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Beschreibung des Oberamts Nürtingen/Kapitel B 16

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16. Linsenhofen,
evangelisches Pfarrdorf, Gemeinde II. Cl. mit 1227 Einwohnern, 15/8 Stunden südlich von Nürtingen an der Steinach und der Straße nach Neuffen. Zu beiden Seiten des hier noch ziemlich engen Neuffener Thales, wo das Thälchen von Beuren einmündet, zieht sich die Feldmark von Linsenhofen die niedrigen, mit Obstbäumen und Reben bepflanzten Hügel hinan, deren Höhen weiterhin mit Laubwald bedeckt sind. Fruchtbau und Viehzucht sind hier ganz untergeordnet, da die Markung sowohl für ersteren als für Wieswachs sehr beschränkt, und der leichte Boden nur zum Theil fruchtbar, zum größeren Theile aber ziemlich humusarm und mager ist. Um so erfolgreicher wird Obstzucht und Weinbau getrieben, begünstigt | durch das, vermöge der geschützten Lage merklich mildere Klima. Um das Emporbringen der ersteren hat sich die Gemeindeverwaltung schon in früherer Zeit, besonders aber der verstorbene Schultheiß Eberhard (oben S. 59) verdient gemacht. Außer den übrigen, gemeineren und edleren Obstsorten, die in Menge gezogen und theils grün verkauft, theils gemostet und gedörrt werden, sind es besonders die Kirschen, wegen welcher Linsenhofen mit Recht eine gewisse Berühmtheit erlangt hat. Es ist zum Verwundern, zu welcher Größe und Ergiebigkeit hier die Kirschbäume gedeihen; es gibt welche, von denen 12–15 Centner Kirschen gewonnen werden. Man zählt gegen 20 verschiedene Sorten, von denen einige ganz besonders geistreich sind und den wohlbekannten Linsenhofer Kirschengeist geben, der in die Nähe und Ferne, sogar bisweilen nach Amerika, versendet wird. Die Kirschensteine werden gewaschen, getrocknet und dann in der Mühle gestoßen; die Kerne geben ein gutes Brennöl und die Hülsen ein sehr brauchbares Brennmaterial für die Backöfen. Auch gedörrt werden viele Kirschen, und mit Kirschensaft zum Färben der Weine ein nicht unbedeutender Handel getrieben. Am wichtigsten aber ist der Verkauf der frischen Kirschen an oberschwäbische, auch bayrische Händler. Einige Wochen hindurch, so lange die Kirschenzeit dauert, besteht hier ein förmlicher Kirschenmarkt, und gehen fast täglich 3, 4, 5 Wagen ab, in welchen schichtenweise ein Korb mit 40–50 Pfund an dem andern steht. Im Jahr 1844, wo Linsenhofen gegen andere Orte hierin gesegnet war, wurde der Centner mit 6 fl. 40 kr. bezahlt. Auf diese Art hat in guten Jahren der Kirschenertrag schon 16–18.000 fl abgeworfen. – Der hiesige Wein wird für den vorzüglichsten an der Alptraufe gehalten; wenigstens gilt dieß unzweifelhaft von einer nordöstlich vom Ort gelegenen Halde, der Sand genannt.

Z’ Linsenhofen uffem Sand
Wachst der best im Oberland.

sagt das Sprüchwort, und man muß ihm Recht geben, wenn auch die eigenliebige Lokal-Variante: „im ganzen Land“ zu viel sagt. Auch hier sind Silvaner und Elbling die vorherrschenden Sorten. Der Wein ist mild, angenehm, und am meisten dem Schnaither (Remsthaler) ähnlich, für welchen er nicht selten von den Wirthen ausgegeben wird. Der Gesammtertrag der hiesigen Weinberge kann sich in guten Jahren auf 600 Eimer und darüber belaufen. Bezahlt wurden in den letzten 6 Jahren 12–44 fl. per Eimer. Der Absatz geht in die benachbarten Städte bis Tübingen, auf die Alp und über diese hinüber in die Gegend von Ehingen. Ein Morgen in | der besten Lage wird bis zu 2400 (s. oben S. 65), in der geringsten immer noch mit 350 fl. bezahlt. Von dem S. 64 erwähnten auf Gemeinkosten angelegten Stockland mit edleren Gattungen wurden im Jahr 1844 4000 Stücke unentgeldlich vertheilt. – Der Holzmangel ist sehr fühlbar, wiewohl die Gemeinde 200 Morgen Laub- und gemischte Waldung besitzt. Bemerkenswerth ist eine von der Gemeinde angelegte Weidenpflanzung zu Ernteweiden, die bereits einen schönen Ertrag abwirft. - Die Rindvieh- und Schaf-Zucht ist unbedeutend; der Pacht der Schafweide erträgt der Gemeinde 118 fl. Die Bienenzucht ist dagegen nicht ganz unerheblich.

