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Das Officiersfest in Genf

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Textdaten
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Autor: X.
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Titel: Das Officiersfest in Genf
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aus: Die Gartenlaube, Heft 35, S. 558-559
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[558] Das Officiersfest in Genf. Wie trotz aller Lehren der Geschichte, trotz Athen, Florenz, Venedig, Holland und Nürnberg, das Vorurtheil fortbesteht, daß die Künste nur in monarchischen Staaten gedeihen, so wiederholt man auch gedankenlos, daß schöne Festlichkeiten nur in solchen Staaten vorkommen können. Es ist freilich wahr, daß in freien Staaten der Polizeicommissar nicht in’s Haus des Bürgers treten und ihm befehlen kann, heute Abend so und so viele Lampen anzustecken und sich außerordentlich zu freuen über die Freude des Herrschers; es ist auch wahr, daß hier nicht eine Million aus der Staatscasse genommen werden kann, um eine Place de la Concorde zu schmücken und um den Schweiß von hunderttausend Steuerpflichtigen als Feuerwerk auf dem Trocadero zu verpuffen; und es ist ferner wahr, daß man in freien Staaten einer Municipalität nicht befehlen kann, wenigstens fünfzehnhunderttausend Francs auf die Pracht eines officiellen Abends zu verwenden, auf die Gefahr hin, im selben Jahre ein neues Municipalanlehen machen zu müssen; aber an der Stelle dieser Festlichkeits- und Beleuchtungsmittel gibt es in freien Ländern, besonders in gewissen Momenten, da es sich um das Vaterland und nicht um leeren Pomp und Gloire handelt, eine Einmüthigkeit, eine öffentliche Meinung, eine Begeisterung, die besser zu beleuchten und Städte zu schmücken und Jubel hervorzubringen versteht, als alle Polizeipräfecten, Viertelsmeister, Staats- und Stadtcassen der Welt. In der Ferne ist das schwer zu glauben, da das Festlichkeitsbudget freier Länder so winzig aussieht, neben den ungeheuren Kosten, wie sie z. B. ein 15. August oder ein Einzug in Paris verursacht. Aber es geht damit wie mit der berühmten Brücke von Lausanne. Als der französische Minister Teste dieses Wunder moderner Baukunst sah und erfuhr, daß es dem Staat nur 1,500,000 Francs kostete, konnte er es nicht glauben und rief aus: „Bei uns würde die Brücke so viele Millionen gekostet haben.“

Doch wir wollen unsere Zeit nicht mit Vergleichungen verlieren und aus dergleichen Dingen kein fabula docet abstrahiren; es könnte uns auf Resultate führen, die zur Zeit nicht zeitgemäß sind. Nur der Hinblick auf französische Festlichkeiten und wie dergleichen veranstaltet werden, ist vielleicht erlaubt und hier am Platze, da die Genfer Augustfeste nichts Anderes waren, als eine einzige große Demonstration gegen Frankreich, und sich zu Pariser Festen verhielten, wie Freiheit zu Zwang, wie Bürgerthum zu Unterthanenthum, wie öffentliche Meinung zu einer eingelernten, gedankenlos ausgesprochenen Phrase. Noch näher läge uns die Vergleichung mit dem, was vor unseren Thoren, in unserer nächsten Nähe, in Savoyen vorgeht, wo bereits für den bevorstehenden Besuch des neuen Herren Präfecten Souspräfecten, Polizeicommissäre, Gensd’armen und geheime Polizei Jubelvorrath fabriciren. Aber wie gesagt, das kümmert uns nicht, kümmert uns um so weniger, als wir seit dem Genfer Feste die Besorgniß, dergleichen eines Tages hier selbst zu erleben, bedeutend vermindert fühlen. Wir glauben nach diesem Feste wahrhaftig, daß trotz der Nähe des Feindes und trotz des Mangels aller Festungswerke Genf im gegebenen Falle Europa ein Beispiel geben könnte, wie Sagunt und Numantia. Die société militaire, die Repräsentantin der Schweizer Armee, d. i., bei der populairen Beschaffenheit des Schweizer Heeres, des ganzen Schweizer-Volkes, welcher zu Ehren das ganze Fest veranstaltet worden, brachte bei dieser Gelegenheit die Bundesfahne hierher, also auf den bedrohtesten Punkt des Vaterlandes, in die Stadt, auf welche von allen Seiten französische Berge herabblicken; dies will und soll jedem Angreifer nichts Anderes besagen, als daß man das Palladium und die Ehre des Vaterlandes auf diesem bedrohten, alle Lüsternheiten barbarischer Eroberungssucht weckenden Punkte eben so gesichert betrachte, als wären sie in den verborgensten Schluchten des Oberlandes geborgen. James Fazy, die Spitze der Genfer Behörden, als er die Officiere in der Nähe der Orangerie empfing, gab diesem Gefühle den verhüllten Ausdruck, indem er sagte: „Man hat behauptet, daß Genf vor einem Handstreich des Fremden nicht gesichert werden könne und daß man den Feind anderswo erwarten müsse. Aber Schweizer Boden muß überall, wo er immer liege, vertheidigt werden; aber wir sind überzeugt, daß uns unsere Eidgenossen mit der Ueberzeugung von unserer gänzlichen Hingebung an das Schweizer Vaterland verlassen werden, und fest entschlossen, lieber Alles zu dulden, als das Band brechen zu lassen, das Genf mit der Eidgenossenschaft verknüpft.“

