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Die Nähterin (Gemälde der Dresdener Gallerie)

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
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Autor: Adolph Görling
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Titel: Die Nähterin
Untertitel: Von Netscher
aus: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie
Herausgeber:
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Erscheinungsdatum: 1848–1851
Verlag: Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne
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Erscheinungsort: Leipzig und Dresden
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Quelle: Scan auf Commons
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[Ξ]

The Needlewoman.     Die Näherin.

[29]
Die Nähterin.
Von Netscher.

Kaspar Netscher, einer der ausgezeichnetsten Maler des 17. Jahrhunderts, 1639 zu Heidelberg geboren und 1684 im Haag gestorben, gehört, da er in Holland unter Terbourg und Dow seine Ausbildung vollendete, der niederländischen Schule an. Er lieferte Gesellschafts- und kleinere historische Stücke und sehr viele Portraits. Netschers Gemälde stehen den Arbeiten Terbourgs, was die Zeichnung betrifft, wenigstens gleich. Hinsichtlich der Ausführung aber übertreffen sie dieselben. Seine täuschende Nachahmung der Stoffe, des Atlasses, des Sammets ist einzig, der Faltenwurf seiner Gewandung ebenso naturgetreu als gefällig. Seine anmuthigen Figuren, sein verschmolzenes, kräftiges Colorit, wenn auch eben nicht seine meist einfache Erfindung, trägt das Gepräge der Vollendung. Er benutzte gewöhnlich edlere Situationen und Scenen, als viele der damaligen niederländischen Maler zu seinen Darstellungen.

Netscher hatte, obwohl er ein bedeutendes Vermögen hinterließ, in seiner Jugend mit bitterer Armuth zu kämpfen. Sein Vater, ein Bildhauer, starb früh und der Knabe ward von einem Arzte in Arnheim, Tullekens, an Kindesstatt angenommen, welcher ihn zum Chirurg machen wollte. Seine Neigung aber zur Malerei drang durch und er ward bei einem Glasmaler in die Lehre gegeben, dem de Koster, ein Vogel- und Stillleben-Maler, als Meister des Jünglings folgte. Dann begab er sich nach dem Haag.

In seinem deutschen Gemüthe ungeachtet der Meisterstücke der dortigen Maler immer noch ein Höheres, als die Richtung der niederländischen Malerschulen ahnend und empfindend, beschloß Netscher, sich nach Italien zu begeben, um sich die idealere, das Innere des Menschen darstellende, Kunst vertraut zu machen.

Obgleich sehr arm, trat er, ungeachtet seine Freunde versuchten, ihm sein Vorhaben auszureden, etwa fünfundzwanzig Jahre alt, voll großer Hoffnungen und mit Begeisterung seine Reise an. Sie nahm jedoch ein sehr kurzes und eigenthümliches Ende, und zwar ein solches, welches geeignet war, bei den kalten, besonnenen Holländern ein Lächeln zu erregen. Netscher kam nur bis Bordeaux und kehrte hier glücklich um. Als er wieder im Haag erschien, gab Gerard Dow gutmüthig [30] ein Witzwort zum Besten, welches Kaspar Netscher bis an seinen Tod als die schrecklichste Beleidigung ansah, während seine schöne Frau jedesmal selig lächelte, so oft auf dies Thema hingedeutet wurde.

Das Schlagwort hieß aber: Kaspar ist in Italien gewesen! Und was mehr sagen will, er hat sein ganzes Italien nach Holland mitgebracht.

Wir theilen hier die Geschichte mit, welcher dieses Wort seine Entstehung verdankte. Sie steht zugleich in nächster Beziehung zu Netschers Bilde, die Nähterin, ein Gemälde, von welchem sich Netscher lange Zeit nicht trennen mochte und welches heute der königlichen Gemäldegallerie zu Dresden angehört.

