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Deutsche Eisenbahnen und belgische

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Textdaten
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Autor: E. R.
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Titel: Deutsche Eisenbahnen und belgische
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aus: Die Grenzboten (1841/1842), 1. Jg., Band 1, S. 69-77
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Erscheinungsdatum: 1841
Verlag: Herbig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Band 1: SUUB Bremen = Commons
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Deutsche Eisenbahnen und belgische.

Der Sommer zeigte sich günstig für die Eisenbahnen auf dem Continente. Da haben wir schon wieder drei, die Schlag auf Schlag dem Verkehr Preis gegeben wurden: eine von Düsseldorf nach Elberfeld, eine andere von Straßburg nach Basel, und jetzt die zwischen Cöln und Aachen. Ich kenne die erstere nicht, habe aber die große, eherne Straße, welche das Elsaß der Ausdauer eines einfachen Bürgers (des Herrn Köchlin) verdankt, voriges Jahr gesehen, als sie noch im Baue begriffen war. Es ist ein schönes Kunstwerk, das von den Sachverständigen als eines der bestangelegten in Europa betrachtet wird. Wie in Belgien, kam hier das natürliche Gleichmaaß des Bodens, in der ganzen ungeheuern Fläche, die sich von den Vogesen nach dem Rheine zu ausdehnt, den Arbeiten der Ingenieure zu Hülfe, und gestattete ihnen, auf die Vollendung der Details mehr Fleiß zu verwenden. Es ist in der That eine con amore gebaute Eisenbahn, mit Schienen, so stark und fest, um unsere spätesten Enkel in Erstaunen zu setzen; mit prächtigen Stationen, in rothem Sandstein, die dereinst in den Augen der Nachwelt die Stelle der römischen Ruinen einnehmen können, wenn es mit unseren Eisenbahnen gehen wird, wie jetzt mit den, von dem erhabendsten der Völker, für die Ewigkeit erbauten Brücken, Straßen und Wasserleitungen, und wenn die Forscher eines andern Zeitalters im verwachsenen Gestrüppe den edlen Rost zertrümmerter Civilisation aufsuchen werden. Möge Belgien auf seiner Hut sein, oder es wird sich, nachdem es ein so schönes Beispiel gegeben, und sich zuerst die wundervolle Erfindung Stephensons angeeignet, auf einmal überflügelt finden. Der Anfang war glücklich, die junge Nation hat es gut angelegt; in allen Ländern ist sie dafür bekannt und gerühmt, daß sie eine so herrliche Idee mit Raschheit auszuführen verstanden hat, und wahrlich, dieser Vortheil war ihr um so nothwendiger, als ihre Revolution sie bei manchem Deutschen in keinen guten Ruf gebracht hatte. Aber der Augenblick, ist endlich da, wo Israel seine Zelte verlassen, und sich steinerne Häuser bauen soll. Die Eisenbahn ist fast vollendet, es gilt noch, die letzte Hand daran zu legen: bald wird sie aufhören, bloß zum Geiste zu sprechen, es ist nun Zeit, daß sie auch zu den Augen rede.

Man muß nämlich wissen, daß die Stationsplätze in Belgien nicht jenen denkmälergleichen Charakter tragen, welcher sie auf den Eisenbahnen anderer Länder auszeichnet. Die hölzernen Baracken und kleinen Backsteinhäuser verlangen durch Bauten von edlerer und soliderer Art ersetzt zu werden. Lasset uns, als Kinder eines industriellen Zeitalters, große Gebäude errichten, auf daß man eines Tages unserer gedenke! Unsere Eisenbahnen, es sind die Cathedralen, die gothischen Kirchen unserer Zeit! Wahrlich, es müssen die, welche nach uns kommen, wenn sie unsere Eisenwerke ansehen, jenes niederschlagende Bedauern, und jenen Unmuth empfinden, der uns ergreift, und uns beim Anblick der alten, bis in die Wolken hinein ausgemeißelten, Dome zum Ausruf zwingt: Ach, unsere Väter waren größer, als wir! Eben, weil wir auf die Wunderdinge, welche die Industrie, dieser neue Glauben, diese Riesenfee, in unsrer Zeit vollbringt, stolz sind, wollen wir nicht zugeben, daß sie auf Sand baue, gleich jenen Werken der Eitelkeit und des Staubes, die ihre nichtigen Urheber nicht überleben.

