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Die deutschen Revuen

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Textdaten
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Autor: Ludwig Salomon
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Titel: Die deutschen Revuen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 25, S. 413–416
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1882
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Die deutschen Revuen.

Ein Beitrag zur Geschichte des deutschen Zeitungswesens.
Von Ludwig Salomon.

Wer heute einmal einen wenn auch noch so flüchtigen Blick auf die deutschen Zeitungen und Zeitschriften wirft, die alltäglich durch Post und Buchhandel versendet werden, der erstaunt unwillkürlich über die Unmasse von Blättern, mit denen fort und fort das Publicum überschüttet wird; sein Erstaunen wird aber noch wachsen, wenn er sich dabei vergegenwärtigt, wie jung diese gesammte deutsche Zeitungsliteratur noch ist und in wie kurzer Zeit sie sich zu dieser Ueppigkeit entfaltet hat. Erst seit dem Beginn dieses Jahrhunderts erscheinen deutsche politische Zeitungen von einiger Bedeutung; erst seit dem Anfange der vierziger Jahre tauchten nach und nach alle die verschiedenen illustrirten Blätter auf, die jetzt so mannigfache Bildung in alle Schichten des Volkes tragen, und erst mit dem Ende der fünfziger Jahre erscheinen die sogenannten Revuen, jene Zeitschriften, welche die höchsten Ziele verfolgen, die da bestrebt sind, der Ausdruck der gesammten geistigen Bewegung zu sein. Doch gingen diesen bereits verschiedene Zeitschriften voraus, die als die Vorläufer der Revuen bezeichnet werden können. Es sind dies hauptsächlich das Cotta’sche „Morgenblatt“, die „Europa“, die „Hallischen“, später „Deutschen Jahrbücher“ und die „Grenzboten“. – Das Cotta’sche „Morgenblatt war, wenn man so sagen darf, das warmherzigste Blatt seiner Zeit. Die schwäbischen Poeten standen sämmtlich in den innigsten Beziehungen zu ihm; verschiedene unter ihnen, wie Gustav Schwab, Gustav Pfizer und Hermann Hauff, der Bruder Wilhelm Hauff’s, waren viele Jahre Redacteure desselben, und die übrigen, besonders Hermann Kurz, Friedrich Notter, Ludwig Seeger, J. G. Fischer und Ottilie Wildermuth, lieferten dem Blatte zahlreiche Beiträge. Von den sonstigen deutschen Dichtern zählten besonders Freiligrath, Gottfried Kinkel, der Sänger der Griechenlieder Wilhelm Müller und die Oesterreicher Lenau und Anastasius Grün zu den Mitarbeitern des „Morgenblattes“. Hervorgegangen war dasselbe aus sehr kleinen Verhältnissen. Seit dem Jahre 1800 erschienen bei dem intelligenten Verleger unserer Classiker, J. F. Cotta in Stuttgart, „Englische Miscellen“, sodann von 1803 ab „Miscellen aus Frankreich“ und nach 1804 „Italienische Miscellen“; dieselben kamen in monatlichen Heften heraus und suchten eine Revue der gelehrten, literarischen, artistischen und mercantilischen Bestrebungen und Fortschritte Englands, Frankreichs und Italiens zu bieten, fanden aber beim großen Publicum wenig Beachtung, sodaß Cotta 1807 die drei Unternehmen in eines verschmolz, diesem einen allgemeineren Charakter gab und es „Morgenblatt“ nannte. Später fügte er demselben noch ein „Kunst-“ und ein „Literaturblatt“ bei, welches letztere von 1820 an viele Jahrzehnte hindurch der bekannte geistreiche, aber einseitige und leidenschaftliche Wolfgang Menzel redigirte. Bis zum 1. Juni 1851 erschien das „Morgenblatt“ täglich in Nummern, vom 1. Juli jenes Jahres ab wöchentlich in Heften, bis es 1865 aus Mangel an Theilnahme einging. Unter allen seinen Redacteuren war das „Morgenblatt“ ein geistig vornehmes und immer maßvolles Journal; nur das „Literaturblatt“ lärmte und zeterte bisweilen. Während Schwab, Pfizer, Hauff sich möglichster Objectivität beflissen, stellte sich Menzel mehr und mehr auf die Seite der Romantiker und trat in Folge dessen besonders dem „Jungen Deutschland“, vornehmlich Gutzkow, feindlich gegenüber. Seine Blüthezeit erlebte das „Morgenblatt“ in den zwanziger, dreißiger und vierziger Jahren, in welcher Zeit es von allen Gebildeten Deutschlands gelesen wurde – nebenbei bemerkt, auch von der Mutter des Fürsten Bismarck, welcher der jugendliche Otto wiederholt lange Aufsätze und Kritiken daraus vorlesen mußte, nicht gerade zu seinem Ergötzen, wie er später einmal gegen Menzel bemerkte.

