Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland/Einundzwanzigstes Kapitel

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Zwanzigstes Kapitel Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland
von Heinrich Ferdinand Steinmann
Zweiundzwanzigstes Kapitel
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Einundzwanzigstes Kapitel.




Wind und Wetter begünstigten unsere Fahrt, und der Capitain steuerte aus Gefälligkeit zu weit nach Westen, damit wir die schöne Küste von Algarbien besser in’s Auge fassen konnten. Aber ein wahrhaft imposantes Panorama stellte sich unseren Blicken dar, als wir in [181] den gewaltigen Hafen von Cadix einliefen. Vorn die stärksten Festungswerke, im Hintergründe die blauen Kämme von Jerez, und im Osten die wild zerrissene Kette der Sierra de Grazalema, von einem schneegekrönten Kegel überragt – das waren die Hauptpunkte des Bildes.

Cadix, das frühere Gades, verdankt seine Erbauung den Phöniziern. Hier stand einst der berühmte Tempel des Hercules, in welchem Hannibal nach der Einnahme von Saguntum den Römern ewige Rache schwor. Die Römer nahmen sie im zweiten punischen Kriege, und Julius Cäsar nannte sie Gaditana. Cadix war schon unter den Römern ein bedeutender Hafen, es ist auch Geburtsort des Historikers Cornelius Balbus, des Dichters Canius und des Columella, des Vaters der Agricultur. Furchtbare Erdbeben haben die Stadt mehrmals zerstört, und 1596 wurde sie theilweise von den Engländern verbrannt.

Cadix steht auf einer Halbinsel, welche durch einen schmalen Isthmus mit dem Festlande verbunden ist; ein durch eine dreifache Linie vertheidigtes Thor ist der einzige Eingang zu ihm. Zwei gewaltige Forts, das Castillo de Santa Catalina, und das Castillo de San Sebastian, welches auf einem weit in die See hinausspringenden Felsenriffe liegt, dessen äußerste Spitze den schönen Leuchtthurm trägt, beherrschen den Eingang der Bai. Um das Gestade des zwölf Leguas weiten Hafens sieht man eine Menge detachirter Forts und Verschanzungen. Cadix gilt mit Recht für eine der stärksten Festungen Europa’s. Da wir uns einige Zeit hier aufzuhalten gedachten, so mietheten wir uns in einer sehr schön an der Alameda gelegenen Fonda ein, von deren einer Seite wir die Bai, von der anderen die im Schatten von dunkeln Pinienwäldern liegende Stadt Puerta de Santa Maria erblickten. Dahinter beherrschten wir das Panorama der früher genannten Gebirge in seiner Regenbogenpracht.

Eine reizende Frau mit einem Madonnen-Gesicht des Murillo stellte sich uns als Wirthin vor, indem sie fragte, ob sie noch etwas zu unserer Bequemlichkeit beitragen könne. Diese Züge mit dem bezaubernden Lächeln, dem ondulirenden Gang, die Grazie der Bewegungen hatte ich schon irgendwo gesehen, die Silberstimme gehört, und ich stand regungslos, innerlich suchend darnach, was mir diese Erscheinung so intim machte. Ich fragte endlich: „Sennora, kennen Sie vielleicht die Sennora Antonia D.?"

„Gewiß, lautete die Antwort, gewiß kenne ich sie, denn sie ist [182] meine Schwester und wohnt nicht weit von hier in der Calle Santa Maria.“

Jetzt freute ich mich über den Zufall, der mich einer früheren Bekanntschaft auf einmal wieder näher führte. Vor vier bis fünf Jahren nämlich war ich eines Tages im Spätherbst von einer gestrandeten Schmuggler-Familie Spaniens an der Küste von Leicester angesprochen worden. Sie hatte ihr Schiff verloren und war in einem hilflosen Zustande, der mich tief rührte, und diesem Gefühle folgend, hatte ich die schöne Antonia, die Gattin des Schiffseigenthümers, und ihre Kinder mit warmen Kleidern und einigem Gelde versehen, ihnen auch von der guten Mistreß S. eine bedeutende Unterstützung verschafft. Ich hatte mich verschiedene Male mit der interessanten Frau unterhalten und ihre Lebensgeschichte dabei erfahren. Antonia war die Tochter eines wohlhabenden Bürgers zu Cadix und hatte sich gegen den Willen ihrer Eltern mit Don Estevan D., einem Schiffsbesitzer und Schmuggler, verheirathet. Ihre Liebe zu diesem wie zu ihren drei kleinen Knaben, deren ältester beim Schiffbruche das Bein gebrochen hatte, grenzte an Abgötterei, welche durch die Schönheit aller vier auch wirklich begreiflich und gerechtfertigt schien. Antonia scheute sich, an die Ihrigen zu schreiben, sie zog es vor, mit ihrer Familie nach London zu reisen, wo ihnen durch Vermittelung der spanischen Gesandtschaft freie Rückreise zu Theil ward. Nach einiger Zeit traf ich auf eine andere Gadatina in Oundel, welche einen englischen Soldaten, der bei ihren Eltern im Quartier gelegen, geheirathet und mit ihm, als die englischen Truppen den constitutionellen Thron Isabellen’s befestigt, die Heimath verlassen hatte. Auch diese war bildschön und noch jünger als Antonia; sie ging in Oundel herum und suchte sich durch künstliche Haarflechterei Geld zu erwerben, auch für mich flocht sie ein Armband von den Haaren meiner jüngeren Schwester. Das schöne Weib hatte eine kindische Freude, als ich spanisch mit ihr sprach, und ich erzählte ihr natürlich die Geschichte von Antonia D. Wie groß war aber mein Erstaunen, als sie ihre niedlichen Hände faltete und ausrief: Ay mi dios, es mi prima - „ach Gott, das ist meine Muhme!“ - An dieser wie Antonien entdeckte ich einen höchst liebenswürdigen und edeln Charakter, weshalb ich es mir zum Vergnügen machte, ihnen nach Kräften zu helfen, für sie zu vermitteln und mit ihnen zu verkehren, hatte aber die Betrübniß, zu bemerken, wie wenig Theilnahme der unglückliche Fremde bei den Engländern [183] erregt. Noch denselben Abend hatte ich das Vergnügen, Antonia D. und ihre Familie wiederzusehen; ihre Freude und Rührung war so groß, daß sie in Thränen ausbrachen. Die guten Menschen behandelten mich ganz wie eine liebe Freundin und Verwandte, sie suchten eine Genugthuung darin, mich in ihre sehr günstigen Verhältnisse einzuweihen, weil sie voraussetzten, daß ihr Glück auch mich glücklich mache. Ach, solche Erscheinungen entschädigen das verwaiste Herz für viele Leiden! –

