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Das Schiff, das zu Waßer und zu Lande geht

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Textdaten
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Autor: Ernst Meier
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Titel: Das Schiff, das zu Waßer und zu Lande geht
Untertitel:
aus: Deutsche Volksmärchen aus Schwaben, S. 111–118
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1852
Verlag: C. P. Scheitlin
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Erscheinungsort: Stuttgart
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Google und Commons
Kurzbeschreibung:
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[111]
31. Das Schiff, das zu Waßer und zu Lande geht.

Es war einmal ein König von Holland, der ließ in seinem Reiche bekannt machen, daß wer ein Schiff bauen könne, das zu Waßer und zu Land gehe, der dürfe seine Tochter heirathen und solle König werden. Da war nun ein reicher Müller in Holland, der hatte drei Söhne, und sprach zu ihnen: „ich will gern Alles aufwenden, was ich habe; versucht es doch, ob nicht einer von Euch ein solches Schiff zuwege bringt!“ Ja, das wollten sie alle drei recht gerne thun und stritten sich darum, wer’s zuerst probiren dürfe, bis daß endlich der Vater gebot: der Aelteste solle den Anfang machen. Er gab ihm Käse, Brod und Wein und schickte ihn mit seinen Arbeitern in den Wald, um Holz zu fällen; und als sie einen Taglang darin gearbeitet hatten, kam ein alter Mann daher und bat um ein Stück Brod. Der Sohn aber sagte: „ich habe nur Brod für mich und meine Leute, ich kann Dir nichts abgeben.“ „Was machen denn die Leute da?“ fragte der alte Mann. „Ein Schiff, das zu Waßer und zu Lande geht!“ sagte der andere. „Das werden sie wohl bleiben laßen!“ sagte der alte Mann und gieng weiter. Und wie er’s gesagt hatte, so geschah es auch; denn sie arbeiteten ganz umsonst und konnten ein solches Schiff nicht zu Stande bringen.

Als der älteste Sohn nun wieder nach Haus gekommen war, so zog der zweite aus, nahm Zimmerleute mit und Brod und Käse und Wein, und fieng auch an, im Walde Holz zu hauen. Da kam derselbe alte Mann zu ihm her [112] und bat um ein Stück Brod, erhielt aber zur Antwort, daß für fremde Leute kein Brod da sei. Daraus fragte der alte Mann: „was wollt Ihr denn hier machen?“ „Ein Schiff, das zu Waßer und zu Lande geht!“ sagte der Müllerssohn. „Ei, das könnt Ihr ja nicht!“ sprach der alte Mann und gieng fort. – Es war aber auch so; die Zimmerleute mochten sich besinnen so viel sie wollten, sie wußten gar nicht, wie sie ein solches Schiff einrichten sollten, und zogen mit einander wieder heim.

Jetzt kam die Reihe an den jüngsten Sohn, der hieß Hans, der nahm ebenfalls Arbeitsleute an und sein Vater gab ihm Brod, Käse und Wein, und so zog er in den Wald und legte hurtig Hand an’s Werk. – Da kam zu ihm der alte Mann und bat um ein Stückchen Brod. Sogleich gieng Hans hin, holte Brod und Käs und ein Glas Wein und gab es dem alten Manne, und nöthigte ihn, daß er sich doch an’s Feuer setzen und sich wärmen möchte. Das that der alte Mann gern und fragte endlich, was sie denn da machen wollten? „Ein Schiff, das zu Waßer und zu Lande geht,“ sagte Hans. „Meine zwei Brüder haben’s schon probirt, aber es ist ihnen nicht gelungen; jetzt will ich sehen, wie es mir geht; denn wer ein solches Schiff dem König bringt, der kriegt seine Tochter und das Königreich.“ Da sprach der alte Mann: „Deine Leute können es nicht zuwege bringen; weil Du aber der Beste von Deinen Brüdern bist, so will ich Dir eins machen.“ Darauf gieng er fort, während Hans seine Leute noch einige Tage lang auf gut Glück beschäftigte, obwohl sie nichts zu Stande brachten.

[113] Dann kam mit einem Male der alte Mann daher gefahren und übergab dem Hans das Schiff, das zu Waßer und zu Lande gieng. Nun sollten sich die Arbeiter sogleich hineinsetzen, daß er’s probiren könne; allein sie hatten Angst und mochten’s nicht wagen. Der Hans aber sagte, sie sollten es nur dreist thun, er selbst wolle fahren, und so setzten sie sich alle hinein und Hans fuhr sie auch glücklich nach seines Vaters Haus, das gieng, hast mich nicht gesehn!

Als nun die Brüder, welche den Hans immer für den Allerdümmsten gehalten hatten, sahen, daß es ihm gelungen war, ein Schiff zu machen, womit man zu Waßer wie zu Lande fahren konnte, so ärgerten sie sich und wurden gegen ihn falsch und feindselig und beschloßen, daß sie ihn umbringen wollten. Der Vater merkte das und gab seinem Hans einen Wink, daß er noch in derselbigen Nacht fortreisen und mit seinem Schiffe nach der Hauptstadt des Königs fahren sollte; und nachdem er ihn gehörig mit Eßen und Trinken versehen hatte, fuhr Hans davon.