Ein ganz anderer Geist wehte in der Wochenschrift „Europa“; hier tummelte sich das „Junge Deutschland“. Statt der schlichten Herzensäußerungen der schwäbischen Dichter gab es hier politische Programme, heftige Raisonnements, Kampf- und Streitreden, statt der sorgfältig ausgeschliffenen, wohllautenden, ruhigen Sprache eines Hauff und Schwab ertönte hier der derbe Kriegston, der beißende Witz und die Malice. Bei Allem, was geboten und beurtheilt wurde, war die Gesinnung die Hauptsache; erst wenn man den Tendenzwerth einer Dichtung erörtert hatte, kam man auf den Kunstwerth derselben zu sprechen. Die nationale Sache, die „Rettung der Gesellschaft“ war eben einzig und allein das Thema, das alle diese jungen Stürmer erfüllte und vor dem alles Andere bei Seite geschoben wurde. Gegründet wurde die „Europa“ von dem abenteuerlichen August Lewald 1835 zu Stuttgart; doch erhielt sie erst ihre Bedeutung, als sie 1846 Gustav Kühne, einer der Hauptvertreter des „Jungen Deutschland“, käuflich erwarb und nun in Leipzig, dem damaligen Sammelpunkte aller aufstrebenden jüngern Geister, herausgab. Um Kühne schaarte sich schnell eine große Anzahl sehr tüchtiger Mitarbeiter, so Berthold Auerbach, Theodor Mundt, Heinrich König, Robert Blum, Karl Beck, Moritz Hartmann, Johannes Nordmann, Joseph Rank, und so war es ganz natürlich, daß die „Europa“ überall, wo man sich den neuen Ideen zuwendete, wo man für die vollständige Freiheit des Individuums, die Emancipation der Frauen, das deutsche Parlament schwärmte, gehalten und eifrig gelesen wurde. Allein als der beklagenswerthe Mißerfolg von 1848 hereinbrach, sich eine bleierne Reaktion auf alle deutschen Länder legte und der Mitarbeiterkreis der „Europa“ [414] aus einander stob, da schwand auch die Zahl der Abonnenten schnell dahin, und Kühne legte zu Anfang 1859 mißmuthig die Feder nieder. Hierauf ging sie im Jahre 1865 in den Verlag von Ernst Keil über. Nach Kühne leitete die Redaction Friedrich Steger, der den Charakter des Blattes dem Zeitgeschmacke entsprechend umgestaltete; seit seinem Ende December 1874 erfolgten Tode übernahm der bekannte Romanschriftsteller Hermann Kleinsteuber die Redaction, welche er noch heute mit Geschick und Umsicht führt.

Eine ähnliche Tendenz verfolgten Arnold Ruge’s „Jahrbücher“. Als Ruge dieselben herauszugeben begann, trug er bereits eine breite Narbe; er hatte wegen „staatsgefährlicher burschenschaftlicher Bestrebungen“ schon eine sechsjährige Festungshaft hinter sich und wäre gewiß auch noch weiter hinter Schloß und Riegel belassen worden, hätten nicht 1830, als die Julirevolution ihre Leuchtkugeln auch nach Deutschland hinüberwarf, die Machthaber hier plötzlich einen bangen Schrecken bekommen und die straff gezogenen Zügel etwas gelockert. Ruge wurde wieder in Freiheit gesetzt; er erhielt eine Stelle als Gymnasiallehrer in Halle, habilitirte sich an der dortigen Universität, ward Mitarbeiter verschiedener Zeitungen und entwickelte bald eine hoffnungsfreudige, rege Thätigkeit. Allein seine gute Stimmung sollte ihm bald wieder mehr und mehr getrübt werden; vor das Morgenroth der neuen Freiheit traten bald wieder tiefdunkle Wolken; auf den kurzen Freiheitsrausch folgte ein um so empfindlicherer Katzenjammer, und die Reaction schwang ihre Faust wieder brutaler denn je.

