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Auf dem Anschuß (Die Gartenlaube 1886/2)

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Textdaten
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Autor: Karl Brandt
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Titel: Auf dem Anschuß
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 2, S. 27, 28
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1886
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Auf dem Anschuß.

(Mit Illustration S. 28.)


Frost, Sturm und Schneegestöber – und dann allein mitten im Forste Schutz suchend hinter einer halb hohlen Zwergeiche, gehort eben nicht zu den behaglichsten Situationen. Hat man aber eine Büchsflinte bei sich und in jedem Laufe eine Kugel, und steht die alte Eiche auf einem Reviere, auf welchem Sauen und Rothwild nichts Seltenes sind, so läßt man sich auch einmal solches Unwetter gefallen – zumal wenn es nach Westen hin nicht so ganz grau in grau erscheint, sondern der sich in die sturmgepeitschten Schneeflocken stehlende röthliche Ton die Hoffnung erweckt, daß es lichter wird und Sturm und Schneegeriesel bald vorüber ziehen.

Die Eiche, welche mir bei diesem Unwetter Schutz gewährte, steht im Reinhardswalde auf einem Streifen zwischen dem „Alten Gehäge“ und „Marxerkopfe“. Früh hatte der Winter eingesetzt, am Martinstage 1869 lag der Schnee dort oben schon über spannehoch. Meine Hoffnung erfüllte sich bald. Nach Westen hin wurde es immer röther – es schien ein riesiger Purpurvorhang die Fernsicht zu verhüllen – die Schneeflocken fielen dünner, und endlich schimmerte durch dieselben der Feuerball der untergehenden Sonne. Sturm und Schneeschauer waren vorübergezogen. Nach solchem Schneesturme „tritt“ alles Wild früh „aus“ (der Dickung), und der Birschgang ist auch nicht allzu schwer, weil der Tritt durch den Daunenpelz, der die Erde deckt, gedämpft und fast unhörbar wird. Da stand auch schon ein Sprung Rehe jenseit der Thalschlucht in einer kleinen Lärchenschonung, und ein Stück Rothwild, vielleicht war es auch ein „Spießer“ (Spießhirsch), zog langsam derselben Stelle zu und fing gleich den Schnee von der Haide zu scharren und zu äsen an. Um an das Wild heran zu kommen, mußte ich auf einer Bahn, welche durch die diesseitige Dickung führte, bis zu einem schmalen Wiesengrunde birschen. Von hier aus war es vielleicht möglich, meine Kugel anzubringen.

Kaum war ich aber auf der erwähnten Bahn 50 Schritte vorwärts gebirscht, so war Reh- und Rothwild vergessen. Die Schneise senkt sich hier ein wenig; rechts in dieser Bodenfalte war die „Verjüngung“ (der junge Buchenbestand) sehr lückenhaft, und auf dieser lichteren Stelle wimmelte es von Sauen. Frischlinge, Ueberläufer, Bachen und Keiler – grobe und geringe, Alles bunt durch einander. Wo eben ein schwarzer Flecken gestanden, war es gleich wieder weiß oder von den beblätterten Buchenbüschen gelb – das wechselte wie ein dreifarbiges Kaleidoskop, immer schoben sich die drei Farben vor einander her, überall Leben, nirgends Ruhe, nirgends ein feststehender schwarzer Umriß, den ich als Zielpunkt hätte nehmen können. Und das Jägerherz ist bei einer solchen Gelegenheit, die im Leben vielleicht nur einmal vorkommt, auch nicht so ruhig, als wenn man einen Hasen auf der Falge sitzen sieht – das hämmert und pocht in der Brust wie auf einem Hüttenwerke, man kann die Herzschläge hören, der ganze Körper bebt, und selbst die Augen zittern im Kopfe. Da heißt es alle Willenskraft zusammengenommen und das Jagdfieber gedämpft – sonst wird es nichts mit dem Schusse – aber rasch! denn wenn die Sauen – es waren 20 bis 25 Stück – aus dem lichten Buschwerk in die Dickung ziehen, so sind sie für mich verloren.

