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Ein weinumranktes Fenster

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Textdaten
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Autor: Ferdinand Stolle
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Titel: Ein weinumranktes Fenster
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 46, S. 725–726
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1862
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Ein weinumranktes Fenster.

Von Ferdinand Stolle.[1]

Zwei Tage war ich nicht auf mein Dachstübchen gekommen. Die Fenster hatten selbst die Nächte offen gestanden. Da waren die Weinreben neugierig herein gekommen, hatten das Fensterkreuz umklammert und rankten nun am Gesims empor, mit grünen Fingern immer weiter tastend. Die bethauten Schößlinge schauten so sicher und vertrauend, als wollten sie sagen: „Nicht wahr, Du störst uns nicht und läßt uns hier fröhlich grünen und blühen, wie unser Schöpfer es geboten?“ Ich betrachtete sinnend die kleine Schöpfung, und es that mir weh, die prachtvolle Arbeit zurückbiegen zu müssen, um ihr außerhalb des Fensters ein Plätzchen zum Weitergrünen anzuweisen.

Fröhlicher Weinbau, holdseliger Gnadenquell, wenn deine Perlen dem Goldgrunde des Römers einsteigen, dein Duft die Seele durchzieht, wer ahnet die zahllosen Mühen, Sorgen und Aengste, die diese Perlen gekostet, vom ersten Himmelsaufblicke des keimenden Auges bis zur schwellenden Traube hinter dunklem Blattgrün! Die Sorge des Weinbauers schläft nie. Je kostbarer das Pfand, das ihr anvertraut, desto zahlreicher die Feinde, die ihm offen und im Geheimen nachstellen. Ist es doch, als hätten sich eigens böse Mächte gegen die Himmelsgabe des Weins verschworen, um sie den Menschen zu verleiden.

Denn nicht immer deckt der Winter die nackten Reben mit wärmendem Schneemantel. Die Nord- und Ostwinde wehen erkältend über die Schutzlosen, oder das Glatteis dringt ertödtend bis zum innersten Geäder, die Mühen des Winzers auf Jahre vernichtend. Ging der Barfrost gnädig vorüber, verläßt die Rebe ihr Winterlager und wird am stützenden Stabe emporgerichtet, wird es in ihrem Innern wach, brechen aus schwellenden Augen die Thränen und keimt das erste Hoffnungsgrün am braunen Holze, wie besorgt schaut da der Winzer gen Himmel, wenn die Sonne golden untergegangen, heimtückischen Spätfrost befürchtend! Wohl hat er Wasserkübel in die Pflanzung gestellt, Feuer angezündet, auch wohl Strohseile gezogen; aber in früher Morgenstunde weht es eisig über die Berge. Die zarten Träublein vermögen dem tödtlichen Hauche nicht zu widerstehen. Die aufgehende Sonne beleuchtet ein weißes Todtenfeld. Schmelzen dann auch ihre Strahlen den schneeigen Reif, der die Reben wie überzuckert hält, die kleinen Trauben hängen gebrochen die Köpfchen, kein Lerchensang ruft sie wach, und der arme Winzer wandelt mit den Seinen trauernd durch seine Lieblinge, die noch gestern Abend so hoffnungsreich aufschauten und das gesegnetste Weinjahr versprachen.

Sind aber die bösen Nächte der Weinmörder vorüber, wie eilt der Winzer am Morgen des vierzehnten Mai besorgten Herzens hinaus in die Weinflur! Und siehe, seine Lieblinge sind alle wohl erhalten und lächeln unversehrt. Wie füllt sich sein Herz mit Freude und Dank, und er bittet Gott um ferneres Gedeihen. Aber kaum hat sich das Silberhorn des Mondes von Neuem gefüllt, neue Sorge! Bei den Träubchen, die fröhlich hervorwachsen, naht die Zeit, wo die unter den zartesten grünen Mützchen verborgnen Blüthen diese abstoßen sollen, um im Goldstrahl der Sonne oder in weicher Mondnacht ihren duftenden Liebesfrühling zu feiern. Da aus den Blumenkronen des hohen Frühlings steigt ein neuer Feind empor. Es ist der Tag des heiligen Medardus. Ist das auch ein mörderischer Wintergeist? Nein, am achten Juni hat der Winter in den Gegenden des fröhlichen Weinbaues nicht mehr zu gebieten. An seine Stelle ist der kalte, verdrießliche Regengott getreten.

