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Die Gartenlaube (1853)/Heft 47

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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum: 1853
Erscheinungsdatum: 1853
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[509]

No. 47. 1853.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familien-Blatt. – Verantwortlicher Redakteur Ferdinand Stolle.


Wöchentlich ein ganzer Bogen mit Illustrationen.
Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 10 Ngr. zu beziehen.


Selbstaufopferung.

Lebensskizze.

An einigen bestimmten Nachmittagen pflegte ich das Feldschlößchen, einen Vergnügungsort unfern der Stadt, in welcher ich mich eben aufhielt, zu besuchen, und traf dort in der Regel mit einer kleinen auserlesenen Gesellschaft zusammen, welche sich allmälig aneinander gewöhnt hatte. Zu ihr gehörte auch ein Miniaturportraitmaler, nicht nur als Künstler, sondern auch überhaupt als Mensch von hoher Genialität, aber auch so schroffer Eigenthümlichkeit, daß man ihn erst näher kennen lernen mußte, um Geschmack an ihm zu finden. Hatte man dieses Stadium des Umgangs mit ihm überwunden, so konnte man ihn liebgewinnen. Nie habe ich einen Menschen gefunden, der weniger Umstände gemacht hätte; er war ein natürlicher Feind aller Formen und Redensarten und hielt von den Menschen der heutigen Gesellschaft gar nichts. Dies war auch der Grund, weshalb er unverheirathet geblieben war; sein einsames Junggesellenleben hatte aber seine Ecken nur noch schärfer ausgebildet. Ueberdies verdankte er Niemandem etwas; von einem armen Bäckergesellen hatte er sich durch eigene Kraft zu einem sehr geschickten und geschätzten Künstler emporgearbeitet; er hatte nie eine Stunde Unterricht im Zeichnen oder Malen gehabt. Es wurde ihm nicht leicht, sich an einen Menschen innig anzuschließen; hatte er aber diese Schwierigkeit besiegt, dann hing er dem Freunde um so fester und treuer an. Ich hatte das Glück, seine Zuneigung im hohen Grade zu besitzen. Er hieß Wilhelm Schmidt, und in unserm kleinen Vaterlande werden sich Viele des originellen trocknen und barocken Mannes erinnern. Er ist in Armuth und Elend in einem Armenhause des Staats gestorben.

An jenem Tage traf ich ihn allein von unserer Gesellschaft im Garten des Feldschlößchens. Unfern von uns saß ein junges hübsches Ehepaar. Der Mann war Lehrer am Gymnasium, die Frau Tochter eines gutbemittelten Kaufmanns. Man sah es den Leutchen an, daß sie „etwas hatten“ und sich dabei wohlbefanden. Vorzüglich entfaltete der „Herr Doctor“ eine etwas auffallende Behäbigkeit; er war bis zu seiner Hochzeit ein ganz armer Schlucker gewesen.

Der Maler Schmidt hatte die Gabe, an jedem Menschen sogleich das Lächerliche herauszufinden; er traf die Leute nicht nur mit dem Pinsel überraschend [510] gut, er traf sie eben so mit dem scharfen Worte. In demselben Verhältniß wie er als Maler Psycholog war, war er als Psycholog Maler. So faßte er denn jetzt auch den Doctor auf’s Korn und gab mir dann ein köstliches humoristisches Bild von ihm. Bei dieser Gelegenheit erkundigte er sich, aus welchem Hause die Frau Doctorin stamme. Kaum aber hatte ich den Kaufmann Rommel als den Vater derselben genannt, als Schmidt ungewöhnlich ernst wurde.

„Großer Gott!“ sagte er endlich mit einer an ihm ungewohnten Wehmuth, „weder dieser junge eitle Mann mit seinem auf den Geldsack seines Schwiegervaters basirten Begriff von seiner hohen Wichtigkeit, noch seine gute zimpferliche Frau ahnten, woher die klingende Basis ihres Wohlgefühls stammt! Kennten sie die Geschichte ihres Geldes wie ich, sie würden sich wahrscheinlich etwas weniger behaglich fühlen und dem Manne, dessen ungeheurer Selbstaufopferung sie es verdanken und an den sie vielleicht nie denken, eine Thräne des Schmerzes und der Bewunderung weinen. Aber so ist das Schicksal, ein wahres blindes unverständiges Fatum! Wem ist denn nun das furchtbare Opfer, der schauerliche, ein ganzes Jahr dauernde, stille, freiwillige Todeskampf eines der edelsten und besten Menschen zu gut gekommen? Dort diesem jungen Narrenvolk! Der Mensch macht zuweilen Anstrengungen als müsse er Berge versetzen, und der Erfolg ist, daß ein Anderer ihm Unbekannter oder Gleichgültiger mit Wohlbehagen seine Havannah zur Tasse Mokka raucht.“

„Woher kommen Dir plötzlich diese trübseligen Gedanken?“ fragte ich mit Theilnahme.

„Ich bin durch das junge glückliche Ehepaar an eine sehr tragische Geschichte erinnert worden, die Niemand weiter als ich in ihrem innern Zusammenhange kennt, und an einen edlen, hochherzigen jungen Mann, den ich sehr liebte, und dessen ganzen Werth ich auch allein nur kannte.“

„Darfst Du mir die Geschichte mittheilen?“

„Warum nicht? Der Mann, den sie betrifft, schläft schon lange den eisernen Todesschlaf, und Du wirst keinen unedlen Gehrauch davon machen.“

Wir setzten uns in eine abgelegene Partie des Gartens und er erzählte:

„Im soldatischen Felddienst unserer Friedenszeit lernte ich einen jungen Mann aus E. kennen, der als Freiwilliger zu meinem Regimente gestellt worden war. Er hieß Rommel, war Kaufmann und der Sohn eines dortigen Handlungshauses und einer der schönsten und liebenswürdigsten Männer, die ich jemals kennen gelernt habe. Was aber noch mehr war, er besaß einen festen unbeugsamen Charakter; wozu er sich entschlossen, wofür er sich entschieden hatte, davon war er durch nichts abzubringen; mit stiller eiserner Beharrlichkeit setzte er es durch, wenn nur irgend eine Möglichkeit dazu vorhanden war. Diese Eigenschaft machte ihn nach der einen Seite hin treu und unwandelbar in der Freundschaft, pünktlich und ausdauernd im Dienst und erwarb ihm die Achtung Aller, die ihn kannten, namentlich seiner Vorgesetzten, und er avancirte deshalb schnell genug zum Feldwebel; nach der andern Seite hin gab sie seinem Wesen zuweilen etwas Starres, Bitteres und Unzugängliches, und leichtsinnige, fröhliche Bursche, wie ja die meisten Soldaten sind, fühlten sich eben nicht von ihm angezogen. Auch mied er ihre Gelage und beschäftigte sich lieber mit großem Fleiße mit ernsten Studien und wissenschaftlicher Lectüre. In meinem Wesen mußte etwas ihn Ansprechendes liegen, so wie mir das seinige gefiel; wir wurden bald Umgangsfreunde, dann Herzensfreunde, ja wir liebten uns endlich, wie sich junge Männer in der Regel nicht zu lieben pflegen und wurden im Laufe der Zeit einander ganz unentbehrlich. Inzwischen bemerkte ich doch bald die Verschiedenheit zwischen uns beiden. Rudolf Rommel war zwar ein sehr tüchtiger Mensch und ehrenwerther Charakter, aber er war auch ein romantischer, in vielen Beziehungen überspannter Kopf und in manchen sogar ein Schwärmer. So beobachtete er im Umgange mit dem schönen Geschlechte eine gewisse Ritterlichkeit, die zuweilen an’s Lächerliche streifte, und vergötterte eine junge Dame seiner Vaterstadt als das Ideal von Tugend und Schönheit, dem in seiner Meinung jedes andere weibliche Wesen weit nachstand. Er verehrte diese seine Geliebte mit solcher Schwärmerei, daß er es sich für eine große Sünde angerechnet haben würde, auch nur mit einer Andern zu tanzen. Und doch gestand er mir, daß die Dame seines Herzens nicht seine Verlobte sei, daß überhaupt eine Liebeserklärung zwischen ihm und ihr nicht stattgefunden habe. Es wollte mich überhaupt aus seinen begeisterten und überschwenglichen Schilderungen bedünken, als kenne er das Mädchen gar nicht recht und schiebe ihrer körperlichen Gestalt eine geistige und seelische Vollkommenheit unter, die sie in der Wirklichkeit wohl schwerlich besitzen möchte. Selten verging ein Tag, wo er nicht in eine Art dithyrambischen Wahnsinns zu ihrem Preis ausbrach. Ein zweites Steckenpferd seiner romantischen Anschauungen war die deutsche Freiheit. Ich will nicht erörtern was er darunter verstand, aber ein wunderliches Ding war es jedenfalls, um so befremdender, als die Zeit des jugendlichen Paroxismus von 1817 weit hinter uns lag, und jeder klare vernünftige Mensch ein Urtheil über die öffentlichen Dinge unseres Vaterlandes haben konnte. Er sprach aber das Wort: „der König“, nie anders aus als mit einem gewissen ehrfurchtsvollen Schauer. Die Ideen des Königthums und der deutschen Freiheit schmolzen in ihm ganz zu einer zusammen, und sie bildete die Basis seines glühenden Patriotismus.