Man sagte mir, daß Cadix von seiner ehemaligen Blüthe viel verloren habe, allein es ist doch immer noch eine der ersten See- und Handelsstädte, Sitz der General-Consulate Europa’s und Amerika’s, deren Kaufmannschaft hier eine mächtige Aristokratie bildet.

Unter den vielen Plätzen, welche dem Innern der Stadt zur Zierde gereichen, steht der Constitutionsplatz oder Plaza de San Antonio oben an, ein regelmäßiges Viereck, rings mit prächtigen exotischen Bäumen bepflanzt und von einem eisernen, mit weißen Marmorbänken geschmückten Haag umschlossen und ganz mit schwarzaderigem Marmor getäfelt. Ich kenne keine Stadt, welche ein so aristokratisches und imposantes Ansehen hätte, wie Cadix; die Häuser sind alle massiv, drei bis vier Stock hoch und mit eben so vielen Balconen, deren Geländer, wie auch die Perrons aus weißem Marmor sind. Die Häuser haben alle flache Dächer mit schönen Balustraden und in der Mitte ein Umschau-Thürmchen oder Mirada. Ueberdies sind die Dächer, Balcone und Perrons mit Blumentöpfen geziert, und nicht nur viele Estriche, sondern ganze Straßen sind mit Marmor von verschiedenen Farben getäfelt.

Die Kathedrale stammt aus dem vorigen Jahrhundert und präsentirt von außen ein sehr unregelmäßiges Ansehen, weil der Plan mehrmals verändert worden ist. Das Innere glänzt durch seine Marmor-Verzierungen und römische Bauart. Das Hauptschiff wie die Seiten-Kapellen enthalten viele schöne Gemälde, unter denen sich eine Magdalena von Murillo auszeichnet.

Alle öffentlichen Gebäude von Cadix zeichnen sich durch ihre edle Bauart aus. Das großartigste wohlthätige Institut, das ich je gesehen habe, befindet sich in Cadix. Dieses „Hospicio“ ist ein Gebäude von kolossalem Umfange im westlichen Theile der Stadt. Alle seine Höfe sind mit Marmor getäfelt und von Säulenhallen umgeben, das Innere hell, luftig und sehr zweckmäßig eingerichtet. Die Irren-Anstalt befindet [184] sich in einem besonderen Flügel, und die Zellen der Wahnsinnigen liegen in der Peripherie eines mit Bäumen und Springbrunnen geschmückten Gartens. Hier giebt es eine Menge getrennte Wohnungen für Familien, Ehepaare, zwei Schulen für Waisenkinder beiderlei Geschlechts, einen Arbeitssaal für Mädchen, worin sie von Lehrerinnen unterrichtet werden, Werkstätten zur Unterrichtung der Knaben, Arbeitsäle für Männer und Frauen, Kranken- und Schlafsäle für jedes Geschlecht, Spielplätze und eine Kapelle. In jedem Saale sprudelt ein frischer Brunnen, und überall herrscht die größte Ordnung und Reinlichkeit.

Sehenswerth wegen ihrer schönen Bilder ist die einfache Kirche des ehemaligen Kapuzinerklosters, zu deren vorzüglichsten zwei Murillo’s gehören. Eines stellt den heiligen Franz von Assisi vor, in dessen verklärtem Greisengesicht alle Schmerzen und Kämpfe eines vielgeprüften Lebens sich malen. Das andere ist die Vermählung der heiligen Catalina, letztes Werk des Meisters, welches zugleich seinen Tod veranlaßte. Als er es nämlich vollendet hatte und einige Schritte zurück trat, um vom richtigen Punkte aus einen letzten Kennerblick darüber zu werfen, stürzte er vom Gerüste, verletzte sich so schwer, daß er sich nach Sevilla schaffen ließ und daselbst nach sechsmonatlichem Krankenlager starb.

Die Damen von Cadix (Gadatinas) sind ihrer Schönheit und Anmuth wegen mit Recht berühmt, aber auch die Männer stehen keinen an Schönheit, weltmännischer Bildung und Ritterlichkeit nach, und ich muß gestehen, daß ich kein Volk des paradiesischen Landes und Klima’s würdiger finde, als das spanische. Höchst interessant ist es, die Cadixaner auf der Alameda, im Theater und in der Kirche zu sehen und zu beobachten, überall erscheinen sie geistreich, pikant, kunst- und prachtliebend, und ihre unverkennbare Gutmüthigkeit macht den Aufenthalt unter ihnen für den Fremden äußerst angenehm. Nachdem wir die Stadt und ihre vorzüglichsten Sehenswürdigkeiten in Augenschein genommen hatten, verließen wir nach einem zärtlichen Abschiede von Antonien und ihrer Familie, überhäuft mit Aufmerksamkeiten, Cadix und seine Bewohner mit dem allerbesten Vorurtheil, indem wir uns auf einem Guadalquivir-Dampfer einschifften. Wir fuhren seine meist uninteressanten Ufer entlang, gingen jedoch in San Juan de Aznalfarage an’s Land, um die hier anmuthige Gegend zu genießen, worauf wir uns auf einem Correo nach Sevilla begaben. „Arra! arra!“ rief unser Fuhrmann seinen triefenden Maulthieren zu, als wir [185] der letzten Station vor Sevilla ansichtig wurden. Wirklich verdoppeleten diese ihren schon pfeilschnellen Lauf, so daß wir in unglaublich kurzer Zeit vor der einladenden Fonda – Gasthofe – hielten. Hier stiegen wir aus und wurden von einem langen muskeligen Manne empfangen, der sein Cigarro rauchte und sich als Wirth präsentirte. Im Zimmer fanden wir die Wirthin, eine stattliche Frau in mittlerem Alter, und ihre reizende Tochter von höchstens achtzehn Jahren, beschäftigt, Hühnersuppe, Karviol und Reis, Geflügel, Schinken und Gemüse als Mittagsmahl aufzutragen.

