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Ein Blick auf die Küste von Abbazia

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Textdaten
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Autor: Heinrich Noë
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Titel: Ein Blick auf die Küste von Abbazia
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 14, S. 225, 229–231
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1894
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[225]

An der Küste von Abbazia.
Nach einer Originalzeichnung von T. Grubhofer.

[229]
Ein Blick auf die Küste von Abbazia.
Von Heinrich Noë.0 (Mit dem Bilde S. 225.)

In früheren Tagen hatte ich, wenn mein Weg mich die istrische und dalmatische Küste entlang führte, oft im stillen bedauert, daß unsere Deutschen, wenn der Zug nach Süden sie über das große Gebirge und zum blauen Südmeere treibt, immerwährend nach Welschland pilgern, während sie doch in dem stammverwandten Oesterreich unter gleicher Gunst des Himmels sich von mancherlei freundlicher angemutet fühlen müßten als dort, wo sie in den Bannkreis einer zwar uralten, aber doch fremden Kultur und eines völlig verschiedenen Gesellschaftswesens eintreten. Schon der Umstand, daß hier auf österreichischem Boden die Behörden des Deutschen als Amtssprache sich bedienen, daß auch im Verkehr neben der landesüblichen die deutsche Sprache gepflogen wird, daß die Post und so manches andere, was man zur Aufrechthaltung des Zusammenhanges mit der Heimat braucht, deutsch sind, mußte solche Gedanken nahe legen. Die Südlandfahrten sind, wie wir wissen, heutzutage so im Schwange, daß man sich eine Hochzeitsreise ohne Lagunen kaum mehr denken kann und, in Süddeutschland wenigstens, kaum einen wohlhabenderen ehrsamen Bürger findet, der nicht schon den Vesun rauchen gesehen hat.

Die schöne Landschaft, der milde Himmel, die fremdartige Pflanzenwelt, das blaue Meer, das alles besaß auch die österreichische Adriaküste – aber es fehlte an Gaststätten, denen man die Leute mit den Gepflogenheiten, die sie nun einmal haben, anvertrauen konnte.

Mit den Jahren kam mir allgemach die Lust, bei Gelegenheit von all diesen schönen Dingen zu erzählen. Lange Zeit blieb das ohne Erfolg. Einmal aber – es sind jetzt zwölf Jahre her – traf es sich, daß ich von einer weitverbreiteten Zeitung aufgefordert wurde, eine Uebersicht über die Ziele der Frühlingsreisen zusammenzustellen. In dieser Arbeit kam folgende Stelle vor:

„Jetzt gerate ich auf mein wahres Leib- und Steckenpferd, das ich mir immer wieder hervorhole, wenn von schönen Orten und milden Lüften in Oesterreich die Rede ist. Jeder Aufsatz über diesen Gegenstand muß mit einem Ceterum censeo abschließen. Ceterum censeo, Abbazia am Quarnero sei das Zukunftsziel für Reisen, welche unter dem von wir aufgestellten Zeichen unternommen werden. Dort, in den Lorbeerwäldern, an der Flut am Strande, wo die mächtige Eiche sich zum Oelbaum gesellt, wird einst das Brighton Wiens erstehen. Im Frühling unterscheidet sich die Wärme jener Bucht wenig von der des [230] ligurischen Strandes. Während man aber dorthin eine fast dreitägige Reise zurückzulegen hat, erreicht der Reisende, der Wien morgens mit denn Eilzuge verläßt, noch am Abend des nämlichen Tages den Strand von Abbazia.“

Diese Zeilen kamen einem Manne zu Gesicht, der sich schon vielfache Verdienste um das Verkehrswesen in den deutschen Alpen erworben hatte; er war auch im Besitz jener Machtfülle, die nötig ist, um eine Kolonie, die den Bedürfnissen und Wünschen nordischer Reisender entspricht, ins Leben zu rufen. Es war dies der Generaldirektor der österreichischen Südbahngesellschaft, Friedrich Julius Schüler.