„Der dritte Gegenstand seiner etwas geräuschvollen und wortreichen Begeisterung war die christliche Religion, oder, um es genauer zu bezeichnen, die katholische Kirche. Obgleich als Protestant geboren und erzogen, hatte er doch als Jüngling in dem glänzenden Ritus der katholischen Kirche, wie ihn der zahlreiche Clerus seiner Vaterstadt beging, allein Befriedigung seines religiösen Bedürfnisses gefunden. Dennoch beabsichtigte er keinen Uebertritt. So bildeten denn Religion, Vaterland, Liebe, in brillanter romantischer Färbung und mit einer strahlenden Glorie umgeben die Trias, in welcher sein seelisches Leben vollkommen aufging. Damit war natürlich der mittelalterliche Ritter so ziemlich fertig. Alles, was sich nicht auf die Verherrlichung [511] dieser drei vereinten Ideen bezog, existirte für ihn gar nicht. Die Richtungen und Anschauungen der Neuzeit waren ihm unaussprechlich zuwider; aus ihrer Pflege prophezeite er das größte Unglück für Familie und Staat. Für seinen Gott, seinen König und seine Geliebte war er aber jeden Augenblick bereit, in den Tod zu gehen.

„So abweichend meine ruhigen und besonnenen Ansichten von seinen exaltirten waren, so unterließ ich es doch mit ihm darüber zu streiten und liebte ihn wegen seiner trefflichen Eigenschaften eben so innig, wie ich von ihm geliebt wurde.

„Nach Ablauf unserer Dienstzeit vermochte mich Rommel, mich in seine Vaterstadt behufs der Ausübung meiner Kunst zu begeben, und ich lernte nun seine Familie, seine Geliebte, seine Freunde kennen und malte auf seine Empfehlung die meisten dieser Personen.

„Seine Familie bestand aus dem Vater, einem gutmüthigen aber charakterschwachen Manne, auf welchen das gewöhnliche gesellschaftliche Leben eines Kaffeehauses einen unwiderstehlichen Reiz ausübte. Seine Umgangs- und Spielfreunde, seine Partie Whist, das Billard und die Kegelbahn, sein Glas Lagerbier, seine Pfeife Kanaster, seine Zeitung, ein Ausflug mit den Freunden auf’s Land, wo sie dieselben Vergnügungen fanden, eine Kirmeß und dergleichen waren seine Welt, in welcher er sich sehr wohl und glücklich fühlte. Um vier Uhr Nachmittags hätte ihn keine Macht der Erde in seinem Hause zurück halten können. Die Mutter war schon geraume Zeit todt; der lebensfrohe Wittwer vermißte sie nicht. Das Geschäft, Landesproduktenhandlung mit Material-Detailverkauf überließ er seinen beiden Söhnen und einem Commis, Namens Veit. Die erwachsene Tochter führte das Hauswesen. Rudolf war der Jüngere der beiden Brüder; der andere um fast zwei Jahre ältere Bruder Friedrich, ein eben so schöner stattlicher Mann, ja noch um einige Zoll größer als Rudolf, und da er unter der Cavallerie gedient hatte, so trug er sich in jener stolzen, imponirenden Haltung, welche meist den graduirten Soldaten dieser Gattung eigen zu sein pflegt; hinsichtlich seines Gemüthslebens war er aber das Gegentheil des jüngern Bruders. Friedrich, durch und durch nüchterner Verstandesmensch und praktischer Geschäftsmann, konnte natürlicher Weise den Phantastereien Rudolf’s keinen Geschmack abgewinnen, und Dieser fühlte sich oft von Jenem verletzt, was bei ihrem täglichen und stündlichen Zusammenwirken in demselben Geschäfte, in dessen regelrechtem und förderlichem Betrieb der Aeltere den Jüngern weit übersah, gar nicht anders möglich war. Eben so wenig konnte sich Rudolf mit dem Commis Veit, dem Verlobten seiner Schwester Eulalie, vertragen. Veit, ein stiller, thätiger Mensch, von etwas finsterer Gemüthsart, mißtrauisch und mit Dingen, die über seinem sehr beschränkten Kaufmanns- oder vielmehr Krämerhorizonte lagen, sich auch nicht im Mindesten befassend, hatte nicht das geringste Verständniß von Rudolf's Wesen und hielt ihn für einen completen Narren. Die Schwester Eulalie war auch nichts weiter als ein ordinäres Schablonengeschöpf, ein Dutzend-Frauenzimmerchen mit einer leidlichen Taille und einem hübschen Gesichtchen, ein klein wenig Sentimentalität, was man von dieser verdächtigen Waare so in’s Haus braucht, übrigens eine gute Wirthschafterin und für Herrn Veit wie geschaffen. Der Vater verstand den jüngern Sohn eben so wenig; der immer heitere und zerstreute Mann hatte gar keine Ahnung davon, was in Rudolf’s Seele war. So stand der Arme mit seinem schönen Herzen, voll der tiefsten Gefühle, allein im elterlichen Hause, und wurde von Allen mit einer gewissen plumpen und bittern Ironie als die Bête–noire desselben behandelt. Und wie weit höher stand er über Allen, selbst hinsichtlich des Verstandes. Wenn nun Rudolf’s Geliebte ihn für diese Verluste entschädigt hätte oder überhaupt hätte entschädigen können, so wäre er immer noch glücklich zu preisen gewesen. Aber in Bezug auf diese junge Dame lebte er in einem großen und schier unbegreiflichen Irrthum. Was er für Gefühlsinnigkeit an ihr hielt, war – Gleichgültigkeit, was ihm als Charakterstärke erschien, war – der Trotz der Beschränktheit. Während ich das Mädchen malte (sie war die Tochter eines Kaufmanns und hieß Louise Bernigau), lernte ich sie vollkommen kennen. Hübsch war sie allerdings, man konnte sie in mancher Beziehung eine hohe Schönheit nennen; nie sah ich z. B. ein herrlicheres blondes Haar, aber dieser Form fehlte der entsprechende geistige Inhalt. Dann und wann dämmerte eine Ahnung von der wahren Beschaffenheit Louisens in Rudolf’s Seele, aber er räsonnirte sie sogleich hinweg und schraubte sich in seine romantische Exaltation hinauf. Ich sah ein, es war ihm durchaus nicht zu helfen. Die Augen dieser Romantiker müssen eben anders gebaut sein als die unsrigen; sie sehen Alles in einem weit schönern oder weit häßlichern Lichte, als wir. Ich verließ nicht ohne Besorgniß für Rudolf nach einem halben Jahre E., denn meine Kunst mußte nach Brot gehen. – Während eines ganzen Jahres erfuhr ich nichts von meinem Freunde. Wir schrieben uns nicht.

(Schluß folgt.)




Thomas Babington Macaulay.

Der Geschichtsschreiber, Dichter, Journalist, Jurist, Politiker und Staatsmann Macaulay hat nicht nur in seinem „engern“ Vaterlande, England, und dem weitern, Amerika, sondern auch in der ganzen gebildeten Welt einen bedeutenden Namen gewonnen, daß es unsere Leser interessiren wird, ihn näher kennen zu lernen [512] und darauf aufmerksam gemacht zu werden, wie es eigentlich zuging, daß er weit und breit als literarischer Eroberer der gebildeten Welt siegreich auftreten konnte. Für die Menschen, die Englisch nicht als ihre Muttersprache reden, that er weiter nichts, als daß er ein Buch schrieb, einen Theil der neuern Geschichte Englands. Alle seine andere und frühere Thätigkeit reichte nicht hin, ihn über eine mittelmäßige, auf das Land und die Gelehrten sich beschränkende Berühmtheit hinaus zu erheben. Es war das bereits in siebenter Auflage erschienene, oft nachgedruckte und zum Theil mehrfach in alle Sprachen civilisirter Völker übersetzte Geschichtswerk, welches ihn zu einer europäischen Berühmtheit erhob. Und dabei enthält es in Thatsachen nichts wesentlich Neues. Es ist kein Werk großer, tiefer Forschung mit neuen wichtigen Entdeckungen in der Geschichte, es bringt lediglich den Beweis, daß ein Volk, das mit Energie das Gute, d. h. den politischen Fortschritt und die Civilisation in jeder Beziehung will, durch keine Gewalt der Mächtigen aufgehalten werden kann. Und dieser Beweis, die ganze Darstellung der Geschichte Englands ist ein Meisterstück der Form, wie es vordem kein Geschichtsschreiber Englands und des Continents geliefert hat. – Es ist die neue, brillante, musikalische Form der Sprache und effectvoller Malerei, die den Hauptreiz seiner historischen Darstellung ausmacht, wozu allerdings die von ihm gewählte Geschichtsperiode das Ihrige beitrug. Es ist wichtig und interessant, die Macht, die Allmacht der schönen Form für bekannte Stoffe – und darin besteht das Wesen und der unwiderstehliche Reiz der Kunst im Allgemeinen – auch in dieser Richtung und Erscheinungsform nachzuweisen und die Persönlichkeit derselben zu zeichnen.