Ruge beobachtete diese Wandlung mit bitterem Grimme, doch er ließ sich nicht entmuthigen; es war ja nicht möglich, daß der nationale Gedanke, der jetzt aller Patrioten Herz bewegte, wieder ausgerottet werden konnte; ja, der tapfere Kämpfer wurde durch die allgemeine Misère zu noch energischerer Thätigkeit angeregt, und schließlich erwuchs in ihm der Plan, die Ideen der neuen Zeit in einer eigenen Zeitschrift fort und fort zu verbreiten und zu pflegen. Er gewann für diesen Plan seinen Freund Theodor Echtermeyer, der sich ebenfalls als Privatdocent in Halle niedergelassen hatte, ferner den Verlagsbuchhändler Otto Wigand in Leipzig und sodann einen großen Kreis von Mitarbeitern, unter denen sich die bedeutendsten Männer der damaligen literarischen Welt befanden, so J. G. Droysen, Franz Kugler, Jacob Grimm, Karl Rosenkranz, Adolf Stahr, Reinhold Köstlin, David Friedrich Strauß, Friedrich Vischer, Ludwig Feuerbach, Daniel Schenkel und viele Andere.

Mit diesem glänzenden Stabe ausgerüstet, traten die „Hallischen Jahrbücher für deutsche Wissenschaft und Kunst“ am 1. Januar 1838 in die Oeffentlichkeit, zunächst jedoch noch mit größter Vorsicht. In der ersten Nummer boten sie nur einen Bericht über die Universität Halle und eine allerdings im höchsten Grade geistreiche und anmuthige, von David Friedrich Strauß geschriebene Charakteristik des gemüthvollen Poeten und wunderlichen Geistersehers Justinus Kerner zu Weinsberg, bald aber wagten sie sich kecker hervor, und nach kurzer Zeit lagen die Grundsätze, von denen das junge Unternehmen getragen wurde, klar vor Aller Augen: es galt nichts Geringeres, als die Schöpfung eines ganz neuen „Mittelpunktes der Anziehung aller noch wirklich treibenden und lebendigen Säfte der Zeit“.

Natürlich standen, wie alle geistreichen Köpfe damals, so auch die Herausgeber unter dem Banne Hegel’s, und die Hegel’sche Philosophie war denn auch die breite Basis, auf der sie sich bewegten.

Der Enthusiasmus, mit dem die „Jahrbücher“ ihr Programm vertraten, erweckte in ganz Deutschland den lebhaftesten Widerhall, und als sie sodann auch in schneller Folge eine ganze Reihe im höchsten Grade gediegener, oft mit feiner, prickelnder Ironie und selbst mit schalkhaftem Humor durchsetzter Essays brachten, fanden sie schnell die weiteste Verbreitung. Unter den philosophischen Artikeln erregten besonderes Aufsehen: „Protestantismus und Romantik“, „Der Pietismus und die Jesuiten“, „Rotteck und der Erzbischof von Köln“ und andere; von den kritisch-biographischen Abhandlangen: die von Friedrich Vischer über David Strauß und Eduard Mörike, die von Karl Rosenkranz über Ludwig Tieck und die romantische Schule, die von Arnold Ruge über Ferdinand Freiligrath, Heinrich Heine und Andere.