Die elsässische und die deutschen Eisenbahnen geben gute Muster für’s Studium ab. Ich komme so eben von der zurück, welche von Frankfurt nach Wiesbaden führt, die Taunus-Eisenbahn genannt. Sie ist kaum zehn Stunden lang, aber trefflich gebaut. Wenn sie von den belgischen Bahnen die so bequemen, als vortheilhaft eingerichteten Wagen entlehnt hat, so kann sie ihnen dagegen ihre eben so eleganten, als soliden Stationshäuser zur Nachahmung bieten, desgleichen ihre geräumigen Anhaltsschoppen bei den Hauptstationen, wo, gerade wie an den Aussteigeplätzen der Versailler Bahn, die Wagenzüge unter verdecktem Himmel anlangen. In dieser Beziehung läßt vielleicht die neue Eisenbahn von Cöln nach Aachen etwas zu wünschen übrig. Es scheint ihr noch, von der Nachbarschaft Belgiens her, ein Mangel anzuhängen; dazu kommt noch die sehr natürliche Ungeduld, die die Rheinprovinzen empfinden mochten, diese neue Art Lebensader in ihrer ganzen Länge strömen zu sehen, welche ihren Rhein bis zu seinen zwei neuen Ausmündungen, zu Ostende und Antwerpen, ableitet. Wer hätte das vor sechs Jahren gesagt, als die guten Weiber aus der Umgegend von Brüssel sich vor Staunen auf die Knie warfen, und alle Heiligen des Paradieses anriefen, da sie den „Elephant“ vorbeieilen sahen, der zum erstenmal den Weg von Brüssel nach Mecheln zurücklegte, den Elephanten, jetzt ein gealterter, kurzathmiger und keuchender Invalid, damals ein junges, muthiges, und stolzes Zugpferd, das sich eines Tages, aus lauter Eile, in Antwerpen anzukommen, in den Löwener Kanal stürzte; wer hätte damals gesagt, daß diese wunderbare Verbindung der Schelde und der Nordsee mit dem Rheine, so schnell in Erfüllung gehen würde, und daß im Jahr 1841 nur ein Zwischenraum von dreizehn oder vierzehn Stunden die beiden Wetterstrahlen verhindern würde, sich auf der eisernen Furche zu begegnen!

Mit welcher Lust habe ich diese neu eröffnete Arena von Cöln bis Aachen auf den Schwingen des Dampfes durchflogen! Es war am ersten September; den Abend zuvor war ich am Rhein ausgestiegen, am Rhein, dieser großen Wasserstraße, die, nach ihrer Mündung zu, im Galopp, und nach der Quelle, im Trabe dahin eilt, seitdem die Hand des Menschen sie gezähmt hat. Eine Einladungskarte, die ich der Güte eines Actionärs dieser schönen Unternehmung verdankte, erwartete mich in meinem Gasthofe; ich verfügte mich um neun Uhr nach dem Bahnhofe, der ganz bewimpelt und ausgeschmückt war, für eine der schönsten Festlichkeiten, die der Mensch dem Menschen zu bereiten vermag, und die ihn dadurch, daß er die Räume näher an einander bringen, und die Entfernungen beseitigen lernt, mit großen Schritten dem goldenen Traume einer allgemeinen Verbrüderung zuzuführen verspricht. — Deutschland ist das Land der Blumen; sie geben seinen Spaziergängen ein freundliches Aussehen, sie verkürzen die Langeweile der Wege, und werfen mit ihrem sanften Farbenschmelze einen wehmüthihen Schleier über die zu öde Nacktheit der Gottesäcker. Die Deutschen sind Verehrer der Blumen, ein Zeichen eines guten Volkes; wohl mögen sie eine abbrechen, aber nie reißen sie sie aus. Und diese Blumen spielen eine große Rolle bei