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Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl I/Neuntes Capitel

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Achtes Capitel Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band (1875)
von Charles Darwin
Zehntes Capitel


[341]
Neuntes Capitel.
Secundäre Sexualcharactere in den niederen Classen des Thierreichs.

Derartige Charactere fehlen in den niedersten Classen. – Glänzende Farben. – Mollusken. – Anneliden. – Crustaceen, secundäre Sexualcharactere hier stark entwickelt; Dimorphismus; Farbe; Charactere, welche nicht vor der Reife erlangt werden. – Spinnen, Geschlechtsfarben derselben; Stridulation der Männchen. – Myriapoden.

In den niedersten Classen des Thierreiehs sind die beiden Geschlechter nicht selten in einem und demselben Individuum vereinigt und in Folge hiervon können natürlich secundäre Sexualcharactere nicht entwickelt werden. In vielen Fällen, wo die beiden Geschlechter getrennt sind, sind die einzelnen verschiedengeschlechtlichen Individuen an irgend eine Unterlage dauernd befestigt, so dass das eine nicht das andere suchen oder um dasselbe kämpfen kann. Ueberdies ist es beinahe sicher, dass diese Thiere zu unvollkommene Sinne und viel zu niedrige Geisteskräfte haben, um die Schönheit und andere Anziehungspunkte des andern Geschlechts würdigen, oder Rivalität fühlen zu können.

In so niedrigen Classen wie den Protozoen, Coelenteraten, Echinodermen und niederen Würmern kommen daher secundäre Sexualcharactere von der Art, wie wir sie zu betrachten haben, nicht vor; und diese Thatsache stimmt zu der Annahme, dass derartige Charactere in den höheren Classen durch geschlechtliche Zuchtwahl erlangt worden sind, welche von dem Willen, den Begierden und der Wahl der beiden Geschlechter abhängt. Nichtsdestoweniger kommen dem Anscheine nach einige wenige Ausnahmen vor; so höre ich z. B. von Dr. Baird, dass die Männchen gewisser Eingeweidewürmer von den Weibchen unbedeutend in der Färbung abweichen. Wir haben aber keinen Grund [342] zu der Vermuthung, dass derartige Verschiedenheiten durch geschlechtliche Zuchtwahl gehäuft worden seien. Einrichtungen, mittelst deren das Männchen das Weibchen hält und welche für die Fortpflanzung der Species unentbehrlich sind, sind unabhängig von geschlechtlicher Zuchtwahl und sind durch gewöhnliche Zuchtwahl erlangt worden.

Viele von den niederen Thieren, mögen sie hermaphroditisch oder getrenntgeschlechtlich sein, sind mit den glänzendsten Farbentönen geziert oder in einer eleganten Art und Weise schattirt oder gestreift. Dies ist z. B. der Fall bei vielen Corallen und See-Anemonen (Actiniae), bei einigen Quallen (Medusae, Porpita u. s. w.), bei manchen Planarien, Ascidien, zahlreichen Seesternen, Seeigeln u. s. w.; wir können aber aus den bereits angeführten Gründen, nämlich aus der Vereinigung der beiden Geschlechter bei einigen dieser Thiere, dem dauernd festgehefteten Zustande anderer und den niedrigen Geisteskräften aller, schliessen, dass solche Farben nicht als geschlechtliche Anziehungsreize dienen und nicht durch geschlechtliche Zuchtwahl erlangt worden sind. Man muss im Auge behalten, dass wir in keinem einzigen Falle hinreichende Beweise dafür haben, dass Färbungen in dieser Weise erlangt worden sind, ausgenommen wenn das eine Geschlecht glänzender oder auffallender gefärbt ist als das andere und wenn keine Verschiedenheit in den Lebensgewohnheiten der beiden Geschlechter besteht, welche diese Abweichungen erklären könnte. Der Beweis hierfür wird aber so vollständig, als er je sein kann, nur dann, wenn die bedeutender verzierten Individuen, welches fast immer die Männchen sind, ihre Reize willkürlich vor dem andern Geschlechte entfalten; denn wir können nicht annehmen, dass eine derartige Entfaltung nutzlos ist; und ist sie von Vortheil, so wird auch fast unvermeidlich geschlechtliche Zuchtwahl die Folge sein. Wir können indessen diese Folgerung auch auf beide Geschlechter, wenn sie gleich gefärbt sind, in dem Falle ausdehnen, dass ihre Färbung derjenigen des in gewissen andern Species derselben Gruppe allein so gefärbten Geschlechts offenbar analog ist.

Wie haben wir denn nun die schönen oder selbst prachtvollen Farben vieler Thiere der niedersten Classen zu erklären? Es erscheint sehr zweifelhaft, ob derartige Färbungen häufig zum Schutze dienen; doch sind wir in dieser Hinsicht äusserst leicht einem Irrthum ausgesetzt, wie jeder zugeben wird, welcher Mr. Wallace’s ausgezeichnete Abhandlung über diesen Gegenstand gelesen hat. Es würde z. B. [343] auf den ersten Blick wohl Niemand der Gedanke kommen, dass die vollkommene Durchsichtigkeit der Quallen oder Medusen von dem höchsten Nutzen für sie als ein Schutzmittel sei; wenn wir aber von Häckel daran erinnert werden, dass nicht bloss die Medusen, sondern auch viele oceanische Molusken, Crustaceen und selbst kleine oceanische Fische dieselbe glasähnliche Beschaffenheit, häufig von prismatischen Farben begleitet, darbieten, so können wir kaum daran zweifeln, dass sie durch dieselbe der Aufmerksamkeit pelagischer Vögel und anderer Feinde entgehen. Mr. Giard ist auch überzeugt[1], dass die hellen Farben gewisser Spongien und Ascidien ihnen zum Schutze dient. Auffallende Färbungen sind für viele Thiere auch in so fern wohlthätig, als sie die Thiere, welche sie zu verschlingen Lust hätten, warnen, dass sie widrig sind oder dass sie gewisse specielle Vertheidigungsmittel besitzen; dieser Gegenstand wird aber besser später erörtert werden.

