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Der Stein auf dem Markte in Budissin (Ziehnert)

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Widar Ziehnert
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Titel: Der Stein auf dem Markte in Budissin
Untertitel:
aus: Sachsen’s Volkssagen: Balladen, Romanzen und Legenden. Band 1, S. 241-250
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: Vorlage:none
Verlag: Rudolph & Dieterici
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Erscheinungsort: Annaberg
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Originalherkunft:
Quelle: Google und Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
Siehe auch Bautzen
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[241]
22.
Der Stein auf dem Markte in Budissin.

[242] Bei dem Röhrtroge auf dem Markte zu Budissin, nahe bei der Waage, lag noch vor wenig Jahren ein Stein, einer Bank ähnlich, und erinnerte an folgende, nach Angabe der Chroniken, geschichtlich wahre Begebenheit, welche ins Jahr 1407 fällt. Dazumal war König Wenzel oder Wenzlaw von Böhmen Herr der ganzen Lausitz.


[243]
Der mächt’ge König Wenzel

zieht ein in Budissin,
und reitet mit dem Trosse
flugs vor das Rathhaus hin,

5
und spricht zu seinen Rittern:

„Kam ich sonst mal hieher,
da kam man, mich zu grüßen;
jetzt sind die Gassen leer!“

Er schickt ein Fähnlein Knechte,

10
daß es die Thore sperrt,

und steigt herab vom Rosse,
und zieht sein langes Schwert,
und läßt stracks vor sich fordern
die Innungen der Stadt

15
mit ihren Freiheitsbriefen

und auch den alten Rath.

Drauf schreitet er in’s Rathhaus,
die Ritter hinterdrein,
und nimmt an langer Tafel

20
den Quersitz oben ein.
[244]
Zu beiden Seiten sitzen

die Ritter allzumal;
der König spiegelt sinnend
sich in des Schwertes Stahl.

25
Vorn stehn die beiden Schergen,

aufs breite Beil gestemmt,
und fordern streng die Waffen
von Jedem, der da kömmt.
Scheu kommen die Rebellen

30
und zitternd vor’s Gericht,

der alte Rath naht grüßend
mit freud’gem Angesicht.

Die Gildenmeister 1) legen
mit todesbangem Sinn

35
die Innung-Freiheitsbriefe

stumm vor den König hin,
und harren mit Entsetzen,
furchtbarer Ahnung voll,
was hier mit ihnen allen

40
gerechtet werden soll.


Der König spricht: „Wohl kenn’ ich
die Meuterei der Stadt!
Ihr legtet vor zwei Jahren
Hand an den alten Rath,

45
Ihr, Burgemeister Schefer,

der ihr es Rechtens seyd,
eu’r Wort war stets in Ehren,
sagt an und gebt Bescheid!“

[245]
Der greise Burgemeister
50
trat traurig vor, und sprach:

„Herr, laßt mir die Erzählung
der bösen Zeiten nach!
Es war am nächsten Morgen
nach Jesu Himmelfahrt, 2)

55
als uns des Amtes Mühe

so arg vergolten ward.“

„Die Tucher 3) und noch Viele
aus andern Gilden mehr
verschworen sich zusammen,

60
und kamen früh hieher,

und trieben uns von dannen
mit bösem Schimpf und Spott;
wir hatten’s nicht verschuldet,
das weiß der liebe Gott!“

65
„Der wackre Reichard Schardwitz, 4)

den ihr so lieb geschätzt,
der ward im Lauenthurme
in Ketten festgesetzt.
Uns And’re ließ man ledig

70
mit unserm Jammer zieh’n,

mit unsern Aemtern haben
die Tucher sich belieh’n.“

„Drauf haben sie den Landvogt,
den Pflug von Rottenstein,

75
auf Ortenburg belagert

bis in den Herbst hinein. 5)

[246]
Sie haben viel des Bösen

und Unfugs ausgeübt;
mag’s Gott der Stadt vergeben,

80
sie hat uns tief betrübt!“


Der König spricht: „So ist es!
Ich weiß die Meuterei,
und nur die Fleischergilde
blieb von dem Frevel frei.

85
Die andern sollen’s büßen,

was sie am Rath gethan!
Ihr murrt? Ich will euch zeigen,
was König Wenzel kann!“

Aufspringt er von dem Sessel,

90
und reißt in wilder Wuth

die Freiheitsbrief’ in Stücken:
„Schau her, verworf’ne Brut!
Dein Recht tret’ ich mit Füßen!
Sprecht, was mich hindern will,

95
daß ich euch nicht erwürge!“

und Alle – schweigen still.

Die Wuth zwängt seine Stimme,
er schlägt mit starker Faust
so grimmig auf die Tafel,

100
daß selbst den Rittern graust.

Sein Auge rollt und funkelt,
sein Antlitz wird so bleich,
die Lippe schäumt, – die Bürger,
sie zittern allzugleich.