allen ihren Feierlichkeiten; auch bei dieser Einweihung durften sie nicht fehlen. Der lange Cölner Bahnhof war mit Gewinden von Dahlien, die in allen Farbenbrechungen schimmerten, ausgeziert. Da war nichts, bis auf die Locomotive herab, das nicht, gleich einem jungen Bräutigam, seinen prächtigen Strauß an der Seite trug. — Uebrigens entspricht dieser Bahnhof noch nicht der Wichtigkeit, die er in Kurzem erlangen wird; bestimmt, wie er ist, das große Aussteigequartier des Rheines zu werden, scheint er viel zu beschränkt, und soll, ohne Zweifel, nur dem augenblicklichen Bedürfniß abhelfen. Sobald die sämmtlichen Beamten, die von allen Enden Rheinpreußens herbeigekommen waren, sich vereinigt, und die Eingeladenen ihre Plätze eingenommen hatten, setzte sich der Zug in Bewegung und begann auf den gebogenen Eisenschienen seine neun und zwanzig Wagen zu entrollen, gezogen von drei schönen und starken, wohl lackirten, neu glänzenden Dampfsprühern, wie sie es alle in der Frische der ersten Jugend sind. Einen Augenblick lang konnte man ihn sehen, wie er, gleich einer im Sand kriechenden Schlange, sich drehte und wand, man hätte ihn für jene fabelhafte dreigestaltete Chimäre, mit gesträubtem Haare und feuersprühendem Nachen, nehmen mögen. Diese neun und zwanzig Wagen faßten vierzehn bis fünfehn hundert Personen, etwas mehr, als die doppelte Bevölkerung von Kniphausen, dessen Grundherrn die deutsche Bundesversammlung als souveränen deutschen Fürsten anerkannt hat. Drei Ladungen wie diese, und man könnte ganz Gap, Digne, Foix oder Mont de Martan, bis zum letzten Kind an der Mutterbrust, fortführen, französische Städtchen, die sich auf ihre Eigenschaft, als Sitz einer Präfectur, nicht wenig zu Gute thun. Endlich fuhren wir unter Kanonendonner ab; es führte mich dieß auf den Gedanken, daß es, was man auch sagen möge, etwas Neues unter der Sonne gibt: einen Achtundvierzigpfünder nämlich, der aus den Eingeweiden eines mit voller Kraft fliegenden Dampfwagens herausspräche. Möchte es den Künstlern des europäischen Gleichgewichtes gefallen, daß wir dieses Schauspiel nie erleben! Die Kanone macht bei einer industriellen Feierlichkeit einen sonderbaren Eindruck. Es ist, als ob die Landplage die alle Wunden heilende Erlösung begrüße. Denn es flüstert mir etwas zu, daß das Pulver durch den Dampf verdrängt werden wird, „eins macht dem andern den Garaus." Komm, edles, deutsches Volk, komm, das Zeichen ist gegeben, und eile, dich deinen Brüdern zu nähern! Wohin gehst du, schöner Wagenzug? sprach ein Vorübergehender voll Staunen zu dem vorbeifliegenden Sturmwind. Ich gehe nach dem Ocean, um die Flaggen von allen Enden des Erdballs herbeikommen zu sehen. Eine Welterneuerung, eine zweite Schöpfung steht uns bevor. Die Menschheit baut sich Wohnungen, die ihrer Herrschaft auf Erden würdig sind, und diese, durch den Eigensinn der Mächtigen, und durch die Feindseligkeit der einzelnen Stämme abgeschlossenen Grenzen, öffnen sich aller Orten unter den Streichen des Spatens, der Berge durchsticht, und Thäler ausfüllt, und nie werden sie sich, so wenig, als die zuckenden Gliedmaaßen des zertretnen Wurmes, wieder schließen!