Zwei Engländer, welche von Cadix aus unsere Reisegefährten waren, fingen an, der schönen Andalusierin in gebrochenem Spanisch den Hof zu machen, wobei sie lächelnd ihre Perlenzähne zeigte. Ein junger Mann, welcher eben mit einer Jagdflinte über der Schulter und von einem großen Bullenbeißer gefolgt hereintrat, blieb vor ihnen stehen und blickte sie mit einem so vernichtenden Blick an, daß sie eingeschüchtert ihre Aufmerksamkeit den aufgetragenen Comitiven zuwandten. Der junge Spanier begrüßte hierauf die Sennorita, hing sein Gewehr an die Wand und nahm uns gegenüber Platz. Gleich darauf folgte der Wirth diesem Beispiele.

„Sind das Ihre Kinder? Ihre einzigen Kinder?“ fragte einer der Engländer den Wirth, offenbar um zu erfahren, ob der jähzornige Patron der Liebhaber oder Bruder des jungen Mädchens sei.

„Die einzigen!“ erwiederte der Wirth.

Die Engländer fragten hierauf den jungen Mann, ob er ihnen keine eingebornen Vögel verschaffen könne, da er Jäger zu sein scheine.

Der Spanier antwortete kurz und verneinend.

„Können Sie Ihren Bruder nicht bewegen, uns einige Vögel zu verschaffen, schönes Mädchen?“ fragte der eine, indem er sie in die Wangen knipp. Die junge Spanierin wandte ihm beleidigt den Rücken und der Bruder verließ mit den Worten das Zimmer: „Wenn Ihr Wild sucht, so jaget auf Eurem Revier.“

So unverbindlich dieses Betragen auch scheint, so fanden wir es doch nichtsdestoweniger edel, da wir mehrfach gehört hatten, in wie schlechtem Rufe die englischen Abenteuerer wegen ihrer herzlosen Niederträchtigkeit gegen die Frauen stehen. Wahrscheinlich war ihrerseits mehr als ein Angriff auf die Tugend der schönen Wirthstochter geschehen. Als wir gegessen hatten und wieder angespannt war, setzten [186] wir unsere Reise durch eine ebenso anmuthige wie abwechselnde Gegend nach Sevilla fort. Ueberall sah man Weinberge oder Orangenhaine, hier und da auch Palmen und ganze Wälder von Kastanienbäumen, der Himmel war dunkelblau und die Luft so rein und leicht, daß das Herz voll Lebenskraft rascher pulsirte. Der spanische Landmann ist vielleicht weniger unterrichtet als der unsere, aber intuitiver Verstand und Scharfsinn geben ihm einen Gehalt und eine Würde, welche einer scholastischen Bildung weit vorzuziehen sind, weil sie ihn primitiv, einfach und unverdorben erhalten. Der spanische Bauer baut sein Land noch nicht wissenschaftlich, die natürliche Fruchtbarkeit ersetzt die Kunst; und wenn auch nicht gesagt werden kann, daß der dortige Boden nicht noch ertragreicher gemacht werden solle, so ist doch auch nicht zu verkennen, daß die große Cultur des Bodens durch den von ihr erzeugten Reichthum Luxus und Weichlichkeit hervorbringt. Dem spanischen Landmanne genügt sein schlichtes Stuccohaus wie die Tracht seines Urgroßvaters, und für Neuerungen hat er wenig Geschmack. Sein Charakter ist antik, Gesicht und Körper von klassischen Formen, sein Geist elastisch und stark, obgleich er leidenschaftlicher ist als der unsrige. Die Ausdauer, Zähigkeit, Kaltblütigkeit und Entsagung spanischer Soldaten scheint in der Ursprünglichkeit der Nationalzustände wenigstens theilweise zu wurzeln und dürfte mit einer größeren Cultur leicht verloren gehen, wie überhaupt alle jene Eigenschaften des spanischen Volkes, die so sehr bewundert werden.

Aber mich dünkt, ich sehe noch jetzt die Fluthen des Guadalquivir stolz und langsam wie das Volk an seinen Ufern daher kommen. Sei mir gegrüßt, Du klassischer Strom, dessen Wellen drei edeln Herrschern Roms das Wiegenlied[WS 1] murmelten.[1] Und Du, Sevilla, mit Deinen ehrwürdigen Thürmen, Deinen glänzenden Palästen und stillen Klöstern, sei mir gegrüßt! Wie viele geschichtliche Erinnerungen knüpfen sich an diese altehrwürdige Stadt! Nach dem Falle des Kalifates zu Cordova war sie während eines Jahrhunderts der Sitz der andalusischen Könige, worauf es wieder den Mauren anheim fiel und sich unter Joseph Ben Abdelomen zu einer größeren Bedeutung erhob, als sie bisher gehabt. König Ferdinand der Heilige eroberte sie ungefähr 200 Jahre später (im Jahre 1248) nach siebenzehnmonatlicher Belagerung, und beinahe [187] ein Jahrhundert später ließ sein Nachkomme, Dom Pedro der Grausame, König von Kastilien und Leon, den Palast Alcazar erbauen, der jedoch erst 33 Jahre nach seinem Tode (1402) vollendet ward.