Es kam jedoch anders. Ein starkes Schwein, das stärkste Stück der Rotte, schlug sich plötzlich ab und trollte in der Gosse den Berg herab der Bahn zu. Jetzt kam ich fast sicher zu Schuß. Der schmarze Bursche blieb alle paar Schritte stehen und lauschte, aber immer gedeckt, daß ich nicht schießen konnte, und durch einen Busch schießt man auch nicht gern, die Kugel verschlägt sich zu leicht in ihm.

Jetzt stand der Keiler mit dem Gebrech, vor dem die langen Gewehre (Hauzähne) weiß hervorragten, im Freien, aber das Blatt war gedeckt durch die Eichenreihe, welche der Bahn entlang gepflanzt war, und durch einen lichten Busch schimmerten die Borsten der Keule. Noch einen Schritt! nur noch einen Schritt vorwärts, alter Basse, daß dein Blatt frei wird! – einen Schritt! Wie langsam doch in einem solchen Augenblick die Sekunden am Bewußtsein vorübergezogen werden! – Jetzt trollt der schwarze Gesell voran – der Finger berührt den Stecher – Knall – Kugelschlag – Pulverdampf – aufwirbelnder Schnee – das kaleidoskopische Gewimmel – Knacken und Brechen von Zweigen – – ja! ich hatte das Korn wohl in der Kimme – aber dasselbe auf einen dahinhuschenden und verschwindenden – und wieder auftauchenden schwarzen Schatten zu bringen, das war mir nicht möglich, die zweite Kugel blieb im linken Rohr.

Alles war wieder still und leblos, kein Laut störte den hereindämmernden Winterabend. Ich hatte wieder geladen und ging auf den Anschuß. Der Keiler hatte es nach dem Schusse eilig gehabt, tief hatte er „eingegriffen“ (durchgetreten), und hinter jeder Fährte war der Schlamm über den weißen Schnee gespritzt. Das war kein schlechtes Zeichen. Auf dem Schnee lag ein Büschelchen Borsten, viele nur einen Zoll lang und noch kürzer. Sie waren „abgeschossen“, wie der Jäger sagt, während sie bei einem Streifschusse in ganzer Länge bleiben, das war ein gutes Birschzeichen. Ich wickelte die Borsten in ein Stückchen Papier und folgte der Fährte über die Bahn einige Schritt in die andere Dickung – kein Tröpfchen „Schweiß“ auf dem blanken Schnee, nicht ein einziges rothes Mal – das Zeichen wollte mir gar nicht gefallen. Ich umschlug die dreieckige Dickung, ob der Keiler wieder heraus sei. Ja! da war guter Rath theuer. Fährte an Fährte stand heraus, herein, starke und geringe flüchtige und von ruhig trollendem oder stehendem Stücke – es sah aus, als sei Eumäus, der berühmte Sauhirt Odysseus’, hier mit seinen Pflegebefohlenen gewesen. Eine schweißige Fahrte aber war nicht dabei. Fur heute blieb mir nichts übrig als heimivärts zu gehen.

Eine Stunde später trat ich in die Wohnung des Försters.

„Na, Glück gehabt?“

Ich gab ihm das Papier mit den abgeschossenen Borsten.

„Die Kugel sitzt. War es ein starkes Schwein?“

Ich erzählte kurz die Geschichte.

„Kein Schweiß?“

„Kein Tropfen. Das einzige Birschzeichen sind die abgeschossenen Borsten.“

Der Förster kratzte sich mit beiden Händen die schwarzen Locken hinter den Ohren. „Morgen früh muß ich erst Holz abnehmen. Um 12 Uhr wollen wir uns beim ‚dicken Förster‘ treffen.“

Der „dicke Förster“ ist die stärkste gesunde Eiche des Reinhardswaldes, ein Riesenbaum, wie es nur noch wenige giebt.

Schlag 12 Uhr war ich in Begleitung meines langhaarigen deutschen Hühnerhundes auf dem Rendez-vous-Platze, wo auch der Förster, seinen Schweißhund am Riemen, soeben angekommen war.