Macaulay wurde 1800 geboren. Allen Vermuthungen nach ist er ein Schotte, wie sein Vater Zachariä M. ein Kaufmann für Westindien und Afrika, ein Freund von Wilberforce und gegen sein specielles Interesse ein Abolitionist, d. h. Gegner der Sklaverei in Amerika. Unser M. ward erst zu Hause erzogen und gebildet, später im Trinity-College zu Cambridge, der berühmten Universität, auf der eine Reihe der berühmtesten englischen Größen, Bacon, Byron u. s. w. sich Studirens halber aufhielten, womit freilich nicht gesagt sein soll, daß Cambridge oder irgend eine andere Universität große Männer mache. Die englischen Universitäten können allerdings große Talente klein machen, aber nicht umgekehrt. Cambridge hat blos den Ruhm, Männer wie Bacon, Byron, Macaulay u. s. w. nicht klein bekommen zu haben.

Ein Studentenleben giebt’s auf den pfäffischen, pedantischen Universitäten Englands nicht. Macaulay studirte fleißig und gewann verschiedene Preise und machte die erforderlichen „Grade“ durch. Darauf kam er nach London in der Juristenzunftlehranstalt Lincolns-inn in die Lehre und ward 1826 „zur Barre gerufen“ , d. h. als activer Jurist zu Gerichtsverhandlungen als Vertheidiger, Anwalt oder Justiz-Commissarius zugelassen. In dieser Sphäre hat noch Niemand Ruhm erworben, wohl aber viel Geld und Schmach, da die englische Gerichts-Praxis ein Institut ist, das blos da zu sein scheint, um Juristen Gelegenheit zu geben, Denen, die Geld haben, es abzunehmen und ihnen dafür „Recht“ zu geben. M. scheint nicht viel Geschmack an diesem Berufe gefunden zu haben, wenigstens beweisen seine mannichfaltigen Aufsätze und Kritiken in einer Vierteljahrsschrift (Edinburgh Review) im Jahre 1826 über Milton u. s. w.), als deren Mitarbeiter er Jahre lang seinen literarisch-kritischen Ruhm begründete, daß er literarisch äußerst thätig war. Schon zwei Jahre vorher hatte er sich als Dichter in einer andern Vierteljahrsschrift (Knight’s Quarterly Magazine) gedruckt gesehen. Doch ward er als Dichter nie so groß, wie als Kritiker großer Dichter und literarischer Notabilitäten. Berühmt sind seine Abhandlungen über Byron, Addison, Bacon, Walpole, Johnson u. s. w. Die erstere gilt als die klassischste, wiewohl keine wirklich groß und schön genannt werden kann, da Macaulay als das glücklichste Talent der Form es nie dahin brachte, große tiefe Denker und Dichter wirklich zu begreifen. Er rühmt in der brillantesten Form ihre persönlichen und literarischen Tugenden, bedauert aber dabei, daß sie nicht immer das anständige Leben geführt, wie es jeder englische Gentleman mit reinen Vatermördern, alle Morgen frisch rasirt und mit der vorgeschriebenen Form des Backenbartes führen muß. Um ein Genie in allen seinen Widersprüchen als ein großes Ganze begreifen und schildern zu können, muß man selbst ein Genie sein. Unter seinen dichterischen Productionen wird die Ballade: „der Krieg der Leaque“ als die „talentvollste“ bezeichnet, so wie die „altrömischen Gesänge“ („lays of ancient Rome“), geschöpft aus den heroischen und romantischen Schilderungen des Livius, durch starkfarbige Malerei des altheroischen Lebens, Gelehrsamkeit und eine eigenthümliche, brüchige Energie des Styls auffielen. Die literarisch-kritischen Abhandlungen sind aus dem Edinburgh Review mehrfach gesammelt und herausgegeben worden. Sie gelten als die brillanteste neue englische Prosa, d. h. ihr Verdienst liegt wesentlich in der Form, die zuweilen sirenenhaft wirkt, ohne daß man durch große Gedanken oder durch tiefere Auffassung des Lebens unterbrochen wird. –

Seine staatliche Laufbahn begann mit einer sehr unangenehmen Anstellung. Das Whig-Ministerium stellte ihn (1828) als Commissionär der Bankerotte an. Im Jahre 1832 gelang es ihm, als Candidat für das Unterhaus von den Wählern in Calne die meisten Stimmen zu erhalten und so in das „reformirte“ Parlament zu kommen. Seine erste Rede zu Gunsten weiterer Reform soll gut ausgefallen sein, wenigstens jedenfalls besser, als seine (bis jetzt) letzte, in der er warnte, man solle die Reformen für die sehr reformbedürftige indische Regierung nicht zu gut machen, damit die Nachwelt auch noch etwas zu thun behalte. Das würde so viel heißen als: Ich sündiger Mensch darf mich nicht auf einmal zu sehr zum Bessern bekehren, damit mir spätere Tage nicht vorwerfen, ich sei zu gut für mein Alter. – Im Jahre 1834 ward er von Leeds gewählt, gab aber sein Vertreter-Amt auf, wie als neugewähltes Mitglied des höchsten Gerichtshofes der ostindischen Regierung nach Calcutta [513] zu gehen, eine sehr einträgliche Stellung, die er bis 1838 bekleidete. Nach seiner Rückkehr ward er von den Gelehrten Edinburghs als deren Vertreter gewählt und 1839 sogar Mitglied des Ministeriums und zwar als Kriegsminister. – Er blieb Vertreter Edinburghs bis 1847, wo er gegen seinen Mitbewerber Cowan durchfiel, und zwar – ächt schottisch und englisch – weil seine religiösen Gesinnungen nicht für so bestimmt schottisch gehalten wurden, als die Cowan’s. Während seiner fünfjährigen Zurückgezogenheit aus der politischen Welt sammelte und schrieb er zum Theil sein weltberühmtes Geschichtswerk, welches die Wähler von Edinburgh so begeisterte, daß sie ihn (1852) ohne sein Zuthun wieder wählten.

Thomas Babington Macaulay.

Das sind die hauptsächlichsten Thatsachen seiner politischen Laufbahn, die wohl zu seinen Schwächen gehört. Er hielt viel schöne Reden, aber als Rhetor, nicht als Redner. Er hielt elegante Vorträge im Unterhause, die seine Freunde (die Whigs, die stark auf ihn gerechnet hatten) täuschten und alle Zuhörer bewunderten, aber nicht erwärmten und hinrissen. Er war nie von Gewicht in bedeutungsvollen Debatten und für wichtige Abstimmungen. Die alten Parlaments-Mitglieder „von Profession“ belächelten ihn geringschätzig als einen gelehrten Mann, als einen Schriftsteller, der als solcher eigentlich gar nicht verdiene, unter der beglückten Minderheit von Gesetzgebern zu sitzen. Uebrigens scheint es ihm auch nie warmer, wahrer Ernst gewesen zu sein, sich in dieser Sphäre wirkliche Verdienste zu erwerben, wenigstens wählte er dazu nicht die rechten Mittel, nicht die Stacheln, sondern nur die farbigen, schönen Blumen der Rede. Er machte kokette Eroberungen durch Rhetorik, in der Sache immer in currenter Münze denkend. Von seinen persönlichen und Familien-Verhältnissen scheinen alle bisherigen Biographen nicht viel zu wissen. Er hielt seine Privatverhältnisse, wie jeder englische Gentleman, sorgfältig unter Schloß und Riegel. Die meisten [514] Schriftsteller Englands sind auch so elegant, davon nicht öffentlich zu sprechen, selbst wenn sie durchaus zu seinem Ruhme ausfielen. Die „gute Gesellschaft“ Englands ist in diesem Punkte bornirter, als irgend ein Volk der Erde und vielleicht der allerweiteste Gegensatz zu jenem alten Römer, der in einem Glashause zu leben wünschte, um stets von der Welt gesehen werden zu können, damit sie sich überzeuge, er sei privatim eben so gut, wie öffentlich. –

Macaulay gilt jetzt als der größte Geschichtsschreiber und literarisch-historischer Kritiker Englands, ohne sich in diesen Sphären wesentlich schöpferisch gezeigt zu haben. Worin er schöpferisch gewesen, was seine Größe ausmacht, besteht in der Erfindung und Ausbildung einer neuen englischen Prosa. Wie der berühmte Virtuose auf der Strohharmonika wußte er selbst den hölzernen, strohernen Lauten der englischen Sprache musikalische Klänge, Harmonien und Melodien zu entlocken. Das Sirenenhafte seines in Worten ausgedrückten melodiösen Gesanges besteht eben in der graciösen Gewalt, mit der er uns Zeile für Zeile, Seite für Seite mit sich fortreißt. Die Grazie und Eleganz der Form war in England, wo man „Geld macht“ und deshalb die „brodlosen Künste“ der Musen und Grazien ganz vergessen zu haben schien, ein hesonders großes Ereigniß, das man um so freudiger bewunderte, als hier der trostloseste Mangel an Schönheitssinn bereits vielfach zu einer Sehnsucht nach den „Göttern und Göttinnen Griechenlands“ ward. Die englische Revolution gab ihm einen gewaltigen Stoff. Die gebildete Welt nahm ihn wie ein großes, neues, welthistorisches Kunstwerk begeistert auf, weil ein großer, feiner Meister der Form ihn mit bezaubernden Schönheitslinien umgab.

