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Deutsche Waaren unter ausländischen Titeln

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Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Deutsche Waaren unter ausländischen Titeln
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 1, S. 16
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1865
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[16] Deutsche Waaren unter ausländischen Titeln. In den letzten dreißiger Jahren lebte zu München der Hof-Uhrmacher M. Allgemein geachtet, tüchtig in seinem Berufe, stand er auch bei dem Könige in hoher Gunst, da dieser ein Liebhaber schöner und künstlicher Uhren war. In der Werkstätte des Herrn M. mußte Alles auf das Sorgfältigste ausgeführt werden; darum fand er selten einen Gehülfen, der nach seinem Sinne arbeitete, und klagte oft, daß Fleiß und Geschicklichkeit seit seiner Jugend viel seltener geworden seien. Er hatte einen Jugendfreund in Würzburg, der, ebenfalls sehr tüchtig in seinem Fache, eine Uhrenfabrik betrieb. An diesen wandte er sich einst mit der Bitte, ihm womöglich einen geschickten Gehülfen zu senden. Eine günstige Antwort kam. Ein junger Mann, Ignaz F., hatte in des Freundes Geschäft gelernt und dann noch eine Zeit lang gearbeitet, wollte sich aber nun auch einmal in anderen Städten umsehen und war bereit, bei Herrn M. einzutreten, der sich indeß nicht an das etwas kurzangebundene Wesen des Empfohlenen stoßen sollte, da dieser ein „origineller Kauz“ sei. Nach einiger Zeit kam der neue Gehülfe.

Der Meister zeigte F. die Werkstätte, wo er arbeiten sollte. Von den hingelegten Werkzeugen schob der junge Mann viele bei Seite.

„Was machen Sie da?“ fragte M. erstaunt.

„Hab’s besser,“ war die Antwort, und damit zog er ein feines Etui hervor, welches alle nöthigen Instrumente trefflich gearbeitet enthielt. Das gefiel dem Meister wohl, und er reichte dem Ankömmling eine goldene Repetiruhr hin, an welcher er selbst sich vergebens bemüht hatte, den Schaden zu entdecken. Der neue Gehülfe betrachtete sie aufmerksam und mit dem Ausruf: „Ah, weiß schon!“ machte er sich an die Arbeit. Nach einer halben Stunde trat er zu Herrn M. mit der Frage: „Was weiter?“

„Was macht die Uhr?“ erwiderte dieser.

„Ist fertig,“ lautete die Erstaunen erregende Antwort.

„Was fehlte ihr denn eigentlich?“

„War nur ein Loch verbohrt.“

Zu des Meisters Freude hatte er endlich einen Arbeiter gefunden, der seine Sache auf’s Pünktlichste verstand; er konnte vollständig zufrieden sein, nur ärgerte ihn des Gehülfen kurzes „Weiß schon“, wenn er diesem etwas erklärte, was derselbe verstand, und es gab eigentlich nichts Anderes.

Nach einem halben Jahre nöthigten Familienverhältnisse Herrn M. zu einer Reise in seine alte Heimath, das südliche Tirol. Er übergab Ignaz F. sein ganzes Geschäft und führte ihn insbesondere den Tag vor der Abreise nach dem königlichen Schlosse, wo allwöchentlich die Uhren aufzuziehen waren. Nachdem er ihm die verschiedenen Uhren gezeigt, sagte er, in des Königs Schreibzimmer tretend: „Diese astronomische Uhr muß ich Ihrer besonderen Sorgfalt empfehlen, da das Werk sehr complicirt ist.“

„Weiß schon.“

„Die Königin ließ sie zu des Königs Geburtstag kürzlich von England kommen,“ fuhr der Meister fort.

„Weiß schon,“ wiederholte ruhig der Angeredete.

Mit einem ärgerlichen Blick sprach Herr M. weiter: „Sie müssen dieses Thürchen öffnen, um an das Uhrwerk zu kommen.“

Ignaz F. stand noch in der Mitte des Zimmers, und ohne näher zu treten, erwiderte er nur: „Weiß schon.“

Nun konnte der Meister seinen Zorn nicht länger bezwingen. „Was wissen Sie? Gar nichts! Glauben Sie, ich ließe mich foppen? Ich, der Hof-Uhrmacher Sr. Majestät, foppen von einem jungen Manne?“

Da trat dieser näher und sagte: „Wollen Sie gütigst einmal hinten auf das Knöpfchen drücken?“

„Da ist kein Knöpfchen!“ polterte Herr M.

„Doch! Sehen Sie?“ und damit drückte F. auf ein unscheinbares Knöpfchen und hielt dem Meister ein Messingplättchen hin, worauf stand:, „Ignaz F. Würzburg 18**.“

„Was hat das zu bedeuten?“ fragte erstaunt der Hof-Uhrmacher.

„Daß ich diese Uhr gemacht.“

„Sie?“ und sprachlos maß er seinen Begleiter von oben bis unten, schüttelte ungläubig seinen Kopf und sagte: „Wir ließen sie ja von England kommen!“

„Ganz recht; diese Uhr war mein Gesellenstück, und mein Meister verkaufte sie für siebenhundert Gulden an das Geschäft William L. in London. Sie haben vielleicht tausend Gulden dafür bezahlt!“

„Eintausend fünfhundert Gulden,“ erwiderte Herr M.

Für die Wahrheit dieser Geschichte verbürgt sich der Einsender. Und die Moral? Schon seit mehreren Jahrzehnten, aber in der letzten Zeit immer mehr, liefert der deutsche Gewerbfleiß Ausgezeichnetes, das den besten Leistungen des Auslandes gleichkommt, oft sie übertrifft. Eine Menge deutscher Industrieerzeugnisse, namentlich solche, welche musterhafte Arbeit und vollkommene Kenntniß der neuesten wissenschaftlich-technischen Errungenschaften verlangen, wandern höchst zahlreich in’s Ausland, wo sie vielleicht kaum so gut, jedenfalls nur zu höheren Preisen hergestellt werden können, und werden entweder dort als „Pariser“ oder „Londoner“ Arbeit verkauft oder kehren gar unter dem Titel von solchen und mit bedeutend erhöhten Preisen nach Deutschland zurück. Andere deutsche Waaren werden wenigstens französisch oder englisch getauft. Daß solche Fälschungen alltäglich geschehen, weiß nachgerade fast Jedermann. Wer soll also heutigen Tages noch durch jene Fälschungen getäuscht werden? Wäre es nicht endlich an der Zeit, daß jeder deutsche Gewerbsmann, wie es auch viele bereits thun, solche Selbsterniedrigung verschmähte, die nicht blos unwürdig, sondern auch nutzlos ist? Denn alle jene Waaren würden, mit deutscher Inschrift versehen und ohne den fremden Zwischenträger, dem deutschen Arbeiter mindestens eben so gut, oft sogar ansehnlich besser, bezahlt werden.