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Der Leopard von Orleans

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Textdaten
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Autor: L. Lungershausen
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Titel: Der Leopard von Orleans
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 17, S. 263–264
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Biographische Skizze
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[263]
Der Leopard von Orleans.
Von L. Lungershausen.

Bekanntlich machte die Jacobinerpartei, im Verein mit den sogenannten Orleanisten am 10. März 1793 einen Versuch, sich der verhaßten Girondisten durch Meuchelmord zu entledigen. Dieses Attentat auf die Volksvertretung scheiterte an der Festigkeit des Kriegsministers Beurnonville und einem inzwischen hereingebrochenen Platzregen, und da vorauszusetzen war, daß das nichtswürdige Treiben der Septembermörder, Fournier und Genossen, namentlich in den größeren, durch gemäßigte Magistrate verwalteten Provinzialstädten einen gerechtem Unwillen hervorrufen würde, so beeilte sich die Bergpartei des Convents, dem wachsenden Einfluß der Girondisten daselbst entgegenzuarbeiten. Hauptsächlich dienten ihren Zwecken die meist aus ihrer Mitte gewählten Conventscommissare, welche man in die entfernten Provinzen sandte, um dort die Ausführung gegebener Gesetze zu überwachen. Während sich die Girondisten mit ihren Triumphen auf der Tribüne begnügten und in argloser Verblendung fast immer unterließen, durch Männer ihrer Partei im übrigen Frankreich sich mehr und mehr Anhänger zu erwerben, entwickelte jene eine rastlose Thätigkeit, den jacobinischen Eifer wachzurufen und „den Schrecken an die Tagesordnung“ zu bringen.

Mit solcher Sendung nach dem Jura wurden Mitte März auch die beiden Conventsdeputirten Prost und Léonard Bourdon betraut, die – am 15. März – auf der Durchreise in Orleans eintrafen.

Léonard Bourdon, aus Orleans gebürtig und vordem Leiter eines Knabeninstituts, begann, mit Leib und Seele Jacobiner, seine politische Laufbahn als Municipalofficier von Paris, in welcher Eigenschaft er durch stille Theilnahme und Begünstigung der Versailler Mordscene sich mit Schmach bedeckte, und trat, vom Loiret gewählt, in den Convent, wo er auf der „Spitze des Berges“ seinen Platz nahm.

Die Ankunft dieses bekannten Conventsmitgliedes in seiner Vaterstadt wurde natürlich von den dortigen Anhängern seiner Partei mit Freude begrüßt, und am anderen Tage vereinigte ein Mittagsessen alle tonangebenden Mitglieder der Jacobinergesellschaft von Orleans. Der reichliche Genuß der feinsten Weine konnte nicht verfehlen, bald alle Gäste in erregte Stimmung zu versetzen, die noch erhöht wurde durch stürmische Toaste auf die einige untheilbare Republik und den Convent. Nach beendigtem Mahle begab sich die mehr oder weniger berauschte Tischgesellschaft in ein Kaffeehaus, das den gewöhnlichen Sammelplatz der reichen, girondistisch gesinnten Bürgerschaft bildete. Schon hier entspann sich ein Streit, der zwar beigelegt wurde, aber doch auf die folgenden Ereignisse nicht ohne Einfluß blieb. Nachdem Bourdon von da aus noch der „Gesellschaft der Freiheit und Gleichheit“ einen Besuch gemacht und eine Rede, gewürzt mit Ausfällen gegen die politische Lauheit der „reichen Bürger“, gehalten hatte, führte ihn der Heimweg spät am Abend an der im Stadthause befindlichen Hauptwache der Nationalgarde vorüber, die gerade von einer Anzahl „reicher Bürger“ besetzt war.

Einer seiner Begleiter, die aus den exaltirtesten Jacobinern bestanden, beleidigte die Schildwache, woraus durch das Herzueilen der übrigen Wachtmannschaft ein Tumult entstand, in dessen Wirren der Volksrepräsentant sieben Bajonnetstiche erhielt, von denen nur einer ihm eine leichte Wunde am Arme verursachte.