Mit Fazy’s Worten stand das Aussehen der ganzen Stadt in Harmonie; ja, jedes Haus sprach es noch deutlicher und unumwundener aus, was man denkt und fühlt, als die Worte des politischen Mannes es ausdrücken durften. Die ganze Stadt bis in die verborgensten Winkel, bis in die entferntesten Vorstädte und bis in die Verborgenheiten der Armuth, die glücklicherweise in Genf keine großen Quartiere bilden, war in ein Meer von Flaggen getaucht. Ueberall wehte die eidgenössische Flagge, das weiße Kreuz auf rothem Felde, in Verbindung mit der rothgelben Flagge des Cantons. Sonst pflegte bei Genfer Festen zwischen der oberen aristokratischen und der unteren liberalen Stadt ein gewaltiger Unterschied obzuwalten; jene schmollte und blieb stille, wenn diese sich freute; diese arbeitete [559] weiter, wenn jene Festtage beging. Diesmal war es anders. Die Parteiunterschiede haben aufgehört; ganz Genf war national schweizerisch, eidgenössisch, antifranzösisch. Einzelne reiche Häuser ausgenommen, waren doch die populairen Straßen, die Rues Coutance und Cornavain am rechten, die Rues Basses und du Rhone am linken Rhoneufer am reichsten und schönsten geschmückt. Fahnen, Guirlanden, Kränze und Inschriften bedeckten daselbst die Häuser und bildeten Hallen, daß kaum der Himmel zu sehen war.

Auch die vielen Fremden aller Nationen, die in grosser Menge Genf bewohnen, wollten an diesem Feste, das so zu einem Nationalfeste wurde, Theil nehmen, und in Verbindung mit den Schweizer und Genfer Fahnen sah man überall Flaggen der entferntesten Nationen, amerikanische, englische, italienische, ungarische, russische, preußische. Auch die deutsche schwarzrothgoldne Flagge sahen wir zu unserer Freude aus vielen Fenstern wehen. Es war wie ein Vorspiel einer europäischen Coalition zu Gunsten der Schweiz, oder im Allgemeinen gegen übermüthige Eingriffe und Eroberungsgelüste. Die französische Fahne fehlte in diesem Congresse, obwohl es hier Franzosen gibt. Aber wo lebt ein Franzose, der nicht Chauvin genug wäre, um empört zu sein, daß man sich von seiner großen Nation nicht wolle erobern lassen? Selbst in Genf lebend, selbst in hiesiger Freiheit gedeihend und sie ausbeutend, wird er nicht begreifen, wie man vor französischem Despotismus und übertünchter französischer Bornirtheit einen Horror haben könne, und Keiner wird sich zu der Höhe erheben, einem Volke, das sich gegen französische Beglückung sträubt, gerecht zu werden oder gar in seinen Widerspruch mit einzustimmen. Aber vielleicht thue ich doch dem Einen oder dem Andern Unrecht: vielleicht lebt ein solcher Phönix hier, erzogen von der Genfer Freiheit, und hat er seine Sympathie für ein Volk, das Freiheit und Ehre wahren will, nur aus Furcht vor dem Consul und der Armee von Spähern, die in diesen Tagen Genf bevölkerten, nicht gezeigt. Das Factum ist, daß eine ganz kleine französische Fahne einen Moment lang in der Rue du Rhone geweht hat, und daß auch sie bald verschwunden ist, denn diejenigen, die, von diesem Wunder hörend, es lachend aufsuchen wollten, fanden sie nirgends mehr.