Die Straße war sehr belebt, eine Menge Postwagen und Maulthiertreiber bewegten sich darauf, wie auch andere Fuhrwerke und zahllose Fußgänger, alles trug das Gepräge des Wohlstandes und der Heiterkeit.

Wir stiegen in dem berühmtesten Gasthofe der Stadt ab, den uns in Cadix unsere Wirthin empfohlen hatte, und ich fühlte ein nicht geringes Wohlbehagen, aus dem heißen, gedrängten Coupée in die erfrischende Kühle der Hausflur zu treten. Das Haus war wie alle übrigen in der Straße hoch und die Straße so eng, daß zwei langarmige Menschen sich die Hände darüber hätten reichen können. Die Spanier wählten dieses Mittel zum Schutze gegen die Sonnenstrahlen, wie man uns erzählte, gleich ihren Mänteln. Wir erhielten jedoch sehr schöne, bequem eingerichtete Zimmer, und so bald wir unsere Toiletten etwas geordnet hatten, begaben wir uns an die table d’hôte, wobei sich eine bedeutende Anzahl Gäste einfand. Man sprach hier viel von Politik und, wie es bei der Discussion dieses Thema’s geht, jeder hob die Mängel seines Vaterlandes hervor. Da ein Grand von Spanien über die Enormität der Einkommensteuer klagte, so kam das Gespräch auf die Finanzen und Abgaben, und weil ich der einzige Vertreter Deutschlands war, so gab ich die Kunst der deutschen Polizei zum Besten, womit sie von Einheimischen und Fremden unermeßliches Geld zu erlangen weiß, und zwar nicht allein die Sicherheitspolizei für Pässe, Paßkarten, Aufenthaltskarten, Verhaltscheine, allerlei Erlaubnißscheine, sondern auch die allgemeine Staatspolizei für Taufscheine, Confirmationsscheine, Schultentlaßscheine, Impfscheine, Lehrlingscheine, Gesellenscheine, Heimatscheine, Bürgerscheine, Hausirscheine, Concessionsscheine, Gewerbescheine und allerlei anderweite Scheine. Man fand diese Einrichtung ungemein belustigend und hielt sie anfangs für eine scherzhafte Erfindung meiner Phantasie, weil keine der hier vertretenen Nationalitäten von dieser Polizei-Regierung auch nur einen Begriff hatte. Nach Tische lud unser freundlicher Wirth uns ein, ihm in das Atrium, spanisch Patio, zu folgen, welches ein geräumiger, von Bogengängen, Bäumen und Weinspalieren umgebener Hof ist, mit einer dicken Laubdecke und einem Springbrunnen versehen. Die Wände waren wie Theaterdecorationen [188] gemalt und der Raum wie ein eleganter Salon möblirt. Die Gäste vertheilten sich hier in verschiedene Gruppen, von denen einige umher wandelten, andere sich auf die Sophas lagerten, wieder andere spielten, die meisten aber Kaffee schlürften.

Abends gingen wir durch die Alameda, eine schöne Anlage nach dem Theater, und hatten hier Gelegenheit, dieses höchst interessante Volk einigermaßen zu beobachten. Die Damen waren alle schwarz gekleidet und trugen Mantillen, einige von Seidenstoff, andere von Spitzen. Die Mantille ist ein mehr langes als viereckiges Tuch, welches hinten die Taille bedeckt und vorn mit der Hand festgehalten wird, womit man aber auch nach Belieben das Gesicht bedecken kann. Der Fächer ist ferner der Spanierin zum Ausdrücken ihrer Gemüthsbewegungen eben so unentbehrlich, wie einer Deutschen die Zunge. Liebe, Furcht, Eifersucht, Verachtung, alles kann der Eingeweihte in dem bald sanften, langsamen, bald zitternden, bald convulsivisch kreisenden, bald werfenden Schwirren und Bewegen des Fächers lesen, weshalb er, wenn seine Schöne bewacht wird, mehr diesem als dem Spiele der Augen lauscht.

Um sieben Uhr begaben wir uns mit allen Uebrigen nach dem Schauspielhause, wo man an jenem Abend ein National-Drama aufführte, und zwar mit vielem Geist und künstlerischem Talent. Ich war entzückt über die Wahrheit und Feinheit, mit welcher die spanischen Schauspieler die Affekte schattiren und die Idee des Dichters darstellen. Alles war so wirklich selbst die fabelhaftesten Situationen so urnatürlich, daß ich mich von dieser Spielweise ganz hingerissen fühlte, während mich die deutsche Bühne stets vollkommen gleichgiltig gelassen hatte. – Auf das Drama folgte eine Posse, und auf diese ein Nationaltanz, welche die Ironie und die plastische Schönheit dieses begabten Volkes leuchtend hervorhoben. Um ein Uhr war das Schauspiel vorüber und wir begaben uns sehr befriedigt nach unserm Hotel. Am andern Morgen begaben wir uns nach dem Alcazar, wo man uns ein maurisch verziertes Thor zeigte; dieses führte nach einem großen Hofe, mit doppelten Corridors umgeben, und eine Inschrift bekundete, daß es erst 1524 unter Karl V. ausgeführt ward. Man sieht hier mehrfach die Wappen von Castilien und Leon mit Karls Wahlspruche plus ultra, den Alexander und Napoleon nicht bezeichnender hätten wählen können. Hundertundvierzig korinthische Säulen von herrlichem Marmor tragen die beiden Galerieen. Ein anderes Thor, welches nach einem kleineren Hofe inmitten [189] viel älterer Gebäude führt, wird jedoch von Sachkundigen für echt maurisch erklärt; überhaupt unterscheidet sich dieser ganze Theil des umfangreichen Palastes von den übrigen wesentlich durch Spuren des Alters und orientalischen Geschmackes. Auch sieht man hier nirgend ein Wappen oder heraldisches Zeichen, nur eine arabische Inschrift, welche bekundet, daß er im Jahre 1181 unter dem Könige Nazar erbaut wurde. Herr D. hatte sich ein Werk „Viage de Espana“ verschafft, worin wir eine sehr gelehrte Beschreibung dieser und anderer Sehenswürdigkeiten mit vielen Übersetzungen aus dem Arabischen standen. Sehr zu bedauern ist, daß ein Theil dieses alterthümlichen Baues 1755 bei einem Erdbeben eingestürzt ward. Wir stiegen hier in ein unterirdisches Gewölbe, welches der Geliebten Dom Pedros, Maria de Padilla, als Bad gedient haben soll. Der Fußboden war von schönem Marmor, die Wände mit Friesen von vierblätterigen Kleepflanzen verziert.