Die Einwohner sind thätig und betriebsam; ihr Gesundheitszustand ist im Ganzen gut, wiewohl sie an kräftigem Aussehen ihren Nachbarn in Beuren merklich nachstehen. Eine üble Sitte ist, die freilich auch anderwärts häufig anzutreffen ist, daß nicht selten sogar Kinder Branntwein zum Frühstück gereicht wird. Bei dem spärlichen und sehr zertheilten Grundbesitz hängt der ökonomische Zustand lediglich von dem Gedeihen oder Mißrathen des Obstes und des Weins ab. Die gewöhnlichen Professionen sind ziemlich vollständig hier, werden aber meistens nur im Kleinen betrieben. Am zahlreichsten sind die Weber, welche zum größeren Theile von Kirchheim aus in Baumwollenwaaren beschäftigt werden, und die Branntweinbrenner, deren 18 vorhanden sind. Ein geschickter Wagner (Albrecht Hahn) baut hübsche und solide Gefährte auf Bestellung nach den benachbarten Städten. Empfindlich fällt den ärmeren Einwohnern die Abnahme des Spinnverdienstes, – da noch kein Ersatz für diese Beschäftigung, welcher sich in den Wintermonaten Männer, Weiber und Kinder fleißig widmeten, ausfindig gemacht worden ist. Einigen Verdienst gibt im Frühjahr die hier eingerichtete Schafwäsche (oben S. 77). Noch ist ein Handelsartikel zu erwähnen, der noch immer nicht ganz unbeträchtlich ist; es werden nämlich aus andern Orten jeden Herbst viele Bienenstöcke zusammengekauft, die Bienen getödtet, und Wachs und Honig auswärts abgesetzt. Der Ort hat ein Gemeinde-Backhaus. Schildwirthschaften sind 3, Mahlmühle 1 vorhanden. – Sämmtliche Zehnten erhebt der Staat, und zwar den kleinen und Heu-Zehnten für die verwandelte Pfarrstelle. Nur an dem Fruchtzehnten hat der Hospital Nürtingen einen zu 170 fl. berechneten Antheil. Die Gemeinde hat 1843/44 sämmtliche Fruchtgülten, die auf der Markung ruhten, im Kapitalbetrag von 6000 fl. abgelöst; an Hellerzinsen, obwohl auch hievon Ablösungen Statt hatten, werden jährlich noch an den Hospital in Nürtingen 140 fl. bezahlt.

Das im Thalgrund freundlich gelegene Dorf hat ein sauberes | Aussehen und ist durch die Nürtinger Straße belebt, die sich hier in die frequentere nach Neuffen und auf die Alp, und in die Vicinalstraße nach Beuren theilt, welche in das Lenninger Thal und ebenfalls auf die Alp führt. Die Pfarrkirche steht an der Neuffener Straße; für den unvermöglichen Heiligen wird sie von der Gemeinde im Bau erhalten. Eine eigene Pfarrei besteht erst seit 1468, indem Linsenhofen früher ein Filial von Nürtingen war. Die Kirche aber ist augenscheinlich älter, und dürfte ihrer Bauart nach wenigstens der ersten Hälfte des 14ten Jahrhunderts angehören; eigenthümlich ist (wie bei der Marienkirche in Reutlingen) der rechtwinklige Chorabschluß. Im Jahr 1604 wurde das Schiff erneuert und verlängert, und dadurch unverhältnißmäßig schmal. Der Begräbnißplatz befindet sich hinter der Kirche; dieser gegenüber steht das Pfarrhaus, welches dem Staat gehört. Rathhaus und Schulhaus sind beide alt. An der Volksschule unterrichten ein Lehrer, ein Unterlehrer und ein Lehrgehilfe; auch besteht eine Kleinkinder-Bewahranstalt. Ein Liederkranz hat sich seit einiger Zeit gebildet. Der Ort selbst ist mit gutem Quellwasser nicht reichlich, im hohen Sommer sogar sehr spärlich versehen; aber ein trefflicher, vom Volk für heilkräftig gehaltener Brunnen ist der sogenannte Wasenbrunnen unterhalb des Dorfes.

Am Nordostende des Ortes erhebt sich der, an seinem Südabhang mit Reben bepflanzte, Basalttuff-Hügel Bettenhart.

Linsenhofen kommt um 1100 unter den Orten vor, wo Kloster Zwiefalten Besitzungen erhielt (Berthold. Zwif. mscr. S. 41). Manegoldus de Sunemotingen, nobilis, et Mahtilt, soror comitis de Urahe, uxor ejus, nec non filii et filiae eorum monasterio Zwifaltensi inter alia dederunt apud Linsinhofen duo mansus. – Berthold Merhelt von Wurmlingen, Edelknecht zu Frickenhausen, verschafft 1358 aus seiner Wiese, gelegen bei dem alten Weg, seinen Töchtern, Adelheid und Mie, Klosterfrauen in Kirchheim, 2 Pfd. Heller. – Hier waren auch die von Hörnlingen begütert; 1443 verkaufen Heinrich von Hörnlingen und seine Schwester ihre Güter an einen Bürger in Neuffen für 500 Pfd. Heller.

Im April 1582 war hier eine große Feuersbrunst.

Dorfrecht und Ehehaften von Linsenhofen aus dem Jahr 1506 sind abgedruckt bei Fischer Erbfolge 240. – Auf dem hiesigen Rathhause findet sich ein Diplom K. Ferdinands von 1533, worin den Beamten in Nürtingen aufgegeben ist, die Bürger von Linsenhofen bei ihren Freiheiten wegen Kaufens und Verkaufens zu schirmen und zu wahren.

Mit Neuffen ist Linsenhofen, im Jahr 1301, württembergisch geworden.


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