Die Officiere kamen Samstag, den 4. August, gegen sechs Uhr, in Folge eines kleinen Unfalls an der Dampfmaschine, um zwei Stunden später, als sie angekündigt waren, in Genf an. Die Quais der Rhone- und Seeufer waren von Menschen überfüllt, alle Fenster und alle Balcone mit jener weltberühmten Aussicht wie Theaterlogen und Gallerien besetzt. Im Augenblicke, da das Dampfschiff in den Hafen einbog, donnerten Kanonen und Böller von vielen Punkten des Ufers auf einmal; die Glocken fingen zu läuten an, zahlreiche Musikbanden, die auf der Bergues-Brücke, auf der Rousseauinsel, an den Ufern aufgestellt waren, spielten den Kuhreigen oder „Rufst Du, mein Vaterland,“ und Zehntausende von Stimmen riefen ihr „Willkommen“ und „Es lebe die Schweiz, es lebe die Eidgenossenschaft!“ darein. Hunderte von kleinen Booten umschwärmten das vielbeflaggte Dampfschiff, das die Eidgenossen brachte und die Grüße der Stadt mit seinen Kanonen beantwortete. Alle Dampf- und Segelschiffe im Hafen strichen die Flaggen. Es war in der That ein ebenso malerischer als erhebender Moment, ein Schauspiel zugleich für’s Auge, wie für das Herz. – Vom Landungsplatze begaben sich die Gäste in langem Zuge, immer vom Zuruf des Volkes begleitet, in die Nähe des botanischen Gartens, wo sie von den Behörden der Stadt und des Cantons bewillkommnet wurden, und wo James Fazy die Rede hielt, aus der wir oben einige Worte anführten. Abends war grosser Ball im Wahlhause, das mit grossem Geschmack geziert war und wo sich alle Classen der Bevölkerung versammelten.

Sonntag Morgens hielten die Comité’s für die Specialwaffen ihre Sitzungen. Gegen drei Uhr machten die Gäste auf zwei Dampfschiffen einen Ausflug auf den See. Bei ihrer Rückkehr gab man ihnen das Schauspiel einer Regatta oder eines Wettrennens in Kähnen. Dann landeten sie im Landhause des Herrn Eduard Favre, wo ihnen dieser Bürger in Zelten und auf Rasenplätzen ein prächtiges Mahl auftischte. Der Wein floß in marmornen Rinnen die verschiedenen Tafeln und Gruppen entlang. Herr Favre hatte das Glück, in seinen Armidagärten an jenem Nachmittage an fünfzehnhundert Gäste zu bewirthen. Aber die schönste Epoche des Festes kam erst mit der Nacht. Ist Genf immer schön, so war es in dieser Nacht in der That, wie Stämpfli in seiner Rede sagt, „zu schön, denn es weckt Verlangen und die Lüsternheit nach seiner Schönheit.“ Dies war der unbeschreibliche Moment. Nur wer Genf kennt, kann sich mit Hülfe einer reichen Phantasie eine Vorstellung von dem Genf machen, das mit seinen in Licht- und Flammenguirlanden getauchten Palästen, Ufern und Brücken sich in Rhone und See widerspiegelt, während auf dem See Hunderte von Booten mit ihren Fanalen und Fackeln wie Feuermücken umherfliegen, und auf den Höhen Freudenfeuersäulen aufsteigen. Der Schreiber dieser Zeilen hat viele derartige Beleuchtungen gesehen, wenige, die er mit dieser an Pracht, Reichthum und Geschmack vergleichen könnte. Es war eine Herrlichkeit, wie sie eben nur aus einem Consensus omnium hervorgehen kann. Den Höhepunkt erreichte die Illumination, als sich gegen zehn Uhr aus der Mitte des Sees, scheinbar aus der Tiefe des Wassers selbst, wie ein griechisches Feuer ein grosses Feuerwerk erhob, dem Raketen und Bouquete von den verschiedensten Seiten her Antwort gaben. Besonders erwähnenswerth ist die Trophäe, die, von einer elektrischen Sonne beleuchtet, sich auf dem neuen Platze befand; allerdings rührte ihre Zeichnung von einem großen Künstler, von Diday, dem Lehrer Calame’s, her. – Feuerwerk und Beleuchtung von den savoyischen Bergen her, welche einige Tage vorher in den Journalen anonym angekündigt waren, „als ein Zeichen der Sympathie Savovens für Genf und die Schweiz,“ fanden nicht statt. Französische Autoritäten wissen dergleichen zu verhindern, was die naiven Savoyarden noch nicht recht wissen, aber bald bis zum Ueberdruß wissen werden.