Alsbald wurden zwei große Gasthöfe, nach und nach verschiedene Villen gebaut. Sofort bemächtigte sich auch die Privatspekulation des grünen Strandes. Denn nach dem Vorgange der Südbahn fing man an, alle die Vorzüge dieser Küste einzusehen, von denen früher niemand etwas bemerkt hatte. Villa auf Villa, Pension auf Pension entstand, und seufzend mußten die Dryaden, die so manchen Wipfel des heiligen Lorbeers hüteten, zu Boden steigen, wenn die rodende Axt kam, um den braunrindigen Stamm zu fällen.

Abbazia verschönerte sich. Vielleicht giebt es jedoch manchen, der da glaubt, es sei schöner gewesen, als es noch nicht so schön war. Indessen, derlei ist überall an ähnlichen Orten zu sehen – der Fortschritt will seine Opfer haben. Und Fortschritte sind ja in der That zu verzeichnen. Abbazia ist auf dem besten Wege, sich zum Weltbad zu gestalten, das auf immer weitere Kreise seine Anziehungskraft erstreckt. Der Besuch des deutschen Kaiserpaares in diesem Frühjahr bildet den voräufigen Höhepunkt dieser Entwicklung.

Das Glück war und ist, daß der große Park eines Herrn Scarpa, in welchem schon damals die Villa Angiolina stand – in ihr sind die Kinder des deutschen Kaiserpaares untergebracht – die erste Erwerbung der Südbahn bildete. Damit ist die größte und in ihrer Pflanzengestaltung schönste Fläche den Baumfällern, Ziegelwagen und Maurern entrückt. Mit größter Sorgfalt werden hier die herrlichen Bäume, die schattendunkeln Gänge und blumengeschmückten Rasen erhalten, und auch sonst ist die Südbahngesellschaft mit Erfolg darauf bedacht, die Wald- und Gartenzierde vor Zerstörung zu bewahren. In dieser Hinsicht hat die Thätigkeit der Gesellschaft Aehnlichkeit mit der Wirksamkeit der geistlichen Herren, denen einst dieser Strand gehörte. Die „Abtei“ (Abbazia) hat ihre Hand schützend über den Wald von Lorbeer, Erdbeer- und Myrtenbäumen gehalten, sonst hätte wohl die südländische Gleichgültigkeit oder Feindseligkeit gegenüber dem wilden Baumwuchs es so weit gebracht, daß es niemals jemand im Traum eingefallen wäre, dort eine so stolze Kolonie erstehen zu lassen.

Die Villa Amalia (so genannt nach der Gemahlin des Generaldirektors Schüler), der Wohnsitz des deutschen Kaiserpaares, ist etwa dreißig Schritte von der erwähnten Villa Angiolina entfernt, steht aber etwas erhöht über dem Grunde, der sich vor der letzteren ausdehnt. Ringsum ist sie von Baumgrün und Blumen umdrängt, gegen Südsüdost aber, in der Entfernung von fünf oder sechs Metern, schlägt das Meer gegen den Felsenstrand. Hier wachsen am Küstensaum in den schmalen Mulden des Geklipps die hohen Pfriemen des Spartium oder Besenginsters, so daß an manchen Stellen mitten zwischen den von Salzstaub überhauchten Felsblöcken das Meerufer sich grün umsäumt anschaut gleich einem Fluß, der zwischen Schilf dahinfließt. Am freundlichsten muten uns aber, gerade den Fenstern der Villa gegenüber, die neben dem niedrigen Badehaus aufragenden hohen Schäfte des Schalmeien- oder Flötenrohrs an. Diese sind eines der sichersten Merkzeichen des Südens. Wir denken dabei an die Idyllendichter der Alten und die Hirtenpfeifen, welche ihre Schäfer aus solchem Röhricht anfertigten.

