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Eine Jagd auf entlaufene Neger

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Titel: Eine Jagd auf entlaufene Neger
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aus: Die Gartenlaube, Heft 13–15, S. 144–146; 160–162; 172–175
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Eine Jagd auf entlaufene Neger.

Die Sonne verschwand hinter den Bergen und die Neger, die unser Gepäcke trugen, entledigten sich ihrer Last wie Leute, die sich darauf einrichten, Halt zu machen. Wir hatten jene Stelle erreicht, wo die zwei Bäche sich vereinigen, denen der Fluß Marsau, eines der breitesten und klarsten von allen jenen wunderlichen Gewässern, die die Insel Bourbon befruchten, seine Entstehung verdankt. Vor uns gegen Westen erhob sich jenseits des Coteau-Maigre eine vulkanische Gebirgsmauer, über welche der Piton-de-Fournaise seine lange Rauchsäule emporschwingt. Wenn wir uns gegen Osten wendeten, sahen wir im Gegensatze zu dieser rauhen drohenden Natur zwischen zwei runden, waldbewachsenen Gipfeln das Meer, das so still war, wie ein schöner See. Ein großes Schiff, das in der Richtung gegen Isle-de-France fuhr, reflectirte in seinen Segeln die letzten Farben des Tages und die unaufhörlich der Küste entlang bewegten Wasser schäumten, indem sie sich an den Vorgebirgen brachen.

„Wenn es beliebt, meine Herren,“ sagte der Doctor, „so gehen wir heute nicht weiter; bevor wir in die kalten Gegenden der Insel dringen ist es gut, wenn wir diese Nacht noch einmal im gemäßigten Lande zubringen. Das heißt nämlich, wenn wir hier ein passendes Unterkommen finden.“

„Das ist meine Sache,“ bemerkte der creolische Führer; „ich weiß in der Nähe eine berühmte Höhle, nach der ich lange gesucht habe. Wenn ich mich nicht täusche, müssen wir ziemlich nahe daran sein; lassen Sie mich einmal sehen, ob dieser Pfad nicht hinführt.“

Und er verschwand mit seinem Hunde im Gebüsche.

Der Doctor, der es nicht erwarten konnte, seine am Tage gepflückten schönen Pflanzen zu mustern, nahm seine über die Schulter eines Schwarzen hängende Büchse, öffnete sie und betrachtete eine Zeit lang seine reiche Ausbeute; dann tauchte er die von der Tageshitze schon welken Stengel in den Bach.

„Wer weiß,“ rief er seufzend, indem er die Ueberbleibsel der Blätter und Wurzeln, die in seiner Büchse aufgehäuft waren, in die Strömung des Wassers warf, „wer weiß, ob die Vulkane nicht für immer verlorene Varietäten und Species unter der Lava begraben haben? Mit den Verheerungen des unterirdischen Feuers vereinigen sich die einer immer räuberischen Cultur; die Oertlichkeiten ändern sich …“

Ein Flintenschuß, der in einiger Entfernung von dem Orte, wo wir saßen, abgefeuert wurde, unterbrach die Reflexionen des Botanikers und setzte die kleine Schaar in Schrecken; das Geräusch der Feuerwaffe, das sich in den Echos der Gebirge wiederholte, rollte von Fels zu Fels und tönte dumpf in den Wäldern wieder, die sich staffelförmig unter uns hinabsenkten. Jedermann eilte der Gegend zu, von wo man die Explosion gehört, und nachdem man ein dichtes Gehölz durchstreift hatte, befanden wir uns am Gipfel einer Abdachung, die einen wahren Abgrund begrenzte. Der Führer wischte seinen Karabiner ab und pfiff seinem Hunde.