Allgemeines Entsetzen in den betreffenden Kreisen rief dagegen eine Anzahl von Aufsätzen hervor, welche alle bedeutenderen deutschen Universitäten charakterisirte. Sämmtliche Schäden wurden rücksichtslos beleuchtet und der alte von so Vielen ängstlich gehütete gelehrte Dunst und Nimbus mit vollen Backen bei Seite geblasen. Das größte Gaudium aber erregten sehr bald die sogenannten „Hinrichtungen“, in denen kleine Schreier, aufgeblasene Wichtigthuer, Reactionäre und sonstige wunderliche oder curiose Gesellen abgethan wurden, wie Gustav Bacherer, ein damals vielgelesener Belletrist und Publicist, der Zurückdränger Heinrich Leo, der lüderliche Gentz, der pietistische Tholuck, der in seinen akademischen Predigten von dem „Eiweiß der Gottesliebe“ und von „Gottes Mutterkräften“ sprach, der nur in Participial-Constructionen sich bewegende König Ludwig der Erste von Baiern und Andere. Durch diese Kampfweise eroberten sich die „Jahrbücher“ rasch ein großes Terrain; sie wurden schnell eine Macht, und in Folge dessen hielt es die preußische Regierung alsbald für gerathen, den Stürmern einen Hemmschuh anzulegen. Sie ließ dem Dr. Ruge durch Cabinetsordre bekannt geben, daß er die mit sächsischer Censur erscheinenden „Hallischen Jahrbücher“ hinfüro unter preußischer Censur müsse erscheinen lassen, oder er habe sich schon in nächster Zeit eines Verbotes der Zeitschrift in preußischen Landen zu gewärtigen.

Auf dieses Ansinnen einzugehen, verspürte Ruge jedoch keine Lust; er verließ Preußen, siedelte nach Dresden über und gab nun die Zeitschrift unter dem Titel „Deutsche Jahrbücher“ heraus. Allein das Verhängniß war jetzt doch nicht mehr abzuwenden; die Acht war einmal über die Zeitschrift ausgesprochen, und die sächsische Regierung ergriff gern die erste beste Gelegenheit, sich der preußischen Regierung gefällig zu erweisen – die „Jahrbücher“ wurden Ende 1842 einfach verboten. Damit beraubte man Deutschland seiner bedeutendsten Zeitschrift, aber das ging ja nicht anders; wie konnte man eine Fackel dulden, die blendend hell in alle moderigen Winkel leuchtete, wie durfte man eine Stimme länger sprechen lassen, die sogar Propaganda für ein einiges Deutschland machte! Soviel über die Ruge’schen „Jahrbücher“!

Nur den Interessen einer engeren Heimath, den specifisch österreichischen, diente der jüngste Vorläufer der deutschen Revuen, die „Grenzboten“. In Oesterreich sah es in den zwanziger, dreißiger und vierziger Jahren noch weit trauriger aus, als im übrigen Deutschland; dort hielt Metternich mit eiserner Hand jedwede, auch die bescheidenste, freiheitliche Regung darnieder; in der großen Residenzstadt Wien durften nur zwei politische Zeitungen erscheinen, die „Oesterreichisch-Kaiserlich privilegirte Wiener Zeitung“ und der „Oesterreichische Beobachter“, die der Fürst selbst tagtäglich controllirte und corrigirte; alle ausländischen Blätter waren streng verboten; es war nicht einmal erlaubt, politische Correspondenzen aus Oesterreich an ausländische Blätter zu senden, ja es war den österreichischen Schriftstellern sogar untersagt, ihre Schriften außerhalb Oesterreichs, also ohne österreichische Censur, erscheinen zu lassen, und mit Recht durfte daher Anastasius Grün klagen: „Ach, es will der Freiheit Blume hier zu Lande nicht gedeihen.“ Eine große Menge talentvoller Männer, die den schweren Druck nicht ertragen konnten und mochten, wanderten daher aus, unter Anderen auch ein junger warmblütiger Böhme, Ignaz Kuranda. Er ging zunächst nach Stuttgart und dann nach Brüssel, wo er so viel Interesse für deutsche Cultur und Literatur fand, daß er es wagte, mitten in der französisch sprechenden Stadt eine politische Wochenschrift in deutscher Sprache zu gründen, der er den Namen „Grenzboten“ gab und deren erste Nummer am 1. October 1841 erschien.