So lange in Deutschland Reben blühen und der besorgte Weinbauer prüfend den Himmel beobachtet, hat die Erfahrung gelehrt, daß, wenn es am Medardustage anhaltend regnet, wohl wochenlang an kein Aufhören und an gut und warm Wetter zu denken ist. Da nun für die Weinblüthen jetzt die Zeit gekommen, wo sie zu Ehren ihres Schöpfers und zum Nutzen und Frommen einer weinfröhlichen Menschheit ihre Käpplein abnehmen sollen, so können sie das beim besten Willen nicht, weil die kalten Tropfen zu schwer auf ihnen lasten. Die Blüthe verkümmert traurig, und keine herzerfreuende Traube kann sich gestalten. Wölbt aber der Medardustag den Himmel blau und warm, und wandelt die Sonne ungetrübt ihre goldne Bahn, vom Aufgang bis zum Niedergang, so verheißt das anhaltend schön und warm Wetter. Da nehmen alsbald Millionen Blüthen vor ihrem lieben Gott die Mützlein ab und sind glücklich, blühen zu dürfen, und der glückliche Winzer freut sich mit ihnen. Darum der Weinspruch:

Ist Medardus naß,
Nimmt der Wein ab bis in’s Faß,
Ist Medardus Sonnenschein,
Wird der Wein gesegnet sein.


Weinblüthe! Duftend Räthsel, geheimnißreiches Wunder, wenn die Vollmondnacht auf deinen Fluren ruht! Nur der Mondstrahl, dem du dein innerstes Herz erschließest, kann ahnend davon erzählen. O, es muß ein selig Blühen sein in den Vollmondnächten, sonst würden nicht die ältesten Tropfen wach werden in den Fässern und zu rauschen beginnen:

Wenn die Rebe wieder blüht,
Rühret sich der Wein im Fasse!

Hast du in der Frühlingslaube gesessen, wenn der Mondstrahl über dem Garten lag und der Wein um dich blühte? Balsamisch duften tausend Blumen, was sind sie gegen die Weinblüthe! Und bist du zu solcher Zeit hinab gestiegen in nächtliche Tiefe, wo uralte Frühlinge wach werden und sich erzählen von ihrem Blühen und ihrer Liebe? Hast du das Brausen der Fässer vernommen, deren Spunde geöffnet werden mußten, damit nicht die eisernen Reifen sprängen? Jenes geheimnißreiche Summen? Verwehter Osterglockenton, dazwischen lieblich Frühlingsläuten? Wie die Lichter erlöschen vor betäubendem Dufte? Ja es muß eine selige Blüthenzeit sein, die der Weinblüthe, da nach langen Jahren noch ein Frühling sie dem andern zuruft. Denn die ältesten Fässer werden wach und beginnen ihren wunderbaren Choral. Drum ist auch der Wein es allein, der das älteste Herz wieder [726] jung macht und zurückführt in die Blumengärten des eignen Herzens.

Ist die Weinblüthe gesegnet vorüber, so setzen sich grüne Perlchen an, die von Woche zu Woche voller werden. Aber noch üppiger treibt der Stock in Blatt und Ranken. Da ist es Sache des fürsorgenden Winzers, dem üppigen Wachsthum weise Schranken zu setzen, damit nicht, die Hauptkraft des Wachsthums in das Laub gehe, sondern auch den Trauben zu gute komme. Da fällt manche schöne Rebe unter der brechenden Hand, selbst manche Traube aus Unachtsamkeit. Darum der Winzerspruch: „die ersten Früchte bekommt die Kuh.“ Sauber stehen nun die Stöcke mit Stroh geheftet, und von den Geländen hängt keine überflüssige Ranke mehr herab. Da, ein neuer Feind! Es sind die Gewitter. Fast keine Woche vergeht, daß es nicht schwarz und drohend herauf zieht, und je größer die Hitze, desto besorgter der Winzer. Ein einziger Schloßenschlag, und die ganze Jahreshoffnung und darüber hinaus ist vernichtet. Aber auch die Gewitter ziehen gnädig vorüber. Es blitzt und donnert, fruchtbarer Regen rauscht herab, aber der erquickt mehr, als daß er schadet. Da umlagert allmählich ein schwerer Panzer den Weinstock. Schon vermögen die dünner werdenden Blätter die Frucht nicht mehr zu verdecken. Manch Weinblatt ist vorn Winzer selbst geknickt worden, damit mehr Sonne zu den Trauben gelange. Endlich zieht auch das letzte Gewitter gnädig vorüber.