Ein zu Rathe gezogener Chirurg erklärte die Verletzung für ungefährlich und legte einen Verband an, bei welcher Manipulation der Verwundete in die Worte ausbrach: „Du siehst diesen kleinen Aderlaß, er kann nur durch einen großen geheilt werden; ich werde fünfundzwanzig orleanische Köpfe auf’s Schaffot rollen lassen oder ich will meinen Namen verlieren, so wahr ich Léonard Bourdon heiße.“ Und was er da im heftigen Zorn ausgesprochen, hat er annähernd gehalten!

Während die über solchen Vorfall höchst erschrockenen Behörden von Orleans sofort – am 17. März – die Untersuchung einleiteten, erließ Bourdon ein Sendschreiben an den Convent, aus welchem das Bemühen ersichtlich wird, der an sich unbedeutenden Sache ein möglichst großes Gewicht beizulegen.

Es heißt darin: „Neue Pâris“ – ein Mann Namens Pâris hatte kurz vorher den Conventsdeputirten Lepelletier ermordet – „dreißig an der Zahl, mit Bajonneten und Pistolen bewaffnet, haben mich in der Halle des Stadthauses mit dem Rufe ‚folge Lepelletier nach!‘ verwundet. Keine meiner Wunden ist gefährlich, mein bis an’s Kinn geknöpfter Ueberrock und mein Hut, den ich in die Stirn gedrückt hatte, verhinderten die Bajonnete tief einzudringen … Es ist süß, Märtyrer der Freiheit zu sein, ich bin stolz auf die Wunden, die ich in ihrem Dienste empfangen habe.“

Der Convent, der diese einem seiner Mitglieder zugefügte Beleidigung als gegen sich selbst gerichtet betrachtete, ergriff auf Andrängen der Bergpartei sofort die strengsten Maßregeln gegen die anscheinend aufrührerische Stadt. Die der gemäßigten Partei angehörenden Behörden wurden ihrer Pflicht enthoben, Bürgermeister und Staatsanwalt sogar in Haft gesetzt, die Nationalgarde, welche am Tage des Attentats die Wache hatte, entwaffnet, während der Justizminister den Befehl erhielt, die Schuldigen aufzusuchen, um sie dem Revolutionstribunal zu überliefern. Die ganze Stadt wurde in Belagerungszustand erklärt und einem Jacobinercomité die Verwaltung derselben übertragen. Sechsundzwanzig Einwohner Orleans’, sämmtlich Tags vorher als Nationalgarden im Dienst, wurden als des Attentats verdächtig bezeichnet, doch fanden dreizehn derselben vorher Gelegenheit, sich noch rechtzeitig durch die Flucht dem Arme der Gerechtigkeit zu entziehen.

Am 26. Juni desselben Jahres erschienen die dreizehn Angeklagten vor dem Revolutionstribunal. Präsident desselben war Montané, als Richter fungirten Roussillon und Foucault nebst zwei Beisitzern, Staatsanwalt war Fouquier–Tinville. Die Anklage, wonach Orleans schon seit Mitte des vorigen Jahres der Heerd einer gegen die Sicherheit der Republik gerichteten Verschwörung sein sollte, fußt im Uebrigen ganz auf den übertriebenen Angaben Bourdon’s. Da man, so lange Montané das Gerichtsverfahren leitete, noch auf Aufrechthaltung der gesetzlichen Form bedacht war und über Tod und Leben von fünfzig Angeklagten noch nicht in einer Stunde entschied, so nahmen die Verhandlungen über diese Sache vierzehn Sitzungen in Anspruch, wobei man nahe an zweihundert Zeugen abhörte. Durch die Aussagen der letzteren stellte sich ziemlich klar heraus, daß gerade der Theil der Beschuldigten, welcher vor dem Revolutionstribunal erschienen war, der am meisten schuldlose sei. Einige davon behaupteten sogar, weder am verhängnißvollen Abende, noch früher jemals Bourdon gesehen zu haben, ohne daß es den Richtern möglich war, ihnen durch Zeugen das Gegentheil zu beweisen. Trotzdem hielt Fouquier gegen Alle die Anklage aufrecht.

[264] Wider alle Gesetze der Gerechtigkeit und Humanität lautete der Ausspruch der Geschworenen mit einer Stimme Majorität auf schuldig bezüglich der Bürger Couet, Buiffot, Duvivier, Jacquet, Poussot Quenel, Nonneville, Montcourt und de la Salle; die Bürger Johanneton, Grenon, Thomain und Gomboult wurden freigesprochen.