Auf die Länge der Zeit war aber Brüssel doch nicht der richtige Platz für eine deutsche Wochenschrift, und so siedelte Kuranda denn schon bald mit ihr nach Leipzig über, wo sich damals viele ausgewanderte junge Oesterreicher aufhielten, die nun sofort eifrige Mitarbeiter der patriotischen Wochenschrift wurden. In Folge dessen erhielten die „Grenzboten“ rasch eine große Bedeutung für Oesterreich und wurden bald das Hauptorgan der liberalen Partei in Wien. Selbstverständlich war die Zeitschrift in Oesterreich verboten, allein es wurden dennoch Mittel und Wege ersonnen, um die grünen Hefte über die schwarz-gelben Grenzpfähle in das Reich Metternich’s zu schmuggeln, wo sie dann von Hand zu Hand gingen und überall informirten, klärten und leiteten. Der Ton, welcher in ihnen herrschte, war stets ein gemessener, selbst vornehmer; nur die Gedichte eines Alfred Meißner, Moritz Hartmann und Joseph Rank schäumten von jugendlicher Begeisterung. Mit dem Ausbruche der Revolution hatten indessen die „Grenzboten“ [415] im Großen und Ganzen ihre Mission erfüllt; Kuranda verkaufte sie daher an Gustav Freytag und eilte nach Wien, um sich dort der Bewegung anzuschließen.

Der neue Besitzer streifte ihnen den specifisch österreichischen Charakter ab, zog das gesammte Culturleben in den Kreis ihrer Besprechungen und schlug dabei einen gemäßigt liberalen Ton an. Im Jahre 1870 überließ er in Folge eines Conflictes mit dem Verleger Grunow diesem die Zeitschrift und gründete „Im neuen Reich“, das aber bereits 1881 wieder einging. Die „Grenzboten“ machten unterdessen verschiedene Wandelungen durch und sind schließlich ein Blatt mit conservativen Tendenzen geworden, das nun – was den alten Freunden der grünen Hefte wunderlich genug vorkommt – mit seinem Kometenmann und dessen Genossen allwöchentlich kecklich den Liberalen die Leviten liest.

Die neue Zeit, welche nach den Stürmen von 1848 anbrach, machte sich also auch in der Journalliteratur geltend; sie nahm den alten Zeitschriften, sofern sie überhaupt noch erschienen, ihre Bedeutung und erzeugte damit das Bedürfniß nach neuen, die dem neuen Geschmacke, dem neuen Denken und Empfinden besser zu entsprechen vermöchten.

Im großen Publicum machte sich nach den Aufregungen der Revolution der allgemeine Wunsch nach Ruhe geltend; man hatte den Tumult und das Kampfgeschrei herzlich satt und grollte sogar den Freiheitskämpen und Freiheitssängern, weil sie es offenbar gewesen seien, die mit ihrem „abgeschmackten Idealismus“, ihrer „Schönrednerei“ und ihren „Träumen von Deutschlands Einigkeit und Herrlichkeit“ nun dieses Fiasco herbeigeführt hätten. Es bildete sich die Ansicht heraus, daß man sich vor allem vor unklarer politischer Schwärmerei hüten müsse; vor den idealen Interessen seien zunächst die materiellen zu fördern; nur wohlhabende Völker, wie dies das Beispiel Englands zeige, verstünden auch wirklich frei zu sein. Darum sei vorwiegend den Naturwissenschaften, der Industrie, dem Handel, der Landwirthschaft, dem Verkehrswesen das allgemeine Interesse zuzuwenden, und die Dichtung habe nur die Mission, nach der Arbeit angenehm zu unterhalten.

