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Der Bulgarier

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Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Der Bulgarier
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 30, S. 356
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Bearbeitungsstand
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[356] Der Bulgarier. Die Engländer und Franzosen sind jetzt in und um Varna, in Bulgarien, deren Bevölkerung zum ersten Male civilisirte Menschen anstaunt. Der Bulgarier, wie er sich mit seinem Ochsenkarren dem Lager nähert, um seine Dienste anzubieten, ist ein starker, wohlgewachsener, schöner Kerl, mit fein geschnittenem Profil und schwarzen Augen, aber zerlumpt und mit dem Stempel der Verwahrlosung und Knechtschaft gebrandmarkt. Nur scheu wagt sich sein niedergedrückter Blick unter der schwarzen Schaffellkappe hervor. Das Gesicht steckt zum Theil in einem schmutzigen Labyrinthe von Bart, dem niemals ein Rassirmesser Schranken anwies. Die braune, grobe Jacke hängt locker um seinen Oberkörper, aus der eine bloße, beinahe schwarzgebrannte Brust sich breit hervorthut. Statt des Hemdes trägt er ein langes Stück Zeug, das in der Taille von einer Leibbinde gehalten wird. In letzterer stecken ein Yataghan (großes Messer) und ein Pfeifenrohr von Schilf. Weite Beinkleider ziehen sich unter den Knieen zusammen, weiter unten Lumpen von Lumpen und Stricken um die Beine gebunden. Man sieht ihm an, daß es in seinem Geiste eben so wüst ist, wie umher in seinem Lande. Man rechnet die Bulgarier zu den Christen, ihre Religion besteht aber in Zauberglauben, Amuletten, Besprechungen und dem Glauben an den speciellen Dorfheiligen. Er fürchtet in dem Türken seinen vom Himmel bestimmten Meister, hofft aber auf den Russen, der, wie man ihm eingeimpft, von Gott berufen ist, ihn zu erlösen. Sein ganzer Reichthum ist diese elende Ochsenkarre, neben der er viele Meilen weit her getrampelt kam, um Geld zu verdienen. Er bekömmt von dem englischen Commissariat für seine, seiner magern Ochsen und seines Karren Dienst täglich drei Schillinge (einen Thaler) und kann nicht begreifen, wie seine Dienste auf einmal zu so hohem Werthe gekommen. Er lebt von elendem schwarzen Brot und Reis in Oel gekocht, gewürzt mit Knoblauch, dessen Geruch sein ganzes Wesen wie eine Festung umgiebt, die ohne Tödtung des Geruchssinns keine Macht so leicht einnehmen kann. In seinen stolzesten Momenten trinkt er Fusel oder „Raki,“ einen Landwein, dessen Name schon im Halse kratzt. Grüneberger soll Honig dagegen sein. Vergebens sucht man in dem Bulgarier nach den Spuren seiner Ahnen, der alten Thracier und römischen Legionen, von denen er abstammt. Der bulgarische Bauer ist das vollendetste Produkt eines verthierten Menschen. Wenn er so, niedergeschlagen, mit herabhängendem Kopfe, träge und schwer neben seinen Ochsen hinstolpert, muß das härteste Herz Mitleid ergreifen über diese dumpfe, stumpfe, stumme Niedertracht. Was die Engländer und Franzosen auch vor seinen Augen thun, er staunt zum ersten Male Civilisation darin an. Die regelmäßige Uhr des Dienstes, die Art, wie sie sich amusiren, Gänse, Enten und Fische in dem großen See hinter Varna schießen, stechen und angeln, wie sie waschen, rasiren, spielen, trinken und überhaupt leben und leben lassen – ist ihm die erste dämmernde Morgenröthe der Civilisation vom Westen, die einst vor Jahrtausenden auch über sein verwahrlos’tes Land vom Osten nach Westen schritt. Die englisch-französische Expedition ist auch bei aller bisherigen Faulheit der Politik, die dahinter zögert und lauert, eine große Mission der Bildung. Der Bulgarier, der Rajah lernt zum ersten Male sein Haupt erheben, der Türke, bisher in seinem bornirten Glauben der von Allah berufene Herrscher und Höchste des Ostens, lernt sich ducken unter den Sitten und Gebräuchen christlicher Missionäre des Westens, die alle seine Macht und Herrlichkeit spielend zusammenbrechen könnten und ihn in Wissen und Können chimborassohoch überragen. Die Christen der Türkei lernen sich aufrecht tragen, der Türke verliert den Halt für seine Vorrechte. Die Racen, Klassen und Sekten finden in der Civilisation einen Punkt der Gemeinsamkeit. Die Verschmelzung dieser Unterschiede in Bildung und Arbeit bildet eine stärkere Mauer gegen das Eindringen asiatischer Barbaren, als alle Siege mit Waffen.