Die Villa Amalia ist weit stattlicher und prunkvoller als ihre bescheidene Nachbarin, doch gefällt mir die Umgebung dieser letzteren besser. Von den im Erdgeschoß gegen das Meer hin angebrachten großen Flügelthüren begiebt man sich über ein paar Stufen auf eine halbkreisförmige Terrasse, die auf zwei Seiten von dichtem Gebüsch aus Lorbeer, Oleander und Lebensbäumen eingeschlossen ist, während die südöstliche Seite sich in das Meer hinaus vordrängt. Dort, auf dem rundlichen Vorsprung, erhebt sich eine Agave von einer Mächtigkeit wie in den südlicher gelegenen Ländern des Mittelmeerbeckens. Die See bricht sich dort nicht breit und seicht, in stets niedriger werdenden Schaumlinien über der sanft gerippten Dünung einer Schlamm- oder Sandfläche sich verflachend, sondern ihre Wogen arbeiten an Blöcken und Felsstücken, an Riffen und kantigen Steinwällen. Die Salzflut übersprüht dieselben, zwängt sich schäumend zwischen sie hinein, fließt wie ein eiliger Bach gurgelnd wieder zurück, schlägt sich glatte Tunnels durch, verwandelt die Felsen in narbige Kegel, die mit lauter tiefen, nur durch dünne Scheidewände voneinander getrennten Höhlungen bedeckt sind.

Die Adria, wenigstens ihr nördlicher Teil, ist wohl das jüngste und auch eines der flachsten Meere Europas, da die Ueberflutung ihres Grundes erst nach der Eiszeit von der Jonischen See aus erfolgte, von dem früheren Zustand sind heute noch einerseits der Monte Gargano in Apulien und die Tremiti- Inseln, anderseits die äußersten Felseninseln von Dalmatien übrig, gleichsam als Brückenköpfe, zwischen welchen sich eine besonders seichte Stelle hinzieht. Bringt man diese Thatsache in Rechnung, so kann man staunen über die Macht des Wellenschlags, die sich da oft fühlbar macht. Sie läßt sich dadurch erklären, daß man die ganze Längenachse der Adria vor sich hat. Eine gegen Süden gezogene Linie würde, von den Inseln im Quarnero selbst abgesehen, erst in Apulien wieder Festland erreichen. So wurde der Uferrand eben jener Terrasse, hinter welcher den kaiserlichen Kindern ein Spielplatz vorbehalten ist, in einer stürmischen Herbstnacht des Jahres 1881 von den Wellen teilweise überflutet und zerstört.

Hier befindet sich auch, wenige Schritte von der Villa entfernt, jene berühmte Eiche, die man deshalb als ein einziges Schaustück bezeichnen darf, weil es nirgends wieder an den Rändern jenes südlichen Meeres einen mächtigen Waldbaum giebt, der sich in solcher Weise über die Flut hinausbeugt. Unten sind die vom klaren Wasser überwallten Felsen, bedeckt von Algen, namentlich von den grünen Blättern der Ulven. Auf dem Sande treiben sich die apfelgroßen Gestalten der roten Meerigel herum, fünfarmige Seesterne kleben zwischen den Ritzen des Gesteins, die fleischigen Blätter des Meersalates werden vom Salzschaum besprüht – und zwei oder drei Fuß darüber die nordische Eiche! Ein solches Zusammentreffen ist wohl nirgends mehr an der Adria oder am Mittelmeer zu sehen.

Wenige Schritte von den Wurzeln dieser Eiche entfernt ist die Kante eines großen Netzes angebracht, das über die ganze Einbuchtung hingespannt ist und die Badegäste gegen die Besuche der Haifische schützen soll – eine Vorrichtung, die man wohl in der Hauptsache als unnötig und nur auf überängstliche Gemüter berechnet bezeichnen darf, weil sich jene Tiere nicht an so seichte Uferstellen hinwagen. Daß eine deutsche Eiche und ein Haifischnetz nur ein paar Schritte auseinander liegen, das kann man gleichfalls nur in Abbazia sehen.