Da von hoher sonniger Lage rollt Donner durch das Thal, und ein roth Fähnlein flaggt lustig auf hoher Stange. Die erste „läuternde“ Traube ist entdeckt. Allgemeiner Jubel. Auf allen Bergen, in allen Gärten sucht man nach ähnlichem blauen Glück. Die nächsten Tage erneuter Donner, endlich von allen Bergen. Der Weinstock zieht überall sein blaues Röcklein an. Jetzt möchte der gute Winzer schon wieder bei der Vorsehung angestellt sein, um möglichst warmes Wetter zu beschaffen, damit die reifenden Trauben auch süß gekocht und dünnschälig werden. Und immer blauer wird es in den Bergen, immer schwerer lastet der fuchsgeleckte Gutedel vom Gelände. Ein neuer Feind! Magister Spatz ist es, die schwatzhafte Elster und der gelehrige Stahr. Am unverschämtesten treibt es der Erstere. Er ist der schlaueste Weindieb im ganzen Vogelgeschlecht. Stundenweit kommt er mit zahlreicher Familie aus weinärmerer Gegend daher, und erst nach Wochen zieht er dickgemästet und von der Herbstsonne ganz braun gebrannt in die Heimath zurück. Schallende Klappern, grausige Hampelmänner, bedenkliche Netze sind ihm alsbald völlig überwundene Standpunkte. Sein aufgeklärter Geist durchschaut nur zu bald diesen Schwindel menschlichen Witzes. Ergötzt sich Frau Elster an einem schmackhaften Träublein, so kann sie es nicht über’s Herz bringen: die ganze Welt muß davon wissen. Auch Freund Stahr kann nur selten den Schnabel halten. Wie anders Magister Spatz! Nicht einen Piep erzählt der Kerl von seinem Glücke. Selbst die Klapper in allernächster Nahe, wo die gesammte Vogelwelt entsetzt davon schwirrt, ist für ihn nicht da. Er schmaußt ruhig weiter. Er weiß sich zu gut versteckt. Dabei ist er Gourmand und Verschwender in einer Person. Nur die schwärzesten und reifsten Körnlein hackt er an. Das möchte sein. Mit drei oder vier könnte er zufrieden sein, er braucht nur jedes Korn vollkommen auszutrinken und das Fleisch zu verzehren; aber nein, angehackt, ein, zwei Mal getrunken und zu einer frischen Beere. Ist solche einmal geöffnet, besorgt die Insectenwelt das Uebrige.

Abermaliger Donner auf den Bergen. Die fröhliche Weinlese nimmt ihren Anfang. Jetzt erst, nachdem die Traube in der Botte, die Spille der Presse knarrt, der Most kühlig hervorrauscht, die Fässer gefüllt und in die Keller gerollt werden, kann der Weinbauer sagen: „Nun will ich mit dankerfülltem Herzen mein Haupt sorgenlos auf’s Kissen legen, denn Gottes Gnade hat wunderbar gewacht das ganze Jahr über und mir reichen Segen gegeben.“

Nach Jahr und Tag aber zündet er ein Licht an und steigt, ohne Jemandem ein Wort zu sagen, hinab in den Keller. Hier unbelauscht, in schweigender Stille, steckt er eins der Fäßlein an und füllt davon ein Fläschchen. Der junge Wein perlt geklärt im Glase, und der Winzer hält ihn wohlgefällig gegen das Licht, und noch wohlgefälliger läßt er die Perlen schlürfend und prüfend über die Zunge gleiten und schmunzelnd flüstert er: „Ein kostbar Weinchen!“ Wenn aber ein Weinbauer also kostet, so soll er solches nicht allein thun; sondern auch dem deutschen Dichter ein Gläschen einschenken. Dieser wird dasselbe ebenfalls gegen das Licht halten, prüfend kosten und – trinken, dann aber begeistert rufen:

Aus der Traube in die Tonne,
Aus der Tonne in das Faß,
Aus dem Fasse – welche Wonne!
Durch die Flasche in das Glas,
Aus dem Glase in die Kehle,
In den Magen durch den Schlund,
Aus dem Blute zu der Seele,
Aus der Seel’ als Wort zum Mund;
Aus dem Munde etwas später
Schwingt sich ein begeistert Lied,
Das durch Wolken zu dem Aether
Mit der Menschheit Jubel zieht.
Kehrt der traute Frühling wieder,
Senken sich die Lieder fein
Auf die lieben Reben nieder,
Und sie geben wieder – Wein!


  1. Probe aus dessen demnächst erscheinendem Werk: „Ein Frühlingsleben.“