Der Gedanke ist der Marmorblock, in welchem ein olympischer Zeus, ein Apollo, eine medicäische Venus schlummern. Es kömmt blos auf den schönen Formensinn an, mit dem man wegmeiselt, was von dem Block nicht zu der göttlichen Körpergestalt gehört. Deshalb also heiligen Respect vor der Form und vor Macaulay.

London, im Oktober. H. Beta.  




Lebens- und Verkehrsbilder aus London.

V.
Australien in London.


Im Osten von der Paulskirche oder der Londonbrücke durch die Labyrinthe der Straßen zu wandern, und in die Läden zu blicken und zu errathen suchen, was Alles darin steckt, ist vielleicht eine größere Aufgabe, als von Petersburg nach Paris zu reisen und auf diesem Wege zu sehen, was zu sehen ist. In jenen Theilen Londons schlummern australische Städte, mit Allem, was dazu gehört und noch viel mehr, nämlich gleich aller mögliche Luxus europäischer Civilisation. Aber diese schlummernden Häuser, Küchen, Betten, Kleider und tausenderlei fabelhafte Instrumente, die für australischen Goldboden gemacht sind, gehören schon zu dem Innern Australiens in London. Sehen wir uns erst das Aeußere an. In allen Theilen der Handelsweltstadt bemerkt man seit einiger Zeit große Gemälde, seltsame Ritter darstellend. Pferd und Reiter sehen Dich zunächst sehr fremdartig an. Erst in der Nähe erkennst Du das seltsame Springpferd Australiens, das Känguruh und den wilden bärtigen Mann, der darauf reitet, mit einem 100pfundigen Goldklumpen vor sich, als den glücklichen Goldgräber, der wie besessen dahin sprengt, um die neuesten Nachrichten an- und sein Geld durchzubringen. Diese Ritter zeigen an, daß in den betreffenden Läden die neuesten Zeitungen von Australien zu haben sind.

Dort schleppt sich ein ungeheurer Wagen durch das Verkehrsgewühl der Straße, und ein Goldklumpen, wie ein zweistöckiges Haus groß (in welchem der Fuhrmann sitzt), ladet Dich ein, Dich zu beeilen, da eben dieses und jenes eiserne, gekupferte Segel- oder Dampfschiff erster Klasse im Begriff steht, nach Melbourne oder Sidney abzugehen und nur noch wenige Plätze zu haben sind.

Um eine Ecke herum begegnest Du vielleicht einer Armee wandernden goldener Buchstaben, jeder beinahe so groß, wie ein Mann, wenigstens in dem Haupttitel, der allemal lautet: „Gold-fields of Australia“. Zwischen den großen Pappscheiben wandern die Träger dieser kolossalen Intelligenzblätter, 40–50–100, um sich erst durch ihre Masse bemerkbar zu machen und dann in die einzelnen Stadttheile zu vertheilen. In der Regel werden auf diese Weise neue Unternehmungen für oder in Australien angekündigt, Actiengesellschaften, die Goldfelder und goldene Berge gekauft haben und Dich an ihrem Gewinne Theil nehmen lassen wollen, Unternehmungen, die Dir die Sammlung des Reisegeldes erleichtern und dergleichen. Ueberall seit Jahr und Tag hast Du die Goldfelder Australiens an den Straßenecken kleben oder gar in goldenen Buchstaben vor Dir wandern sehen. Und da ist keine Straße mehr, worin nicht verschiedene Läden alle mögliche Verkaufsartikel mit großen Buchstaben für Australien empfehlen, vom Riesenwasserstiefel bis zu homöopathischen Apotheken, Pillen und Hemdenknöpfchen. Kein Buchladen ohne Karten Australiens von der Größe einer Hand bis zu der eines Scheunthorflügels, keine Zeitung, ja kein Lieferungsroman ohne Reisegelegenheit nach Australien. Vor kurzer Zeit spielten noch schöne blondlockige Kinder öfter vor jenem Hause, das so nett und freundlich aussah. Jetzt steht es blind und todt und verschlossen, nur ein Zettel redet noch und bietet es aus. Die ganze Familie ist spurlos verschwunden [515] und nach Australien ge- oder auch auf dem Wege untergegangen. Solche verlassene öde Häuser (wahre „bleak-houses“) findest Du fast in jeder Straße, und bei einiger Aufmerksamkeit wirst Du auch gewahr, daß sie sich stärker vermehren, als neue Miethen.

Ein junger Mann hat Hoffnung, eine interessante Bekanntschaft und Partie zu machen und spart und bürstet den Backenbart und kleidet sich nach der neuesten Mode, um das Herz seiner Auserkorenen zu erobern. Endlich ist er so weit und klopft und klingelt: „Eben abgereist, nach Australien.“ Da ist ein guter Freund, der uns auf vierzehn Tage einige Pfunde abborgt und sie blos dazu verwandte, um sein Reisegeld für Australien zu vervollständigen. Ja in der City wartet mancher große Kaufmann am Verfalltage auf Hunderte und Tausende von Pfunden, die vorher nach Australien ausgewandert sind. Einer, der einmal auf diese Weise mit 20,000 Pfund verschwunden war, wurde von einem Londoner Policeman glücklich aus den Antipoden Australiens herausgefunden und mit dem größten Theile des Geldes zurückgebracht.

Die Ausstellungs-Industrie für australische Auswanderung gehört jedenfalls zu den großartigsten und ausgebildetsten modernen Gewerbszweigen Englands. Treten wir in einen solchen Ausstellungs-Laden ein, in welchem Hunderte von Häusern liegen. Da ist erstens das „patentirte, tragbare Haus“, in je zwei Kisten eins, deren Bretter auseinander genommen und sofort als Wände des Hauses wieder zusammengesetzt werden können. Inwendig sind Schrauben, Säulen, Thüren, Fenster, Tische, Stühle, Küchengeräthe u. s. w. – Alles numerirt, so daß alle Theile nach einer gedruckten Anweisung binnen wenig Stunden zu einem vollständigen Hause mit vollständiger Wirthschaft zusammengefügt werden können. Das Geniale besteht hier besonders darin, daß die je kleinern Theile immer so geformt sind, daß sich einer immer genau an den andern anschließt, so daß nicht der geringste leere, unbenutzte Raum in den Kisten bleibt. Das ist sehr erklärlich, da der Auswanderer sein Gepäck nach der Menge der Quadratfuße, die es im Schiffe einnimmt, bezahlen muß.

Aus einem Geschäfte in Birmingham gehen folgende Häuser mit Zubehör hervor: Jedes Haus ist in eine hölzerne Kiste gepackt, deren Bretter hernach vollständig als Dielen passen. Die eine Kiste enthält das vollständige Haus, Dach, Balken, Wände, Tapeten - Alles, Alles, was zu einem anständigen Hause gehört, darunter einzelne patentirte Säulen- und Schraubenarten und ein patentirtes Dach, das aus Zinkplatten besteht, die so zusammengesetzt werden, daß ihnen vollständige Freiheit bleibt, sich in der Hitze auszudehnen und in der Kälte zusammenzuziehen. Für die metallenen Wände sind besondere Decken da, die die Temperatur leiten und das Haus im Winter warm, im Sommer kühl halten, außerdem vollständige, abgepaßte Tapeten für alle Wände innen. Wie groß ist ein solches Haus in der Kiste? Blos 13 Fuß lang, 3 Fuß 41/2 Zoll breit und 81/2 Zoll tief und wiegt nicht mehr als 3/4 einer Schiffstonne.

Einige beschränken sich auf Zelte. Man wird gehört haben, daß es bei Melbourne eine Stadt mit mehr als 40,000 Einwohnern giebt, die alle in Zelten wohnen. Die Zelten-Händler rufen dem Auswanderer wohlwollend in Zeitungen und Ankündigungen zu, daß sie sich im Interesse der leidenden Auswanderer entschlossen hätten, ihnen eine tragbare Heimath mit hinüber zu geben, die sie schütze vor den Schrecken des Häuser- und Wohnungsmangels in der neuen Welt, und die zusammengepackt nicht größer sei, als ein „gewöhnlicher Mantelsack.“ Ein Anderer bietet „Wagen und Zelt in einem Stück.“ An Ort und Stelle können die Wagentheile für Schlaf- und Küchenzwecke abgenommen werden. Die größern, auf Spekulation für Kapitalisten gemachten Häuser kommen von Birmingham, Bristol, Liverpool und werden zuweilen dutzendweise gekauft, in Melbourne aufgeschlagen und für den ruhig in London lebenden Eigenthümer dort vermiethet. Ein Haus, das er für 50 oder 60 Pfund kaufte, bringt ihm in Melbourne einen jährlichen Miethzins von 3-400 Pfund. –

Doch nicht alle haben die Schneckengesinnung, mit ihrem Hause auf dem Rücken in die bessere Welt abzufahren. Deshalb ist auch jedes Bedürfniß in unzähliger Mannichfaltigkeit einzeln und in beliebiger Gesellschaft zu haben. Die „Auswanderungs-Kochöfen“ sind ein wahrer Triumph in sich selbst, insofern wirklich mehr in ihnen ist, als scheinbar in der unerschöpflichen Branntweinflasche des Taschenspielers. Er sieht ganz einfach wie eine eiserne Kiste von zwei Quadratfuß aus. Nimmt man ihn auseinander, bekommt er Füße und Hände, drei Sorten von Pfannen, mehrere Arten von Kochtöpfen, Schürer, Plätteisen, Plätteisenhalter u. s. w., und zuletzt einen Schornstein, in welchem noch eine Menge Utensilien stecken, die nur der englische Kamin-Verständige zu nennen und zu handhaben weiß. Neben einem solchen Ofen hing ein Zettel, der uns verkündigte, daß in einem derselben einmal in Port Natal ein Mittagbrod für 20 Personen, darunter der Gouverneur, zu allgemeiner Zufriedenheit gekocht, gebraten, geröstet, geschmort, gesotten, gefryt (unübersetzbar, da die Sache in Deutschland gar nicht bekannt ist) und gebacken worden sei.