Wenn man unter dieser Eiche sitzt und ins Meer hinausblickt, so bemerkt man rundliche Schwellungen und Wülste, welche da und dort die glatte Oberfläche unterbrechen. Man macht hier Bekanntschaft mit der Art und Weise, in welcher so viele Wasser des über den Strand aufragenden Hochgebirges ins Meer einströmen. Richt wie sonstwo als murmelnde Bäche, in Stürzen, als Schleier, die über Felswände niederwehen, kommen diese von den grünen Hängen herab, sondern auf nächtlichen Schleichwegen. Dort unten, tief in der Nacht der Felsen geborgen, finden sie endlich irgendwo eine Schlucht, durch welche sie sich in die Heimat aller Wasser hinein oder hinaufdrängen können. Mancher dieser Ausbruchsschachte oder dieser emporsteigenden Quellen ist fast so groß und breit wie der dreiarmige Fluß Timavus, der bei Triest hervorströmt und schon von Virgil besungen worden ist, andere aber sind klein und unscheinbar; kaum daß sie hier und da einmal weit draußen im Meere den Füßen eines Badenden sich fühlbar machen. Das ganze Ufer entlang steigen diese Quellen im Meere empor. Wäre all ihr Wasser in einem Bette vereinigt, so würde wohl ein großartiger Sturz über die Steilküste herabbrausen. Aber in Wirklichkeit mündet das Bergwasser nicht als Fluß ein, sondern wie durch eine Gießkanne in zahllosen kleinen und vom Meere verdeckten Oeffnungen.

Das Klima ist in Abbazia nicht wärmer als am Gardasee, welch letzteren man als einen über die italienische Ebene hinaus vorgeschobenen Vorposten des Mittelmeerklimas bezeichnen kann. [231] Selbstverständlich hat die Uebertreibung, die mit allem Neugefundenen zusammenzuhängen pflegt, auch in Bezug auf Abbazia ihr Wesen getrieben. Die Orangengärten, die in den meisten Berichten ihre unvermeidliche Rolle spielen, wird man mit der schärfsten Brille nirgends zu erspähen vermögen. Der Citronenbaum dagegen kommt noch ungeschützt vor, und selbst der Johannisbrotbaum erscheint in nächster Nähe, als nördlichster Vertreter seiner Sippe. Unwahrheiten, welche auf der Absicht der Täuschung oder auch auf Selbsttäuschung beruhen, bewirken meist das Gegenteil von dem, was von ihnen erhofft wird. Darum wird man gut thun, gewisse Ueberschwenglichkeiten abzulehnen und sich zu vergegenwärtigen, daß man sich nur um zwei und nicht um fünfzehn oder zwanzig Breitegrade südlicher als Innsbruck oder Graz befindet. Der Winter liefert (wie dies übrigens in ganz Italien der Fall ist) dem vordringenden Frühling nicht selten noch das eine und andere höchst unwillkommene und unvorhergesehene Rückzugsgefecht – ganz im Stile der Riviera.

Wenn unter ähnlichen klimatischen Verhältnissen, wie sie etwa Gries bei Bozen oder Gardone-Riviera am Gardasee bieten, Abbazia immerhin an Zuspruch gewinnt und mit einer jedes Jahr sich steigernden Vorliebe aufgesucht wird, so muß man das vornehmlich dem Meere zuschreiben. Und dies nicht nur deshalb, weil es dem Auge so viel bietet, sondern auch wegen des Salzhauches, wegen der Brandung, die eine natürliche Inhalationsvorrichtung darstellt, wegen der mannigfachen Anregung, die von dem Treiben auf dem Wasser ausgeht, wegen der zerstreuenden Wirkung, die dem Spiel der Wellen zukommt.