Diesen neuen Ansichten und Anschauungen trug zuerst im ganzen Umfange der unternehmungslustige und intelligente Verleger George Westermann in Braunschweig Rechnung, indem er 1856 „Westermann’s Monatshefte“ in’s Leben rief. Als Vorbild dienten ihm dabei die englischen Monatsschriften und ganz besonders das amerikanische Journal „Harper’s Monthly“. Die Redaction vertraute er dem umsichtigen Adolf Glaser an, der sie sodann bis in die neueste Zeit hinein führte. Der Ton, den die „Monatshefte“ anschlugen, war ein ruhiger und schlichter. Das Gebiet der Politik wurde vollständig vermieden, dagegen wurden die Naturwissenschaften, Ethnographie, Kunst- und Culturgeschichte mit besonderer Vorliebe gepflegt; gediegene naturwissenschaftliche Artikel lieferten Schleiden, Schödler, Karl Vogt, J. H. Mädler, geschmackvolle kunstgeschichtliche Lübke, Hermann Grimm, Carrière, Riegel, interessante culturgeschichtliche Falke, Riehl, Lessing und Andere. Den meisten dieser Aufsätze waren Illustrationen beigegeben, die theils zur Erläuterung des Textes, theils als Schmuck dienten. Belletristische Beiträge brachten die „Monatshefte“ von Theodor Mügge, Otto Roquette, W. H. Riehl, Karl Frenzel, Franz Lewald, Wilhelm Raabe, später von Heyse, Storm, Schücking und Andern. Alles Tendenziöse wurde darin vermieden; man wollte nur unterhalten und anregen. Die Hefte fanden sofort bei ihrem Erscheinen allgemeine Beachtung, erwarben sich schon im ersten Jahre 5000 Abonnenten und brachten es nach und nach auf 15,000. Heute werden sie von Friedrich Spielhagen herausgegeben und von Gustav Karpeles redigirt; sie behaupten unter dieser tüchtigen Führung nach wie vor ihre alte Bedeutung und Höhe.

Ein kräftigerer Pulsschlag, als in den „Monatsheften“, regte sich alsbald in der Revue „Unsere Zeit“, die 1857 in Leipzig im Verlage von F. A. Brockhaus in’s Leben trat. Sie wurde an Stelle der „Gegenwart“, einer Art Fortsetzung des Brockhaus’schen Conversationslexicons, gegründet und trug auch selbst noch längere Zeit die Zeichen ihrer Abstammung klar an der Stirn, bis 1865 Rudolf von Gottschall die Redaction übernahm und sie von Grund aus umgestaltete. In der Ausstattung blieb sie freilich weit hinter den Westermann’schen Heften zurück; sie erschien auf ganz gewöhnlichem Druckpapier und brachte auch keine Illustrationen, aber sie trat kräftiger auf, zeigte eine entschieden liberale Gesinnung und zögerte auch nicht, einmal, wenn es ihr nöthig erschien, die ihr gesteckten Grenzen zu überschreiten. Außerdem wußte sie sich einen besonderen Reiz durch die knappen Uebersichten über die neuesten Ereignisse auf dem Gebiete der Politik, der Literatur, des Theaters, der Musik und der Länder- und Völkerkunde zu geben, die sie in jedem Hefte bot. Mit Vorliebe pflegte sie, und pflegt auch noch heute, den biographischen Essay.

Bis zum Jahre 1880 erschien die Zeitschrift zweimal im Monate, jetzt einmal, jedoch nun doppelt so stark wie früher, und außerdem bereichert durch eine Novelle. Von den Mitarbeitern sind neben dem Heransgeber Rudolf von Gottschall besonders zu nennen, für Länder- und Völkerkunde: Adolf Bastian, Hermann Vámbéry und Gerhard Rohlfs, für Literatur und Cultur: Friedrich Althaus, Feodor Wehl, Alexander Jung, Robert Waldmüller und Wilhelm Lauser, für Archäologie und Kunst: Alfred Woltmann, Ernst Curtius und Max Schasler, für Völkergeschichte: Karl Biedermann, Wilhelm Müller und Hermann Reuchlin, für Naturwissenschaften: Karl Ruß, M. J. Schleiden und W. Wundt und für Land- und Volkswirthschaft: A. Fraas und Wilhelm Hamm.