Es ist ein erwiesenes Factum, daß den Arabern das Zelt als Urbild für ihre Bauten diente und ihre Paläste sich daher nie über ein Parterre erhoben; jedoch wichen sie bald nach ihrer Niederlassung in Spanien von ihrer ursprünglichen Architektur ab, sie führten auf das Parterre oder Erdgeschoß noch ein ebenfalls von Säulen getragenes Stockwerk und nahmen allmälig immer mehr die statischen Bauregeln ihrer Nachbarn an. Sie standen ihnen jedoch an Kühnheit, Wissenschaft und Begeisterung meist nach; die Rundbogen, welche man an einigen maurischen Gebäuden findet, sind Nachahmungen, nicht Originale.

Das Innere ist meistens im Renaissancestyle eingerichtet und das Ganze merkwürdig schön erhalten, was dem hesperidischen Klima des Landes zuzuschreiben ist. Unsere Ueberraschung wuchs noch unendlich, als wir in die Gärten traten, obwohl wir alle die Vegetation der pyrenäischen Halbinsel schon kannten. Bald entfalteten die fremdartigsten Blumen ihre Farbenpracht, auf üppigen Beeten oder hohen Ranken und Stielen in groteske Bildungen verschlungen, bald tauchten lustige Wasserstrahle aus kunstreichen Becken empor und brachen ihre Prismen wie Diamantenschauer über unseren Häuptern. Hier nahm uns ein Orangenhain in seine aromatischen Düfte auf, dort spannte eine Kastanien-Allee ihren kühlen Schirm über uns aus, und Waldvögel, die um diese Zeit in höheren Breiten längst verstummt sind, flöteten bald leise, bald flatterten sie jubelnd umher. – Diese Gärten bestehen aus Terrassen und gewähren, sowohl von unten wie von oben betrachtet, einen herrlichen [190] Anblick. Hier reifen Bananen, Datteln und viele tropische Früchte noch, aber auch knorrige Eichen stehen ernst und majestätisch hier und repräsentiren die gothische Kraft und Würde neben der orientalischen Grazie.

Hierauf fuhren wir nach dem Dome, dessen Aeußeres meiner Erwartung bei weitem nicht entsprach. Zwar ist er von gothischer Bauart, aber es mangeln ihm die wohlthuenden Verhältnisse, welche man am Cölner Dom und der Westminster-Abtei bewundert, denn es fehlt ihm an einer verhältnißmäßigen Länge. Das Hauptportal entbehrt der reichen Verzierungen und ist nur mit einigen Basreliefs geschmückt, welche indeß durch ihre Nettigkeit einen guten Eindruck machen. Durch dieses Thor tritt man in eine Vorhalle, welche durch das Laubdach uralter Orangenbäume gebildet wird. Eine hohe und sehr alte Mauer mit einem maurischen Thore verdeckt die westliche Seite des Doms und giebt ihm hier ein klösterliches Ansehen. Diese Kirche hat nur einen Thurm und dieser befindet sich an der Rückseite derselben; seine Verzierungen bestehen aus Bogenfenstern, maurischen Säulchen und verschobenen Vierecken, worin vierblätterige Kleepflanzen eingehauen sind. Die Mischung des maurischen mit dem gothischen Style soll vielleicht die Verschmelzung der beiden Religionen und Nationen verbildlichen, aber ich kann weder das Zweckmäßige noch Schöne daran finden, sondern höchstens eine sittliche Charakteristik darin erblicken. Um das Quodlibet zu vollenden, setzte man diesem Thurme 1568 noch einen hundert Fuß hohen Aufsatz von allerlei Zierrathen auf, welche mir vorkamen, wie die verworrenen Begriffe einer schlecht unterrichteten prätentiösen Frau. Aber wie ein plastischer Sarkasmus erhebt sich auf der obersten Spitze die allegorische Figur des Glaubens mit der Wetterfahne in der Hand. Wäre es möglich, einen lächerlicheren Heterodox dort aufzupflanzen? Ich kann mir dieses nur als eine Satyre auf die Jesuiten vorstellen, welche damals großen Scandal gaben, indem sie sich überall mit der Gabe des Protheus verwandelten und sich namentlich in Coimbra durchaus in einem scheußlichen Lichte zeigten. – Wir gelangten auf einer schrägen Stiege ohne Stufen sehr bequem auf den Gipfel des Thurmes und hatten von hier einen herrlichen Blick auf die Stadt, den Alcazar und die malerische Umgegend.

Das Innere der Kathedrale besteht aus fünf Schiffen, wovon das Mittelschiff das höchste und breiteste ist, und 62 Pfeiler tragen das [191] 158 Fuß hohe Gewölbe. Das hohe Chor, welches wie in vielen spanischen Kirchen in der Mitte steht, beeinträchtigt jedoch den Anblick dieser großartigen Structur um vieles. Diese Kathedrale hat viele Beschädigungen und Verluste erlitten, worunter der Einsturz der drei Hauptbogen im Jahre 1512 gehört, welcher den schönen Altar mit seinen zierlichen Marmor-Basreliefs und die meisten bunten Glasfenster beschädigte. – Hier sind die Pfeiler ebenfalls, wie bei den Arabern, zusammengesetzt, was ihnen den aufstrebenden, kühnen Charakter raubt, der sich in den reingothischen Kirchen kund giebt. Das Kapitelhaus schließt sich an die Facade an und ist zwar neu, aber geschmacklos.