Und hiermit berühren wir den vornehmsten Schatz von Abbazia. Das ist der Strandweg. Er ist das Ideal eines staublosen Weges. Nur Fußgänger können ihn benutzen. Er zieht sich in einer Länge von etwa fünf Kilometern hart am Ufer hin. An vielen Stellen hat man ihn durch Sprengen den Felsen abgewinnen müssen. Der dichte Pflanzenwuchs auf der einen, das Geflüster der Wellen und der hin und her rollenden Kiesel auf der anderen Seite reden den einsamen Wanderer in einer eigentümlichen Sprache an. Man denkt dabei an jene Verse im „Fegefeuer“ von Dante:

„So klingt’s, wenn Zweig um Zweige sich bewegen
Im Pinienwalde an Chiassis Meergestad’,
Sobald sich des Scirocco Schwingen regen.“

Dieser Weg heißt zu Ehren des eingangs erwähnten verdienstvollen Mannes „Friedrich Schüler-Strandweg“. Es sei durch diese Bemerkung dem abfälligen Urteil jenes Ungarn entgegengetreten, welcher beim Anblick der betreffenden Wegtafel höhnisch meinte, die „dummen Schwaben“ wüßten nicht einmal den Namen ihres größten Dichters orthographisch zu schreiben.

Wer es versteht, sich mit dem Meere zu beschäftigen – ein Verständnis, welches übrigens nicht jeder ohne weiteres mitbringt – kann da, in eine der kleinen Buchtungen zwischen den Klippen hinabsteigend, manche Stunde auf eine Weise hinbringen, die ihn reichlich entschädigt für vieles andere, was an belebteren binnenländischen Kurorten zu sehen ist.

Schon der wechselnden Beleuchtung wegen ist das Meer, ein ewig sich verändernder Spiegel, für den Beobachter ein Gegenstand unerschöpflicher Anregung. Nach einem Scirocco findet sich da auch Gelegenheit, Einblicke in die Wunderwelt des niederen Tierlebens der See zu gewinnen. Abgerissene Aeste vielstrahliger Sternkorallen schauen aus dem angeschwemmten Seegras heraus. Auf smaragdgrünen Polstern liegt die echte Seedattel, auf Sand, der von den winzigen Bruchstücken zerschmetterter Muschelschalen glitzert, der Feigenwulst einer lichtgrünen Actinie. Wo eine Süßwasserquelle aus einer Felsenritze ins Meer hinein vorbricht, halten sich gern Fische auf. Hier haftet auf dem Felsen eine von der Brandung ausgeworfene Hutqualle. Als sie sich, einem aufgespannten Schirme gleich, durch das Wasser dahintrieb, schillerte sie in Seidenglanz, jetzt, ihrem Element entrissen, hängt sie da, ein sulzartiger Fetzen. Wieder an anderer Stelle kleben die kleinen einschaligen Muscheln, „Patelle“ genannt. Sie sitzen so fest am Felsen, daß man sie mittels eines Messers nur mühsam losbringt. Die ansprühende Traufe hält sie am Leben. Bei diesem Anblick mag man sich eines Volksliedes dieser Küste erinnern, in dem es heißt:

„Träumt der rauhe Fels, ihn küß’ die Welle,
Schlägt mit Inbrunst dran die weiche Meerflut.
Nicht die fremden Felsen liebt die Welle,
Deckt die Kinder nur vor heißen Strahlen,
Helle Muscheln, eingeborne Kinder.“

Am südlichen Ufer fortschreitend hat man zur Rechten meist Oelwälder, hier und dort deuten hohe dunkle Cypressen ein Landhaus an. Ungefähr dort, wo eine bescheidene Schenke auf einem ins Meer vorspringenden Felsen steht, thut sich ein Blick auf, den man fast mit einer Aussicht am Gestade von Sorrent vergleichen könnte. Ueberhaupt läßt sich sagen, daß, vom landschaftlichen Standpunkt aus betrachtet, die Lage von Abbazia nicht gerade die günstigste an diesem Küstenstriche ist. Unzweifelhaft schöner ist die des sechs Kilometer weiter südlichen Lovrana. Wie erwähnt, mußte jedoch die den Vätern der ehemaligen Abtei zuzuschreibende treffliche Erhaltung des Lorbeerwaldes bei der Auswahl den Ausschlag geben. Schon jetzt macht sich indessen das Bestreben geltend, die Ansiedlung von Abbazia nach jener südlichen Richtung hin auszudehnen, und in Lovrana selbst ist bereits eine vielbesuchte Gaststätte entstanden. Am Wege nach Lovrana liegt auch das kühn am Felsgestade klebende Dörfchen Ika mit seiner hübschen Hafenstraße.