„Nun, Moritz!“ rief ihm der Doctor zu, „was für einen Feind trafen Sie auf diesem Striche?“

„Es ist nichts,“ erwiederte der Creole. „Bevor ich in die Grotte trat, wollte ich mich nur vergewissern, ob sie nicht besetzt ist. Mein Hund spürte was; er hörte nicht auf zu bellen. Ich lud meine Flinte und schoß in dem Momente, wo ein flüchtiger Schwarzer sich in die Schlucht versenkte, indem er sich an den Schlinggewächsen hinunterließ. Sie können eintreten, meine Herren, von nun an wird Niemand Ihre Ruhe stören. So weit dieser Schuß widerhallte, ist das Raubgesindel benachrichtigt, daß Weiße auf der Höhe sind; sie werden sich ruhig verhalten.“

Ein Vorhang von Schlinggewächsen verdeckte den Eingang zur Höhle vollständig; nichts konnte vermuthen lassen, daß es nicht ein grün bekleideter Felsen sei und diese einsame Zufluchtstätte konnte nur von einem Flüchtlinge entdeckt werden, der in allen Gebüschen nach einem Asyle suchte. Wir zündeten eine Lampe darin an, die sich in reizenden Reflexen auf den gezackten Blättern abspiegelte, und streckten uns auf das feine Moos nieder, das der Doctor sich wohl hütete, zusammenzudrücken, bevor er nicht mit der Lupe eine Hand voll geprüft hatte; er versicherte sogar, denn er war ein wenig weichlich, daß dieser frische Teppich ihm weicher dünke als Sammet. Was mich betrifft, so fürchtete ich, daß der Creole den flüchtigen Schwarzen, den er aus seinem Lager verjagte, verwundet oder vielleicht getödtet habe; aber er beruhigte mich vollständig.

„Ich habe ohne Kugel geschossen,“ erwiederte er mir lachend. „Zudem wollte ich nur ihn und seines Gleichen entfernen, sonst nichts; es giebt noch andere Höhlen, glauben Sie mir, die vielleicht weniger angenehm sind, wie diese da, aber immer noch gut genug für einen Neger.“

„Gott gebe, daß Sie uns auf unserer Forschungsreise in Eurem wilden Gebirge immer so angenehm logiren können!“ sagte der Doctor. „Es scheint, daß die Natur diese reizenden Asyle für diejenigen schuf, die die Liebe zur Wissenschaft von den bewohnten Ebenen in die Ferne zieht. Aber durch welchen Zufall haben Sie diese Grotte entdeckt, Moritz?

„O!“ antwortete dieser, „welcher Creole aus den Quartieren St. Rosa und St. Benedict hätte sie auf seinen Treibjagden nicht besucht? Welcher Pflanzer auf der Insel hätte nicht von der Grotte Malgache reden hören? Nur giebt es viele, die nicht wissen, woher sie diesen Namen hat. Das ist eine alte Geschichte.“

„Die zu erzählen Sie ohne Zweifel nichts hindert?“

„Nichts, außer daß Sie vielleicht auf den heutigen Weg des Schlafes bedürftig sind; morgen haben wir wieder viel zu steigen, um die Moosgegend zu erreichen, die sie durchstreifen wollen. Und dann möchte eine Negergeschichte für Sie nicht interessant sein!“

Bei Excursionen von der Art, wie wir eben eine unternahmen, hat der Führer gewöhnlich einen ziemlich hohen Begriff von seiner Wichtigkeit: er leitet die Bewegungen des Zugs so lange er auf dem Marsche ist; aber an der Haltstelle merkt er, daß sich seine Stellung geändert hat. Er wird aus einem Schwätzer, der er war, schweigsam; Fragen setzen ihn in Verlegenheit und machen ihn mißtrauisch, bis die leiseste Achtungserweisung seitens derer, die ihn begleiten, ihm seine gewohnte Sicherheit zurückgiebt. Um Moritz’s Schüchternheit zu überwinden, und ihn dafür zu gewinnen, daß er uns seine Geschichte zum Besten gäbe, bot ich ihm einige vortreffliche Manilla-Cigarren an, indem ich ihn bat, uns das mitzutheilen, was er selbst von dieser Grotte wisse, in der wir uns so bequem eingerichtet hatten. Dieses einfache Entgegenkommen hatte seine Wirkung; er setzte sich zwischen den Doctor und mich und sagte, indem er eine der Cigarren in seine Tasche gleiten ließ:

„Dank, mein Herr; ich werde das des Sonntags im Dorfe rauchen; für jetzt lassen Sie mich eine Pfeife mit Taback aus meinem Garten stopfen. Was die Geschichte betrifft, wenn Sie darauf bestehen, so verlange ich nicht mehr, als daß ich Sie erzählen darf. Wir andern kleinen Colonisten sind nicht so klug, wie die Franzosen in Frankreich; doch Sie, meine Herren, würden mich nicht zum Sprechen veranlassen, wenn Sie meiner spotten wollten.“




I.