Von dem „Junggesellen-Kessel“ der 3 Schillinge kostet und für ein halbes Leben jeden Morgen das Wasser kocht (für 1/4 Penny Brennmaterial), bis zu den geheimnißvollen Kochapparat-Labyrinthen jede Kasse, jeden Geschmack findet, was er wünscht und bezahlen kann und bei Lichte besehen allemal mehr, als er glaubte, da inwendig immer ganz unerwartete Dinge entdeckt werden. Eins der größten culinarischen Wunder ist die „tragbare Küche“, die uns aus den Läden um Tower-Hill wie geheimnisvolle Zauberapparate anstarren, zunächst freilich nicht viel anders, als große Blechbüchsen je 14 Zoll lang, 10 weit und 10 tief. Und was ist darin? Man höre! Ein Ofen für Holzfeuerung, Fischkessel, Brat- und Schmorpfanne, Bratrost, Thee- und Kaffeebüchse, Schmortopf und „Dampfer“, zwei Bratpfannen, Theekessel, Kaffeekanne, Zuckerschale, Milchtopf, 3 Paar Tassen, 2 Schüsseln, 6 Teller, 3 Paar Messer und Gabeln, 2 Eßlöffel, 3 Theelöffel – fast Alles silber- und goldglänzend - Alles von Metall – die Tassen auch, nur daß sie glasirt sind – [516] Alles zusammen für 2 Pfund – eine vollständige Wirthschaft für vielleicht das ganze Leben, wenn man für nachwachsende Kleinigkeiten zu seiner Zeit für einige Pence hinzukauft. Tausenderlei andere einzelne Utensilien und Luxussachen – die sich ein Deutscher kaum in der Phantasie von Gußeisen vorstellen könnte, stehen alle da in eiserner Standhaftigkeit, in ihren glänzenden Kleidern dem allverzehrenden und allbelebenden Sauerstoff trotzend.

Für die verschiedenen Arten englischer Zimmer ist auf die mannichfaltigste Weise, beinahe Raum vernichtend, gesorgt. Was in Dein Schlafzimmer Alles gehören mag, Du kannst es in der Tasche und unterm Arme fortbringen. Eiserne Bettstellen verwandeln sich auf der Reise in ein Schlummerkissen, am Tage in ein Sopha oder einen Großvaterstuhl und auf den Druck einiger Federn des Abends in eine lange Bettstelle mit Bett. Wir haben Waschtische gesehen, die sich unter der Hand des Zauberers in eine Blechbüchse von 5 Zoll Tiefe verwandeln. Mit einem Ruck geöffnet zeigen sie Dir das Waschbecken, die Wasserkanne, das Seifennäpfchen, Bürstenkästchen und stehen fest, wenn Du Dich dieser Civilisations-Instrumente bedienst. Nicht zu vergessen ein Stück wunderbarer Marineseife im Näpfchen, die ganz besonders dazu gemacht ist, daß man mit Meerwasser eben so weiß waschen kann, wie mit Regenwasser.

Zum Kleider-Departement für Auswanderer, das die deutschen Juden in der Straße Houndsditsch beherrschen (Moses und Sohn sind beinahe so groß wie ganz Leipzig), gehörte ein Homer und eine Ilias, es zu besingen. Hier ist nicht nur tausendfacher Vorrath für alle Auswanderer, sondern auch für alle Soldaten, Matrosen, Arbeiter, Schiffer, Fischer und Irländer und jedes Ding funkelnagelneu dreifach billiger, als im Westend alte, abgetragene Sachen, freilich tausendmal theurer, wenn man die Thränen und Schwindsuchten, die hungrigen Tage und schlaflosen Nächte der dünnen Hände, die diese groben Arbeiten näheten, mit auf die Rechnung setzen würde.

Für Auswanderer ist auch hier am zärtlichsten gesorgt. Die beste Mutter kann ihre einzige Tochter zur Hochzeit nicht sorgsamer ausstatten, als hier der Jude den anglo-sächsischen Auswanderer. Da giebt’s immer vollständige Ausstattungen von 2 Pfund an bis 50 Pfund. Und in denen für 2 Pfund ist eben so viel, wie in denen für 50, in letzteren nur Alles 25 Mal besser. Nichts fehlt, selbst die Nachtmütze nicht. Und wenn der Auswanderer die Nachtmützen nicht mit haben will, wird der Jude eine zärtliche Mutter und bittet und beschwört den geliebten Kunden, der nie in seinem Leben an eine Nachtmütze dachte, sie ja in Australien zu tragen, da er ohne diese nicht 14 Tage leben könne. Die Ausstattungen sind außerdem auf das Genialste geordnet und eingerichtet nach den verschiedensten Berufsarten und Klimaten. Manche haben hier Ausstattungen nach einer aufsteigenden Linie von Pfunden und Schillingen rangirt. Wir schreiben eine solche Ausstattungsstufe ab. Für 3 Pfund 15 ß oder etwa 25 Thlr. erhält man: „Zwei Jacken, 2 Westen, 2 Paar Hosen, 1 Oberrock, 12 Hemden, 12 Paar Strümpfe, 6 Handtücher, 6 Taschentücher, 2 Paar Tragbinden, 1 Bett, 4 Decken und Betttuch, 1 Mütze, 1 Wetterhut, 2 Paar Schuhe, 1 Haarbürste, 1 Kamm, 1 Rasirmesser mit Streichriemen, 1 Seifennapf, 1 Spiegel, Messer und Gabel, 1 Teller, 1 Krug, 1 Eß- und Theelöffel, 6 Pfund Seife, Nadeln und Zwirn und eine Kiste, Alles hineinzuthun.“ Und dabei sind diese Juden auch Menschen und wollen nicht nur leben, sondern auch ihre Procente haben, wie ein rechtschaffener Christ. Natürlich ist auch jeder Artikel einzeln zu haben. und welch’ eine unendliche Elasticität hat jeder! Nachtmützen von 2 Pence bis 3 Schillinge. Mützen von 4 Pence bis 8 Schillinge. Jeder Artikel schließt also den Vorübergehenden in einen großen Raum ein und umgiebt ihn ringsum mit Artikeln, von denen er nothwendiger Weise diesen und jenen kaufen muß, um aus der Sirenenumarmung wieder herauszukommen. Ich müßte ja auch mein eigener größter Feind sein, denkt er, wenn ich mir wenigstens nicht das schöne Dings da für 6 Pence, wo für 1 Schilling Unterfutter darin ist, kaufen sollte!

Es thut mir leid, daß ich vor der Kiste der Kleider und Luxussachen, die je für 11 Pfund 11 Schillinge (nebst einer polirten Kiste) zu haben sind, zurückschrecke. Man denkt, es sei eine Ausstattung für die ganze türkische Armee. Der Umstand, daß 24 Paar Unterhosen dabei sind, läßt allein schon auf das Ganze schließen.

Aber der Auswanderer ist noch nicht vollständig versorgt mit Haus und Herd und Küche und Töpfen und Tiegeln und Haarbürsten, er will auch essen und trinken. Und da bis jetzt auf dem atlantischen Meere und dem stillen Ocean keine Semmeln wachsen und keine Fleischer wohnen und mit dem Meere, als einem großen Herrn, (zumal zwischen England und Australien) nicht gut Kirschenessen ist, mußte für Fleisch und Früchte u. s. w. für diesen Weg um die Halbkugel herum gleich vom Anfang an gesorgt werden. Und wie ist gesorgt! Alles, was Dir der höchste Pariser Restaurant bieten kann, steht Dir Tausende von Meilen von jedem Punkte festen Landes alle Morgen frisch auf dem Weltmeere zu Diensten. Sieh Dir diese verschiedenen runden Blechbüchsen an, die dort um Tower-hill herum in Läden aufgethürmt sind. Das ist nicht nur frisches Fleisch, das immer frisch bleibt, das sind auch alle mögliche Arten von frischem Obst und frischen Kartoffeln und frischen Gemüsen und – frischer Milch. Mit Chemie und Witz hat man’s wirklich so weit gebracht, daß alle diese Lebens- und Erquickungsmittel bei luftdichter Verschließung so bleiben, daß sie mit etwas Wasser behandelt sofort wieder alle Eigenschaften vollständiger Frische annehmen. Einige Fleischsorten, z. B. Stockfisch, amerikanische Ochsenzungen u. s. w. findet man wie Fuder Knüppelholz aufgeschichtet. Sie sind so hart getrocknet und überräuchert, daß ihnen keine Macht der Erde etwas anhaben kann, als kochendes Wasser. Am Genialsten klingt es, die frische Milch zu trocknen, luftdicht zu verschließen und dann alle Morgen ein Stückchen im warmen Wasser aufzuweichen, um stets eine Milch zu haben, die nicht besser unmittelbar von [517] der Kuh kommen kann. Diese Milch hat sich auf den Tausenden von Reisen zwischen Australien und England, jedesmal von 16,000 engl. Meilen, immer sehr gut bewährt. Es ist kein geringer Triumph des menschlichen Witzes, daß er gelernt hat, das salzige Weltmeer zu melken.