Etwa fünfundzwanzig Jahre alt, kam Kaspar Netscher an einem sehr kühlen Herbstabende durch das Seethor des alten Bordeaux und durchschnitt, durchaus rathlos, die gewundenen finstern Straßen. Mancher der Franzmänner, manches der schönen Mädchen blickte den fremdgekleideten jungen Mann mit nicht geringem Interesse an, denn der Maler war hoch und stolz gewachsen, hatte ein sanftes, echtes Künstlergesicht, langes, prachtvolles, blondes Haar und einen weichen, krausen, spanischen Bart. Ein mächtiger mit Federn geschmückter Krämpenhut bedeckte seinen Kopf; ein niederländisches Wamms mit rothen, seidnen Puffen und weiten Pluderhosen hoben noch die Stattlichkeit seines Wuchses. Uebrigens waren diese Kleider, wie man selbst in der Dämmerung des Abends sah, sehr abgetragen und der Aufzug des jungen Mannes ließ vermuthen, daß er in dem Ranzen, welchen er auf dem Rücken trug, seine ganze fahrende Habe barg. Dennoch wäre es nach dem trotzigen Blicke des Wanderers nicht gerathen gewesen, ihn mit einem Lächeln zu betrachten; und was diesem herausfordernden Blicke einen besondern Nachdruck gab, das war ein quer über das Ränzchen geschnallter Raufdegen zu Hieb und Stich mit schön verzierter Lederscheide und mit einem kunstvoll gearbeiteten, vergoldeten Handkorbe.

Kaspar Netscher kam aus den Niederlanden, um sich nach Rom zu begeben. Aber seine bei seinem Ausmarsche vom Haag nur leichtbeschwerte Geldbörse war schon drei Tagemärsche vor Bordeaux bis auf den letzten Sol geleert. Ermüdet, hungrig, einsam wie ein Schiffbrüchiger auf dem Meere, ohne Hoffnung ein bekanntes Menschengesicht zu erblicken, welchem er seine Noth hätte klagen können, marschirte der arme Maler durch die Straßen, um eine Herberge aufzufinden. Schon an verschiedenen Thüren hatte er angepocht, den Wirth herausgerufen und ihn gefragt:

– Beherbergt Ihr hier einen fahrenden Künstler, wenn er Euch oder einen von Euren Angehörigen nach der Kunst abconterfeit?

Dieu m’en préserve! war die Antwort gewesen.

Netscher verließ, das Haupt immer tiefer und betrübter senkend, die breiten Hauptstraßen, um ärmere und barmherzigere Schenkwirthe aufzusuchen. In einem dieser Gäßchen waren die Thüren eines Gasthauses weit geöffnet. Es war helles Licht in den Zimmern, heitere, lärmende Gesellschaften von Seeleuten trieben da ihr Wesen und einladend stand ein dicker Mann mit weißer Schürze, sehr selbstgefällig lächelnd, in der Thür unter der großen Laterne und rief, wenn etwa ein Zug taumelnder Matrosen die Straße passirte, mit der einschmeichelndsten Stimme von der Welt die Leute an, um an den Freuden seines Paradieses Theil zu nehmen.

– Wir haben kein Geld mehr! erwiderten drei Seemänner, welche dicht vor Kaspar Netscher gingen, den Anruf des Gastgebers. Wir sind rein ausgepocht, haben auch keinen Durst mehr, und da sind wir, Sang de Dieu! heute Abend für Dich wettermäßig überflüssige Maate. [31] – Schämt Euch! rief der Wirth, mit beiden Händen winkend. Seit wann ist Papa Bonnet dafür bekannt, daß er einem ehrlichen Seehunde keinen Korb Rothwein mehr creditirt, wenn er sein letztes Pulver verschossen hat? Immer herein! Trinkt, Burschen, trinkt – das Uebrige wird sich dann auch wohl finden!