105
[247]
Da tritt der alte Schefer

besänftigend ihn an:
„Herr, laßt’s die Stadt nicht büßen,
was sie an uns gethan!
Die meisten der Verklagten,

110
sie wurden erst bethört;

und nur der Meute Häupter
sind solcher Strenge werth.“

„Wohlan! – hub drauf der König
mit heiser Stimme an –

115
so nennt mir diese Buben,

daß ich sie richten kann.“
Der Burgemeister nennet
die Namen ängstlich her,
die Herrn des neuen Rathes

120
und viele And’re mehr.


Er nannte hundert Namen,
ein Ritter schrieb sie auf,
der König rief vom Markte
die Reisigen herauf,

125
und spricht zu ihrem Führer:

„Schafft diese Männer fort!“
und zu den beiden Schergen:
„Gleich auf dem Markte dort!“

Da stürzt vor seinem König

130
der alte Schefer hin:

„Ach, Herr, um Gottes willen,
erweicht den strengen Sinn!

[248]
Laßt ihnen noch ihr Leben,

sie werden’s schwer bereu’n,

135
und werden fortan besser

und wack’re Bürger seyn!“

„Nein nimmermehr!, – erwiedert
der König düster drauf –
das Wort, so ich gesprochen,

140
hebt keine Bitte auf!

Doch, daß man nimmer sage,
daß ich zu strenge sey,
wohlan, so wählet funfzig,
die will ich lassen frei!“ 6)

145
Der Burgemeister wählet

die Funfzig jammernd aus,
die andern Funfzig führen
die Schergen stracks hinaus.
Drauf spricht der König warnend:

150
„Ihr Bürger dieser Stadt,

merkt euch, wie König Wenzel
jetzt hier gerichtet hat!“

Der alte Rath war bieder,
drum bleibt ihm unterthan,

155
daß ich mit Lust und Freuden

stets zu euch kommen kann.“
Er drückt dem alten Schefer
die Hand, und winkt dem Troß,
und eilt hinaus zum Saale,

160
und schwingt sich auf sein Roß,


[249]
Und reitet durch die Menge

und durch der Knechte Schaar
hin zu dem Wassertroge,
allwo der Richtplatz war.

165
Dort kniet schon Fritzsche Flücker 7)

auf einer Bank von Stein;
der Erst’ im Aufruhr, muß er
der Erst’ im Tod auch seyn.

Die beiden Schergen wechseln

170
im gräßlichen Geschäft,

und Ströme Blutes triefen
herab am Beilesheft.
Die Köpfe rollen dröhnend
aufs nackte Pflaster hin,

175
zwar still, doch schaudernd sieht es

das Volk von Budissin.

Der König, hoch zu Rosse,
blickt stumm und finster drein,
als wünscht’ er doch, er könnte

180
den Meuterern verzeih’n.

Und als das Paar der Schergen
sein Werk vollendet hat,
da wendet er den Rappen,
und reitet aus der Stadt.

185
Um Mitternacht, da wandelt

im blutigen Ornat
rings um die Peterskirche
der meuterische Rath.
Sie schreiten so gespenstig

190
je zwei im Zuge hin,

und ihr Erscheinen deutet
Unglück in Budissin.


[250]
Anmerkungen:

1) Gildenmeister hieß sonst der Vorgesetzte einer Gilde oder Innung und Zunft.

2) Nach Jesu Himmelfahrt, nemlich am 29. Mai 1405.

3) Tucher, ehemals so viel als Tuchmacher.

4) Schardwitz war einer der abgesetzten Rathsherrn.

5) Drauf – hinein. Die Chronik lautet: „1405 um vincula Petri (Petri Kettenfeierfest) hat der neue Rath mit der Gemeine das Schloß Ortenburg belagert, und das Geschütz der Stadt mit Gewalt genommen, sind dafür gelegen bis Michaelis, ist damals Heinrich Pflug von Rottenstein Landvogt gewesen, der machte Frieden mit ihnen, daß sie abzogen.“

6) Doch wurden die begnadigten Funfzig mit Weib und Kind für immer Landes verwiesen.

7) Fritzsche Flücker. Die Chronik: „Der König hat die Personen aus dem neuen Rathe, so die Tuchmacher gesetzt, enthaupten lassen, als: Fritzsche Flücker, George Mayfort, Hanß Müller, Nicol Oehern, Hanß Hacke, Mathes Prielisch, Groß Nicol, Peter Stusse, Conrad Raschid, Martin Schreiber, Heinrich Heuerbach, Michel Prietzel, Peter Preschwitz, (war Bürgermeister) und 12 Rathsherrn, dazu der Stadtschreiber ward geviertelt, u. s. w.“ – Von dem bankähnlichen Steine am Wassertroge spricht Böhland (Geschichte der Stadt Budissin, S. 82): „Diese Hinrichtung geschah jedoch nicht auf der am Wassertroge befindlichen langen Platte, die erst später als Fischbank hingelegt wurde, wie man deren auch in andern Städten sieht.“ Der Sage nach aber war dieser Stein die Hinrichtungsstätte jener Funfzig.