In unsrer Unwissenheit über die meisten niedern Thiere können wir nur sagen, dass ihre prachtvollen Farben das directe Resultat entweder der chemischen Beschaffenheit oder der feineren Structur ihrer Körpergewebe sind und zwar unabhängig von irgend einem daraus fliessenden Vortheile. Kaum irgend eine Farbe ist schöner als das arterielle Blut; es ist aber kein Grund vorhanden zu vermuthen, dass die Farbe des Blutes an sich irgend ein Vortheil sei; und wenn sie auch dazu beiträgt, die Schönheit der Wangen eines Mädchens zu erhöhen, so wird doch Niemand behaupten wollen, dass sie zu diesem Zwecke erlangt worden sei. So ist ferner bei vielen Thieren, und besonders bei den niederen, die Galle intensiv gefärbt; in dieser Weise ist z. B. die ausserordentliche Schönheit der Eoliden (nackter Seeschnecken), wie mir Dr. Hancock mitgetheilt hat, hauptsächlich eine Folge der durch die durchscheinenden Hautbedeckungen hindurch gesehenen Gallendrüsen; und wahrscheinlich ist diese Schönheit von keinem Nutzen für diese Thiere. Die Färbungen der absterbenden Blätter in einem americanischen Walde werden von Allen, die sie gesehen haben, als prachtvoll beschrieben; und doch nimmt Niemand an, dass diese Färbungen für die Bäume von dem allergeringsten Nutzen sind. Erinnert man sich daran, wie viele Substanzen neuerlich von Chemikern gebildet worden sind, welche natürlichen organischen Verbindungen [344] äusserst analog sind und welche die prachtvollsten Farben darbieten, so müssten wir es doch für eine befremdende Thatsache erklären, wenn nicht ähnlich gefärbte Substanzen oft auch unabhängig von einem dadurch erreichten nützlichen Zwecke in dem complicirten Laboratorium der lebenden Organismen entstanden wären.

Unterreich der Mollusken. — Durch diese ganze grosse Abtheilung des Thierreichs kommen secundäre Sexualcharactere, solche wie wir sie hier betrachten, so weit ich es ausfindig machen kann, nirgends vor. In den drei niedrigsten Classen, nämlich den Ascidien, Bryozoen und Brachiopoden (die Molluscoiden mehrerer Zoologen bildend) wären solche auch nicht zu erwarten gewesen, denn die meisten der hierher gehörigen Thiere sind beständig an irgend eine Unterlage befestigt oder haben die Geschlechter in einem und demselben Individuum vereinigt. Bei den Lamellibranchiern, oder den zweischaligen Muscheln, ist Hermaphroditismus nicht selten. In der nächst höheren Classe, der der Gasteropoden oder einschaligen Schnecken, sind die Geschlechter entweder vereint oder getrennt. In diesem letzteren Falle aber besitzen die Männchen niemals specielle Organe zum Finden, Festhalten oder Reizen der Weibchen oder zum Kämpfen mit andern Männchen. Die einzige äusserliche Verschiedenheit zwischen den Geschlechtern besteht, wie mir Mr. Gwyn Jeffreys mittheilt, darin, dass die Schalen zuweilen ein wenig in der Form abweichen; so ist z. B. die Schale der gemeinen Strandschnecke (Littorina litorea) beim Männchen etwas schmäler und hat eine etwas verlängertere Spindel als die des Weibchens. Aber Verschiedenheiten dieser Art stehen, wie wohl vermuthet werden kann, direct im Zusammenhang mit dem Acte der Reproduction oder mit der Entwickelung der Eier.

Wenn auch die Gasteropoden einer Ortsbewegung fähig und mit unvollkommenen Augen versehen sind, so scheinen sie doch nicht mit hinreichenden geistigen Kräften ausgerüstet zu sein, um den Individuen eines und desselben Geschlechts einen Kampf der Nebenbuhlerschaft zu gestatten und dadurch secundäre Sexualcharactere erlangen zu lassen. Nichtsdestoweniger geht bei den lungenathmenden Gasteropoden oder Landschnecken der Paarung eine Werbung voraus; denn wenn diese Thiere auch Hermaphroditen sind, so sind sie doch durch ihre Structur gezwungen, sich zu paaren. Agassiz bemerkt:[2] „Quiconque a eu [345] l'occasion d'observer les amours des limaçons, ne saurait mettre en doute la séduction déployée dans les mouvements et les allures qui préparent et accomplissent le double embrassement de ces hermaphrodites“. Es scheinen diese Thiere eines geringen Grades dauernder Anhänglichkeit fähig zu sein. Ein sorgfältiger Beobachter, Mr. Lonsdale, theilt mir mit, dass er einmal ein Paar Landschnecken (Helix pomatia), von denen die eine schwächlich war, in einen kleinen und schlecht versorgten Garten gethan habe. Nach einer kurzen Zeit war das kräftige und gesunde Individuum verschwunden und konnte nach der schleimigen Spur, die es hinterlassen hatte, über die Mauer in einen benachbarten gut versorgten Garten verfolgt werden. Mr. Lonsdale folgerte daraus, dass es seinen kränklichen Genossen verlassen habe; aber nach einer Abwesenheit von vierundwanzig Stunden kehrte es zurück und theilte offenbar das Resultat seiner erfolgreichen Entdeckungsreise seinem Gefährten mit, denn beide machten sich nun auf denselben Weg und verschwanden über die Mauer.

Selbst in der höchsten Classe der Mollusken, der der Cephalopoden oder der Tintenfische, bei welchen die Geschlechter getrennt sind, kommen secundäre Sexualcharactere von der Art, welche wir hier betrachten, so viel ich sehen kann, nicht vor. Dieser Umstand überrascht wohl allerdings, da diese Thiere hoch entwickelte Sinnesorgane besitzen und auch beträchtlich ausgebildete geistige Kräfte haben, wie alle die zugeben werden, welche die kunstvollen Bestrebungen dieser Thiere, ihren Feinden zu entgehen, beobachtet haben.[3] Gewisse Cephalopoden sind indessen durch ein ausserordentliches Geschlechtsmerkmal characterisirt: das männliche Sexualelement wird nämlich bei diesen in einem der Arme oder Tentakeln angesammelt, welcher dann abgeworfen wird und, sich mit seinen Saugnäpfen an den Weibchen festhaltend, eine Zeit lang ein selbständiges Leben führt. Dieser abgeworfene Arm ist einem besondern Thiere so vollständig ähnlich, dass er von Cuvier als parasitischer Wurm, Hectocotylus, beschrieben wurde. Diese wunderbare Bildung dürfte aber eher als ein primärer denn als ein secundärer Geschlechtscharacter bezeichnet werden.