Um sich von der Beschaffenheit dieser Eisenbahn, ohne eigene Anschauung, einen Begriff machen zu können, muß man vor allem die Lage des Landes zwischen der Maas und dem Rheine, oder zwischen Lüttich und Cöln, in Betracht ziehen. Es dachen sich nämlich die Höhen des im Süden durch die Mosel und den Ardennenwald begrenzten Gebirgslandes nach dieser Richtung hin allmälig ab, um sich dann in dem ungeheuren Flachlande, das der Rhein vom Siebengebirge bis zu seiner Mündung durchströmt, zuletzt ganz zu verlieren. In dem, nach der Maas zu liegenden Landstriche, gehen die Felsen weiter nach Norden hinauf, und daher kommt es, daß die Anlegung der Bahn in dieser Gegend viel größeren Schwierigkeiten unterliegt, als in der Richtung nach Cöln zu. Besonders scheint das Weze-Thal, auf den ersten Anblick, unübersteigliche Hindernisse darzubieten, und erst jenseits Aachens werden die Ungleichheiten des Bodens seltener, um zuletzt in der von den Cölner Kirchthurme beherrschten Ebene zu verschwinden. Auch gibt es wirklich von dieser Stadt an, bis zu jenen ersten Erhebungen des Bodens keine weitere Kunstarbeiten, als einen gewaltigen Erdauswurf, dessen Böschung, von der Poststraße aus gesehen, ich weiß nicht womit, zu vergleichen ist, da die Natür sich nie eines solchen Gebildes versehen hat, wie etwa ein mit der Schnur abgemessener Hügel sein würde. Von dieser lustigen Straße herab sieht man hinter sich, wie im Fluge, die über einander ragenden Dächer der alten Römerstadt, welche noch das edle Gepräge des ersterbenden, mittelalterlichen Geistes trägt. Ich habe die Bemerkung gemacht, daß die höchsten gothischen Kirchen sich auf dem platten Lande befinden, als wenn der Mensch an den Orten, wo sich die Natur vom Schöpfer zu entfernen scheint, von jener erhabenen Thorheit sich leiten lasse, die uns bisweilen die höchsten Berge erklimmen läßt, um dem Himmel näher zu kommen. Als Beleg für diese Beobachtung brauche ich nur die Cathedralen zu Antwerpen und Straßburg anzuführen, deren Thürme die höchsten sind, die man kennt. Der Cölner Dom liefert davon einen noch augenfälligeren Beweis. Der unbekannte Baumeister, der, gegen Mitte des dreizehnten Jahrhunderts, den Grundstein dazu legte, mußte es den nachkommenden Geschlechtern überlassen, einen kühnen und kolossalen Gedanken, den man, wie ungefüge er auch sein mag, als die letzte Kraftäußerung der mittelalterlichen Kunst bezeichnen kann, zur Ausführung zu bringen... Es würde diese Cathedrale eine St. Peterskirche der gothischen Kunst gegeben haben. Das gewaltige Schiff derselben würde auf der, vom Rhein bespülten, Ebene, gleich einem ausgemeißelten Berge empor geragt haben.

Aber ach! die Blüthen und die Triumphe, welche dem Geiste ganzer Zeiten angehören, dauern wohl länger, sind aber eben so vergänglich, wie das flüchtige Leben des einzelnen Menschen. Das Genie glaubt in dem Nahmen seines großen Geistes die Zukunft umfassen zu können, weil es drei Jahrhunderte vor sich hat, und während es voll Wohlgefallen mit den, auf sein Geheiß, sich thürmenden Steinen spielt, gehen die Ereignisse ihren Gang, sie fahren daher, und erreichen ihn, wie jene Kugel der pariser Bluthochzeit, die den armen Jean Goujon auf seinem Gerüst ereilte. Es predigt ein Doctor in Wittenberg, und die Christenheit vertauscht die Maurerkelle mit dem Schwerte, und fällt unter dem Geschrei der Rache und Zerstörung über die unvollendeten Tempel her. Die Türken nehmen Constantinopel, die griechische Kunst flüchtet sich nach Italien, und versetzt so den schwersten Streich jener in Granit gehauenen Poesie der gothischen Kunst, welche zu ihrer vollen Entwickelung noch zwei oder drei Jahrhunderte bedurft hätte. Kaum hat Martin Luther auf den feurigen Schwingen seines Hippogryphen, der Buchdruckerkunst, seine Flammenworte ausgesendet, als auf einmal das rege Getöse der Menge, die unermüdlich Thurmspitzen aufbaut, um wolkenhoch das Kreuz aufzupflanzen, sich verliert und verstummt. Sanct Peter in Rom allein wird vollendet, trotz der Reformation. Ich kann es mir erklären; St. Peter ist ein Werk des Ueberganges. Es