Wie er nun mit seinem Schiffe dahinsegelte, sah er einen Mann am Wege stehn, der hatte ein Gewehr angelegt und zielte. Da hielt Hans sein Schiff an und sprach: „was machst Du da?“ Der Jäger sagte: „ich will einen Spatzen schießen, der auf der Kirchthurmspitze in Berlin sitzt.“ Hans meinte, das sei nicht möglich; der Schütz aber sagte, daß er auf vierhundert Stunden weit jeden Vogel treffen könnte. Da fragte ihn Hans, ob er nicht mitfahren wolle? Ja, das wollte er recht gern; aber er habe nur kein Geld, [114] sagte er. „Das thut nichts!“ sagte Hans, und darauf setzte er sich in das Schiff und sie fuhren mit einander weiter.

Nicht lange nachher trafen sie einen Mann, der hatte auf der rechten Seite ein ungeheuer langes Ohr, das reichte bis auf die Erde. Da hielt der Hans wieder still und fragte den Mann, was er denn mit dem langen Ohr anfange? „Damit, sprach er, kann ich auf vierhundert Stunden weit alles hören, was gesprochen wird.“ „Ei, so horch’ einmal, sagte Hans, was man im Schloße zu Amsterdam spricht!“ Da horchte der Langohr ein Weilchen hin und sagte: „Man spricht dort in diesem Augenblicke von einem Schiffe, das zu Waßer und zu Land geht, und sagt: es sei nicht möglich, daß man so eins machen könne.“ „Willst Du nicht mitfahren?“ fragte Hans. Ja, das wollte er wohl; aber er sagte, daß er kein Geld habe. „Das thut nichts!“ sagte Hans und ließ ihn einsitzen und fuhr weiter.

Bald trafen sie wieder einen Mann am Wege, der hatte ganz gewaltig große Stiefel an. Fragte ihn Hans, was er mit den großen Stiefeln mache? „In diesen Stiefeln, sagte der Mann, kann ich schneller laufen als die Eisenbahn.“ „Ei, willst Du nicht mitfahren?“ fragte ihn Hans. Ja, dazu hätte er wohl Lust, meinte er; aber er hätte kein Geld, daß er’s bezahlen könne. „Das thut nichts!“ sagte Hans, und so fuhr der Schnellläufer auch mit.

Ueber eine Weile sahen sie noch einen vierten Mann am Wege; dieser Mann hatte in seiner Hinterthür einen großen Zapfen stecken, daß der Hans sich schier verwunderte und sein Schiff anhielt und den Mann fragte: weshalb er [115] dahinten einen solchen Zapfen habe? „Das hat guten Grund, sagte der Mann; denn wenn ich den Zapfen herauszöge, könnte ich ein ganzes Königreich vollmachen.“ „Ei, sagte Hans, fahr mit mir! mein Vater hat viel Land und braucht alle Jahre viel Dünger, den er theuer bezahlen muß; er wird Dich gern in seinen Dienst nehmen.“ Der Zapfenmann aber sagte: „ich muß auch sehr viel eßen, und Geld hab ich keins!“ Hans sagte, das sei einerlei, er solle nur mitfahren, und so stieg er ein und fuhr mit nach Amsterdam.

Sobald Hans dort ankam, fuhr er auf’s Schloß, übergab das Schiff mit den vier Männern der Wache zur Beaufsichtigung und gieng selbst grades Wegs zum König und sagte: „ich habe da ein Schiff, das zu Waßer und zu Lande geht!“ Sprach der König zu ihm: ob er es auch selbst gemacht habe? und als der Hans ja sagte, sagte der König: so solle er einmal ein Stück heraussägen und es dann wieder einsetzen. Da sagte Hans: „ich habe ein ganzes und heiles Schiff gemacht; aber flicken thu ich es nicht!“ Als der König den Hans auf die Art nicht los werden konnte, ließ er seine Minister kommen und berathschlagte mit ihnen, was hier zu machen sei; denn er meinte, dem dummen Burschen könne er doch nicht seine Tochter geben, und noch viel weniger könne er König werden.

Da sagte einer der Minister: der König solle ihm doch eine Arbeit aufgeben, die er gewiß nicht ausführen könne und ihm sagen, daß wenn er dieß vollbringe, so solle er die Tochter und das Reich haben; er dürfe ihn ja nur nach dem und dem Brunnen schicken, der dreihundert und fünfzig [116] Stunden weit weg liege und ihm sagen, daß er binnen drei Stunden von dorther eine Flasche Waßer holen müße; das werde der Hans wohl bleiben laßen. – Der Rath gefiel dem Könige und er sprach zu Hansen: „Hör’ einmal, Du mußt mir vor der Hochzeit erst noch eine Flasche Waßer aus dem und dem Brunnen holen, und zwar binnen drei Stunden, von jetzt zehn Uhr an bis heut Mittag um eins; dann sollst Du Alles haben, was ich Dir versprochen.“