„Ich bin niemals gereist, meine Herren,“ sagte Moritz, indem er seinen Strohhut auf seinen Flintenlauf setzte, „folglich weiß ich nicht, ob in andern Ländern die Wege sich täglich verändern; aber ich kann versichern, daß, seitdem ich auf der Welt bin, viele Neuerungen auf dieser Insel eingeführt wurden. Man macht so viel urbar, daß das Wasser bald aus unsern Flüssen verschwinden wird, und unser, für den kleinen Creolen Beruf, die nur einen Garten, ein Maisfeld und einige Fuß Vahuahs, um Zuckersäcke zu machen, besitzen, unser Beruf ist während der Woche dreimal die Fischerei, die übrige Zeit vertreiben wir uns mit der Jagd auf wilde Ziegen, die seltener werden, auf Drosseln, die bald aus den Wäldern verschwunden sein werden und auf flüchtige Neger, wenn es welche giebt. Denken Sie, daß wir, wenn alle Gehölze abgetrieben, die weitläufigen Ländereien verkauft und auf allen Plateaus Dörfer angelegt sein werden, nicht mehr leben [145] können wie früher! Sollten wir dann gar die Erde umgraben? Aber wir sind Weiße, so gute Weiße, als die größten Pflanzer, und die Haue paßt nur für die Schwarzen: das ist eine ausgemachte Sache.

„Und zudem wird die Zeit kommen, wo es an Armen fehlen wird; der Sclavenhandel ist abgeschafft! So lange er nur blos verboten war, kamen Sclaven genug und von jeder Art zu uns. Die Tricolore, meine Herren, hat uns dieses Gesetz verschafft und sie war auch Veranlassung zu einem Mißverständnisse, das einigen Schwarzen das Leben kostete. Bildeten sich diese Unsinnigen nicht ein, daß die drei Tage[1] drei Wochentage bedeuteten, die ihnen von der Regierung in Paris bewilligt wurden zum Feiern? Schon wollte der mächtigste König von Madagaskar, Radama, keine Malgaches mehr ausführen lassen; der englische Gouverneur von Isle-de-France versprach ihm zum Ersatze eine jährliche Summe von vierzigtausend Piastern, ja zweimalhunderttausend Livres, viermalhunderttausend Livres unsern Geldes! Es kamen noch Yelofs, Yambanen, Makenda’s, schöne Schwarze für die Hacke, ein bischen schwer zu halten, Kaffern, die lieber die Kühe hüten, als den Boden bepflügen und den Schnaps aus der Flasche dem Wasser aus den Strömen weit vorziehen: Mozambiquen, im Allgemeinen gute Thiere, feste Ruderer mit Affengesichtern. Da jede dieser Racen ihre besondere Geschicklichkeit besaß, so konnte man durch eine gute Auswahl für alle Bedürfnisse einer Pflanzung sorgen.

„Unter allen Sclaven, die der Handel an unsere Küsten warf, hätten sich die Malgaches am ehesten heimisch finden sollen: sie fanden die Rinder ihrer Ebenen und eine große Anzahl ihrer Waldbäume wieder. Nun, man hatte mehr Mühe, sie einzugewöhnen, als die andern; es ist zwar wahr, man verlor nicht viel Zeit, um sie anzuweisen, aber sehen Sie, meine Herren, der Neger ist ein geborener Faullenzer und ein Mensch, den es vor der Arbeit ekelt … “

„Wird sich lieber einer jeden Entbehrung unterziehen, als seiner Neigung entgegenhandeln,“ fuhr ich fort, indem ich den Creolen ansah.