Noch mehr! Man findet hier am Themsehafen solch „präservirtes Fleisch,“ das just zu diesem Zweck zu Newcastle in Australien zurecht gemacht und die 16,000 Meilen bis in die Minorie's von London gebracht, hier für australische Reisen wieder mit großem Gewinn verkauft wird. Das heißt dann das englische Spottwort: „Kohlen nach Newcastle tragen,“ in großartigen Ernst verwandeln.

Der zärtliche Ausstatter verläßt den Auswanderer noch lange nicht, wenn er ihn auf's Schiff gebracht; er folgt ihm in die Goldgefilde und giebt ihm Alles in die Hände, was er braucht und noch viel mehr. Diese Goldgrabungs-Instrumente sind allein eine ganze neue Schöpfung, die in den Straßen um Tower-hill aufgebaut ist. Hier erfreut Dich der Anblick einer „Patent-Gold-Karre“ und eine „patentirte Goldwäschmaschine,“ dort regt Dich eine „Goldentdeckungsmaschine“ auf mit Quark-Zermalmungs-Mühlen für die Hand, für Wasser und für Dampf und eine Menge räthselhafte Instrumente, die in ihren barocken Gestaltungen die Phantasie und den bedürftigen Geldbeutel in die weiteste Ferne tragen. Die Gold-Siebe, die Schalen, galvanisirten Eimer, Hacken, Spaten, Schaufeln und Schippen, die Hämmer und Spitz-Aexte, die Brechstangen und Karren mit Zelten oben über – in wie viel Gestalten und Größen umgaukeln sie Dich wie eine eiserne, golddurstige Welt von Dämonen! Dort sieh, was es wieder Alles für 20 Schillinge giebt! „Schaufel und Hacke, Spitzaxt und Erdbohrer (drei Sorten), Brechstange, Hammer, Felsenmeißel und Schmelzlöffel, dazu eine große Kiste mit Schloß und Schlüssel“ – das Alles für ein Stückchen Gold, nicht größer als ein Viergroschenstück, und hinreichend in die Haupt-Bank der Erde einzubrechen und ihr in 24 Stunden vielleicht so viel zu rauben, daß Du Dir für’s ganze Leben eine Equipage und einen Mohren hinten darauf halten kannst und vorn einen Kutscher, der schwerer wiegt, als die berühmtesten Pferdebändiger englischer Hocharistokratie, die wie fette Ochsen nach ihrem Fleischgehalte taxirt werden. Es hat schon zuweilen Einer mit dem Wasserstiefel auf ein Goldstück getreten, welches mit 20,000, ja sogar einmal mit 42,000 Pfund Sterling bezahlt ward. Die freilich, welche so lange in dem Schmutze herumwaten und fischen, bis sie selbst vor Hunger hineinfallen und d’rin liegen bleiben (vielleicht gerade auf einem Goldklumpen), zählt man nicht.

Das sind einige Skizzen von den Lebensbildern, die Australien in London hervorrief. Wie mancher Leser mag unbewußt ebenfalls zu den Gruppen in diesen Bildern gehören. Viele Arbeiter und Fabrikanten in ganz Europa arbeiten für Australien und werden mit dem ausgewaschenen Schmutze Australiens bezahlt. Wurden doch unlängst 60,000 Paar Schuhe von London aus in Berlin für Australien auf einmal bestellt. –

So hat sich Australien, das bisher unbeachtete, plötzlich vor uns hingestellt, seinen Rang unter den Continenten unseres Weltballs fordernd. Es ist in den Kreis der Civilisation eingetreten, ohne vorhergegangene Arbeit, ohne Mühe, ohne Kampf, wie die übrigen Continente, ja voller Hohn lacht es sogar der Geburt, dem Range, der Intelligenz und Wissenschaft in’s Gesicht! Fort, ich kann euch nicht brauchen. Ich mache den Schafhirten, den grobknochigen, stupiden Proletarier über Nacht zum Crösus und etablire ihn in Sidney und Melbourne als größeren Lord, wie den, der seinen Stammbaum bis auf ein Thier in der Arche Noah zurückführt. Gesellschaftliche, officielle und Staatengrenzen sind in Australien ein Mährchen. Seine rohesten Anfänge gründen sich auf die höchsten Spitzen der Cultur und Civilisation in der alten Welt. Alle Völker und Racen der Erde kneten sich hier in dem Goldschmutze zu Einer Masse zusammen und denken nicht mehr an die confessionellen, staatlichen und gesellschaftlichen Unterschiede und Gegensätze, in denen sich die alte Welt ruh- und rastlos abquält. Welch eine Welt, wenn einst der Dampfpflug, die vom Blitze gezogene Eisenbahn, die neue, aus der Vermischung aller Völker der Erde entsprossene Civilisation über die jetzigen groben Wasserstiefeln dahinfliegt und die ungeheuern Entfernungen dieses riesigen Continents verbindet. Es ist besonders deutscher Geist, der jener Zukunft die Stätte bereitet. Nachdem Dr. Leichardt seinem Forschertriebe als Opfer gefallen, war es hauptsächlich Otto Schomburgk, der bei Adelaide durch 18,000 meteorologische Beobachtungen die innern Paradiese Australiens entdeckte. A. Petermann in London sammelte alle Beobachtungen und fand daraus die geographischen Grenzen dieser innern fruchtbaren Welt, welche jetzt der ehemalige General Haugh mit englischem Gelde und Männern der Wissenschaft persönlich aufsuchen will.

Nachdem wir uns Australien in London flüchtig angesehen, denken wir ihm zu Hause in seinen eigenen vier Pfählen einen Besuch abzustatten.




Etwas vom Turnvater Jahn.

 „Von Zeit zu Zeit seh’ ich den Alten gern
 Und hüte mich, mit ihm zu brechen!“

Dieses Goethe’sche Teufelswort fällt mir unwillkürlich ein, wenn ich des „Alten im Bart“ gedenke, über dessen bescheidenes Grab nun bereits seit Jahresfrist der Herbstwind die dürren Blätter treibt. Die Schwärmerei, mit welcher ich als Jüngling zu der greisen und doch so kräftigen Gestalt des alten Turnmeisters [518] emporgeblickt hatte, war mit den Jahren gewichen, allein bis an sein Ende bewahrte ich, trotzdem daß wir in vielen Ansichten weit auseinander gingen, Zuneigung und lebhafte Theilnahme für ihn im Herzen, die mir es möglich machen, einzelne kleine zur Zeit noch unbekannte Züge über ihn zu veröffentlichen.

Das sogenannte junge Deutschland hatte nach dem Vorgange Heinrich Heine’s zu Anfang der dreißiger Jahre den Alten hart mitgenommen, ihn ungerechter Weise der Feigheit während der „Befreiungskriege“ beschuldigt, ja Laube in seinen Reisenovellen sogar ein Gespräch veröffentlicht, das er mit dem Alten in Freiburg gehalten zu haben vorgab. Jahn war darüber höchst entrüstet und fand bald Gelegenheit, seiner Galle Luft zu machen. Wir trafen uns in dem freundlichen Badeort Kösen bei Naumburg, welchen damals auch Heinrich Laube besuchte. An der table d’hôte im „Muthigen Ritter“ ward Jahn von einem alten Offizier, der mit ihm an dem Feldzug von 1813 Theil genommen, freundlich begrüßt und neben ihm zur Tafel gezogen. Kurz darauf betrat auch H. Laube den Kursaal, musterte die anwesende Gesellschaft mit geistreichen Blicken, warf die Glacés von sich und schickte sich eben an, sich an seinen gewöhnlichen Tischplatz zu begeben, als der alte Obristlieutenant – diesen Titel führte jener Offizier, wenn ich nicht irre – Herrn Laube dringend aufforderte, in unserer Nähe Platz zu nehmen, um ihn und Jahn mit einander näher bekannt zu machen. Laube folgte dieser Einladung, ward sofort dem Alten vorgestellt und äußerte etwas befangen: „ich habe schon die Ehre.“ Jahn protestirte dagegen mit den Worten: „ich nicht, geize auch durchaus nicht darnach. Darauf wendete er sich mit seiner lauten Stimme ungefähr in folgender Weise an die übrige Tischgesellschaft, obschon er noch immer Laube apostrophirte:

„Sie, junger Mann, wollen ein Dichter sein und haben jüngst ein Paar Bände Reisenovellen herausgegeben, in denen Sie auch ein Gespräch mit mir geführt haben wollen. Ich hätte gewünscht, daß Sie dichterischer gelogen, abgesehen davon, daß es eine Verletzung der Gastfreundschaft ist, gleich mit einem harmlosen Gespräch an die große Glocke zu schlagen, das man innerhalb der vier Pfähle eines Verfolgten gehalten. Die Verletzung wird zum öffentlichen Schimpf, wenn man in diesem erdichteten Gespräch Lügen veröffentlicht, die den Charakter des Andern verunglimpfen. Jetzt gebe ich Ihnen aber die Erlaubniß, in einem Nachtrag zu Ihren Novellen dies heutige Gespräch der deutschen Leserwelt zu verkündigen.“