Neben „Unsere Zeit“ stellte sich bereits 1867 eine neue Revue unter dem Titel „Der Salon“. Zeigte „Unsere Zeit“ einen vorwiegend wissenschaftlichen Charakter, so präsentirte sich der „Salon“ in erster Linie als ein geistreicher Plauderer, der sich bestrebte, die elegante Welt über alles Neue, Alles, was die allgemeine Aufmerksamkeit erregte, au fait zu erhalten. Jedes Monatsheft sollte die Signatur des Monats tragen, aus welchem es hervorgegangen, seine Eigenthümlichkeiten beleuchten, seine wichtigen Momente hervorheben, seine Thorheiten geißeln, sich dabei aber doch, wie der echte feine Mann der Gesellschaft, von den Fragen der specifischen Politik und der religiösen Debatte fernhalten. Als Verleger zeichnete A. H. Payne in Leipzig, als Redacteure nannten sich Ernst Dohm und Julius Rodenberg. In der Hauptsache ist sodann der „Salon“ diesem Programme auch treu geblieben, nur daß später, als Dohm und Rodenberg von der Redaction zurückgetreten waren und Franz Hirsch dieselbe 1874 übernommen hatte, sich ein mehr jovialer Ton geltend machte und auch der politischen und literarischen Satire das Wort ertheilt wurde. Neuerdings öffnete der „Salon“ auch der modernen Philosophie seine Pforten und brachte geistreiche Abhandlungen über das Kunstideal der Menschheit, über Mitgefühl und Liebe, über das Erwachen des religiösen Bewußtseins etc. von dem bekannten Verfasser der „Philosophie des Unbewußten“ Eduard von Hartmann.

In ihre neueste Phase trat die deutsche Journalliteratur nach dem Kriege von 1870. Durch die Gründung des neuen deutschen Reiches hatte das geistige Leben einen intensiven Brennpunkt in der Reichshauptstadt Berlin erhalten, und so erstanden denn auch dort alsbald rasch nach einander nicht weniger denn drei Revuen großen Stils, die „Deutsche Rundschau“, „Nord und Süd“ und die „Deutsche Revue“.

Zuerst erschien die „Deutsche Rundschau“ auf dem Plane im Herbste 1874. Sie legte den Schwerpunkt auf den nationalen Charakter.

„Wir erachten es für nothwendig,“ hieß es in dem ersten Prospecte, den die Verleger Gebrüder Paetel und der Herausgeber Julius Rodenberg versandten, „an dieser Stelle zu betonen, daß die ,Deutsche Rundschau‘ keine andere Tendenz verfolgen wird, als diejenige, deutsch zu sein. Sie wird das deutsche Element hegen und pflegen, wo immer es sich findet; sie wird, indem sie die außerordentliche Mannigfaltigkeit des deutschen Wesens, seine Unterschiede, selbst Gegensätze würdigt und mit aller Achtung vor den localen und historischen Eigenthümlichkeiten, aus denen jenes sich zusammensetzt, bestrebt sein, so viel an ihr liegt, bestehende Vorurtheile zu beseitigen, freundliche Annäherung, gegenseitiges Verständniß zu vermitteln und in freudiger, frischer Gemeinsamkeit den Zusammenhang des deutschen Geistes- und Gemüthslebens in seinem vollen Umfange aufrecht zu erhalten und zu stärken.“

Mit dieser ausgesprochen nationalen Grundstimmung erwarb sie sich sofort die wärmsten Sympathien ganz Deutschlands, und als sie mit strengem Ernste fort und fort bemüht war, jederzeit das richtigste und vollständigste Totalbild von dem zu geben, was der deutsche Geist überhaupt ist und vermag, wurde sie sehr bald nun wirklich das, was zu sein sie von Anfang an bestrebt war: ein repräsentatives Organ der gesammten deutschen Culturbestrebungen. Die bedeutendsten Männer der deutschen Wissenschaft, ein Virchow, Dubois-Reymond, Helmholtz, Preyer, Sybel, Hettner und Andere, die gefeiertesten Dichter und Dichterinnen, ein Storm, Auerbach, [416] Heyse, Gottfried Keller, Wilhelmine von Hillern und Andere, sind ihre Mitarbeiter, verschiedene ihrer Artikel, so der „Zug nach Sedan“ von J. von Verdy, Moltke’s Briefe über Rußland, der Briefwechsel Schiller’s mit dem Herzoge von Augustenburg, herausgegeben von Max Müller, erregten weit über die Grenzen Deutschlands hinaus Aufsehen, und so ist die Achtung, welche sie sowohl im Inlande, wie im Auslande genießt, eine unbestrittene.