Darauf lief der Hans flink zu seinen Leuten, und der Läufer mußte die großen Stiefel anziehen und Hans fuhr ihn in seinem Schiffe über’s Waßer; dann lief der Mann in seinen Stiefeln zu dem Brunnen, schöpfte eine Flasche voll Waßer daraus und wollte sich auf den Rückweg begeben, dachte aber: „du hast noch Zeit, du sollst dich erst ein wenig ausruhen!“ und setzte sich unter einen Baum und schlief ein. – Nun wartete der Hans und wartete, und der Läufer wollte immer nicht kommen. Es hatte schon zwölf geschlagen; da sagte endlich Hans zu dem Langohr: „Ei, horch doch einmal hin, wo der Läufer wohl stecken mag!“ Das that er auch sogleich, legte sein Ohr an die Erde und sprach: „der ist bei dem Brunnen eingeschlafen, ich höre ihn dort schnarchen.“ Da nahm der Scharfschütz seine Büchse, lud einen Kieselstein hinein und schoß den dicht über den Kopf des Läufers hin, daß es sauste und pfiff. Davon wachte er sogleich auf und lief fort und kam mit seiner Flasche noch zu rechter Zeit an. Hans brachte sie sogleich dem König und verlangte nun die Tochter und das Reich. Da war Holland wieder in Noth; denn das hatte kein [117] Mensch gedacht, daß der Hans so schnell das Waßer herbeischaffen könne. Weil der König nun aber keinen Ausweg mehr wußte, fragte er endlich den Hans: ob’s ihm nicht einerlei sei, wenn er Geld bekäme anstatt der Prinzessin und des Reiches? Hans sagte ja, er sei damit zufrieden, aber er verlange so viel, daß das ganze Schiff davon voll würde. – Das mußte der König nun wohl zugeben, besprach sich aber mit seinen Ministern, daß man dem Hans, sobald er mit dem Gelde fortziehe, ein halb Regiment rothe Husaren nachschicke, die sollten ihm die Hälfte wieder abnehmen.

Nun wurde eine Tonne Goldes nach der andern in das Schiff gebracht, bis es voll war, worauf Hans mit seinen Gehülfen die Rückreise antrat.

Als sie eben zum Thore hinausfahren wollten, sagte Hans zu dem Langohr, er solle einmal horchen, was man im Schloß jetzt wohl spreche? Da horchte er auf und sagte: „Es wird so eben ein halb Regiment Husaren abgeschickt, die sollen dem König das Geld zurückbringen.“ Es dauerte auch nicht lange, da kamen die Rothjacken dahergesprengt; und als sie nah genug waren, sprach Hans zu dem Zapfenmann: „Du könntest wohl einmal deinen Zapfen herausziehen und den Husaren deinen Rücken zuwenden, daß sie wieder umkehren müßten.“ Dazu war der Mann sogleich bereit, zog den Zapfen heraus, und da gieng’s wie aus einer Feuerspritze auf die rothen Husaren los, daß sie gar nicht wußten wie ihnen geschah; und als sie nun Alle übel zugerichtet waren, und es nicht länger aushalten konnten, wandten sie ihre Pferde um und ritten zum Schloße zurück. – Wie [118] aber der König sie zurückkommen sah und hörte, daß sie dem Hans nichts abgenommen hatten, ward er sehr zornig und sprach: „das habe ich vorher gewußt, daß die gelben nichts ausrichten würden; deshalb hatte ich ausdrücklich die rothen dazu bestimmt; aber so geht’s, wenn meine Befehle nicht pünktlich ausgeführt werden!“

Indessen segelte Hans mit seinen Gefährten ungestört der Heimath zu und gab hier einem jeden sein Theil von dem Gelde, so daß sie alle mehr bekamen, als sie jemals in ihrem Leben verzehren konnten.

Anmerkung des Herausgebers

[308] 31. Das Schiff, das zu Waßer und zu Lande geht. Mündlich aus dem würtembergischen Oberlande. Durch die vier wunderbar begabten Gesellen: den Schützen, den Langohr, den Schnell-Läufer und den Zapfenmann oder Vielfraß hat es Verwandtschaft mit den vier Brüdern in Nr. 8. – Dasselbe Märchen ist im Ditmarschen bekannt, wie Müllenhoff, a. a. O. S. 357 Not. bemerkt. Verwandt ist ebenda Rinroth, S. 453 ff. Vgl. Grimm’s Märchen, Nr. 64. Noch näher entspricht eine Erzählung in Wolf’s deutschen Märchen und Sagen, Nr. 25. und im Norwegischen bei Asbjörnsen und Moe 1. Bd. Nr. 24. Hier bekommt Lillekort ein Schiff, das über Süßwaßer und Salzwaßer, über Berg’ und tiefe Thäler fährt. – Der altnordische Gott Freir, deutsch Fro (der erfreuende), der Gott der Fruchtbarkeit, des Friedens u. s. w. erhielt ebenso von kunstfertigen Zwergen ein [309] wunderbares Schiff, das sich wie ein Tuch zusammenfalten ließ. Vgl. Grimm’s deutsche Mythologie I. S. 197.