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Die grosse Ravensburger Gesellschaft/2

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Name und Ursprung der Gesellschaft Die grosse Ravensburger Gesellschaft (1890) von Wilhelm Heyd
Die Huntpiss an der Spitze und die weiteren Genossen
Schauplätze der Handelsthätigkeit
[9]
2. Die Huntpiss an der Spitze und die weiteren Genossen.

Infolge von Vorgängen, die sich unserer Kenntnis entziehen, schwang sich bald nach der Gründung dieser Association ein anderes Haus an die Spitze; die Möttelin schieden zwar nicht aus, aber sie traten von nun an in die zweite Linie zurück. Da aus der ersten Zeit nach der Gründung keine Dokumente erhalten sind, fehlt uns jeglicher Beleg dafür, dass die Gesellschaft sich je die Möttelinsgesellschaft nannte. Wohl aber gaben die neuen Chefs, um mich dieses modernen Ausdrucks zu bedienen, der Gesellschaft für mehr als ein Jahrhundert den Namen. Diese Chefs waren die Huntpiss, alteingesessene, wenn auch nicht ureinheimische Ravensburger, welche der dortigen Patriziergesellschaft (genannt „zum Esel“) gleich von ihrem Beginn (1397) an angehören[1]. Ihr Ansehen wurde nicht wenig dadurch erhöht, dass sie oftmals als Bürgermeister und Stadtammänner im reichsstädtischen Regimente sassen[2], während die Möttelin den Aemtern ferneblieben. In der Kaufmannsgesellschaft, die uns hier allein interessiert, sind die Huntpiss seit 1419 als leitende Häupter urkundlich nachzuweisen. Jodokus (Jos) Huntpiss, der Sohn Huntpiss des Langen[3], welcher in den Jahren 1365 und 1368 [10] Bürgermeister von Ravensburg gewesen war[4], eröffnet die Reihe. Ihm zur Seite stand sein Vetter[5] Ital oder Eitel, Sohn des Frick Huntpiss[6]. In Urkunden, welche die Kaufmannsgesellschaft betreffen, werden diese beiden Namen Jos und Eitel Huntpiss oft nebeneinander genannt. Gleich in der ältesten vom Jahr 1419 stellen diese zwei in eigenem Namen und im Namen ihrer „gemein Gesellschaft“ eine Vollmacht aus zur Eintreibung eines Schuldpostens von einem Lübecker[7]. Darauf folgen viele andere bis zu der jüngsten vom Jahr 1463, in welcher ein Konstanzer, der die Interessen der Gesellschaft in Italien vertritt, sich als „Diener Josen und Ital der Humpis und ihr gemein Gesellschaft“ bezeichnet[8]. Der eigentliche Chef war Jos. Die aus romanischen Ländern stammenden Urkunden wissen gar nichts von Eitel, sie kennen nur Jos und sie ziehen diesen Vornamen mit dem Zunamen in ein Wort zusammen: hieraus wird bei den Italienern der Name Josumpis, bei den Spaniern der Name Joushompis {oder Joghompis), und indem die Gesellschaft bloss nach diesem einen sich nennt, heisst sie z. B. in einer genuesischen Urkunde societas Alamanorum, quae dicitur de Josumpis[9], in Spanien lautet die Firma Joushompis (Joghompis) y compañia. Diese Benennungen hindern uns natürlich nicht, daran festzuhalten, dass Eitel als nächster Genosse des Jos an der Leitung der Geschäfte beteiligt blieb. Es fragt sich nur, ob es in der ganzen Reihe von Jahren, für welche das Doppelregiment Jos-Eitel bezeugt ist, d. h. zwischen 1419 und 1463 immer derselbe Eitel ist, welcher mitregiert. Denn wir kennen [11] mindestens zwei Eitel Huntpiss innerhalb dieser Zeitgrenzen[10]. Aber auch bei dem Namen Jodokus regt sich der Zweifel, ob wir es immer mit einem Träger desselben zu thun haben, welcher im bejahenden Fall nicht weniger als 56 Jahre lang, nämlich von 1419 bis 1475 an der Spitze der Gesellschaft gestanden haben müsste. Dieser etwas unwahrscheinlichen Annahme entgehen wir durch Unterscheidung zweier Jodokus, ohne uns hierdurch auf das Gebiet der Hypothese zu verirren; denn sowohl in der Familie des älteren Jodokus[11] als auch in derjenigen Eitels[12] finden sich Söhne des Namens Jodokus. Einer dieser Söhne ist es wahrscheinlich, der im Jahr 1475 an der Spitze der grossen Gesellschaft stand und in dieser Eigenschaft (tanquam principalis societatis magnae) die Bestätigung ihrer Privilegienbriefe für das mailändische Gebiet erwirkte[13]. Bald nachher ergreift ein neues Mitglied des Hauses Huntpiss mit dem Vornamen Onofrius, welcher zuweilen in Nofilus[14] oder Noffel[15] verketzert wird, die Zügel der Gesellschaft und leitet sie bis gegen Ende des Jahrhunderts, wie jedenfalls für die Jahre 1479–1497 bestimmt nachgewiesen werden kann. Neben ihm wird Klemens Ankenreute im Jahr 1492 in einer Weise genannt, dass er fast als Vorstandsmitglied erscheint[16]. Wer nach Onofrius kam, [12] wissen wir nicht, da überhaupt die letzten Jahre der Gesellschaft in grosses Dunkel gehüllt sind.