Es giebt hier Reliquien, worunter sich der Mantel des heiligen Ferdinand III. besonders großer Verehrung erfreut; da man aber viel Umstände machte, uns den frommen Plunder zu zeigen, so verzichteten wir ohne Thränen auf diesen Genuß. – Neben dem Hauptthore befindet sich ein Altar und über diesem ein Gemälde von Murillo, den jungen Tobias und seinen Schutzengel darstellend. Es spricht sich das Vertrauen der unbefangenen Unschuld unendlich wohlthuend in des Jünglings Zügen aus und man fühlt, daß der Maler selbst ein kindlich frommes Gemüth sein mußte. Der Engel ist eine weiche, liebliche Gestalt mit einem Gesicht, in welchem sich Wohlwollen und Liebe aussprachen; das Ganze fesselt durch seine Farbentöne und Auffassung der Geschichte. Einen starken Contrast zu diesem und anderen Werken des großen Meisters bildete nach meiner Ansicht sein heiliger Antonius von Padua in der Taufkapelle, welchem das Christuskind von Engeln umgeben erscheint und vor dem er niederknieet. Wie er auf die Idee kommen konnte, eine Vision in eine ovale Scheibe hineinzuschieben, kann ich mir nur durch den Horazischen Vers erklären: Aliquando dormitat bonus Homerus. – Vor dem Chore sieht man noch die Grabschrift des Columbus, die alles ist, was man dem Andenken des großen Mannes widmete und welche lautet:

A Castilia y Arragon
Otro Mundo dio Colon.

Sein Leichnam ward später in die neue Welt gebracht.

Dann zeigte man uns ein Madonnenbild, welches 1100 Jahre alt sein soll, auf eine alte gothische Wand gemalt und so oft restaurirt ist, daß man nicht weiß, ob seine Anmuth dem ursprünglichen Schöpfer oder den späteren Restauratoren zu danken ist. Das Bild selbst wie [192] auch seine Einfassung gehört zu den bewundertsten Gegenständen der Kirche.

In der schönsten Kapelle, welche dem Apostel Petrus gewidmet ist, befindet sich ein Gemälde des spanischen Malers Zurbaran, welches das Oberhaupt der katholischen Kirche im päpstlichen Ornat, auf der einen Seite als Jünger, auf der andern als Apostel darstellt. Der Eindruck ist so überwältigend, daß auch ein protestantisches Gemüth ihm nicht widerstehen kann. Im oberen Theile des Gemäldes ist eine Madonna, welche sehr oft als eine der schönsten gepriesen worden ist, aber die Hauptfigur ist der Papst, mit einem Ausdrucke mystischer Weihe, Kraft und Würde. Dabei ist die Farbe fein und kräftig, die Linien schön, das Ganze harmonisch gestimmt.

Wir sahen noch manche schöne und auch unbedeutende Bilder, deren Beschreibung ich unterlasse, denn wenn das Gemälde nicht unwiderstehlich dazu treibt, so wird die Schilderung gewiß erst recht überflüssig erscheinen.

Nach der Tafel begaben wir uns wieder in das Patio oder Hof, von dem aus wir die Vorübergehenden durch eine schöne Gitterthüre sehen und auch von ihnen gesehen werden konnten. Ich nahm hier Gelegenheit, mit unserer Wirthstochter, der schönen Dolores, zu sprechen, die sich mit Stickerei beschäftigte. Ich erzählte ihr, durch welchen sonderbaren Zufall ich in Cadix zwei bekannte Spanierinnen wiedergefunden hatte, und wie viel Freude sowohl sie wie ich darüber empfunden. Als D. den Namen des Hotels und den meiner Bekannten vernahm, rief sie die Hände faltend aus: Jesus, Maria und Joseph, das sind alles meine Verwandten! und nun mußte ich ihr den ganzen Hergang der Geschichte erzählen. Sie ward hierauf sehr zutraulich und mittheilend gegen mich, und gestand mir, daß ein großer Kummer an ihrem Herzen nage. Ein junger englischer Offizier in spanischen Diensten, welcher dort einquartirt gewesen war, hatte ihr Herz gewonnen, obwohl er ihr von Anfang an durch seine Flatterhaftigkeit viel Kummer bereitet; seitdem er aber abgereist war, hatte er ihr trotz seines Eheversprechens noch nicht ein einziges Mal geschrieben.

Sie weinte bitterlich und ich hatte den Schmerz der Selbstverspottung zu tragen, denn was würde D. gesagt haben, wenn ich ihr an den Busen gestürzt wäre und gerufen hätte: Weine mit mir, denn auch mich hat ein Treuloser verrathen, nämlich der siebenzigjährige Herr v. T.! [193] Ich fühlte mich innerlich beschämt und konnte dem guten Kinde nichts sagen, als das englische Sprüchwort: ther are as good fishes in the sea as ever came out of it – es giebt so gute Fische im Meere als je herauskamen – und sie auffordern, den Undankbaren zu vergessen. Allein sie versetzte mir, daß mit der Vernichtung dieser Liebe ihr besseres Selbst verloren gehen und das Uebriggebliebene sich wie Nachguß zum Extract verhalten würde. Sie war also unglücklicher als ich. Oft hatte ich früher den Ausspruch jenes französischen Schriftstellers – daß der Mensch eine stille Genugthuung bei der Nachricht von fremdem Unglück empfinde – als eine abscheuliche Verunglimpfung der menschlichen Natur verachtet; aber jetzt fand ich, daß er doch einen Sinn hat. Nicht als ob ich mich über den Schmerz dieses guten Kindes gefreut hätte, sondern ich fand, daß man einfach den antiken Satz darin finden könne: solatium est miseris socios habuise malorum – es ist der Trost der Unglücklichen, Unglücksgefährten zu haben. Das ist eine ewig junge Wahrheit.