Der schönen Nacht folgte der ernste Morgen. Auf der Ebene von Plainpalais, dem Marsfelde Genfs, wo sich ein Triumphbogen erhob, wurde der Stadt Genf die Fahne übergeben. Der alte General Dufour nahm sie in Empfang und versicherte, daß sie die Söhne Genfs wohl zu verwahren und zu behüten wissen werden. Er empfahl den Officieren der Eidgenossenschaft, sich wohl zu erinnern, daß nun die Fahne der Schweiz auf Genfer Boden aufgepflanzt und daß die Vertheidigung dieses Theiles helvetischen Bodens eine heilige Pflicht des Schweizer Heerbannes sei. Hierauf folgte eine allgemeine Sitzung der société militaire in dem weiten Raume der alten Kathedrale von St. Pierre, welche die wichtigsten Vorgänge der ereignißreichen Geschichte Genfs gesehen.

Von den Reden, die am selben Tage am großen Banquet gehalten wurden, und zwar in allen Sprachen, welche die Eidgenossenschaft friedlich und brüderlich in ihrem Schooße vereinigt und mit gleicher Liebe und Freiheit herbergt, haben die Zeitungen gesprochen. In welcher Sprache immer gesprochen worden, aus welchem Theile des freien Landes immer der Redner stammen mochte, in der gegenseitigen Ermuthigung, sich gleich ausdauernd und kräftig gegen directe Angriffe sowohl wie gegen „verführerische, lügenhafte Versprechungen“ zu vertheidigen, stimmten Alle überein. Die hervorragendsten Redner waren General Dufour, James Fazy und Stämpfli.

Der Eindruck, den man als ruhiger und unparteiischer Zuschauer des ganzen dreitägigen Festes empfing, war der Art, daß man glaubte, der Erneuerung und Verjüngung der Eidgenossenschaft beizuwohnen und überhaupt einem Momente, der für gewisse Fälle, die Uebermuth, Habsucht, Gloirenpolitik herbeiführen könnten, dem ganzen Europa ein gesundes, vielleicht beschämendes Beispiel verspricht. Wir sind gewiß, daß es in Paris nicht ohne Eindruck vorübergegangen, vorausgesetzt, daß die unzähligen Correspondenten Louis Napoleons und Pretu’s, die sich jetzt hier herumtreiben, die Wahrheit berichten oder, heutige Franzosen wie sie sind, für solche Regungen und spontane Aeußerungen eines ganzen Volkes noch Aug’ und Ohren haben.

Die Officiere der Schweizer Armee sind wieder in ihre Heimath gezogen; die Fahnen und Kränze sind verschwunden, aber in den Gemüthern der Genfer ist eine Stimmung zurückgeblieben, als ob sie in einer uneinnehmbaren Festung säßen. Was die Gäste betrifft, so haben sie von Genf, seinem schweizerischen Patriotismus, seiner Opferbereitwilligkeit eine andere Meinung mit nach Hause genommen, als jene ist, welche die Zöpfe verrotteter Städte verbreiten, aus Angst vor dieser freien Stadt der Schweiz und vor der Ansteckung, die sie von daher befürchten – und eine andere Meinung, als jene, welche die Staatsmänner verbreiten, die mehr französisch sind als schweizerisch und Genf als französisch verleumden, um es mit einem Schein von Recht im Stiche lassen zu können. Die drei Augusttage waren ein großer Triumph Genfs und seines Vertreters, des viel verleumdeten Patrioten James Fazy.
X.