An das die Oberleitung behauptende Patrizierhaus schlossen sich nicht wenige Mitglieder an, sei es dass sie ihre kaufmännischen Talente, Erfahrungen und Errungenschaften in den Dienst der Gesellschaft stellten, sei es dass sie bloss als stille Teilhaber durch ihre Einlagen das Kapital der Gesellschaft vermehrten. Nach dem eingangs erwähnten Berichte Suntheims wäre anscheinend die Association schon dadurch zu ihrer vollen Ausgestaltung gelangt, dass einige weitere Ravensburger Geschlechter sich zu den Huntpiss gesellten[17]. Aber auch wenn wir zu den von Suntheim genannten noch die andern Ravensburger Häuser hinzunehmen, welche Gutermann ohne näheren Nachweis zu der Huntpissgesellschaft zählt[18], so ist die Zahl der Mitglieder noch lange nicht voll. Wir müssen noch in andern Städten Umschau halten. Viele der oberschwäbischen Patrizierfamilien verzweigten sich von Stadt zu Stadt. So nennt z. B. Suntheim die Ravensburger Besserer, aber es gab Besserer ebensogut in Konstanz wie in Ravensburg, in Memmingen ebensogut wie in Ulm. Ein Zweig der Muntprat wohnte in Ravensburg, der Hauptsitz des Geschlechtes war aber Konstanz. Diese Verzweigungen leisteten auch der kaufmännischen Association bedeutenden Vorschub. Dazu kam dann noch das Ineinanderheiraten der Geschlechter. Die Heiratsverbindungen z. B., welche die Huntpiss zunächst mit dem Ravensburger Zweig der Muntprat eingegangen hatten, brachten ihnen auch das Konstanzer Haupthaus nahe und führten zu dessen Eintritt in die Gesellschaft. Dem Beispiele der [13] Muntprat folgten andere und bald war ein guter Teil des Konstanzer Patriziats mit den Huntpiss vergesellschaftet[19]. Man kann sagen, dass der Kern der grossen Gesellschaft durch zwei engverbundene Gruppen gebildet wurde, deren eine in Ravensburg, deren andere in Konstanz sass, und gerade die letztere umfasste Kaufmannshäuser, in welchen grosse Geschäftserfahrung und gründliches Vertrautsein mit fremden Handelsplätzen zu Hause war. In Spanien, wo man von dem kleineren Ravensburg weniger wusste als von dem weltberühmten Konstanz, galt die Joushompiscompagnie, wie man sie dort nannte, sogar als eine Konstanzer Gesellschaft. Von Bodenseestädten mag ausserdem das weniger bedeutende Lindau genannt werden, wo die wenigstens zeitweise dort angesiedelten Möttelin und die von Konstanz herübergezogenen Fry, dann mehrere hier begüterte Huntpiss selbst und die Neidegg, deren Stammburg bei Isny stand, die Huntpissgesellschaft repräsentierten[20].

Auch in die Schweiz hinüber erstreckten sich die Verzweigungen dieses grossen Kaufmannsvereins. Durch seine eheliche Verbindung mit Anna Mangolt von Sandegg (1495) wurde der Patrizier von Luzern alt Schultheiss Jakob von Hertenstein Inhaber einer Einlage bei der Huntpissgesellschaft; sein Name ist, wie wir sehen werden, eng verwoben mit der Geschichte des Niedergangs derselben. Ausserdem zählte die Gesellschaft unter den Bürgern von Bern zahlreiche Mitglieder[21], einige auch in Zürich[22], wo das Haus Muntprat seine Ableger hatte.

