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Die Ermordung des Geldbriefträgers Kossäth

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Textdaten
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Autor: Hugo Friedländer
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Titel: Die Ermordung des Geldbriefträgers Kossäth
Untertitel:
aus: Kulturhistorische Kriminal-Prozesse der letzten vierzig Jahre, Band 1, S. 28–33
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1908
Verlag: Continent
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Erscheinungsort: Berlin
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Quelle: Commons
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Die Ermordung des Geldbriefträgers Kossäth.

An einem rauhen Märztage des Jahres 1883 hatte der schon bejahrte Geldbriefträger Kossäth vom Postamt in der Adalbertstraße in Berlin an einen gegenüber dem Postamt wohnenden jungen Mann, der bei einer sehr anständigen Familie ein möbliertes Zimmer inne hatte, eine Postanweisung von einigen Mark zu bestellen. Es war der erste Morgengang des Geldbriefträgers, der infolgedessen viel Geld in seiner Tasche hatte.

Der Adressat war wenige Minuten vor dem Eintritt des Briefträgers aufgestanden; er wusch sich gerade in einem kleinen Nebenzimmer und bat deshalb den Briefträger, ein bißchen zu warten. Nach kaum einer Minute erschien er, nahm das Geld in Empfang und bot dem Briefträger eine Flasche Bier an. Dieser ließ sich nicht lange zureden. Er trank das Bier sofort aus der Flasche. Trotz großer Eile hatte er sich auf einem Stuhl niedergelassen. Kaum hatte er die Flasche an den Mund gesetzt, da schlug der Empfänger der Postanweisung mit einem schweren Hammer dem Briefträger den Schädel ein. Während der alte Mann noch mit dem Tode rang, raubte der Mörder die Geldtasche aus, in der sich mehrere tausend Mark befanden. Alsdann kleidete er sich eiligst an, raffte seine wenigen Habseligkeiten zusammen und entfloh von der Mordstätte.

Nach einiger Zeit wurde auf dem gegenüber belegenen Postamt der alte Geldbriefträger vermißt. Inzwischen war auch die Vermieterin in das Zimmer ihres Chambregarnisten gekommen. Hier lag der Geldbriefträger mit eingeschlagenem Schädel in seinem Blute schwimmend. Neben der Leiche lag die abgeschnittene Geldtasche; sie war vollständig ihres Geldinhalts beraubt. Die Anweisungen hatte der Mörder selbstverständlich nicht mitgenommen.

Die Kunde von dem furchtbaren Morde durcheilte wie ein Lauffeuer die deutsche Reichshauptstadt. Aber wer und wo war der Mörder? Der Wirtin gegenüber hatte sich der mutmaßliche Mörder als Ernst Sander ausgegeben. Er wohnte erst seit acht Tagen in dieser möblierten Wohnung; er hatte vorher 14 Tage lang bei einem Schuhmachermeister, dicht neben dem Postamt in der Taubenstraße, gewohnt. Auch bei seinen Wirtsleuten in der Taubenstraße hatte er sich als Kaufmann Ernst Sander aus Bernburg gemeldet. Er hatte sich augenscheinlich mit Absicht in möglichster Nähe von Postämtern möblierte Zimmer gesucht. Schon in der Taubenstraße hatte er augenscheinlich einige Postanweisungen an sich selbst gesandt. Sein verruchter Plan, den Geldbriefträger zu ermorden und zu berauben, war ihm aber wohl infolge der ungünstigen Lage seines Zimmers nicht gelungen. Deshalb hatte er sich ein besser gelegenes Zimmer in der Adalbertstraße gegenüber dem Postamt gemietet.

Fast volle vierzehn Tage stand Berlin unter dem Schrecken des furchtbaren Verbrechens, denn trotz ausgesetzter hoher Belohnung, und obwohl die Kriminalpolizei eine fieberhafte Tätigkeit entfaltete, war von dem Mörder keine Spur zu entdecken. Da plötzlich fiel es einer Kellnerin in einer der Mordstätte gegenüberliegenden Restauration ein, daß eines Abends ein junger Mann von 25 bis 26 Jahren dort verkehrt und ihr mitgeteilt habe, er wohne gegenüber. An jenem Abend fand von einigen Stammgästen eine lebhafte Auseinandersetzung über Kavallerieattacken statt. Der junge Mensch hatte sich in das Gespräch gemischt und sich dabei als ehemaliger Kürassier-Unteroffizier ausgegeben. Die Stammgäste zweifelten an der Richtigkeit dieser Angaben, worauf der junge Mann seinen Militärpaß vorwies. Die Kellnerin hatte sich gemerkt, daß auf diesem Paß gestanden habe, Ernst Sobbe, Kürassier-Unteroffizier. Die Kellnerin teilte ihre Wahrnehmungen der Polizei mit. Letztere ersuchte sogleich telegraphisch sämtliche Kürassier-Regimenter des Reiches um Auskunft über den Verbleib des Unteroffiziers Ernst Sobbe. Schon nach einigen Stunden traf vom Kürassierregiment Nr. 7 aus Halberstadt die telegraphische Nachricht ein, daß bei diesem Regiment bis vor einigen Wochen ein Unteroffizier Ernst Sobbe gestanden habe. Dieser dürfte in Magdeburg bei seiner Schwester, die dort an den Inhaber einer sehr großen Restauration verheiratet sei, weilen.