ist der Katholicismus in Unterhandlung mit der heidnischen Kunst, aber doch noch mächtig genug über dieselbe, um ihr seine Größe zu verleihen, während er ihre Formen entlehnt; es ist ein dem Geiste der Kritik gemachtes Zugeständnis); Bramante ist der Luther der christlichen Kunst. Allein die wahre gothische Kirche wird immer da bleiben, wo sie der letzte Gläubige stehen gelassen hat. Der Cölner Dom ist die sterbende Orthodoxie. Vergeblich streckt der allein beendigte Chor die klaffenden Seiten nach dein entfernten Portale hin, dazwischen liegt ein tiefer, unausfüllbarer Abgrund; denn die Ideenfluth des sechzehnten Jahrhunderts ist durch diese Kluft gezogen, die von ferne so groß aussieht, daß es scheint, als baue man noch an zwei Tempeln. Wenn es wahr ist, was ein großer Dichter sagt, daß die Baukunst eine Sprache, und jede Kirche ein Buch ist, o, so betrachtet diese entzwei geschnittene Cathcdrale, da haben wir das katholische Babel! Die Werkleute haben den riesigen Thurm stehen lassen, als sie sich nicht mehr verstehen konnten, und wir Modernen haben die zwei köstlichen Stücke durch eine Art Gemäuer, durch einen elenden Steinaufwurf, an einander gehängt, wir haben, so zu sagen, Anfang und Ende des Satzes, durch eine barbarische Construction, aus den Fugen gerissen, etwa so, wie die Gelehrten mit dem Texte des Pindar und des Homer umgegangen sind, und, zehnmal reicher, als unsere Voreltern, beklagen wir uns, nachdem wir ihre Steine gehörig ausgebeutet, noch über den Aufwand, den uns das WerK kostet! Von welcher Seite man auch Cöln betrachtet, so fällt diese Zerrissenheit des Chors und des Portals in die Augen, und gibt dem Beschauer Stoff zum Nachdenken. Es finden sich bei Coleridge Verse, worin zwei auf immer getrennte Freunde einem Felsen verglichen werden, den ein Blitzstrahl zerschmettert hat, und dessen Risse noch ganz geschwärzt sind. So ist dieses Chor, so dieses Portal; noch könnet ihr an einem schönen Sommertage den Blitz der Reformation, die Sonne der Renaissance darüber glänzen sehen; und jener Hebebaum, den der Baumeister dort hat stehen lassen, und der, gleich dem Arme eines zerschmetterten Titanen, nur auf den Pelion zu warten scheint, um ihn auf den Ossa zu stürzen, hat auch seine Bedeutung: es ist der Hebel des Archimedes, es ist diese mächtige Triebfeder des Glaubens, die den Weltkreis in Bewegung setzt! Lasset diese düstern Wahrzeichen uns zur Lehre dienen, eilen wir uns, als Riesen eines andern Zeitalters, weil wir an die Industrie glauben, auch großartige Werke aufzurichten, es könnte uns ja sonst einer jener zerstörenden Windstöße ereilen, die den Aufschwung eines ganzen Jahrhunderts lähmen und könnte uns, ehe wir uns dessen verschen, sammt unserm Hebel, im dumpfen und thatlosen Schweigen der Ewigkeit zunicklassen. — Wir warfen noch einen letzten Blick auf Cöln und den Drachenfels, den man ganz am Horizonte erkennen kann, als wir uns schon unter den ersten Hügel, der diese weite Ebene begrenzt, versetzt sahen: wir waren beim Königsdorfer Tunnel angekommen. Trotz der Schnelligkeit der Fahrt brauchte der Wagenzug vier und eine halbe Minute, um ihn zu durchlaufen. Lauter Zuruf erscholl unter dem finstern Gewölbe, das in der Beleuchtung der Fackeln wie ein Traum davon flog. Diese Tunnel haben für den Reisenden das Anziehende, daß sie jeden Augenblick die Landschaft verändern. Wie der Zauberer mit seinem Stäbe den Schauplatz in ein Feenland verwandelt, so scheinen sie uns zu sagen: Mach die Augen zu, jetzt sieh! — Von hier an wird die Gegend anmuthiger und mannigfaltiger; aber erst jenseits Düren wird sie wahrhaft reizend. Schöne Wälder, mit Gebüsch umwachsene Wiesen, seitwärts strebende Hügel, um die sich der Weg dreht, als wolle er uns ihre Umrisse besser sehen lassen; schöne, wiewohl nicht so dicht, als in Belgien, gebaute Dorfschaften, aus denen wir von den Einwohnern mit Hurrahgeschrei begrüßt wurden; und, da der Boden hier sehr ungleich ist, abermals Tunnel, in die man sich stürzt; Brücken, über die man setzt, oder die sich ausspreiten, um uns durchzulassen; dann bei Stollberg