Obgleich nun bei den Mollusken geschlechtliche Zuchtwahl nicht in's Spiel gekommen zu sein scheint, so sind doch viele einschalige Schnecken und zweischalige Muscheln, wie Voluten, Conus, Pilgrimmuscheln [346] u. s. w. schön gefärbt und geformt. Die Farben sind dem Anscheine nach in den meisten Fällen von keinem Nutzen als Schutzmittel; sie sind wahrscheinlich wie in den niedrigsten Classen das directe Resultat der Beschaffenheit der Gewebe; und die Formen und die Sculptur der Schale hängt von der Art und Weise ihres Wachsthums ab. Die Menge von Licht scheint bis zu einem gewissen Maasse von Einfluss zu sein; denn obgleich, wie mir Mr. Gwyn Jeffreys wiederholt bestätigt hat, die Schalen mancher in grösster Tiefe lebender Arten glänzend gefärbt sind, so sehen wir doch im Allgemeinen, dass die untern Schalenflächen und die vom Mantel bedeckten Theile weniger hell gefärbt sind als die obern und dem Lichte ausgesetzten Flächen.[4] In manchen Fällen, wie bei Schalthieren, welche mitten unter Corallen oder hell gefärbten Meerpflanzen leben, dürften die hellen Farben als Schutzmittel dienen.[5] Aber viele der Nudibranchier oder nackten Seeschnecken sind ebenso schön gefärbt wie irgendwelche Schneckenschalen, wie in dem prachtvollen Werke der Herren Alder und Hancock nachgesehen werden kann; und nach einer mir freundlichst von Mr. Hancock gemachten Mittheilung ist es äusserst zweifelhaft, ob diese Farben gewöhnlich den Thieren zum Schutze dienen. Bei einigen Arten mag dies wohl der Fall sein, wie bei einer, welche auf den grünen Blättern von Algen lebt und selbst schön grün gefärbt ist. Aber viele hellgefärbte, weisse oder in anderer Weise auffallende Species suchen kein Versteck; während andererseits einige gleichmässig auffallende Species, ebenso wie andere düster gefärbte Arten unter Steinen und in dunklen Höhlungen leben. Offenbar steht daher bei diesen nudibranchen Mollusken die Färbung in keiner innigen Beziehung zu der Beschaffenheit der Oertlichkeiten, welche sie bewohnen.

Diese nackten Seeschnecken sind Hermaphroditen; trotzdem paaren sie sich aber, wie es auch die Landschnecken thun, von denen viele ausserordentlich nette Schalen besitzen. Es wäre wohl denkbar, dass [347] zwei Hermaphroditen, gegenseitig durch die bedeutendere Schönheit angezogen, sich verbinden und Nachkommen hinterlassen könnten, welche die grössere Schönheit ihrer Eltern erben würden. Aber bei so niedrig organisirten Wesen ist dies ausserordentlich unwahrscheinlich. Es springt auch durchaus nicht sofort in die Augen, warum die Nachkommen der weniger schönen irgendwelchen Vortheil von der Art haben sollten, dass sie nun an Zahl zunähmen, wenn nicht allerdings Lebenskraft und Schönheit allgemein zusammenfielen. Wir haben hier nicht einen solchen Fall vor uns, wo die Männchen früher als die Weibchen reif werden und die schöneren Männchen dann von den lebenskräftigeren Weibchen ausgewählt werden. Allerdings wenn brillante Farben für ein hermaphroditisches Thier in Bezug auf seine allgemeinen Lebensgewohnheiten wohlthätig wären, so würden auch die lebendiger gefärbten Individuen am besten fortkommen und an Zahl zunehmen: dies wäre aber dann ein Fall von natürlicher und nicht von geschlechtlicher Zuchtwahl.

Unterreich der Würmer: Classe der Anneliden (oder Ringelwürmer). — Obgleich in dieser Classe die beiden Geschlechter, wenn sie getrennt sind, zuweilen in Merkmalen von solcher Bedeutung von einander verschieden sind, dass sie in verschiedene Gattungen oder selbst Familien gebracht worden sind, so scheinen die Verschiedenheiten doch nicht von der Art zu sein, dass man sie mit Sicherheit der geschlechtlichen Zuchtwahl zuschreiben könnte. Diese Thiere sind häufig schön gefärbt; da aber die Geschlechter in dieser Beziehung nicht von einander abweichen, berührt uns der Fall nur wenig. Selbst die Nemertinen, trotzdem sie so niedrig organisirt sind, „wetteifern in Schönheit und Verschiedenheit der Färbung mit jeder andern Gruppe der wirbellosen Thiere“; doch konnte Dr. McIntosh[6] nicht entdecken, dass diese Farben von irgend welchem Nutzen seien. Die festsitzenden Anneliden werden nach der Zeit der Reproduction trüber gefärbt, wie Quatrefages angibt;[7] ich vermuthe, dies ist dem weniger lebensvollen Zustande in dieser Zeit zuzuschreiben. Alle diese wurmartigen Thiere stehen dem Anscheine nach zu tief auf der Stufenleiter, als dass man annehmen könnte, entweder die beiden Geschlechter liessen [348] irgend eine Wahl eintreten, um einen Genossen zu erlangen, oder die Individuen eines und desselben Geschlechts wären im Stande, mit ihren Nebenbuhlern zu kämpfen.

Fig. 4. Labidocera Darwinii (nach Lubbock).
a) Theil der vordern rechten Antenne des Männchens, ein Greiforgan bildend;
b) hinteres Paar der Thoraxfüsse des Männchens;
c) dasselbe vom Weibchen.