Die Matrosen legten um und segelten glücklich in den Hafen zur weißen Taube ein. Netscher aber glaubte in der quäkenden Stimme des Wirthes mindestens diejenige eines Engels zu hören. Rasch trat er an den Dicken heran und wiederholte seine Frage. Der Wirth war durchaus nicht gefügig, eben wie die Andern; er sagte aber auch nicht: Nein!

Papa Bonnet musterte den Maler von oben bis unten und nahm hiernach eine sehr zufriedene Miene an.

– Schade, daß Ihr kein Kriegsmann seid! murmelte er, und mit dem Degen da zu spielen wißt, den Ihr ohne Zweifel zum Staat traget. Ich behielte Euch doppelt so gern . . . Doch mag’s drum sein! Mögt ihr mich nun malen oder nicht, so werde ich Euren Durst in meinem Keller nicht eben zu sehr spüren. Tretet näher, Herr Maler, und erquickt Euch und laßt’s Euch wohl sein aus Herzensgrund.

Netscher drückte dem Braven die Hand, ging in die Gaststube und warf Ranzen und Hut neben sich. Bonnet ließ auftischen, Weinflaschen paradirten neben seinem Abendessen, und bald saß Bonnet neben ihm und hatte den aus den Niederlanden Kommenden in ein gelegentliches Gespräch verflochten, an welchem bald ein ganzer Kreis von Seeleuten Theil nahm. Netscher mußte Neuigkeiten aus Holland erzählen. Hierbei bildete sich eine kleine Spielgesellschaft, die sich gegen Mitternacht allmälig in eine Zechgenossenschaft bester Qualität verwandelte.

Kaspar wachte am andern Tage mit einer sehr unangenehmen Empfindung auf. Erst jetzt kam ihm die Idee, daß ihm die Erinnerung an das Ende jenes Gelages fehlte; er versuchte, sich zu orientiren, wo er sich befinde, und seine höchst unbequeme Lage zu verbessern. Vergebens! Er war mit beiden Händen dicht an die Mauer gebunden und lag auf Steinen, die dürftig mit Stroh bedeckt waren. Sein Gemach war stockfinster. Hoch oben war eine kleine Luftklappe, durch deren Risse sich schmale, blendendhelle Sonnenstrahlen drängten. Bald merkte der Maler, daß er sich nicht allein befinde. Als sich sein Auge an die Dunkelheit gewöhnt hatte, unterschied er mehre elend aussehende Gestalten, von denen er bald einen erschreckenden Aufschluß über sein Schicksal empfing. Er war in die Hände eines Seelenverkäufers gerathen, eben eines solchen Unholdes, deren Treiben in Rotterdam und Amsterdam er am vorigen Abende der Gesellschaft so getreulich beschrieben hatte.

Von jetzt an begannen acht lange Leidenstage für den Deutschen, den der Wirth und ein königlich französischer Seeoffizier mit Gewalt dazu zwingen wollten, eine Bescheinigung zu unterzeichnen, welche ihn, Netscher, zum Militairdienste in den Colonien verpflichtete. Der Maler widerstand lange; am Ende thaten Hunger und körperliche Züchtigungen das Ihrige: Netscher, müde bis in den Tod, willigte in Alles und unterschrieb. Jetzt ward er besser gehalten und man kündigte ihm an, daß er in den nächsten Tagen zur See gehen werde. Die Verzweiflung des Künstlers ist nicht zu beschreiben. Es war, als werde er zum Richtplatze geführt, als man ihn gegen Abend seiner Fesseln vollständig entledigte, um ihn aus dem Hause hinaus und zur See [32] zu bringen. Sein Muth ward plötzlich wieder lebendig, als er draußen vor der Thür ein Commando Soldaten erblickte, welche ihn escortiren sollten. Er riß sich los, lief durch den Gasthof in die Binnenhöfe und rannte aufs Geradewohl eine Treppe hinan, bis er vor einen verschlossenen Boden kam, so daß ihm, da er seine Verfolger hörte, keine Wahl blieb, als aus einem Fenster hinaus auf das Dach zu klettern. Hier hoch in Gottes freier Luft, zwischen Schornsteinen aller Art, sprang und voltigirte der unglückliche Künstler gleich einem Gaukler oder einer Gemse von einem Dache auf das andere, so daß er, als er endlich sich umzusehen und Athem zu schöpfen wagte, das Dach des Wirthshauses zur weißen Taube mit der ungeheuren Wetterfahne drauf nicht mehr aufzufinden vermochte. Aber hier wie eine Katze konnte er doch nicht auf den Dächern die Nacht zubringen.