Dorthin, wo Hochwild steht, gehört der Schweißhund. Es ist eine spezifisch hannoversche Rasse, die früher in drei ein wenig von einander verschiedenen Formen gezüchtet wurde. Heute werden jedoch mur noch zwei anerkannt, eine hochläufigere leichtere, die verschmolzene Jägerhof- und Harzrasse und eine kurzläufigere schwerere, welche Jahrhunderte lang aus dem Solling in der Oberförsterfamilie Steinhoff auf dem Winnefelde rein gezüchtet ist. Diese Hunde folgen noch nach 24 Stunden, ja noch länger, wenn es inzwischen nicht stark geregnet hat, der Fährte des kranken Hirsches, selbst wenn ein Rudel gesunden Wildes dieselbe gekreuzt hat, und bringen den Jäger sicher an den verendeten oder kranken Hirsch. Bei groben kranken Sauen ist die Sache jedoch etwas anders. Die nehmen fast regelmäßig den herankommenden Hund an, und da derselbe, weil er an einem 30 Fuß langen Schweiß- oder Birschriemen geführt wird, in der Dickung nicht ausweichen kann, würde derselbe unzweifelhaft „kaput“ geschlagen, wenn der Jäger so leichtsinnig sein sollte, ihn zu einer solchen Arbeit zu benutzen.

Wir standen auf dem Anschuß. Der Förster besah sich die Fährte, den vorwärtsziehenden Hirschmann am Birschriemen zurückhaltend, und zog dann einige Schritte auf ihr entlang: „Ein starkes Schwein, hoffentlich sitzt die Kugel gut. Ich glaube, es wird das Beste sein, Sie lösen Hektor und ‚suchen verloren‘, wenn ich mich unten angestellt habe.“ Krankes Wild hält fast regelmäßig bergab. Hektor war der vielseitigste Hühnerhund, den ich je besessen habe. Er stand Hühner und Hasen auf dem Felde, wurde bei Holzjagden als Treiber, bei Saujagden als Finder benutzt. Wie manche Ente hat er mir nicht aus Weser und Diemel geholt. Wild, was er nicht tragen konnte, „verbellte er todt“. Veranlassung zu seinem Tode wurde ein angeschossener zweijähriger Keiler, der in den „Pottkaulen“ auf mich zuhumpelte und dem verbellenden armen Hektor den Hinterlauf eine Sekunde früher aus der Pfanne schlug, als der Schwarzkittel meine Kugel in den Kopf erhielt.

Der Förster hatte sich angestellt, Hektor war gelöst, und wir zogen der Fährte nach in die Dickung. Zwanzig Schritt ging die Sache vorzüglich, dann hörte es aber auf. Die Büsche standen hier so dicht, daß ich mich kaum zwischen denselben hindurch pressen konnte, und der Schnee- Anhang rieselte mir in Nacken und Gesicht, daß es unmöglich war nur einen Schritt vorwärts zu sehen. „Such verloren, mein Hund!“ Einen Augenblick, aber nur einen Augenblick war es noch still in den Büschen, dann ertönte „der grobe Hals“ (tiefe Stimme) meines langjährigen Jagdgefährten in langsamen und so regelmäßigen Zwischenräumen, wie das Ticken einer Uhr – er war „standlaut“. Das ist für einen Jäger das frohe Zeichen, daß sich krankes Wild vor dem Hunde gestellt hat, oder daß er todt verbellt. Sauen lassen sich freilich auch im Bewußtsein ihrer Kraft, wenn sie gesund sind, verbellen – hier war es aber unzweifelhaft der kranke oder verendete Keiler, den ich suchte. Auf Händen und Füßen kroch ich vorwärts, den Hirschfänger in der Scheide gelüftet – – in solcher Aufregung fühlt man keinen Frost. Endlich war ich bei Hektor. Die Haare auf dem Rücken gesträubt, die Ruthe halb eingekniffen – mit weit vorgestrecktem Halse stand er da und ließ sein wüthendes Gaufz! Gaufz! Gaufz! erschallen. Ich lag lang auf dem Schnee, um unter den Buschen hinwegsehen zu können. Da saß an einem Erdstocke der Keiler – die Borsten halb gesträubt und mit gefrorenem Schnee behangen, die Läufe unter den Leib gezogen – die fingerlangen, weißen Gewehre zeichneten sich scharf vor dem schwarzen Gebrech ab – aber das Gebrech klatschte nicht wüthend auf und zu – der Keiler „wetzte“ nicht mehr – – er war in sitzender Stellung verendet. Karl Brandt.     


[28]

Auf dem Anschuß.
Nach dem Oelgemälde von Karl Hilgers.