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Die springenden Heiligen von Echternach

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Textdaten
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Autor: F. K.
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Titel: Die springenden Heiligen von Echternach
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 12, S. 194–195
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1872
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Die springenden Heiligen von Echternach.


Unweit der alten Kurfürstenstadt Trier in dem kleinen luxemburgischen Städtchen Echternach, welches der einst reichen und mächtigen Benedictiner-Abtei gleichen Namens angehörte, strömen alljährlich am dritten Pfingstfeiertage Tausende von Fremden zusammen, angelockt von der Procession der springenden Heiligen, jener aus den finsteren Tagen des Mittelalters herüberragenden kirchlichen Feier. Selbstverständlich sind es nicht Heilige, welche sich sowohl zur Ehre Gottes und ihres Selbst, wie auch zum großen pecuniären Vortheil der Bewohner Echternachs an diesem Umzuge betheiligen, sondern meist arme, sündige, in geistiger Finsterniß lebende Menschenkinder, die nach dem Städtchen an der Sauer pilgern, um ein Gelübde zu erfüllen, eine Sünde abzubüßen, für einen theuren Kranken Heilung zu erstehen, oder sich in den Strudel der lockenden Vergnügungen zu stürzen. So groß übrigens die Zahl der Pilger, größer noch ist die der Neugierigen; – und es wogt und drängt sich schon am frühen Morgen in den engen Straßen und auf den Plätzen, daß man glauben könnte, ein weiterer Zuwachs der Menge sei unmöglich. Aber noch treffen beständig gefüllte Carossen, vollgepfropfte Post- und Leiterwagen und unabsehbare Züge von Fußwanderern ein.

Dort über die Sauerbrücke zieht feierlich eine lange Pilgerschaar; ihr voran leuchtet das Kreuz und eine riesige, wohl dreihundert Pfund schwere Wachskerze, die in der auf hohem Felsen erbauten Kirche geopfert werden soll. Singend und betend wandern hier die Wallfahrer zum Markte; hinter ihnen schwankt, von vier Männern getragen, ein einfacher Sarg, bestimmt, das selten fehlende Opfer der Springprocession aufzunehmen, damit es zur ewigen Ruhe auf heimischem Friedhofe gebettet werden könne. Einstweilen indeß hat der Todtenschrein eine minder tragische Bestimmung: noch dient er zur Speisekammer und birgt große Laibe braunen Brodes, Würste, Käse und ganz besonders jene bei Wallfahrten niemals fehlenden großen Waffeln, welche, alt geworden, durch Zähigkeit und Unverdaulichkeit eher an die Sohle eines Schuhes, als an irgend ein Backwerk erinnern.

Musikanten, meist schäbige Gesellen, winden sich mit ihren Instrumenten durch die Menge, oder lagern vor den Wein- und Branntweinständen, ihre Kehlen für die kommenden Anstrengungen zu stärken. Mit dem Rufe: „Wollt Ihr mich dange (dingen) für ze sprange?!“ drängen halbwüchsige Bursche sich an die Fremden heran, seelenvergnügt, wenn ein übermüthiger Tourist oder ein frommer, doch allzuträger Pilger ihnen einige Sous opfert, damit sie an seiner Statt die Mühe des Springens auf sich nehmen.

Gegen die neunte Morgenstunde löst sich das Gedränge, und unter dem feierlichen Geläute der Glocken ordnen die frommen Pilger sich zum Zuge. Langsam, einer ungeheuren dunklen Schlange gleich, wogt es heran, die ganze Breite der Straße einnehmend. Aber da blitzt kein goldenes Kreuz im Sonnenglanz, keine farbenglühenden Fahnen rauschen in der klaren Luft, kein Gebet, kein Chorgesang ist zu hören, keine blumengeschmückte Statue, kein Gewimmel weißgekleideter Kinder zu sehen – hier fehlt jeder Pomp. Voraus wird ein schlichtes Kreuz von Chorknaben getragen; ihm folgen zwei Musikanten mit quiekender Clarinette und kreischender Fiedel – und endlos dahinter die Menschenfluth.

Nach dem Tacte der Melodie:

Adam hatt’ sieben Söhn’,
Sieben Söhn’ hatt’ Adam etc.

zwei Schritte vor-, einen Schritt zurückspringend, rücken die Pilger nur langsam, in festgeschlossenen Reihen vor; die Frauen und Mädchen haben sich zum Theil untereinander an den Händen gefaßt, die in leichte blaue Blousen gekleideten Männer meist an zusammengedrehten Tüchern, während Andere jeden Halt verschmähen. Rothglühend vor übermäßiger Anstrengung, oder todtenbleich vor Erschöpfung tauchen die Menschenköpfe auf und nieder, bis die Töne von Clarinette und Geige in der Ferne verhallen und die Sprünge der Gläubigen zum Tanzschritt und endlich zum langsamen Gehen werden.