Bei der Verlesung des Verdicts warfen sich die Verurtheilten auf die Kniee und hoben die Hände gen Himmel, nochmals laut ihre Unschuld betheuernd. Diese herzzerreißende Scene verfehlte nicht, eine große Wirkung auf das Publicum zu äußern, der Schmerz malte sich auf allen Gesichtern und selbst ein Theil der Richter, die nun in Thätigkeit zu treten hatten, blieb von der allgemeinen Bewegung nicht frei.

Als zwei Jahre später das Personal des Revolutionstribunals selbst vor den Schranken stand und es galt, gegen Fouquier-Tinville, Foucault und Genossen Beweise ihrer barbarischen Handlungsweise vorzubringen, fand auch die Geschichte der Verurtheilung der neun Einwohner von Orleans in der Anklageacte ihren Platz. Montané, als Zeuge in diesem Processe, enthüllt uns dabei, was nach der oben erzählten rührenden Scene im Sessionszimmer der Richter vorging. Er sagt darüber:

„Wir zogen uns in’s Berathungszimmer der Richter zurück. Wir schmolzen in Thränen und wußten nicht, welcher Weg hier einzuschlagen sei. ‚Sollen wir‘ – sagten wir untereinander – ‚in den Convent gehen und vor seinen Augen das schreckliche Gemälde entrollen, dessen Zeugen wir so eben gewesen sind?‘ Masson, ein Hilfsrichter, sagte: ‚Deportiren wir sie!‘ (Bis zum 22. Prairial II gab es noch Deportationsstrafe, von da ab nur Todesstrafe.) Foucault sprach: ‚Sie haben einen Mordversuch gemacht, sie sind des Todes schuldig!‘ Wir gingen in den Sitzungssaal zurück, die Zuhörer fanden wir gleich uns in Thränen. Ich stellte dem Publicum vor, daß die Erklärung der Jury bejahend gewesen sei und daß wir nicht anders gekonnt hätten, als die Todesstrafe auszusprechen. So starben die Opfer Léonard Bourdon’s, die in seinen Augen sehr schuldig sein mußten, weil sie sehr reich waren.“ Soweit Montané.

Das Urtheil lautete auf Todesstrafe und zwar sollten sie dieselbe mit dem rothen Hemd der Mörder bekleidet erdulden. Die Execution wurde auf den folgenden Tag festgesetzt. Am Morgen desselben thaten die Verwandten der Verurtheilten einen letzten Schritt, um das Fürchterliche abzuwenden. Durch den derzeitigen Präsidenten Jean-Bon St. André ließen sie den Convent bitten, eine Petition von ihnen entgegenzunehmen. Nachdem man solches zugestanden, erschien eine Anzahl weinender, tiefgebeugter Frauen, von einem Manne begleitet, vor „den Schranken der Bittsteller“. Die Rufe: „Gnade, Gnade!“ tönten durch den Saal, und der Begleiter der Frauen, der den Sprecher machte, wandte sich mit folgenden Worten an die Versammlung:

„Man führt unsere Väter, Brüder und Kinder zum Schaffot. Einer der Verurtheilten ist Vater von neunzehn Kindern, von denen vier bei den Armeen sind. Léonard Bourdon selbst“ – sagte er, sich gegen denselben hinwendend – „wird edelmüthig genug sein und sich mit uns vereinigen, um die Unschuld unserer unglücklichen Verwandten darzuthun.“

Da indessen Léonard Bourdon die armen Bittsteller keiner Antwort würdigte und die Girondisten, die einzigen, welche vielleicht für die Unglücklichen in die Schranken getreten wären, sich entweder auf der Flucht oder im Gefängniß befanden, so trug man auf „Tagesordnung“ an, während die letzten Rufe um Gnade ungehört verhallten. Als das Wort „Uebergang zur Tagesordnung“ zu den Ohren der Bittsteller drang, stürzten sie zur Erde nieder und stammelten unverständliche Worte (Moniteur 15. Juli 1793!). Der oben erwähnte Sprecher bat den Convent, sich dann wenigstens für seinen Vetter, einen ehrwürdigen Familienvater, opfern zu dürfen.