Laube, auf welchen die unbarmherzigen Blicke aller Anwesenden gerichtet waren, meinte zwar, diese ganze von Jahn berührte Angelegenheit gehöre nicht hierher. Jahn möge ihn vielmehr auf seinem Zimmer Nummer so und so viel besuchen, wenn er etwas von ihm wolle, – erhielt jedoch hierauf von dem Alten eine so drastische, nicht mitzutheilende Antwort, daß er sofort den Saal verließ, während ihm Jahn mitleidig nachschaute und nur noch an mich die Worte richtete: „Meinst Du wohl, daß er dieses Gespräch abdrucken lassen wird?“ –

Auch gegen Heine, „diesen Reisebilder ......., den man die dreifarbige Rose auf das Herz nähen lassen sollte,“ – wie er sich nicht eben fein über ihn ausdrückte – war er bis an sein Ende nicht gut zu sprechen und wollte ihm, falls er ihn einmal anträfe, das Genick zerbrechen (eine Drohung, die wohl nicht so ernstlich gemeint war), während er sich mit Börne in so weit aussöhnte, daß er mir sogar einmal im Vertrauen sagte: „Wenn Börne, von der Polizei verfolgt, einmal wieder nach Deutschland kommen sollte, so sage ihm nur, er möge getrost bei mir absteigen. ich wollte ihn vier Wochen verbergen.“

Am Meisten war ihm der polnische Aufstand in den Jahren 1830 und 1831 zuwider; nach seiner Ansicht wurden durch denselhen wieder mehrere Millionen Deutsche verslawt, ganz davon abgesehen, daß der ganze Kampf nur der polnischen Aristokratie Vortheil bringen würde. „Ueber der Masurenstadt Warschau“ – schrieb er mir um jene Zeit – „wird es einst in der Geschichte nachhallen, wie vormals über die Schlacht von Laupen: Gott, der Herr, hat zu Gericht gesessen über den trotzigen Adel. Ein Volk von Männern ist schwerlich zu übermannen, aber eine Sippschaft von Herren leicht zu beherrschen.“ – Dagegen eiferte er in den herrlichsten Worten für Deutschlands Größe und Herrlichkeit. Um jene Zeit hat Ernst Moritz Arndt sein Büchelchen: „die Niederlande und Rheinlande“ drucken lassen. Der Alte schrieb mir darüber in seiner schönen Weise: Arndt’s Niederlande und Rheinlande sind gut, nur noch nicht stark genug. Jetzt darf keine Windharfe ertönen, die die Geister in der Mittagssonne belauschen; eine Sturmharfe muß losbrausen aus der ganzen Windrose. Kommen die Straßburger mit ihrer Schwefelbande wieder heraus, dann möchte ich Oberstgewaltiger sein. Schande, Elend, Tod und Verderben allen Denen, die den Franzen Gutes für Deutschland zutrauen. Deutschland braucht jetzt einen Krieg auf eigene Faust, um sich in seiner Volksthümlichkeit zu gestalten etc.“ –

[519] Er hat ihn nicht erlebt. Am 15. Oktober 1852 ist er hinüber gegangen – wie die Nationalzeitung von ihm rühmt – in die unendliche Walhalla, unmittelbar hinter dem eisernen Herzog aus England und dem Spanier Castannos nicht in deutschthümlicher, sondern in recht weltbürgerlicher Gesellschaft. Der Kampf um die gute Sache, das Ringen nach größerer Freiheit und hellerem Licht ist einmal ein gemeinsamer für ganz Europa. Thue Jeder das Seine, wie der „Alte im Barte“ es gethan, der nicht auf den Weltgeist gewartet, sondern geredet, geturnt, geworben und getrieben. Jahn hat ehrlich gewollt und redlich gestrebt. Sein Gedächtniß wird man in Deutschland in Ehren halten!

E. B. 




Blätter und Blüthen.

Ein Zusammentreffen. Bei der letzten Zusammenkunft der Kaiser von Oestreich und Rußland in Olmütz befanden sich dort auch der englische Gesandte Lord Westmoreland, Fürst Paskjewitsch und Graf Nesselrode. Bei einem Gespräch erzählte Lord Westmoreland, daß er Augenzeuge gewesen, wie General Miloradowitzsch 1814 nach dem Gefecht bei Belleville vor Paris in dem Augenblick, wie er von den erkämpften Höhen Paris vor sich liegen sah, einer Batterie den Befehl gab, vorzurücken und einige Schüsse auf Paris zu thun, wobei er ausrief: „Vor mit der Artillerie! Wir wollen wenigstens die Freude haben, ein Paar russische Kugeln nach Paris zu schicken.“ – Als die Schüsse geschehen waren, sah General Miloradowitzsch den Offizier an, welcher die Batterie kommandirte und sagte. „Welch ein Zusammentreffen! Das ist derselbe Offizier, welcher den ersten Schuß bei Moskau that, als die französische Armee vor zwei Jahren ihren Rückzug antrat.“ – Der Fürst von Warschau hatte diese Erzählung ruhig mit angehört und sagte dann: „So erlauben Sie mir zu diesem sonderbaren Zusammentreffen noch hinzuzufügen, daß jener Artillerie-Offizier Paskjewitsch hieß und daß er in diesem Augenblick die Ehre hat, die 1814 auf den Höhen von Belleville gemachte kameradschaftliche Bekanntschaft zu erneuern.




Montesinos. Es dürfte in diesem Augenblicke in ganz Europa kaum ein Mann leben, der in so hohem Grade die Bewunderung und dankbare Verehrung aller Menschen verdiente, als Derjenige, dessen Namen gleichwohl die meisten, wenn nicht alle meine Leser hier zum ersten Male durch die Ueberschrift kennen lernen. Denn wer verdient mehr unsere Dankbarkeit, als derjenige, der die Glieder der menschlichen Gesellschaft, welche in der großen Mehrzahl als unnütze, weil ein- oder einige Mal schädlich gewesene, rein angefaulte Früchte weggeworfen werden, mit treuer Menschenliebe aufsammelt und zu heilen versucht?

Dies aber ist die Krone, welche heller als irgend welches Diadem strahlt auf dem Haupte von Montesinos, Direktor des Gefängnisses von Valencia in Spanien.

Im Jahre 1827 übernahm er dieses Amt. Er überkam das Gefängniß in dem trostlosesten Zustande. Seine frühere Thätigkeit stand nicht mit seiner neuen in irgend einer Beziehung. Er hatte keine Polizei- oder Criminalcarriere gemacht. Er hatte keine Reisen durch die europäischen Strafanstalten (ja wohl Strafanstalten!) gemacht, wo er auch fast nur negativ hätte lernen können.

Er brachte in sein neues Amt nichts mit als ein warm und edelfühlendes Menschenherz, einen festen, klaren Willen und – eine tüchtige umfassende Bildung.

In dem ersten Jahre seiner Amtsführung bildete sich sein System aus, ganz aus sich selbst, gestützt auf die genannten drei Grundsäulen seiner bewunderungswürdigen Persönlichkeit.

Nachdem sein System in seinem Geiste und – Herzen klar und vollendet vor ihm stand, hielt er und hält er noch jetzt daran fest; denn es ist eines seiner wirksamsten Mittel, eine unabänderliche Festigkeit des Verfahrens.

Nach wenigen Jahren war das valencianische Gefängniß aus einer Zwingburg trotziger, roher, fauler, unwissender Menschen eine blühende Werkstätte gesitteter, höflicher, fleißiger, wißbegieriger Arbeiter.

In der umfänglichen Anstalt findet man Werkstätten aller Art. Neben den mannichfaltigsten, wie man dem Ansehen nach glauben möchte, mit vielen Gesellen arbeitenden, gewöhnlichen Handwerken findet man eine Lithographie, Druckerei, Sammtweberei, Seidenweberei, Wagenfabrikation, Vergolderei, Eisengießerei und Anderes.

Schulstunden und reiche Gelegenheit zur Fortbildung und geistigen Unterhaltung sind in zweckmäßigster Führung vorhanden. Jährlich lernen zwischen 200 und 300 lesen und schreiben.

Montesinos darf nach dem code pénal theilweise Kostentziehung und Prügel – wodurch man sich anderwärts erzieherisches Kopfzerbrechen erspart – anwenden; er hat es aber nie gethan, weil, wie er sagt, erstere der Gesundheit nachtheilig ist und letztere entsittlichen.

Im Jahre 1836 hatte sich im spanischen Bürgerkriege Cabrera in einem Gebirge festgesetzt, wo 400 Mann aus dem valencianischen Gefängnisse am Bau einer neuen Straße beschäftigt waren. Montesinos fürchtete, daß der carlistische General Alles aufbieten werde, um sich dieser Leute für sein Heer zu bemächtigen. Er machte sich zu ihnen auf den Weg. Allein und unbewaffnet trat er plötzlich unter sie. An achtzehn hatte sich seine Besorgniß bereits bestätigt, die unter Anführung eines Aufsehers zu Cabrera gegangen waren. Die übrigen 382 folgten ihm auf unwegsamen Gebirgspfaden, um der Wachsamkeit des Carlistenführers zu entgehen, nach Valencia. Der Valencianer spricht noch mit Rührung von dem langen Zuge von „Verbrechern,“ welche man ihrem Direktor ruhig in ihr Gefängniß folgen sah.