Er erblickte fern ein helles Fensterchen, und eine weibliche Gestalt in dem Stübchen und beschloß, das Mitleid derselben anzuflehen. Als Netscher vor das Fenster kam, blieb er, ungeachtet seiner schrecklichen Lage, gefesselt und entzückt unbeweglich sitzen.

Sein Künstlerauge ward durch den Anblick einer Nähterin zauberisch berührt. Sie war ein junges Mädchen in vollster Blüthe der Schönheit und Gesundheit, mit einem Engelsgesichte, welche, ganz allein sitzend, ihre Feuer-Kieke vor sich, den größten Nähkorb mit der Scheere drauf neben sich, ämsig nähte. Das Mädchen war einfach, aber geschmackvoll gekleidet und hielt ein schönes Atlas-Nähkissen auf den Knien, von welchem sich ihre halb entblößten Arme schön abhoben.

Netscher zauderte nicht länger und pochte ans Fenster. Die Schöne, obwohl erschrocken, war muthiger als er glaubte; sie kam und öffnete. Jetzt brachte der Maler seine Bitte um Schutz an. Fanchonette sagte ihm denselben mit Thränen zu und half ihm beim Einsteigen in ihr jungfräuliches Gemach. Hier wurde der Maler gewahr, daß die ganzen Häuser an den Straßen in der Nachbarschaft des Wirthshauses nach einem Deserteur, einem Soldaten des Königs, durchsucht waren. Dennoch beharrte Fanchonette bei ihrem Entschlusse, den schönen, jungen Mann seiner Kunst und einem glücklichen Leben zu retten.

Das schöne Mädchen, jeden Augenblick mehr von dem Flüchtlinge angezogen, gestand, daß sie, eine Dienerin eines der ersten Edelleute von Bordeaux, eines Hauptmanns von den Musketenschützen, gar keinen Ausweg wisse, ihn zu verbergen, als dadurch, daß sie ihn auf ihrem Zimmer behalte. Dies geschah wirklich; der Maler, um sich den Blicken der jede Minute bei Fanchonetten kommenden und gehenden Mägde und sonstigen Dienerinnen zu verbergen, mußte sich bequemen, drei Tage lang unter dem Bette der Französin zuzubringen, von welcher schrecklichen Lage er nur erst spät Abends befreit werden konnte.

Inzwischen war Fanchonette zu dem Consul, dem Handelsbevollmächtigten Hollands, gelaufen. Die Behörden nahmen sich des Malers an und riethen, die Niederländer nicht durch einen Gewaltstreich gegen einen ihrer nicht unbedeutenden Landsleute zu erbittern, und endlich gelang’s: der Gouverneur von Bordeaux erklärte den Maler für frei und ledig, erlaubte ihm sogar, sich, so lange er wolle, in dieser Stadt zu verweilen und jederzeit seines Schutzes gewärtig zu sein.

Drei Wochen später verheirathete sich Kaspar Netscher zu Bordeaux mit seiner Retterin. [33] Jetzt mußte er auf seinen und seiner Gattin Unterhalt denken und eine Reise nach Italien war vorläufig unmöglich. Netscher kam nie dorthin.

Wie schon gesagt, kehrte er bald mit seiner Frau nach dem Haag zurück, wo er seine eigentliche Wirksamkeit erst eröffnete. Von jetzt an hieß es: Kaspar Netscher ist in Italien gewesen!