Ein Conventsmitglied – der Moniteur nennt seinen Namen nicht – machte der peinlichen Scene mit folgenden Worten ein Ende: „Wir dürfen nicht vergessen, was wir der Volksvertretung und der Gerechtigkeit schuldig sind, beide gleich stark verletzt in der Person eines unserer Mitglieder, welches das erhabene Amt eines Volksvertreters ausübte. Ich trage nochmals auf ‚Tagesordnung‘ an.“

Der Präsident ließ die Frauen und ihren Begleiter durch die Saaldiener hinausführen.

Spät am Nachmittag wurde das Urtheil an den mit rothen Hemden angetanen neun Opfern vollstreckt. Kaum hatte sich die Menge verlaufen, die solchem Schauspiele gern beizuwohnen pflegte, als Paris durch die Nachricht eines neuen, aber diesmal tragischen Mordanfalls auf einen Volksrepräsentanten in Aufregung versetzt wurde. Es war ja der 13. Juli 1793, an welchem Tage, Abends siebenundeinhalb Uhr, Charlotte Corday den „Volksfreund“ Marat mittels eines gutgeführten Messerstichs vom Leben zum Tode beförderte.

Léonard Bourdon hatte recht prophezeit: er verlor seinen Namen nicht, ja, er bekam seit der Zeit einen neuen, indem er wegen seiner Grausamkeit „Léopard Bourdon“ oder gewöhnlich „der Leopard von Orleans“ genannt wurde.

Im Convent vertrat er förderhin die exaltirtesten Ideen, ohne eigentlich zu den Leitern der Partei zu gehören. Bis kurz vor dem 9. Thermidor Robespierre blind ergeben, stellte er sich nur deshalb auf die Seite der Gegenpartei und entwickelte beim Sturz des „Unbestechlichen“ eine eines Feldherrn würdige Energie, weil er in Erfahrung gebracht hatte, daß er von Jenem mit der Bezeichnung „verachteter Mensch von unanständigen Sitten und rohem Betragen“ auf die Proscriptionsliste gesetzt worden sei. Daß die Sieger vom 9. Thermidor gezwungen wurden, in mildere Bahnen einzulenken, betrübte unseren Schreckensmann sehr und ließ ihn mehrfach an Versuchen theilnehmen, die Verfassung von 1793 wiederherzustellen, was zu einem Deportationsdecret nach Cayenne gegen ihn Veranlassung gab, dem er nur durch die Amnestie vom 4. Brumaire III entging.

Später kam „der Leopard“ in den Rath der Fünfhundert, verlor jedoch nun, als die „bezahlten Schnurrbärte der Schlachtfelder“, wie Schlosser in der Geschichte des achtzehnten Jahrhunderts sagt, die Geschicke Frankreichs entschieden, viel von seiner alten Wildheit, ließ sich sogar von den Directoren zu wenig ehrenvollen Spionsdiensten gegen die Emigranten in Hamburg gebrauchen. Unter Napoleon wurde er politisch völlig bedeutungslos und übernahm sein Erziehungsinstitut wieder. Hierbei führte er ein so stilles Leben, daß ihn einige seiner Biographen schon vor 1805 sterben lassen. Dem war aber nicht so.

Nach der Uebergabe von Breslau an die Franzosen – den 7. Januar 1807 – wurde daselbst ein französisches Lazareth errichtet, und eins der ersten Opfer, welche das damals herrschende Nervenfieber forderte, war ein Unterbeamter desselben. Die französische Verlustliste nennt uns seinen Namen: Léonard Bourdon, Lazarethbeamter. Dieser Posten war die einzige Gunstbezeigung, die er vom allgewaltigen Corsen hatte erlangen können und die ihm dieser gewiß nicht ohne einen Anflug von Ironie verliehen hatte.

Ob man seiner letzten Ruhestätte auf einem der Breslauer Kirchhöfe dieselbe Aufmerksamkeit erwiesen, wie der seines gleichfalls in deutscher Erde (in Magdeburg) ruhenden alten Conventscollegen Carnot, weiß ich nicht. Höchst wahrscheinlich kennt Niemand unter den „Breslauer Franzosengräbern“ dasjenige, welches die sterblichen Reste des blutdürstigen Volkstribunen birgt.