Als man nach etwa einer Woche eines Tages früh die Thore der Anstalt öffnete, standen vor demselben – 14 von jenen Abtrünnigen, vollständig bewaffnet, aber zerlumpt und abgerissen. Sie waren mit Lebensgefahr aus Cabrera's Reihen geflohen und baten jetzt um Wiederaufnahme. Es fehlten noch 4. Drei davon kamen nach weiteren 4 Tagen und zuletzt auch der achtzehnte, der Anführer, ein alter Mann mit grauen Haaren, der mit Scham und Reue um Wiederaufnahme in die Anstalt bat.

Neben dieser Thatsache, deren man in Valencia noch manche ähnliche erzählt, bedarf es keines weiteren Beweises, daß Montesinos den Verbrecher zu heben versteht.

Seine Anstalt ist aber auch kein verschlossenes Geheimniß für die Außenwelt. Namentlich an den besuchteren Markttagen strömen schaarenweise die Landleute durch die hellen, freundlichen Räume und segnen staunend den darin waltenden Geist.

Und das Ergebniß von des edeln Montesinos Mühe? –

Anderwärts schwankt die Zahl der Rückfälligen zwischen 40 und 50.

Bei ihm zwischen 1 und 2.




Brotpreise. In England, wo ein Silbergroschen erst ein Pfennig ist, bekommt man doch für 6 Pence (5 Sgr.) [520] 3/4 Pfund mehr Weißbrot, als in den großen Städten Deutschlands. Es kommt daher, weil England den Verkehr mit Lebensmitteln ganz befreit hat und Jeder sicher ist, daß keine polizeilichen Maßregeln dazwischen fahren werden und können. Solche Maßregeln, so gut sie auch gemeint sein mögen, stören den Umsatz und können leicht den Getreide-Kaufleuten die größten Geschäfte verderben. Deshalb bringt Jeder lieber seine Waaren in solche Länder, wo keine Eingriffe zu befürchten sind. Deshalb ist in England die Fülle, und die Regierungen, die speziell für Brot und Fleisch der Unterthanen sorgen, müssen sich oft an England wenden, wo nicht ein Drittel dessen wächst, was gebraucht wird.




Türkische Soldaten. Ein Ungar, der über ein Jahr lang in der Türkei lebte und große Reisen in Soldaten-Begleitung machte, schildert das türkische Militär so: ..Es sind lustige, joviale Kerle und man kann sich keine bessern Reisegefährten denken. Jeder trägt seinen Stambul-Fez wie ein humoristischer Bursche und die blaue Quaste kommt nie zur Ruhe vor ihrer Lebhaftigkeit. Die Haupt-Uniform ist eine blaue Jacke mit weißen (oder blauen) rothstreifigen Hosen. Die Schuhe sind ihre schwächste Seite, da die Hacken fast immer ab- oder schiefgelaufen sind und an den Hacken auf- und abklappen, weil sie die Sprungriemen innerhalb derselben tragen. Strümpfe sind nicht Mode, daher guckt immer ein Theil des Fußes hervor. aber immer gut gewaschen. Ihr Lederzeug besteht aus einem Taillen- und einem Kreuzgürtel (von der Schulter nach der andern Seite herüber), die in der Regel in Leinenfutteralen stecken und nur bei großen Paraden unverhüllt glänzen. Nur die Korporale glänzen immer. Jeder Soldat hat einen weißen Mantel mit gelben Knöpfen und einen „Kapuziner,“ das Haupt damit zu bedecken. Letztere werden vom Halse über die Brust weg hinten zugebunden, so daß es recht „kindlich“ aussieht. Die Offizierröcke (Waffenröcke) sind zum Theil reich mit Gold gestickt und ihre sichelförmig gekrümmten Schwerter hacken ganz vortrefflich.“ –

Die Türkei hat gegenwärtig ein reguläres actives Heer von 138,080 Mann, eine Reserve von 38,680 Mann, 51,500 Mann irreguläre Truppen, 110,000 irreguläre Contingente, Summa 338,260 Mann. Die regulären Truppen sind gut eingeübt, an eine strenge Disciplin gewöhnt, und die Offiziere sehr unterrichtet. Die Artillerie besonders ist ganz vortrefflich.

Die Marine besteht aus dreizehn Linienschiffen und vierzehn Fregatten; dazu müssen noch eine gewisse Anzahl Corvetten, Dampfer, Briggs und Goeletten gezählt werden. Die Matrosen sind nicht sehr disciplinirt und die Erziehung der Offiziere läßt noch Manches zu wünschen; indeß muß man die Gerechtigkeit üben, zu gestehen, daß sie mit jedem Tage die befriedigendsten Fortschritte macht.

Das Einnahmebudget wechselt zwischen 650,000,000 und 750,000,000 Piastern (45 bis 52 Millionen Thalern). Die vorzüglichsten Quellen der Einnahme sind – die tithes, welche nicht eigentlich eine Abgabe sind, sondern eine Forderung, die der Staat als Grundeigenthümer an seine Pächter richtet; die vergu, nach demselben Grundsatze, wie die Einkommensteuer, die Kopfsteuer, welche ausschließlich die nicht-muselmännischen Unterthanen trifft, und deren Abschaffung sobald als möglich beantragt werden soll, da sie zu demüthigend ist; der Ertrag der Zölle, oder gumruk; und endlich die indirekten Steuern oder inticab; Patent-, Stempel-, Gebäude- und Post-Abgaben.

Das Ausgabebudget ist gegen 731,000,000 Piaster, unter 49,000,000 Thaler. Die Civilliste des Sultans ist mit 75,000,000 Piaster (4,900,000 Thaler) aufgeführt; die Armee mit 300,000,000 und die Marine 37,000,000.




Weibliche Ritterlichkeit in Amerika. Mehrere Ackerbauvereine (also Landleute des Staates Ohio haben seit 2 Jahren Preise an die besten Reiterinnen vertheilt. Am 4. und 8. Oktober hatte eine solche Gesellschaft in Shamford ihre jährliche Ausstellung, wobei sieben Preise für Reiterinnen ausgesetzt waren. Sie rangirten von 25 Dollars bis zu einem Bleistift (mit Goldfutteral) für die besten Damen zu Pferde, welche aber nicht über 21 Jahre und unbemannt sein müssen, um zum Preisreiten zugelassen zu werden. Bei uns wissen nicht einmal die Ritter mit Pferden umzugehen, und dort drüben feiern die Damen Ordensfeste für ganz reelle ritterliche Dienste zu Pferde.




Ed. Gottwald in Dresden hat unter dem Titel: „Historische Erzählungen und Bilder aus dem Leben“ zwei Bände Erzählungen veröffentlicht, die besonders für alle Freunde der sächsischen Special-Geschichte von großem Interesse sind. Mit großem Geschick versteht der Verfasser interessante Stoffe aus den Archiven zu wählen und in einem ansprechenden Gewande dem Leser vorzuführen. Auch die Bilder aus dem Leben sind sehr frisch und wahr geschrieben und empfehlen wir besonders allen Lustspieldichtern die kleine Novelle: „Rudolph,“ die sich durch trefflichen Humor und glückliche Situationen auszeichnet und, zu einem Lustspiel verarbeitet, sicher eine schlagende Wirkung haben würde.




Elektrische Harpune. Der deutsche Professor Jacobi in Petersburg hat ein Mittel erfunden, die Wallfische, die im Todeskampfe oft großen Schaden anrichteten, schnell und sicher durch einen elektrischen Schlag zu tödten, welcher durch einen ungeheuern Magnet erzeugt und durch einen Draht mit der Harpune zugleich dem getroffenen Wallfische applicirt wird.




Ein seltenes Talent an einer Kaiserin. In China gilt die Wissenschaft mehr, als in irgend einem andern Lande der Welt, ebenso die Arbeit. Ein Gelehrter, der Erklärungen zur chinesischen Bibel (Confucius) geschrieben, rühmte sich seines Bruders, der Fächer und Schirme bemalen könne. Und in einer der neuesten Proklamationen des Kaisers rühmt dieser selbst an seiner Frau, „daß sie feine, aber auch grobe Wäsche mit eigenen Händen waschen könne.“ Aus diesem Grunde empfiehlt er sich und sie dem Schutze des Volkes gegen die Rebellen.

E. K. 




Berichtigung.
Pag. 508, Zeile 23 v. o. lies „6000 Hände“ statt „6000 Hunde.“




Zur Nachricht!

Der unerwartet große Aufschwung, den unser illustrirtes Familienblatt in den letzten Wochen genommen, erlaubt uns heute die erfreuliche Mittheilung, daß die Gartenlaube vom nächsten Quartale ab in vergrößertem Formate und mit vermehrten Illustrationen erscheinen wird. Die mit jeder Woche sich mehrenden guten Beiträge erfordern eine solche Ausdehnung, mit der wir zugleich dem Beifall unserer vielen Freunde zu danken hoffen.

 Redaktion und Verlagshandlung
 der Gartenlaube.



Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.