Endlich scheinen einzelne deutsche Kaufleute an solchen auswärtigen Plätzen, an denen die Huntpissgesellschaft stark [14] vertreten und einflussreich war, der letzteren, wenn auch nur vorübergehend, beigetreten zu sein. So in Mailand Georg Fugger aus dem berühmten Augsburger Haus, Bruder des reichen Jakob Fugger[23], ferner der Nürnberger Johann Breunlin, dessen Namen die Italiener in Borlino oder Burlino verwandelten[24].


  1. Siehe den Auszug aus dem Stiftungsbriefe dieser Gesellschaft bei Hafner a. a. O. S. 146 ff.
  2. Siehe die Magistratslisten bei Hafner a. a. O. S. 88 ff., auch das Fürstenberger Urkundenbuch Bd. 6, 19. 325. 422.
  3. Konstanzer Formularienbuch des Nik. Schultheiss (früher in der Gymnasialbibliothek daselbst, jetzt im Karlsruher Archiv) S. 31 b.
  4. Fürstenberger Urkundenbuch Bd. 6, 74. Hafner a. a. O. S. 88. 168 (hier steht wohl nur durch Druckfehler die Jahreszahl 1366 statt 1368).
  5. Dass Jos und Ital Vetter waren, geht sehr deutlich hervor aus dem Fürstenberger Urkundenbuch Bd. 6, 261, wie auch aus zwei Urkunden Itals in dem Humpissischen Copialbuch, herausg. von Baumann, Zeitschr. f. Gesch. des Oberrheins Bd. 32 (1880), S. 141. 146.
  6. Dass. Copialbuch S. 86. 161. 164. 166.
  7. Hafner a. a. O. S. 264.
  8. Konstanzer Missivbuch d. J.
  9. Urk. im Anh. Nr. V.
  10. Man vergleiche nur die Urkunde des Jahres 1437 im Fürstenberger Urkundenbuch Bd. 6, 325, wo ein jüngerer und ein älterer Ytal zusammen vorkommen.
  11. Humpissisches Copialbuch a. a. O. S. 139. 140. 141.
  12. Unter den vier Söhnen des Eitel H. d. ält. ist einer Namens Jos laut des Schreibens von Bürgermeister und Rat in Konstanz d. d. Hilarientag 1473 (Konstanzer Missivbuch d. J.).
  13. Urk. im Anh. Nr. XI.
  14. So in einem später näher zu erwähnenden Brief im Deutschen Missivenbuch zu Bern D, Fol. 118.
  15. So in einem Lindauer Brief s. unten in der Abt. Niederlande.
  16. Urk. im Anh. Nr. XIV. Am 21. April 1497 wird sogar auf bernischem Gebiet sicheres Geleit versprochen dem Ant. Ankenreute und „seiner Gesellschaft zu Raffischburg“, womit doch wohl nichts anderes als die Huntpissgesellschaft gemeint ist. Die Urkunde findet sich in dem „Spruchbuch 1493–98“ S. 212 auf dem Berner Staatsarchiv.
  17. Unter diesen scheinen nur die Ankenreute nach dem Obigen eine bedeutendere Rolle innerhalb der Gesellschaft gespielt zu haben; ihr Stammsitz war Oberankenreute bei Schlier, doch liessen sie sich frühe als Bürger in Ravensburg nieder. Siehe Hafner a. a. O. 182. 555 und sonst.
  18. Er nennt die Herren von Randegg, die Roth v. Schreckenstein, die Sirgen v. Sirgenstein, die Brandis, die Croaria. Serapeum Jahrg. 6 (1845), S. 263 f.
  19. Namen, die hierher gehören, findet man in den Regesten zur inneren Geschichte der Gesellschaft am Schluss des Anhangs.
  20. Primbs, der Mötteli-Handel in den Schriften des Vereins für Geschichte des Bodensees H. 13, S. 155 ff. Reinwald, Beiträge zur Geschichte der Geschlechter und des Bürgerthums in Lindau. Ebenda S. 176 ff.
  21. Urkunden im Anh. Nr. VIII. IX.
  22. Urk. im Anh. Nr. XVIII.
  23. Urk. im Anh. Nr. XII. Vergl. Simonsfeld a. a. O. 2, 61.
  24. Urk. im Anh. Nr. XII. Vgl. Simonsfeld 1, 327. 2, 79.


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