hatte er, der damals vor allen andern Berliner Malern gefeierte Meister, sich dies Haus hier in der weltverborgenen, stadtfernen, ländlichen Einsamkeit und Stille gegründet. Es wurde zur Stätte zugleich der rüstigsten, freudigsten, unermüdlichsten, künstlerisch-schöpferischen Arbeit und des beglücktesten Familienlebens. Die junge Hausfrau, ein wahrhaft idealer Mustertypus edler, blonder, blauäugiger, gesunder germanischer Weiblichkeit, welche hohe reiche Geistes- und Herzensbildung, glückliche musikalische Begabung und häuslichen Sinn in sich vereinigte, schenkte dem geliebten Gatten, in dessen braunäugigem, dunkellockigem, bräunlich blassem Antlitz und seiner Gestalt sich der spanische Ursprung seiner aus Belgien in die Rheinlande eingewanderten Familie nicht verleugnete, sechs Söhne und zwei Töchter. Die letzteren schienen, wie man im Volk zu sagen pflegte, „zu schön für diese Welt“ und starben im blühenden Mädchenalter dahin; die Söhne aber wuchsen in Haus und Garten in voller Freiheit auf. Der eigene wie jeder der benachbarten Gärten, die ganze vom geschäftigen Verkehr abgeschiedene Straße und die angrenzenden Wiesen wurden die weiten Tummelplätze, auf denen sie sich nach Herzenslust austoben konnten. Das Talent für die bildenden Künste und für die Musik war ihnen allen von den gütigen Feen mit in die Wiege gelegt worden. Jenes entwickelte sich gleichsam von selbst und spielend weiter in des Vaters Werkstatt und in der steten Berührung mit allem, was im damaligen Berlin an hervorragenden Künstlern lebte und wirkte, wie mit den zahlreichen jungen Schülern des väterlichen Ateliers.

Am 15. Juli 1831 war der vierte dieser Söhne geboren worden. Bei seiner Taufe hatten die drei ersten Bildhauer des damaligen Berlin, Gottfried Schadow, Christian Rauch und L. Wichmann, die Pathenstellen übernommen. Ihr Segen hat sich wundermächtig an dem Kinde erwiesen. Es empfing den Namen Reinhold. Ueber seine Bestimmung, seinen Beruf konnte schon in seinem sechsten oder siebenten Jahr kaum noch ein Zweifel aufkommen. Was die schönen großen blauen Knabenaugen draußen in der Wirklichkeit sahen, suchten die kleinen Hände in Thon nachzukneten, und die Pferdchen und Männer, die sie daraus formten, erregten gerechte Verwunderung. Bei seinem älteren Bruder Oskar hatte sich eben so frühe schon das Talent zur Malerei geoffenbart. Mit 15 Jahren besuchte Reinhold die Berliner Akademie, arbeitete in Wichmanns und in Rauchs Werkstatt; in letzterer allerdings nur kurze Zeit. Bald trag er mit seinem ersten selbständigen Werk hervor: der Gruppe Hagar mit dem verschmachtenden Ismael, einem Werk, an dessen Durchführung lebhaftes Naturgefühl und feines Verständniß der lebendigen Form sich erfreulich geltend machten. Der Auftrag zur Ausführung einer zweiten Gruppe idealen Charakters – Psyche mit der Lampe in der erhobenen Hand, sich über den schlummernden Amor beugend – führte Begas 1855 nach Rom. Dort in der ungehemmten Freiheit des Lebens, unter dem Eindruck der gewaltigen Werke der Vergangenheit entfaltete sich sein großes Talent bald

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 796. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_796.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)