Unterreich der Arthropoden; Classe: Crustaceen. – In dieser grossen Classe begegnen wir zuerst unzweifelhaften secundären Sexualcharacteren, welche oft in einer merkwürdigen Weise entwickelt sind. Unglücklicherweise ist die Lebensweise der Crustaceen sehr unvollkommen bekannt und wir können daher den Gebrauch vieler, nur dem einen Geschlechte eigenthümlichen Structurverhältnisse nicht erklären. Bei den niedrigen parasitischen Species sind die Männchen von geringer Grösse und nur sie allein sind mit vollkommenen Schwimmfüssen, Antennen und Sinnesorganen versehen. Die Weibchen entbehren dieser Organe und ihr Körper besteht oft nur aus einer unförmlichen, sackartigen Masse. Diese ausserordentlichen Verschiedenheiten zwischen den beiden Geschlechtern stehen aber ohne Zweifel in Beziehung zu ihrer so sehr von einander abweichenden Lebensweise und berühren uns in Folge dessen hier nicht. Bei verschiedenen, zu verschiedenen Familien gehörigen Crustaceen sind die vordern Antennen mit eigenthümlichen fadenförmigen Körpern versehen, von denen man glaubt, dass sie als Geruchsorgane fungiren; und diese sind bei den Männchen bedeutend zahlreicher als bei den Weibchen. Da die Männchen schon ohne eine ungewöhnliche Entwickelung ihrer Geruchsorgane beinahe mit Sicherheit früher oder später im Stande sein würden, die Weibchen zu finden, so ist die bedeutendere Anzahl der Riechfäden wahrscheinlich durch geschlechtliche Zuchtwahl erlangt worden, und zwar dadurch, dass die besser damit ausgerüsteten Männchen bei dem Finden von Genossinnen und dem Hinterlassen von Nachkommenschaft am erfolgreichsten gewesen sind. Fritz Müller hat eine merkwürdige dimorphe Species von Tanais beschrieben, bei welcher das Männchen durch zwei distincte Formen repräsentirt wird, welche niemals in einander übergehen. Bei der einen Form ist das Männchen mit zahlreicheren Riechfäden, bei der andern mit kräftigeren und verlängerteren Chelae oder Scheeren versehen, welche dazu dienen, das Weibchen festzuhalten.

Fritz Müller vermuthet, dass diese Verschiedenheiten zwischen den beiden männlichen Formen einer und derselben Species dadurch entstanden sein dürften, dass gewisse Individuen in der Anzahl ihrer Riechfäden variirt haben, während bei andern Individuen [349] die Form und die Grösse ihrer Scheeren variirt habe; so dass von den ersteren diejenigen, welche am besten im Stande waren, die Weibchen zu finden, und von den letzteren diejenigen, welche am besten im Stande waren das Weibchen sobald sie es gefunden hatten festzuhalten, die grössere Anzahl von Nachkommen hinterlassen haben, um ihre beziehentlichen Vortheile zu erben.[8]

Bei einigen der niederen Crustaceen weicht die rechte vordere Antenne des Männchens in ihrer Structur bedeutend von der der linken Seite ab, wobei die letztere in ihren einfachen spitz auslaufenden Gliedern den Antennen des Weibchens ähnlich ist. Beim Männchen ist die modificirte Antenne entweder in der Mitte geschwollen oder winklig gebogen oder (Fig. 4) in ein elegantes und zuweilen wunderbar complicirtes Greiforgan verwandelt.[9] Wie ich von Sir J. Lubbock höre, dient es dazu, das Weibchen festzuhalten; und zu demselben Zwecke ist einer der beiden hinteren Füsse (b) auf derselben Seite des Körpers in eine Scheere verwandelt. Bei einer andern Familie sind die unteren oder hinteren Antennen nur bei den Männchen „in merkwürdiger Weise zickzackförmig gebildet“.

Bei den höheren Crustaceen bilden die vordern Füsse ein Paar Zangen oder Scheeren und diese sind allgemein beim Männchen grösser als beim Weibchen, — und zwar so bedeutend, dass der Marktpreis der männlichen essbaren Krabbe (Cancer pagurus) nach Mr. C. Spence Bate fünfmal so hoch ist als der des Weibchens. Bei vielen Species sind die Scheeren auf den entgegengesetzten Seiten des Körpers von [350] ungleicher Grösse, wobei, wie mir Mr. C. Spence Bate mittheilt, die der rechten Seite meistens, wenn auch nicht unabänderlich, die grössten sind. Diese Ungleichheit ist oft beim Männchen viel bedeutender als beim Weibchen. Auch weichen die beiden Scheeren oft in ihrer

Fig. 5. Vordertheil des Körpers von Callianassa (nach Milne-Edwards), die ungleich und verschieden gebildeten Scheeren der rechten und linken Seite des Männchens zeigend.
NB. Durch Versehen des Zeichners ist die linke Scheere die grösste geworden [die Zeichnung ist ohne Spiegel auf Holz übertragen worden].

Fig. 6. Fuss des zweiten Paares der männlichen Orchestia Tucuratinga (nach Fritz Müller).
Fig. 7. Dasselbe vom Weibchen.

Structur von einander ab (Fig. 5, 6 u. 7), wobei die kleineren denen des Weibchens ähnlich sind. Was für ein Vortheil durch die Ungleichheit dieser Organe auf den gegenüberliegenden Seiten des Körpers und dadurch erlangt wird, dass die Ungleichheit beim Männchen viel bedeutender ist als beim Weibchen; und warum sie, auch wenn sie von gleicher Grösse sind, oft beide beim Männchen viel grösser sind als beim Weibchen, ist unbekannt. Die Scheeren sind zuweilen von solcher Länge und Grösse, dass sie, wie ich von Mr. Spence Bate höre, unmöglich dazu benutzt werden können, Nahrung zum Munde zu führen. Bei den Männchen gewisser Süsswasser-Garneelen (Palaemon) [351] ist der rechte Fuss factisch länger als der ganze Körper.[10] Es könnte wohl die bedeutende Grösse des einen Fusses und seiner Scheere dem Männchen bei seinem Kampfe mit seinen Nebenbuhlern helfen; dieser Gebrauch kann aber die Ungleichheit dieser Theile auf den entgegengesetzten Seiten des Körpers des Weibchens nicht erklären. Nach einer von Milne-Edwards mitgeteilten Angabe[11] leben bei der Gattung Gelasimus Männchen und Weibchen in einer und derselben Höhle; und dies zeigt, dass sie sich paaren; das Männchen verschliesst die Oeffnung der Höhle mit einer seiner beiden Scheeren, welche enorm entwickelt ist, so dass sie hier indirect als Vertheidigungsmittel dient. Ihr hauptsächlichster Nutzen besteht indessen wahrscheinlich darin, das Weibchen zu ergreifen und festzuhalten; und man weiss, dass dies in einigen Beispielen, wie bei Gammarus, der Fall ist. Das Männchen des Einsiedlerkrebses (Pagurus) trägt Wochen lang die von dem Weibchen bewohnte Schale herum.[12] Indessen vereinigen sich, wie mir Mr. Spence Bate mittheilt, bei der gemeinen Uferkrabbe (Carcinus maenas) die Geschlechter direct, nachdem das Weibchen seine harte Schale abgestossen hat, wo es so weich ist, dass es verletzt werden würde, wenn es das Männchen mit seinen kräftigen Scheeren ergriffe; es wird aber vom Männchen schon vor dem Acte der Häutung gefangen und herumgeschleppt, wo es eben ohne Gefahr ergriffen werden kann.