Sofort wurde die Magdeburger Polizei benachrichtigt. Am folgenden Morgen begaben sich zwei Kriminalbeamte nach der bezeichneten Restauration. Sie fragten nach Ernst Sobbe und wurden in die Privatwohnung des Restaurateurs gewiesen. Dort saß Sobbe in Gesellschaft seiner Schwester und seines Schwagers gerade am Frühstückstisch und las die Zeitung. Er studierte gerade den Bericht über die Ermordung des Berliner Geldbriefträgers, für die er ein großes Interesse an den Tage legte. Zwei Tage nach dem Morde war er auf einem Ball des Magdeburger Krieger-Vereins gewesen. Auf diesem bildete ebenfalls der Berliner Geldbriefträgermord den allgemeinen Gesprächsstoff. Sobbe gab dabei seinem Unwillen über die „verruchte Tat“ in lebhafter Weise Ausdruck und äußerte sein Bedauern, daß der „Mordbube“ noch nicht gefaßt sei. Als die beiden Kriminalbeamten in das Frühstückszimmer traten und Sobbe aufforderten, ihnen zu folgen, waren Schwester und Schwager fast zu Tode erschrocken. Sobbe suchte sie aber zu beruhigen mit der Versicherung: er werde sehr bald zurückkehren, denn es liege nicht das mindeste gegen ihn vor, er könne nur irrtümlicherweise zur Polizei geholt werden. Aber noch im Zimmer legten die Polizeibeamten dem jungen Mann Ketten an und führten ihn gefesselt zur Polizei.

Noch an demselben Tage wurde Sobbe nach Berlin transportiert. Am folgenden Vormittag, am Karfreitag 1883, wurde Sobbe vor den Berliner Untersuchungsrichter geführt. Dieser hatte gleichzeitig sämtliche Leute geladen, die Sobbe rekognoszieren konnten. Als Sobbe im alten Moabiter Gerichtsgebäude über den Korridor zum Untersuchungsrichter geführt wurde und all die Zeugen sah, legte er sofort ein reumütiges Geständnis ab. Er erzählte: Seine Eltern seien wohlhabende Hotelbesitzer in Bernburg gewesen. Eine seiner Schwestern sei an einen Bürgermeister in der Provinz Sachsen verheiratet, einer seiner Brüder sei Postvorsteher. Er sei, nachdem er die Schule verlassen, in ein kaufmännisches Geschäft als Lehrling getreten und auch eine Zeitlang Handlungsgehilfe gewesen. Schließlich sei er Soldat geworden und habe sieben Jahre im Kürassierregiment Nr. 7 in Halberstadt gedient. Er habe schließlich beschlossen, seinen Abschied zu nehmen und ein kaufmännisches Geschäft zu eröffnen. Nur das erforderliche Geld habe ihm dazu gefehlt.

Er habe deshalb den Entschluß gefaßt, nach Berlin zu fahren, sich dort in der Nähe einer Postanstalt ein möbliertes Zimmer zu mieten, alsdann eine Postanweisung an sich aufzugeben und den Geldbriefträger zu ermorden und zu berauben. Da ihm das in der Taubenstraße nicht gelungen, sei er nach der ruhigeren Adalbertstraße gezogen. Nachdem er dort den Geldbriefträger Kossäth ermordet und beraubt hatte, sei er zunächst planlos in den Straßen Berlins umhergeirrt. Alsdann sei er vom Bahnhof Friedrichstraße bis Oebisfelde gefahren. Dort sei er ausgestiegen und habe im Wartesaal zwei Stunden lang auf den Zug nach Magdeburg gewartet. Jedesmal wenn im Wartesaal die Tür aufgegangen sei, sei er zusammengeschreckt. Er sei vorher niemals in Berlin gewesen.

Die Verhandlung vor dem Schwurgericht des Landgerichts Berlin I, welche vier Wochen später stattfand, dauerte nur einige Stunden. Sobbe, bis dahin niemals bestraft war, sich auch beim Militär musterhaft geführt und als Soldat keine Strafe erlitten hatte, wurde zum Tode verurteilt und einige Wochen darauf vom Scharfrichter Krauts hingerichtet.

Sobbe war ein selten schöner, kräftig gebauter, mittelgroßer Mann von 26 Jahren; er machte einen geradezu vertrauenerweckenden Eindruck; niemand hätte ihm eine solche Untat zugetraut.