„Ja, mein Herr, mein Vater hat es mir sehr oft wiederholt, wenn wir an der Mündung der Flüsse unsere Netze legten. Sehen Sie hier, er hat die Kürbisflasche selbst gemacht, die ich trage; Sie werden keine schönere auf der ganzen Insel finden, er hat mehr als einen Monat dazu gebraucht, um sie so hübsch zu machen, wie sie ist. Das erste Mal, als er sich ihrer bediente (es ist schon so lange her und ich erinnere mich dessen noch, als wäre es gestern gewesen) waren wir auf der Ziegenjagd gegen Salazes zu. Durch vieles Bitten erhielt ich die Erlaubniß, die Jäger begleiten zu dürfen. Der Weg war sehr lang und auf dem Rückweg war ich lendenlahm: aber ich behielt meine Fassung bis zu Ende und mein Vater ließ mich, mit seiner Flinte auf der Schulter, in’s Dorf gehen. Als wir nun vom Gebirge herabstiegen, erblickten wir am Horizonte, weit im Meere draußen, einen kleinen weißen Punkt.

„Siehst Du da unten?“ sagte mein Vater zu mir. – „Ja,“ antwortete ich, „ich sehe einen Strohschober oder eine Seemöve, die mir wohl ihre Flügel leihen könnte, denn ich fange an, zu fühlen, daß mich die Fußsohle drückt.“ Mein Vater antwortete nichts; da die Sonne sich in den Wogen spiegelte, so senkte er seinen großen Hut über die Stirn, hielt rasch an und begann diesen weißen Punkt zu beobachten, der zwischen Himmel und Wasser zu gleiten schien. Was mich betrifft, ich ließ mich auf’s Gras nieder.

„Ich möchte wetten, daß es die Diana ist,“ rief mein Vater nach kurzem Schweigen. „Sie wird einen Kreuzer auf der Höhe von St. Denis gesehen haben und ist nun von ihrer Fahrt abgewichen, um ihn von der Spur abzubringen. Wenn sie der Wind nicht abhält, werden wir sie heute Abend in der Bucht von Piton vor Anker liegen sehen.“

„Während dieser Zeit fuhr ein kleines Kriegsschiff, das wir plötzlich zu unserer Linken sahen, hinter das Cap zu. Es fuhr ungefähr zwanzig Minuten in dieser Richtung, dann – hatte es die Goelette, die es jagte, aus dem Gesichte verloren, oder that nur, als ob es sie nicht bemerkte – wendete sich und verschwand. Alsbald hörte der weiße Punkt auf, sich zu entfernen; er wuchs rasch und wir konnten die Diana selbst erkennen, die mit allen Segeln in der Richtung von Piton fuhr. Sobald es Abend wurde, zündete man in einem Felsenwinkel, der die Bucht begrenzt, ein Feuer an; es waren dies Pflanzer, die bei der Ausrüstung des Schiffes interessirt waren, die einen Leuchtthurm aufrichteten, um der Goelette ihren Weg zu bezeichnen, und wahrlich, die Vorsicht war nicht unnütz, denn niemals hat man eine schwärzere Nacht gesehen und man bedurfte dessen, um die Landung unbesorgt bewerkstelligen zu können.

„Die Ankunft eines Negerschiffs an der Küste machte in den Vierteln immer einiges Aufsehen. Man lief an den Abrand, um die neuen Sclaven zu sehen, besonders die Kinder glitten hinter die Alten, warfen sich in die Kähne und suchten dem Schiffe so nah als möglich zu kommen. Die Matrosen jagten uns mit Ruderhieben davon, wenn wir mit leeren Händen kamen, aber wer Geld von uns hatte, durfte an Bord kommen, und wir kauften schöne graue Papageien von der afrikanischen Küste. Mein Vater war nicht reich und kümmerte sich selten um diese Ankunft; doch hatte er eben eine kleine Erbschaft gemacht, was ihm den Gedanken eingab, einen Schwarzen auszuwählen, dem er das Zimmergewerke lehren konnte, das er selbst von Zeit zu Zeit ausübte. Wie alle Creolen in unsern Vierteln, konnte er ein hölzernes Haus zusammensetzen und eine Pirogue aushöhlen. Die ersten Colonisten, die sich auf diesem Eilande niederließen, mußten wohl selbst ihre Hütten bauen. Sie waren anfänglich Soldaten in den Garnisonen von Madagaskar und wurden dann Flibustier; dann als es nicht mehr profitabel war, die Meere zu durchstreifen, mußten sie sich wohl entschließen, sich am Lande festzusetzen und da haben sie sich hier angepflanzt. Als man später eine Regierung bildete, gab man denen, die Geld hatten, Ländereien; diese fingen nun an, Sclaven zu kaufen und das Land im Großen urbar zu machen und unsere alten Familien, die sich für die Herren der Insel hielten, fanden sich nun allmälig auf ihre Besitzungen eingeschränkt, die nun zur Stunde unter die ungeheuren Plantagen, die sie ersticken, hineingedrängt sind. Ja, meine Herren, die ersten Einwohner und ihre Abkömmlinge, die man verachtet, haben trotzdem die Colonie gegründet und wie Adam im Irdischen Paradiese gaben sie den Vögeln des Himmels, den Fischen der Flüsse und den Bäumen des Waldes ihren Namen.“