Eine ähnliche Tendenz, wie die „Rundschau“, verfolgt auch die im Frühjahr 1877 von Paul Lindau in’s Leben gerufene Zeitschrift „Nord und Süd“, doch zeigt diese mehr ein kosmopolitisches Gesicht. Sie hält sich principiell von allen politischen Fragen fern und läßt darum auch die nationale Grundstimmung nur selten durchklingen. Auch will sie offenbar mehr unterhalten, als unterrichten, mehr im Gesellschaftszimmer und Boudoir, als in der Studirstube gelesen werden und trägt in Folge dessen auch ein weit eleganteres Kleid, als die „Rundschau“. Sie erscheint in sauberster und geschmackvollster typographischer Ausstattung und bringt außerdem noch in jedem Hefte ein Portrait in Radirung. Im Mitarbeiterstabe fehlt es ebenfalls nicht an hervorragenden Männern; wir nennen Geibel, Bodenstedt, Rittershaus, Scherenberg, Heinrich Kruse, Felix Dahn, Wilbrandt, Anzengruber, Fontane, Rudolf Lindau, Leopold von Ranke, de Bary und R. von Ihering. Anfangs erschien „Nord und Süd“ bei Georg Stilke in Berlin, aber schon im Januar 1879 ging es in den Verlag von S. Schottländer in Breslau über.

Einen mehr gelehrten Charakter trägt die „Deutsche Revue“. Sie strebt vor Allem nach Vollständigkeit und behandelt in jeder Nummer eingehend jedes einzelne Gebiet des öffentlichen Lebens, der Wissenschaft, Kunst und Literatur. Ihre ständigen Mitarbeiter geben fortlaufende Berichte, die in erster Linie informiren sollen. Die wichtigsten Referate liefern auch hier nur Männer von Bedeutung. So schreibt von Schulte über Politik, Gareis über Staats- und Rechtswissenschaft, Laspeyres über Nationalökonomie und Statistik, Carus Sterne über Naturwissenschaften, Birnbaum über Landwirthschaft, Landgraf über Handel, Gewerbe und Industrie, Carrière über Philosophie, Schasler über Kunst etc. Herausgeber der „Deutschen Revue“ ist Richard Fleischer, Verleger derselben war bei ihrer Gründung 1876 Karl Habel; jetzt ist es Otto Janke in Berlin.

In allerjüngster Zeit ist endlich noch die im Verlage von E. L. Morgenstern in Leipzig erscheinende Zeitschrift „Auf der Höhe“ in die Reihe der deutschen Revuen getreten; sie will vor Allem eine internationale Revue sein; sie beabsichtigt, fortwährend die gesammte europäische Literatur im Auge zu behalten und fortlaufend über die ganze europäische Gesellschaft zu berichten. Fürwahr, ein kühnes Unternehmen, das die ganze Energie des Herausgebers, des bekannten Romanschriftstellers Leopold von Sacher-Masoch (dem jüngsthin in der Redactionsführung R. Armand zur Seite getreten ist), erfordern wird. Ein abschließendes Urtheil können wir uns über das interessante Unternehmen noch nicht bilden, da nur erst wenige Hefte desselben vorliegen, die jedoch neben großer Mannigfaltigkeit des Gebotenen viel redactionelle Umsicht bekunden und somit für die Zukunft Gutes versprechen.

Unsere junge Revuen-Literatur hat sich, wie obige Uebersicht zeigt, bereits üppig entwickelt, aber sie wird trotzdem noch manche Wandlung durchzumachen haben. Es fehlt ihr vor allem noch an eigenartigem, nationalem Charakter; überall in unserer Revue-Literatur macht es sich noch bemerkbar, daß man sich hier an ein französisches, dort an ein englisches und endlich sogar an ein amerikanisches Muster anlehnt. Erst wenn die deutschen Revuen ganz und gar deutsche Eigenart zeigen, dann erst werden sie auch im ganzen Umfange das sein, was sie sein sollen und wollen: ein Spiegel des deutschen Culturlebens.