Fabriken mit hohen, spitzigen Schornsteinen, die sich unter den Bäumen verlieren, wahrhafte Land-Fabriken; weiter endlich, eine große Waldung mit zahlreichen lichten Stellen, wie eine grüne Tapete, würdig, den Park eines großen Herren zu zieren: dieß ist das Panorama des Landes, von der Eisenbahn aus gesehen, und hauptsächlich, je mehr man sich Aachen nähert. Alle Kunstarbeiten, die wir hier angeführt haben, sind sehr ausgezeichnet. Die Eingänge zu den drei Tunneln, von einer zierlichen Bauart, an die wir nicht gewöhnt sind, stellen die Mauern fester Burgen vor, wie man sie an den Ufern des Rheines findet. Wenn es statthaft wäre, würden wir viel¬ leicht tadeln, daß man bei einer wesentlich modernen Gattung von Werken, die eben so gut, als die Wasserleitungen und Kunststraßen der Römer, Epoche machen werden, den historischen Baustil angenommen hat. Wir wiederholen es, man sollte niemals die Haltpuncte der Geschichte verrücken.

Gehören wir unserer Zeit an, wie unsere Voreltern Kinder der ihrigen waren, und lassen wir den Maurern die Freiheit, gothisch zum Vergnügen der Liebhaber zu bauen! Die Kunst ist eine Blume, welche nur unter ihrem Himmel, zu ihrer Zeit, und in ihrem Erdreiche gedeiht. Die Zinnen auf den Mauern der Burgen hatten einen Sinn, den sie am Eingänge der Tunnel nicht mehr haben können. Diese Art Arbeiten erheischen nothwendig einen nackten und ernsten Styl. Durchstecht den Berg, fahrt unter dem Strome durch, hierin liegt alle Größe, alle Poesie dieser Arbeiten. Wir bemerken mit Vergnügen, daß die belgischen Ingenieure bei den zahlreichen Tunneln im Weze-Thale einen, in seiner Einfachheit, weit edleren Styl befolgt haben. Aber da wir nun einmal in diese Kritik des Details eingegangen sind, so wollen wir auch gleich unsere aufrichtige Bewunderung des schönen Viaducts aussprechen, der, dicht bei der Aachner Station, über die Niederungen bei Burtscheid hinläuft. Hier zum wenigsten haben die Ingenieure den Grazien nicht geopfert. Sie haben eine colossale Brücke erbaut, die den Weg in den Lüften fortführt, und ganz sicherlich den hängenden Gärten zu Babylon gleich zu setzen ist. Hierin haben wir, ohne Widerspruch, die Römer überflügelt. Sie leiteten Wasserbäche über die Thäler hinweg; wir dagegen führen Ströme von Menschen dahin, die von oben auf die Vögel herabsehen, wie sie sich auf den Wipfeln der Bäume wiegen!

Dies ist die Eisenbahn von Cöln, so wie wir sie an diesem Festtage gesehen haben, den die Einwohner der Rheinprovinzen noch lange in freudiger Rückerinnerung behalten werden. Wir wollen die weiteren Nebenumstände, wovon die Zeitungen bereits die Lesewelt unterhalten haben, hier nicht wiederholen. Man kann daraus ersehen, daß die bei dieser Gelegenheit gehaltenen Reden bemerkenswerther sind, als sie es bei Feierlichkeiten anderer Art zu sein pflegen. Denn große Dinge setzen uns in Begeisterung; diese Eisenbahn vom Rhein nach der See, durch Belgien hindurch, hat die Einbildungskraft der Deutschen lebhaft ergriffen. Das Meer ist es, was Deutschland fehlt, und diese bewundernswürdige Straße verschafft ihm Küsten. Das Merkwürdige bei diesem Feste in Aachen war wohl auch die Anwesenheit eines Mitglieds des belgischen Ministeriums, und die Zuvorkommenheit, die man ihm erwies. Es ist dieß ohne Zweifel eine Anerkenntniß, die man dem Nachfolger eines Mannes schuldig zu sein glaubte, der im Jahr 1834 den Kammern seines kaum hergestellten Landes den berühmten Eisenbahnentwurf vorlegte, dessen fast vollständige Ausführung wir heute vor uns sehen. Aber welches Zusammentreffens seltsamer und unvorhergesehener Ereignisse hat es auch bedurft, um zwölf Jahre nach Eröffnung der ersten Eisenbahn, der von Liverpool nach Manchester, den Minister eines Königreichs, welches damals noch nicht vorhanden war, und welches sein Daseyn einer Revolution verdankt, in Preußen als den Repräsentanten eines Volkes begrüßen zu lassen, das dem Binnenlande mit dem Beispiele eines vollständigen, in weniger als fünf Jahren entworfenen und zugleich beinahe gänzlich ausgeführten Eisenbahnsystems vorangegangen ist.