„Und damit,“ unterbrach ihn der Doctor, „haben sie der Naturgeschichte und der Botanik einen schlechten Dienst erwiesen.“

„Das ist möglich; aber sie haben für die Gelehrten das gethan, was ich heute für Sie thue, mein Herr: sie haben es übernommen den Weg zu zeigen. Alle Pfade die wir gekommen sind und die wir morgen durchschreiten werden, habe ich wie viele Andere auf meine Kosten kennen gelernt; die Entdeckung dieser Grotte kostete mich … mehr als ich je besitzen werde. Sobald nun die Diana in der kleinen Bai Anker geworfen hatte, sagte mein Vater zu mir: „Moritz, wenn Du nicht zu müde von der Jagd bist, komm mit mir. Es sollte eine schöne Zahl Schwarzer hier ankommen, und ich will wählen. Ein roher Neger von mittlerer Kraft wird nicht mehr kosten als ein französisches Maulthier; ich lehre ihm mein Handwerk; er wird ein Arbeiter, ein guter Arbeiter; wir vermiethen ihn in die großen Werkstätten um einen bis zwei Piaster den Tag; am Ende bezahlt er sich wieder und ich gebe Dir diese Summe als Mitgift und wenn Du sparsam bist, wirst Du einst ein Pflanzer werden.“

„Ich zweifelte nicht daran, daß all das so kommen mußte, weil es mir mein Vater sagte; auch klopfte mir das Herz recht stark als ich beim Schimmer der Laternen, die die Goelette beleuchteten, sie von den Eiebäumen umringt sah. Aus diesem so leichten schmalen Fahrzeuge, das auf dem Wasser tanzte und bei der leichtesten Brise schaukelte, kamen so viele Schwarze, daß ich zu träumen glaubte. Wahrlich, meine Herren, man hätte sie wie trockene Schläuche zu zweit zusammenlegen müssen, um sie alle im Raume halten zu können. Je nachdem man sie an’s Land brachte, betrachtete ich sie von Kopf bis zu Fuß und sie schienen mir alle mehr oder minder beschädigt; das kam daher, weil sie während der Ueberfahrt nicht frei athmen konnten; aber die freie Luft brachte sie mit wenigen Ausnahmen wieder zu sich; Einzelne konnten, wie Fische die zu lange außer dem Wasser bleiben, nicht mehr in’s Leben zurückkommen. Der Kapitän fluchte gegen sie; und es war nicht unmöglich, daß sie expreß deshalb gestorben waren, denn [146] unter diesen halbwilden Schwarzen giebt es schlechte Subjecte die Alles fähig sind. Nachdem Jedermann die Sclaven, die ihm tauglich, ausgesucht hatte, beschäftigte sich die Schiffsmannschaft damit, den Schiffsraum zu reinigen. Man brachte Vorrath an Bord; die Kähne nahmen an der Mündung eines Baches frisches Wasser ein und am andern Tage, nachdem die gekauften Sclaven wahrend der Nacht in’s Innere abgeführt worden waren, war keine Spur von der Landung mehr zu sehen. Das vor der Insel stationirte Kriegsschiff lavirte am frühen Morgen; aber die Goelette befand sich gerade auf demselben Punkte, wo wir sie am Tage vorher bemerkt hatten, nur mit dem Unterschiede, daß sie sich der afrikanischen Küste zuwendete, um von Neuem ein Sclavengeschäft zu versuchen.