Ich lud Dolores ein, mit mir ein Bad zu besuchen, wozu sie sich unter der Bedingung bereit zeigte, daß ich eine Mantille von ihr tragen solle. Natürlich schlug ich dies nicht ab, und als wir uns angekleidet, fand sie, daß mich das spanische Costüm trefflich kleide. Wir verglichen uns im Spiegel, eine lobte die andere als „hermosisima", jede lehnte den Preis der Schönheit ab, und jede wünschte doch den Paris herbei, der ihr ihn reichen möchte. 0 vanitatem omnium vanitatum! Kaum hatten wir die Straße betreten, als uns ein schöner Jüngling begegnete, stutzte und uns folgte, bis wir am Eingange des Bades angekommen waren. Dolores drückte mehrmals meinen Arm und ich konnte genau bemerken, wie ihr andalusisches Blut rascher kreiste, denn ihre Hand zuckte mehrmals an meinem Arm, während eine sanfte Röthe ihre zarten Wangen überflog. Ob dies Zorn oder Liebe war, weiß ich freilich nicht, als wir uns aber entkleideten, erfuhr ich, wie nahe diese beiden Extreme in der Spanier Brust bei einander wohnen. Ich sah nämlich mit Erstaunen, daß Sennora Dolores einen ganz niedlichen Dolch im Strumpfbande stecken hatte, um dessen Bestimmung ich nicht umhin konnte sie zu befragen.

„Es ist so Mode bei uns, sagte sie naiv, und wird hin und wieder das Messer offensiv und defensiv gebraucht, aber eigentlich ist es nichts als Koketterie.“

„Seltsame Koketterie, lachte ich, mit unsichtbaren Dingen sich zu putzen!“

[194] „O, es giebt noch größere Curiositäten, erwiederte Dolores. Ist es zum Beispiel nicht das Tollste, einen Menschen anzubeten, der uns verräth, dem bittersten Unglück preisgiebt?“

Bei diesen Worten führte sie einen Dolchstoß in die Luft und dicht darauf fing sie heftig zu weinen an.

Wir verließen das Bad mit geschlossenen Mantillen, denn wir bemerkten, daß unser Verfolger auf uns wartete; er ließ auch nicht von uns, sondern begleitete uns bis an’s Hotel, vor welchem er stehen blieb und sehnsüchtig durch das Gatter blickte.

Es blieb uns noch viel zu sehen, aber nur wenig Zeit übrig; indessen besuchten wir doch nur das Museum, das früher ein Kloster war und jetzt als Akademie dient. Wir sahen hier sehr schön geschnitzte Figuren, Statuen, Reliefs und Gemälde; bewunderungswürdig schienen uns die Schnitzereien an den Chorstühlen der ehemaligen Karthäuser. In der Kirche zeigte man uns auch zwei lebensgroße Statuen, welche von dem berühmten Alonso Cam herrühren sollen und deren eine den leidenden Christus, die andere den heiligen Hieronymus darstellt. Sie sind wie alle spanischen Bildnereien bis zum 17. Jahrhundert aus gebranntem Thon und gemalt; aber für mich hat die Polychromie etwas so fürchterliches und abstoßendes, daß ich an diesen Produkten niemals werde Geschmack finden können. Daß die künstlerisch gebildeten Griechen daran noch Gefallen haben konnten, kann ich mir nur dadurch erklären, daß sie eigentlich doch noch nicht an die Unsterblichkeit der Seele glaubten und sich noch zu keiner Beschauung abstrakter Wesen emporgehoben hatten. Wären sie Metaphysiker gewesen, so hätten sie die Polychromie gänzlich verworfen. Die Natur auf diese Weise nachzuahmen, ist nun einmal nicht möglich, diese Art Täuschung ist geeignet, die Phantasie zu zerstören, nicht zu erregen; diese schlingt sich um den Marmor, um das Metall, und belebt sie wie Pygmalion, gießt Leben und Farbe über sie aus. Bei den Römern, welche schon eine metaphysischere Weltansicht hatten, wie wir aus Cicero, Seneca, Plinius und Boethius sehen, fand die colorirte Plastik wenig Nachahmung, obgleich sie sich der griechischen Kunstwerke als Muster bedienten. Schon die Wachsfiguren stoßen ab, obwohl sie zumeist bekleidet sind.

Die oberen Theile des Museums und die nach dem Hofe offenen Corridors sind ganz mit Bildern angefüllt, deren Einzelbeschreibung außerhalb meiner Absicht liegt. Indeß sei es mir gestattet, das größte [195] Wunder der spanischen Malerei zu erwähnen. Als wir in die vormalige Kirche eintraten, fühlte ich mich wie von einem Lichtstrahle geblendet, ich glaubte eine Vision zu sehen, bis ich mich nähernd überzeugte, daß es eine gemalte Madonna war, welche sich, mit dem rechten Fuße auf den Mond tretend, zum Himmel schwingt, während eine Wolke ihr linkes Bein bereitwillig unterstützt. Der ganze Himmel ist ein Lichtmeer, und um den Vollmond schweben silberne Wolken, die von der Erde aufsteigen, die himmlische Gestalt scheint vom Sturme getragen und ihr blauer Mantel wie ihr reiches goldenes Haar fliegen ausgebreitet hinter ihr her. Ihr Blick spricht Seligkeit, Erlösung und Liebe aus, ihre Hände sind an einander gedrückt, wie betend nach der Seite gewandt.