Fritz Müller führt an, dass gewisse Arten von Melita von allen andern Amphipoden durch eine Eigenthümlichkeit der Weibchen unterschieden sind; nämlich „die Hüftblätter des vorletzten Fusspaares sind in hakenförmige Fortsätze ausgezogen, an die sich das Männchen mit den Händen des ersten Fusspaares festklammert“. Die Entwickelung dieser hakenförmigen Fortsätze ist wahrscheinlich das Resultat des Umstandes, dass diejenigen Weibchen, welche während des Reproductionsactes am sichersten gehalten wurden, die grösste Anzahl von Nachkommen hinterlassen haben. Ein anderer Brasilianischer Amphipode (Orchestia Darwinii, Fig. 8) bietet ähnlich wie Tanais einen Fall von Dimorphismus dar; es finden sich nämlich hier zwei männliche [352] Formen, welche in der Structur ihrer Scheeren von einander abweichen.[13] Da Scheeren einer der beiden Formen ganz entschieden

Fig. 8. Orchestia Darwinii (nach Fritz Müller), die verschieden gebildeten Scheeren der beiden männlichen Formen zeigend.

zum Festhalten der Weibchen hingereicht haben würden, — denn beide Formen werden ja jetzt zu diesem Zwecke benutzt, — so entstanden die beiden männlichen Formen wahrscheinlich dadurch, dass einige in der einen, andere in einer andern Art und Weise variirten, wobei beide Formen aus der verschiedenen Gestalt ihrer Organe gewisse specielle, aber beinahe gleiche Vortheile erlangten.

Es ist nicht bekannt, dass männliche Crustaceen um den Besitz der Weibchen mit einander kämpfen; doch ist dies wahrscheinlich der Fall; denn es gilt für die meisten Thiere, dass, wenn das Männchen grösser ist als das Weibchen, ersteres seine bedeutende Grösse dadurch [353] erlangt hat, dass seine Vorfahren viele Generationen hindurch mit andern Männchen gekämpft haben. In den meisten Ordnungen der Crustaceen, und besonders in der höchsten, der der Brachyuren, ist das Männchen grösser als das Weibchen; dabei müssen indessen die parasitischen Gattungen, wo die beiden Geschlechter verschiedene Lebensweisen haben, und die meisten Entomostraken ausgenommen werden. Die Scheeren vieler Crustaceen sind Waffen, welche für einen Kampf wohl geeignet sind. So sah ein Sohn des Mr. Spence Bate, wie eine Krabbe, Portunus puber, mit einer andern, Carcinus maenas kämpfte, wobei es nicht lange dauerte, bis die letztere auf den Rücken geworfen und ein Bein nach dem andern vom Körper losgerissen wurde. Wenn mehrere Männchen eines Brasilianischen Gelasimus, einer mit ungeheuren Scheeren versehenen Art, von Fritz Müller zusammen in ein Glasgefäss gethan wurden, so verstümmelten und tödteten sie sich gegenseitig. Mr. Bate brachte ein grosses Männchen von Carcinus maenas in einen Trog mit Wasser, welchen bereits ein Weibchen bewohnte, das sich mit einem kleineren Männchen verbunden hatte; das letztere wurde sehr bald aus dem Besitze vertrieben. Mr. Bate fügt aber hinzu: „wenn sie um den Besitz kämpften, so war der Sieg ein unblutiger; denn ich sah keine Wunden“. Derselbe Naturforscher trennte einen männlichen Sandhüpfer, Gammarus marinus, der so gemein an den Englischen Küsten ist, von seinem Weibchen, welche beide in einem und demselben Gefässe mit vielen andern Individuen derselben Species in Gefangenschaft gehalten wurden. Das hierdurch geschiedene Weibchen begab sich bald in die Gesellschaft seiner Kameraden. Nach einiger Zeit wurde das Männchen wiederum in dasselbe Gefäss gebracht, und nachdem es eine Zeit lang herumgeschwommen war, stürzte es sich mitten in die Menge und holte sich sofort ohne irgend einen Kampf sein Weibchen wieder. Diese Thatsache beweist, dass bei den Amphipoden, einer in der Stufenreihe so tief stehenden Ordnung, die Männchen und Weibchen einander erkennen und eine gegenseitige Anhänglichkeit besitzen.