„Die Kanonen, die in verschiedenen Quartieren der Insel abgefeuert wurden, hallten um uns wie ein fernes Gewitter; ein leichter Wind, der aus der Ebene und den Schluchten kam, brachte uns murmelnd den Geruch der Gewürznelken, vermengt mit den lieblichen Waldesdüften. Die kleinen Lianen, die sich von den Wänden der Grotte losrangen, zitterten sanft; es war der laue Athem der tropischen Nächte, der auf dieser Höhe sich in einen frischen scharfen Wind verwandelte.“

„Eine derartige Nacht bietet in der That das Bild der Ruhe dar,“ sagte der Doctor, indem er den Blättervorhang wegschob. „Sehen Sie wie die schönen Gestirne der mittäglichen Halbkugel im Süden funkeln! Bewundern Sie nicht die wohlthätige Natur, die aus dem Busen des Oceans diese anmuthige fruchtbare Insel hervorgehen ließ?“

„Nicht wahr, meine Herren,“ bemerkte Moritz lebhaft, „nicht wahr, unsere Insel ist ein kleines Kleinod? Mit ihren Gebirgen und Schluchten, mit ihren Pflanzungen und Wäldern, mit ihren Vulkanen und Flüssen erscheint sie dreimal größer als sie wirklich ist, und nur wenige Einwohner kennen sie in allen ihren Winkeln und Krümmungen. Gegen das Meer zu ist sie drohend: sie braucht viele Felsen, um sich gegen die Wogen zu vertheidigen, die ohne Unterlaß an sie schlagen: aber je weiter man sich vom Strande entfernt, je lachender, grüner und frischer wird sie durch die Ströme, bis man zu jenen großen kahlen Bergen gelangt, wo sich deren Quellen verbergen. Dadurch hält sie auch im Sommer die großen Gewölke fest, die sonst nutzlos in den Ocean fallen würden. Die Schwarzen, die man von der afrikanischen Küste hieherbrachte, hätten sich überglücklich fühlen sollen, daß man sie auf unsere Insel führte; ohnedem waren es meistens Kriegsgefangene, deren Loos es war, vom Sieger verzehrt zu werden. Jene von Madagaskar mußten den Tod durch Zagniewürfe[2] erwarten, weil das dort die herkömmliche Art ist, sich der Gefangenen, die sie nicht verkaufen können, zu entledigen. War es nicht besser Zuckerrohr zu pflanzen und Kaffeebohnen zu pflücken? Nun, es war sehr schwer, ihnen das begreiflich zu machen! Es gab welche unter ihnen die, kaum gelandet, schnurstraks in’s Gebirge liefen; aber nach einigen Tagen fand man sie sterbend vor Hunger, wie Hasen zusammengekauert in den Gebüschen, oder sie ließen sich auch wohl an den Rand eines Abgrunds treiben, von wo sie nun nicht anders entrinnen konnten, als daß sie mit dem Kopf voran sich in den Abgrund stürzten. Andere blieben am Fuße eines Baumes gelehnt, die Augen auf’s Meer gerichtet und verweigerten Nahrung anzunehmen, indem sie, unempfindlich für Schläge, auf Drohungen nichts erwiederten; nach und nach sah man sie ermatten, ein fieberhaftes Zittern schlug ihre Knie aneinander und sie starben aus Sehnsucht nach einem Lande, wo sie nicht mehr leben durften. Wie trostlos, kräftige Männer und Weiber in der Blüthe ihres Alters da erlöschen zu sehen, wie Bäume die von der Sonne getödtet werden, ohne ihrem Herrn, der sie so theuer bezahlte, nur einen Sou eingebracht zu haben.

