Zum Inhalt springen

Der Todesgruß auf der Tay-Brücke

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Johannes Proelß
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Der Todesgruß auf der Tay-Brücke
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 15, S. 250
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1880
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[250]
Der Todesgruß auf der Tay-Brücke.


„Ade, lieb’ Mutter!“ – „Mit Gott, mein Kind!“
Da pfeift’s. Ein Taschentuch flattert im Wind:
Der Abschiedsgruß von der jungen Braut,
Die heute dem Gatten ward angetraut.

Hin hastet der hochauf ächzende Zug,
Besiegend den Sturm im wuchtigen Flug,
Doch dort in der Ecke das selige Paar
Wird von dem Allen Nichts gewahr.

Still, Arm um Nacken und Hand in Hand,
So fliegen sie über das schneeige Land,
Ohn’ es zu achten, weltentrückt,
Voll seliger Träume, beglückend, beglückt.

Es tauchte unter so Raum wie Zeit
Tief in dem Meere von Seligkeit,
Das durch die Herzen wogend rauscht,
Wenn Liebe man um Liebe tauscht.

Genüber der lebensmüde Greis
Betrachtet die Beiden und flüstert leis:
„O, ginge nimmer solch Glück vorbei!
War auch einst glücklich wie diese Zwei.

O Tod, Du langsamer falscher Knecht,
Wie übst Du Dein Amt so träg und schlecht!
Als einst ich genossen das höchste Glück –
Das war Deine Zeit: was hielt Dich zurück?“

Hin stürmt der Zug durch die Grafschaft Perth,
Wild stürmt die See in dem buchtigen Firth,
Darein der Tay seine Wogen stürzt,
Deß stürmisch Gefäll seinen Lauf verkürzt.

Doch stürmischer als des Zuges Flucht,
Und stürmischer als der Wogen Wucht
Erbraust und dränget und wühlt der Orkan,
Der dröhnend umheult des Zuges Bahn.

Die Liebenden träumen von ewigem Glück;
Des Greises Seele weilt weit zurück:
Da plötzlich zittert und wankt der Pfad,
Als sich der Zug der Brücke genaht …

Ein Pulsschlag noch … Wo blieb der Zug?
Wo blieben sie, die er landwärts trug?
Hinunter, hinab von der Brücke des Tay
Ward er gesenkt in die tiefe See.

Der Sturm erbraust und heult wie vorher;
Wild tost und schäumt und gischtet das Meer –
Kein Zeichen, kein Trümmer verräth das Grab,
Dem der Tod so reiche Ernte gab.

Die junge Liebe, den müden Greis,
Sie mähte der Sturm auf des Tods Geheiß:
Doch hatte ihnen das Glück verliehn
Ein selig Lächeln als Gruß für ihn.

Von schweren Unglücks langem Bann
Erlöste der Tod den alten Mann …
Die Liebenden aber hat er zart
Vor aller Trübung des Glücks bewahrt.

Johannes Proelß.