Die geistigen Fähigkeiten der Crustaceen sind wahrscheinlich höher, als auf den ersten Blick wahrscheinlich zu sein scheint. Jeder, der versucht hat, eine der Uferkrabben, welche an vielen tropischen Küsten so gemein sind, zu fangen, wird wahrgenommen haben, wie schlau und alert sie sind. Es gibt eine grosse Krabbe, Birgus latro, welche sich auf Corallen-Inseln findet und sich auf dem Grunde einer [354] tiefen Grube ein dickes Bett aus den abgezupften Fasern der Cocosnuss baut. Sie nährt sich von den abgefallenen Früchten des Cocosbaumes, indem sie die Schale, Faser für Faser, abreisst; und stets beginnt sie an dem Ende der Frucht, wo sich die drei augenähnlichen Vertiefungen finden. Dann beisst sie durch eine von diesen Vertiefungen durch, wobei sie ihre schweren Vorderscheeren wie einen Hammer benutzt, dreht sich dann herum und holt den eiweissartigen Kern mit ihren schmäleren hinteren Scheeren heraus. Diese Handlungen sind aber wahrscheinlich instinctiv, so dass sie wohl von einem jungen Thiere ebensogut wie von einem alten ausgeführt werden. Den folgenden Fall kann man indessen kaum in dieser Art beurtheilen: ein zuverlässiger Beobachter, Mr. Gardner,[14] sah einer Strandkrabbe (Gelasimus) zu, wie sie ihre Grube baute, und warf einige Muschelschalen nach der Höhlung hin. Eine davon rollte hinein und drei andere Schalen blieben wenige Zolle von der Oeffnung entfernt liegen. In ungefähr fünf Minuten brachte die Krabbe die Muschel, welche in die Höhle gefallen war, heraus und schleppte sie bis zu einer Entfernung von einem Fuss von der Oeffnung; dann sah sie die drei andern in der Nähe liegen, und da sie augenscheinlich dachte, dass diese gleichfalls hinein rollen könnten, schleppte sie auch diese auf die Stelle, wo sie die erste hingebracht hatte. Ich meine, es dürfte schwer sein, diese Handlung von einer zu unterscheiden, die der Mensch mit Hülfe der Vernunft ausführt.

Was die Färbung betrifft, welche so oft in den beiden Geschlechtern bei Thieren der höheren Classen verschieden ist, so kennt Mr. Spence Bate kein irgend scharf ausgesprochenes Beispiel einer solchen Verschiedenheit bei den Englischen Crustaceen. Indessen weichen in einigen Fällen Männchen und Weibchen unbedeutend in der Schattirung ab; doch hält Mr. Bate diese Verschiedenheit nicht für grösser, als durch die verschiedenen Lebensgewohnheiten der beiden Geschlechter erklärt werden kann, wie denn das Männchen mehr umherwandert und daher mehr dem Lichte ausgesetzt ist. Dr. Power versuchte die Geschlechter der Arten, welche Mauritius bewohnen, nach der Farbe zu unterscheiden, es gelang ihm indessen niemals, mit Ausnahme einer Species von Squilla, wahrscheinlich die S. stylifera; das Männchen derselben wird als „schön bläulich-grün“, einige der Anhänge als [355] kirschroth beschrieben, während das Weibchen grosse wolkige Flecke von Braun und Grau hat und „das Roth an ihm viel weniger lebhaft ist als bei dem Männchen“.[15] Wir dürfen wohl vermuthen, dass in diesem Falle geschlechtliche Zuchtwahl in Thätigkeit war. Nach Mr. Bert's Beobachtungen über Daphnia, wenn dieses Thier in ein durch ein Prisma erleuchtetes Gefäss gethan wird, haben wir Grund zu glauben, dass selbst die niedrigsten Crustaceen Farben unterscheiden können. Bei Saphirina (einer oceanischen Gattung von Entomostraken) sind die Männchen mit sehr kleinen Schildern oder zellenähnlichen Körpern versehen, welche wunderschöne schillernde Farben darbieten; diese Gebilde fehlen bei den Weibchen, und bei einer Art fehlen sie beiden Geschlechtern.[16] Es wäre indessen ausserordentlich voreilig, zu schliessen, dass diese merkwürdigen Organe dazu dienen, bloss die Weibchen anzuziehen. Wie mir Fritz Müller mitgetheilt hat, ist bei den Weibchen einer brasilianischen Art von Gelasimus der ganze Körper nahezu gleichförmig gräulich-braun. Beim Männchen ist der hintere Theil des Cephalothorax rein weiss, der vordere Theil dagegen gesättigt grün und in dunkelbraun abschattirend; dabei ist es merkwürdig, dass diese Farben sich leicht im Laufe nur weniger Minuten verändern, — das Weiss wird schmutziggrau oder selbst schwarz und das Grün „verliert viel von seinem Glanze“. Es verdient noch besondere Beachtung, dass die Männchen ihre glänzenden Farben nicht vor der Reifezeit erhalten. Sie scheinen viel zahlreicher als die Weibchen zu sein; auch weichen sie von diesen in der bedeutenderen Grösse ihrer Scheeren ab. Bei einigen Species der Gattung, wahrscheinlich bei allen, paaren sich die Geschlechter und die Paare bewohnen je eine und dieselbe Höhle. Sie sind auch ferner, wie wir gesehen haben, hoch intelligente Thiere. Nach diesen verschiedenen Betrachtungen scheint es wahrscheinlich zu sein, dass bei dieser Art das Männchen mit muntern Farben verziert worden ist, um das Weibchen anzuziehen oder anzuregen.

Es ist eben angegeben worden, dass der männliche Gelasimus seine auffallenden Farben nicht eher erreicht, als bis er reif und nahezu bereit ist, sich zu paaren. Dies scheint mit den vielen merkwürdigen Verschiedenheiten der Structur zwischen beiden Geschlechtern die allgemeine [356] Regel in der ganzen Classe zu sein. Wir werden hernach sehen, dass dasselbe Gesetz durch das ganze grosse Unterreich der Wirbelthiere hindurch herrscht; und in allen Fällen ist dies ganz ausserordentlich bezeichnend für Merkmale, welche in Folge geschlechtlicher Zuchtwahl erlangt worden sind. Fritz Müller[17] gibt einige auffallende Beispiele für dieses Gesetz; so erhält der männliche Sandhüpfer (Orchestia) seine grossen Zangen, welche von denen des Weibchens sehr verschieden gebildet sind, nicht eher, als bis er fast völlig erwachsen ist; in der Jugend sind seine Zangen denen des Weibchens ähnlich.