Da dröhnt plötzlich eine Trommel;

„Sieben Söhn’ hatt’ Adam,“

schmettert die Posaune und hochauf schwillt die Menschenwoge; je näher der Musik, je eifriger das Springen. Langsam und bedächtig schreitet der Geistliche im einfachen Chorrock durch die keuchende Schaar, bald zu größerer Anstrengung auffordernd, bald einen kleinen Burschen fortscheuchend, der in tollem Muthwillen mitten in die Reihen einzudringen sucht.

So wogen Tausende vorüber, die Trägen in langsamem Schritt, die Fanatischen in wilden Sprüngen, dazu angefeuert von allen nur denkbaren Musikinstrumenten, welche je zwei und zwei in der ungeheuren Menge vertheilt sind. Eine drückende Atmosphäre, angefüllt mit den Ausdünstungen der Springenden und der thrangetränkten Schuhe derselben, liegt über den Straßen und glühendheiß brennt die im Zenith stehende Sonne herab. Vor den Häusern haben die mitleidigen Einwohner große Kübel mit Wasser, Limonade, Bier, Wein und allen möglichen Getränken aufgepflanzt, die Halbverschmachteten zu erquicken. Im Fluge wird der Becher mit kühlendem Naß an die dürstenden Lippen gesetzt – und fort geht es, so lange die Sehnen den Dienst nicht versagen. Fast scheint die steigende Hitze den Eifer zu mehren. Immer mehr bleiche Gesichter tauchen auf. Dort schnellt sich ein junger Mann hoch über den in Schweiß gebadeten Menschenstrom empor; todtenblaß, das Auge starr und blutunterlaufen, weit auf den Mund, – so eilt er dahin mit flatterndem Haar und entblößter Brust, kaum seiner Sinne noch mächtig. Ein peinlicher Anblick! noch übertroffen durch jenes Weib, welches mit wogendem Busen und dunkelgeröthetem Angesicht in rasendem Wirbel sich unaufhaltsam dreht. Da – ein Schrei, der gellend die Klänge des Waldhorns übertönt, ein plötzliches Ausweichen der Menge, ein dumpfer Schlag, ein lebloser Körper wird eilig in dem nächsten Hause geborgen, – und unbekümmert zieht die Pilgerschaar vorüber.

Schon dehnen sich die Abendschatten an den rothen Bergen empor, als die letzten Wallfahrer an den Stufen anlangen, welche hinauf zur Kirche führen. Gänzlich erschöpft, vermag nur eine verschwindend kleine Zahl derselben jene hohe Felsentreppe hinauf- und herunterspringend zu ersteigen, und kaum sind die Musikanten noch im Stande, ihren Instrumenten die nöthigen Töne zu entlocken. Droben im Gotteshause stehen die Pforten weit geöffnet, die Orgel tönt, die zahllosen dargebrachten Kerzen flammen und die dichtgeschaarte Menge liegt auf den Knieen, den Segen der [195] Priester zu empfangen. Vor dem blumengeschmückten Altar häuft sich in großen Körben das Opfergeld; Kupfer-, Silber- und Goldmünzen füllen dieselben bis zum Rande, und frohlockend überblickt der Pfarrgeistliche die blitzenden Spenden der Gläubigen.

Wie das Abendroth durch die Kirchenfenster blickt, tönt gellendes Jauchzen und dumpfe Tanzmusik vom dampfenden Thale herauf. Hier oben ist es still geworden; Chorknaben löschen eilig die Lichter der nur an hohen Festtagen brennenden Kerzen, deren Verkauf jedes Jahr die Einnahme des Priesters um viele hundert, oft tausend Thaler vermehrt. Ja, reichen Gewinn bringt dieser Pilgerzug der Kirche und dem Städtchen, einen Gewinn, den ein Jahrtausend mit allen seinen Umwälzungen kaum zu schmälern vermochte.

Schon im achten Jahrhundert wallten lange Pilgerschaaren aus Frankreich, dem innern Deutschland und der Eifel in der Pfingstwoche nach Echternach zu dem Grabe Wilibrod’s, in der über der Gruft des Heiligen erbauten Abteikirche reiche Weihgeschenke darzubringen. Größer noch wurde der Zulauf, als Papst Innocenz der Vierte um die Mitte des dreizehnten Jahrhunderts allen Denen einen Ablaß von vierzig Tagen verhieß, welche an Wilibrod’s Grabe beteten. Aus aller Herren Länder strömten die Wallfahrer nach Echternach, um die Tage in Gebet, die Nächte oft in wildem Jubel zu verbringen.