Der folgende Tag war ein Sonntag, den die Sevillaner durch ein Stiergefecht verherrlichen wollten, weshalb wir an allen Straßenecken „Corrida de Toros“ angeschlagen sahen. Herr und Madame D. freuten sich auf dieses Schauspiel, welches so berühmt ist, und auch ich war schwach genug, mein besseres Gefühl zu unterdrücken, um demselben beizuwohnen. Früh gingen wir in die Kathedrale und wohnten der Messe bei, wobei ich Gott in meiner Weise anbetete. Die Musik war trefflich und der Gottesdienst ausdrucksvoll. Auch hier hatten die Spanierinnen ihre Fächer in der Hand, was ein dumpfes Summen verursachte. Sie saßen hier alle mit untergeschlagenen Beinen auf dem Boden und schwangen sich mit einer eigenthümlichen Bewegung, ähnlich der eines Wiegepferdes, auf die Kniee, so bald die Klingel alle zum Beten rief.

Nachmittags fuhren wir nach dem Circus, worin die Stiergefechte gehalten werden. Die Arena ist sehr groß, mit drei Sitzreihen und zur Erde mit einem Bogenrang umgeben, welche bald alle mit Zuschauern angefüllt waren. Kurz vor Eröffnung des Schauspiels erschien der Gouverneur und die höchsten Behörden; als sie Platz genommen hatten, öffnete sich ein Thor, aus dem ein theatralischer Zug hervor kam. Voraus kamen vier Reiter in kurzen mit Flimmern besetzten Jacken, weißen anliegenden Beinkleidern, auf Pferden mit verbundenen Augen reitend. Dann kamen zwei stattliche Matadores in rothen Mänteln, Netzmützen, kurzen weißen Beinkleidern, Strümpfen und Schnallenschuhen. Diesen folgte eine Menge junger Bursche, eben so gekleidet, aber in anderen nämlich blaufarbigen Jacken mit Flimmern. Als dieser Zug die Runde [196] gemacht hatte, hielt er vor der Loge des Gouverneurs, ein Matador bat um die Erlaubniß, das Gefecht zu beginnen, worauf jener ihm den Schlüssel zu dem Stierzwinger in die Arena warf. Der Matador hob ihn auf und überreichte ihn Einem im Gefolge, der den Stall öffnete, während die Kämpfer sich hinter Schirmen versteckten. Der Stier sprang unbefangen in den Circus, drehte sich aber sogleich um und wäre wahrscheinlich durch die Thür zurück geflohen, wäre sie nicht geschlossen gewesen. Das war den Zuschauern ein Zeichen, daß es ein schlechter Kampfstier war, ohne Muth und Wuth, weshalb sie mit lautem Geschrei verlangten, daß dem Thiere ein rasches Ende gemacht und ein anderes herbeigeschafft werde. Jetzt umringten die Bursche den Stier und stießen ihm Stäbe in den Nacken, an welchen Raketen befestigt waren, so daß er vor Schmerz und Schreck laut aufbrüllte und in weiten Sätzen auf dem Kampfplatz herum rannte. Vor den Reitern floh er, aber einer der Matadores stellte sich ihm gegenüber, indem er das Schwert unter dem Mantel verbarg. Der Stier stürzte mit gesenktem Kopfe auf ihn zu, während der Fechter dem tödtlichen Stoße durch einen raschen Seitensprung auswich, worauf das Thier wieder zu entfliehen suchte. Aber die Knaben und Reiter verfolgten ihn mit Raketen und rothen Fähnchen, um ihn dem Matador wieder nahe zu bringen, und als dies endlich gelungen war, versetzte der Fechter ihm einen Stoß in’s Herz, wovon er unter dumpfem Brüllen und Röcheln zu Boden stürzte. Jubelgeschrei begrüßte den Sieger, der sich gegen den Gouverneur verneigte. Ich hatte genug der Grausamkeit gesehen und begab mich allein in’s Hotel zurück, wogegen Herr und Madame D. auf ihren Plätzen ausharrten.

Hier moquirten sich einige Engländer über diesen Gebrauch und rühmten zugleich den hohen Grad von Menschlichkeit und Religiosität, welcher das englische Volk in dieser Beziehung vor den Spaniern auszeichne. Ich erzählte ihnen dagegen, daß ich drei Jahre zuvor einem Stierrennen in Stamford zufällig beigewohnt hatte, welches dann alljährlich dort gehalten wurde und wobei der Stier durch die Straßen der Stadt gehetzt, schließlich getödtet ward. Sie versicherten, daß dieser Brauch seitdem abgeschafft sei.

„Und Ihre Hahnenkämpfe, welche noch von Zeit zu Zeit angekündigt werden, sind diese wohl etwas anderes als Barbarismus?“ fragte ich.

[197] „Sie werden immer seltener.“

„Und Ihre Boxerwetten, bei welchen ein Mensch den andern kaltblütig verstümmelt und tödtet?“

„Sie finden ausschließlich unter dem Volke statt, welches auf einer ganz anderen Stufe der Bildung steht als der Gentleman. Kein gebildeter Mensch wohnt ihnen bei.“

„Aber auf welcher Stufe der Bildung stehen die Männer, welche die Macht haben, Gesetze zu machen und zu widerrufen, aber diese barbarischen Sitten nicht abzuschaffen?“

„Die Zeit ist noch nicht dazu gekommen.“

„Und Ihre Thurmjagden, bei welchen oftmals Reiter und Pferde die Hälse brechen?“

Die Engländer waren sehr verstimmt geworden, sie nannten mich eine Feindin ihrer Nation, ich aber sagte:

„Nein, das bin ich durchaus nicht, sondern ich wollte Sie nur überzeugen, daß Ihre Nation weder etwas besser noch civilisirter ist als andere.“

Selbstüberschätzung und Herabsetzung anderer gehen stets Hand in Hand und geben stets Kunde von einem kleinen Verstande und mangelhafter Bildung; aber Bescheidenheit ist stets die sichere Begleiterin des Verdienstes.

Am nächsten Morgen nahmen wir von Sevilla, der schönen Stadt, Abschied, ich insonderheit schmerzlich angeregt durch meine Trennung von der reizenden Dolores, welche mir noch ein silbernes Madönnchen umhing, wofür ich ihr ein goldenes Kreuzchen von meiner Uhrkette gab.



  1. Trajan, Hadrian und Theodosius

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Wiegenlid