Classe: Arachnida (Spinnen u. s. w.). — Die Geschlechter weichen meistens nicht sehr in der Farbe von einander ab; doch sind die Männchen oft dunkler als die Weibchen, wie man in dem prachtvollen Werke Blackwall's sehen kann.[18] In einigen Arten weichen indess die Geschlechter auffallend von einander in der Färbung ab; so ist das Weibchen von Sparassus smaragdulus mattgrün, während das Männchen ein schön gelbes Abdomen hat mit drei Längsstreifen von gesättigtem Roth. Bei einigen Arten von Thomisus sind die beiden Geschlechter einander sehr ähnlich; bei andern weichen sie bedeutend von einander ab; und analoge Fälle kommen in vielen andern Gattungen vor. Es ist oft schwer zu sagen, welches der beiden Geschlechter am meisten von der gewöhnlichen Färbung der ganzen Gattung, zu welcher die Species gehört, abweicht; doch glaubt Mr. Blackwall, dass es, einer allgemeinen Regel zufolge, das Männchen ist. Canestrini[19] bemerkt, dass bei gewissen Gattungen die Männchen mit Leichtigkeit specifisch unterschieden werden können, die Weibchen nur mit grosser Schwierigkeit. Wie mir Mr. Blackwall mittheilt, sind in der Jugend die beiden Geschlechter einander ähnlich; und beide erleiden häufig bedeutende Veränderungen in der Farbe während der aufeinanderfolgenden Häutungen, ehe sie zum Reifezustande gelangen. In anderen Fällen scheint nur das Männchen die Farbe zu verändern. So ist das Männchen des vorhin erwähnten glänzend gefärbten [357] Sparassus zuerst dem Weibchen ähnlich und erhält seine ihm eigenthümlichen Farben erst wenn es nahezu erwachsen ist. Spinnen besitzen sehr scharfe Sinne und zeigen auch viel Intelligenz. Wie allgemein bekannt ist, zeigen die Weibchen oft die stärkste Affection für ihre Eier, welche sie in ein seidenes Gewebe eingehüllt mit sich herumtragen. Die Männchen suchen die Weibchen mit Eifer auf, und Canestrini und Andere haben gesehen, wie Männchen um den Besitz derselben kämpften. Derselbe Schriftsteller theilt mit, dass die Vereinigung der beiden Geschlechter in ungefähr zwanzig Species beobachtet worden ist; er behauptet positiv, dass das Weibchen einige der Männchen, welche ihm den Hof machen, zurückweist, ihnen mit geöffneten Mandibeln droht und zuletzt nach langem Zögern das Auserwählte annimmt. Nach diesen verschiedenen Betrachtungen können wir mit einiger Zuversicht annehmen, dass die gut ausgesprochenen Verschiedenheiten in der Farbe zwischen den Geschlechtern gewisser Arten das Resultat einer geschlechtlichen Zuchtwahl sind: doch fehlt uns noch die beste Form des Beweises, die Entfaltung der Zierathen Seitens des Männchens. Nach der ausserordentlichen Variabilität der Farbe bei dem Männchen einiger Species, so z. B. bei Theridion lineatum möchte es scheinen, als wenn die Sexualcharactere der Männchen noch nicht gut fixirt worden seien. Aus der Thatsache, dass die Männchen gewisser Species zwei, in der Grösse und Länge ihrer Kinnladen von einander abweichende Formen darbieten, folgert Canestrini dasselbe; es erinnert uns dies an die oben erwähnten Fälle dimorpher Crustaceen.

Das Männchen ist allgemein viel kleiner als das Weibchen, zuweilen in einem ausserordentlichen Grade;[20] es muss äusserst vorsichtig sein bei seinen Annäherungen, da das Weibchen oft seine Sprödigkeit zu einer gefährlichen Höhe treibt. De Geer sah ein Männchen, welches „mitten in seinen vorbereitenden Liebkosungen von dem Gegenstande seiner Aufmerksamkeit ergriffen, in ein Gewebe eingewickelt [358] und dann verzehrt wurde, ein Anblick, welcher ihn, wie er hinzusetzt, mit Schrecken und Indignation erfüllte“.[21] O. P. Cambridge[22] erklärt die ganz ausserordentliche Kleinheit des Männchens bei der Gattung Nephila in der folgenden Art. „M. Vinson gibt eine anschauliche Schilderung der behenden Art und Weise, in welcher das diminutive Männchen der Wildheit des Weibchens dadurch entgeht, dass es auf dessen Körper und riesenhaften Gliedmaassen herumgleitet und Verstecken spielt. Offenbar sind bei einer solchen Verfolgung die Chancen des Entkommens für die kleinsten Männchen am günstigsten. Allmählich wird in dieser Weise eine diminutive Rasse von Männchen zur Zucht ausgewählt worden sein, bis sie dann zuletzt zur möglich geringsten, mit der Ausübung ihrer geschlechtlichen Functionen noch verträglichen Grösse zusammenschrumpften, in der That wahrscheinlich zu der Grösse, in der wir sie jetzt sehen, d. h. so klein, dass sie eine Art von Parasit auf dem Weibchen sind und entweder zu klein, um von diesem beachtet, oder zu behend und zu klein, um von ihm ohne grosse Schwierigkeit ergriffen zu werden“.

Westring hat die interessante Entdeckung gemacht, dass die Männchen mehrerer Arten von Theridion[23] die Fähigkeit haben, einen schwirrenden Laut hervorzubringen, während die Weibchen völlig stumm sind. Der Stimmapparat besteht aus einer gesägten Leiste an der Basis des Hinterleibes, gegen welche der harte hintere Theil des Thorax gerieben wird; und von dieser Bildung konnte bei den Weibchen nicht die Spur entdeckt werden. Es verdient Beachtung, dass mehrere Schriftsteller, mit Einschluss des bekannten Arachnologen Walckenaer, erklärt haben, dass Spinnen von Musik angelockt werden.[24] Nach Analogie mit den im nächsten Capitel zu beschreibenden Orthoptern und Homoptern können wir wohl mit Sicherheit annehmen, dass die Stridulation, wie Westring bemerkt, dazu dient, das Weibchen entweder zu rufen oder anzuregen; und dies ist, soviel mir bekannt ist, [359] in der aufsteigenden Reibe der thierischen Formen der erste Fall, wo Laute zu diesem Behufe hervorgebracht werden.[25]