Indeß der Jubel verstummte bald in deutschen Landen; Jammer und Todesröcheln trat an seine Stelle. Die Pest zog über die Fluren und verwandelte sie in Leichenfelder. Das entsetzte Volk schrie auf zu Gott, damit er die Zuchtruthe abwende – vergebens! Die Plage ward nicht von ihm genommen; es betete und wallfahrtete – und doch starben Tausende und aber Tausende dahin. In seinem ohnmächtigen Grimm beschuldigte es die Juden, Brunnen und Quellen vergiftet zu haben, ersäufte, verbrannte, marterte und mordete die Wehrlosen umsonst! das unschuldig vergossene Blut vermochte den schrecklichen Würgengel nicht zu verscheuchen. Im Pilgerkleide die Ansteckung von Ort zu Ort tragend, wanderten die Verzweifelten betend und Bußgesänge singend durch das Land. Ein einfacher Pilgerzug genügte indeß nicht mehr, ihre Zerknirschung an den Tag zu legen; sie sprangen und tanzten und schlugen Brust und Rücken blutig. So, berichtet die Limburger Chronik, entstanden die Geißler oder Flagellanten:

„St. Viets Dänzer erhuben sich umb den Sommer des Jahres 1374, ein wonderlig Ding in Teutschen Landen, ahn dem Rhein, dem Moselstrom und in der Jegendt, also daß die Leuth anhuben zu dantzen uff eine Wallstadt woll einen halben Tag langk. Im Dantzen fielen sey auch woll nieder uff die Erde, ließen sich mit Füßen uff ihre Leiber tretten; davon namen sey an, daß sey genesen weren. Sey lieffen von einer Stadt zu der andern, saßen vor die Kirchen und huben Geldt uff. Es wardt des Tings so vill, daß zu Köln mehr denn 500 Teutsche waren, die dantzeten, und es war Deusterey, oder Ketzerey und geschah um des Geldes Willen.“

Man sieht hieraus, daß auch die lieblichen Ufer der Mosel nicht verschont blieben von der entsetzlichen Krankheit und den wilden Auswüchsen des Fanatismus. Indeß die klugen Benedictiner Echternachs verstanden es, die hochgehenden Wogen religiöser Schwärmerei zu dämmen und sie nach ihrem Willen und zu ihrem Vortheil zu leiten. Sie beriefen die Gläubigen nach ihrer Abtei und ließen dort von ihnen den Zug David’s darstellen, wie er aus allen Kräften vor der Bundeslade tanzt. So ward dem sich in leidenschaftlichen Bewegungen äußernden Zeitgeist Rechnung getragen und der übliche Pfingstumzug der Pilger in eine Procession mit Hin- und Herspringen umgewandelt.

Vier Jahrhunderte lang hatte der Umzug in seiner neuen Gestalt der ohnehin reich begüterten Abtei – deren jährliche Einkünfte sich auf achtzigtausend Brabanter Gulden beliefen – bedeutende Summen eingebracht. Als aber die Mönche aus armen Knechten des Herrn in Ueppigkeit versunkene Schwelger wurden, da sank mit der strengen Klosterzucht auch jene Procession zu einem Deckmantel der Völlerei und der Unzucht herab, so daß der Kurfürst Clemens Wenceslaus von Trier Musik und Springen und überhaupt „alle unschicklichen Gebräuche, die der Würde des Cultus zuwider“, verbot. Hörte nun auch Tanz und Musik auf, so doch nicht Streit, Trunkenheit, Tumult und „alle die andern Uebel“, und Kaiser Joseph der Zweite sah sich genöthigt, den Umzug gänzlich zu untersagen. Sein Verbot ward jedoch nicht beachtet, und erst 1794 hob der Einzug der französischen Truppen alle religiösen Gebräuche und damit auch die Springprocession auf.

Napoleon der Erste erlaubte dieselbe im Jahre 1801 nach der Publication des Concordates zum ersten Male wieder, und sie wurde mit großer Feierlichkeit abgehalten. Maire und Gensdarmen schritten voran und die Ceremonienmeister stießen mit Stöcken die Hüte der Zuschauer herab, die nicht schnell genug ihr Haupt vor den springenden Heiligen entblößten. Echternach, ja das ganze Luxemburger Land jubelte über die erneute Feier. Nun die Menschen abermals zur Ehre Gottes sprangen, konnten Schafe und Rinder ruhen, denn diese hatten, nach Aussage „glaubhafter“ Zeugen, jeden dritten Pfingsttag in den Ställen umhergetobt, und die besten Kühe der entsetzten Hausfrau dunkles Blut statt der erwarteten Milch gespendet.

In dem Eifelstädtchen Prüm, in welchem einst eben solche Processionen am Himmelfahrtstage abgehalten wurden, sowie an den übrigen Orten, wo ähnliche Umzüge stattfanden, erstanden dieselben nicht wieder. Echternach allein hat den Ruhm, in seinen Mauern noch heute jene seltsam düstere Feier zu sehen, seltsam und düster wie die Zeit, in welcher die Procession der springenden Heiligen entstanden.

F. K.