Bei einer Küstengestaltung, die zwischen dem Abfall des Gebirges und dem Meere nur einen sehr schmalen Streifen flachen Landes übrig läßt, ist es begreiflich, daß sich die Gäste die vor ihnen ausgebreitete blaue Wasserfläche zum vornehmsten Tummelplatze ihrer Ausflüge ersehen. In der That nimmt man wahr, daß schon nach wenigen Tagen, wenn die Uferstrecke einigemal flüchtig abgegangen worden ist, entweder die Unruhe, welche die modernen Reisenden kennzeichnet, oder die Wißbegierde oder der Drang, vom Deck eines Dampfers aus Meerluft einzuatmen, die Ankömmlinge veranlaßt, den gegenüberliegenden Küstenstrichen und Inseln einen Besuch abzustatten. Zunächst kommt die Stadt Fiume dran, in deren Hafen man jedes einzelne Schiff von Abbazia aus mit freiem Auge unterscheiden kann. Von Fiume aus führt auch ein schöner Fahrweg am Meere entlang über das malerische, terrassenförmig sich aufbauende Volosca nach Abbazia.

Sodann wendet man sich dem hammerförmigen Fjord von Buccari zu (die Enge, durch welche derselbe mit dem offenen Meere in Verbindung steht, bildet den Stiel des Hammers) und befindet sich alsbald in einer der seltsamsten Landschaften des Mittelmeergebietes. Die Umrandung dieser Bucht, die in ihrer scheinbar vollständigen Abschließung vom Meere einem Bergsee ähnlich ist, sucht an Wildheit ihresgleichen.

Bände ließen sich schreiben über die Schaustücke, welche weiterhin die kroatische Küste, dann die Inseln Veglia, Cherso darbieten. Es ist uns nicht der Raum hierzu gegeben. Doch sei noch eines merkwürdigen Verhältnisses gedacht, welches sonst im ganzen Süden nicht wieder vorkommt.

In vierzehnhundert Meter Höhe gerade über Abbazia steigt der Monte Maggiore, der bis nahe an seine höchste Kuppe hin bewaldet ist. Vierhundert Meter unter seinem Gipfel steht an der Straße, die über den Paß nach dem westlichen Istrien führt, ein trefflich bewirtschaftetes Schutzhaus. Sowohl in der Nähe dieses Hauses, als auch anderweitig auf gleicher Höhe, lehnen sich an den Berg buchenbeschattete Halden an, Flächen mit Quellen, kühlen Lüften und wundervoller Fernsicht über Land und Meer. Eine Zahnradbahn, welche von einer dieser Hochflächen an das Meer hinuntergeführt wäre, würde es ermöglichen, in einer halben Stunde die Entfernung zurückzulegen. Es wäre also die Möglichkeit gegeben, sich in der frischen Luft eines sogenannten Höhenortes aufzuhalten, dort im Walde oder auf Bergwiesen herumzugehen, und – eine halbe Stunde später in den Wellen des Meeres zu baden.

Diese Ansiedlung in der Höhe und das laue Meerbad in der Tiefe würden zusammen einen Kurort bilden, wie es in der Welt keinen zweiten mehr giebt, weil anderwärts entweder die eine oder die andere Bedingung fehlt. Vielleicht daß doch noch einmal sich die Mittel finden werden, diesen Gedanken zum Heile vieler Menschen zu verwirklichen.