Classe; Myriapoda. — In keiner der beiden Ordnungen dieser, Skolopendern und Tausendfüsse umfassenden Classe kann ich irgendwie scharf ausgesprochene Beispiele von geschlechtlichen Verschiedenheiten finden, wie sie uns hier ganz besonders angehen. Bei Glomeris limbata indessen und vielleicht noch bei einigen wenigen andern Species weichen die Männchen unbedeutend in der Färbung von den Weibchen ab; doch ist diese Glomeris eine äusserst variable Art. Bei den Männchen der Diplopoden sind die, einem der vordern Segmente des Körpers oder auch dem hintern Segmente angehörenden Füsse in Greifhaken verwandelt, welche das Weibchen festzuhalten dienen. Bei einigen Arten von Julus sind die Tarsen des Männchens mit häutigen Saugnäpfen zu demselben Zwecke versehen. Es ist, wie wir bei Besprechung der Insecten sehen werden, ein bei Weitem ungewöhnlicherer Umstand, dass es bei Lithobius das Weibchen ist, welches am Ende des Körpers mit Greifanhängen zum Festhalten des Männchens versehen ist.[26]


  1. Archives de Zoologie experimentale. Tom. I. 1872, p. 563.
  2. De l'Espèce et de la Classific etc. 1860, p. 106.
  3. s. z. B. den Bericht, welchen ich in meinem Journal of Researches, 1845, p. 7 gegeben habe.
  4. Ich habe ein merkwürdiges Beispiel vom Einfluss des Lichts auf die Färbung einer sich verzweigenden Incrustation gegeben (Geolog. Observation on Volcanic Islands. 1844, p. 53). Dieselbe war vom Wellenschlag an den Uferklippen der Insel Ascension abgelagert worden und war gebildet aus der Lösung zerriebener Muschelschalen.
  5. Dr. Morse hat diesen Gegenstand neuerdings in seinem Aufsatze über die adaptive Färbung der Mollusken erörtert; Proceed. Boston Soc. of Nat. Hist. Vol. XIV. April. 1871.
  6. s. seine schöne Monographie über „British Annelids“. Part. I. 1873. p. 3.
  7. s. Perrier. l'origine de l'Homme d'après Darwin. Revue scientifique, Febr. 1873, p. 866.
  8. „Für Darwin“. Leipzig, 1864, S. 15. s. die vorausgehende Erörterung über die Riechfäden. Sars hat einen einigermaassen analogen Fall bei einem Norwegischen Kruster, der Pontoporeia affinis, beschrieben, s. das Citat in „Nature“, 1870, p. 455.
  9. s. Sir J. Lubbock in: Ann. and Magaz. of Nat Hist. Vol. XI. 1853. Pl. I. und X. und Vol. XII (1853). Pl. VII. s. auch Lubbock in: Transact. Entomol. Soc. New Ser. Vol. IV. 1856-58, p. 8. In Bezug auf die oben erwähnten zickzackförmigen Antennen s. Fritz Müller, Für Darwin. S. 27, Anm. 1.
  10. s. einen Aufsatz von C. Spence Bate mit Abbildungen in: Proceed. Zool. Soc. 1868, p. 363 und über die Nomenclatur der Gattung ebenda p. 585. Ich bin Herrn Spence Bate für fast alle die oben erwähnten Angaben in Bezug auf die Scheeren der höheren Crustaceen ausserordentlich verbunden.
  11. Histoire natur. des Crustac. Tom. II. 1837, p. 50.
  12. C. Spence Bate, Brit. Assoc, Fourth Report on the Fauna of S. Devon.
  13. Fritz Müller, Für Darwin. S. 16-18.
  14. Travels in the Inferior of Brasil. 1864, p. 111. Ich habe in meinem Journal of Rearches p. 463 eine Schilderung der Lebensweise des Birgus gegeben.
  15. Ch. Fraser, in: Proceed. Zoolog. Soc. 1869, p. 8. Ich verdanke der Freundlichkeit des Herrn Bate die Mittheilung von Dr. Power.
  16. Claus, die freilebenden Copepoden. 1863, S. 35.
  17. „Für Darwin“. S. 53.
  18. A History of the Spiders of Great Britain. 1861—64. In Bezug auf die oben erwähnten Thatsachen vergl. p. 77, 88, 102.
  19. Dieser Schriftsteller hat neuerdings eine werthvolle Abhandlung über „Caratteri sessuali secondarii degli Arachnidi“ veröffentlicht, in: Atti della Soc. Veneto-Trentina di Sc. Nat. Padova, Vol. I. Fasc. 3. 1873.
  20. Aug. Vinson theilt ein gutes Beispiel von der geringen Grösse des Männchens bei Epeira nigra mit (Aranéides des Iles de la Réunion, pl. VI, fig 1 u. 2). Wie ich hinzufügen will, ist bei dieser Species das Männchen braun, das Weibchen schwarz mit roth gebänderten Füssen. Andere selbst noch auffallendere Fälle von Ungleichheit der Grösse zwischen beiden Geschlechtern sind mitgetheilt worden in: Quarterly Journal of Science. 1868. July, p. 429. Ich habe aber die Originalberichte nicht gesehen.
  21. Kirby und Spence, Introduction to Entomology. Vol. I. 1818, p. 280.
  22. Proceed. Zoolog. Soc. 1871, p. 621.
  23. Theridion (Asagena Sund.) serratipes, quadripunctatum et guttatum. s. Westring in: Kröyer, Naturhist. Tidskrift Bd. IV. 1842—1843, S. 349 und And. Raekk. Bd. II. 1846-1849, S. 342. s. auch in Betreff anderer Species Araneae Suecicae, p. 184.
  24. Dr. H. H. van Zouteveen hat in seiner Holländischen Uebersetzung dieses Werkes (Bd. I, p. 444) mehrere Fälle gesammelt.
  25. Hilgendorf hat indessen vor Kurzem die Aufmerksamkeit auf eine analoge Bildung bei einigen der höheren Crustaceen gelenkt, welche dem Hervorbringen eines Lautes angepasst zu sein scheint, (s. Zoolog. Record, 1869, p. 603).
  26. Walckenaer et P. Gervais, Hist. natur. des Insectes Aptères. Tom. IV 1847, p. 17, 19, 68.
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