Wir waren in so begeisterter Stimmung für diese schöne Straßenverbindung, daß wir uns entschlossen, auf dem Umwege über Verviers, nach Belgien zurückzukehren, und hatten so Gelegenheit, die Arbeiten, welche jetzt Aachen mit Lüttich verbinden sollen, flüchtig zu besehen. Nach ersterer Stadt zu herrscht große Thätigkeit, aber die Arbeiten rücken nur langsam vorwärts, so viel Tunnel gibt es zu durchbrechen, und so viel Erdwälle auszuwerfen, auf dem, bei jedem Schritte, sich hebenden oder senkenden Boden. Aber im Weze-Thal, und hauptsächlich jenseits Verviers, wo dieses große Werk mit einem eben so löblichen Eifer gefördert wird, ist es noch viel schlimmer bestellt. Dieß ganze reizende Land ist von oben bis unten umgewandt. Es hat hier die Eisenbahn den Kopf darauf gesetzt, nur nach vorgängigem Kampfe von der geraden Linie abzuweichen. Alle Augenblicke sieht man sie unter einem Felsen verschwinden, oder auf Brücken über einen Waldstrom setzen, die eben so riesenhaft sind, als die Blöcke, die man zu ihrer Erbauung aus dem nämlichen Felsen gebrochen hat. Man stelle sich eine Nadel in einem Korkzieher vor, so hat man die Eisenbahn von Lüttich nach Verviers.

Fenelon hat in seinem Telemach den Lärm und das Gewühl einer im Bau begriffenen Stadt geschildert. Ich wollte eine Feder, wie die seinige (wenn es noch eine solche gibt), versuchte es, den Anblick eines Thales, wie dieses, darzustellen, wie es den Mardern und Bibern der Industrie Preis gegeben ist. Wenn die Marder ihr Loch gemacht haben, kommen die Biber und bauen Brücken und ziehen Viaducte mit den Felsen-Brosamen, die sie so mühsam abgenagt und herausgeworfen haben. Man hört nichts als Hammerschläge, das Rollen von Eisen auf Eisen, den Knall sich entladender Minen in den Steinbrüchen und den völligen Umsturz aller dieser abgesonderten, und von der Natur zu einem so harmonischen Ganzen vereinten Linien. Das Thal wird vielleicht an malerischem Reiz verlieren, aber welche entzückende Aussichten wird man von dieser Eisenbahn herab entdecken, die sich bald unter der Erde verliert, bald hoch über einem rauschenden Gewässer hängt und immer das Thal an seinen schönsten Puncten wieder erreicht! Man braucht solche Hindernisse nur anzuführen, um die Langsamkeit, womit dieser Theil der Belgisch-Rheinischen Eisenbahn vorrückt, begreiflich zu machen. Mehr als zwei Jahre werden noch verstreichen, ehe sie der Benutzung frei gegeben werden kann, aber welches Wunder, wenn sie vollendet ist, und wie trifft es sich für die Ingenieure, die bisher, so zu sagen, auf dem ganz fertigen Boden von Flandern und einem Theile von Brabant die Schienen nur hinzulegen brauchten, daß sie am Ende dieser Linie gerade auf den felsigsten, romantischsten und launischsten Landstrich gestoßen sind, den vielleicht noch je ein eisernes Wagengeleis zu durchschneiden hatte.

E. R.