„Der Malgache, den wir eben gekauft hatten, schien keineswegs von dieser schrecklichen Krankheit ergriffen zu sein; es war ein munterer thätiger Bursche, der bald die Hacke mit einer gewissen Geschicklichkeit zu handhaben verstand. Wir behandelten ihn gut, weil man bei diesem Geschlechte schlecht fährt, wenn man sich zu streng zeigt. Wenn er damit beschäftigt war, Piroguen auszuhöhlen, die wir nach St. Pierre verkaufen wollten, sah ich ihm zu und half ihm sogar manchmal: er schnitt mir kleine Schiffe, die ich auf dem Flusse schwimmen ließ, indem ich Federn anstatt der Segel darauf setzte. Ich gewann ihn lieb, aber mein Vater war mißtrauisch gegen ihn; eines Tages sagte er zu mir: Dein Malgache wird uns einen Streich spielen: ich mag sein Gesicht nicht, er ähnelt zu sehr Guinola! – Guinola war ein Schwarzer aus Madagaskar, der seit langer Zeit verschwunden war. Die Einen behaupteten, daß er in den Bergen umgekommen sei. Andere versicherten, daß er die Banden der Flüchtigen leite, deren Zahl sich, trotz der Treibjagden, die man häufig gegen sie veranstaltete, nicht verminderte.“




II.

„Um jene Zeit, meine Herren,“ fuhr Moritz fort, „wäre es mit einiger Gefahr verbunden gewesen durch die Gehölze zu laufen, wie wir jetzt thun, um Pflanzen zu sammeln. Die flüchtigen Neger hatten die Höhen besetzt, die man hier die Ebenen nennt: das sind mehr oder minder hohe Plateaus, die zwischen den Bergspitzen versteckt sind; zusammenhängende Räume von Schluchten beschützt und mit abschüssigen Abgründen umgeben, die den Gräben einer Citadelle gleichen. Es war nicht unmöglich bis zu diesen abgelegenen Gegenden vorzudringen, wenn man den Flußbetten entlang emporstieg; aber außerdem daß dieser Weg während der Regenzeit ungangbar ist, so gestatten die entwurzelten Bäume, die vom Gewässer fortgerissenen Felsen, die Schlinggewächse, die auf beiden Seiten herabhängen und die dornigten Pflanzen, die die Ufer der Schlucht umkleiden, nicht leicht einem bewaffneten Manne diese befestigten Plätze flink zu stürmen. Man wußte so ungefähr, wo die flüchtigen Neger nisteten; manchmal brannten da oben ihre Feuer wie Sterne, denn sie litten an Kälte. Wenn der Hunger sie drängte, so kamen sie in finsterer Nacht mit Ungestüm in die Thäler, plünderten die Gärten und verbrannten und vernichteten in einigen Stunden die Ernte eines Jahres; der Lärm verbreitete sich rasch, man waffnete sich, aber wohin laufen? Die Plünderer rieben sich mit Kokosnußöl ein und entwischten der Hand, die sie ergriff, und wenn man vom ersten Momente der Ueberraschung zur Besinnung kam, waren die Räuber in weiter Ferne: sie hatten Zeit gehabt sich an sichere Orte zu begeben und ihre Beute dahin zu schaffen. Hie und da verbreiteten sie sich vereinzelt durch die Pflanzungen, nahmen ihre Weiber und Freunde mit sich und am Morgen fand der Pflanzer das Haus leer. Für manche Schwarze ist es ein Bedürfniß herumzustreichen; man fängt sie, fesselt sie, man läßt sie die Kugel schleppen, und am Tage, wo die Züchtigung aufhört, entlaufen sie von Neuem, so daß sie ihr Leben mit Abbüßung des Vergehens und mit dem Begehen desselben verbringen.“

„Und man ermüdet nicht sie so strenge dafür zu bestrafen, daß sie mit aller Gewalt frei sein wollen?“ fragte ich den Creolen.

„Menschenfreundliche Herren verzichten manchmal darauf sie selbst zu züchtigen,“ erwiederte Moritz; „sie schicken ihre Sclaven zur Arbeit in den Hafen und dort verfährt man ein wenig hart mit ihnen; das sind jene, die Sie gesehen haben können …“

„Nein Freund, unterbrach der Doctor, „erinnern Sie mich nicht an die betrübenden Scenen, die des Fremden Auge verletzen, wenn er an Euerer Insel landet. Wenn Ihr die Sklaverei so mißbraucht, so beschleunigt Ihr den Tag der Emancipation.“

„Ah! ja, die Freiheit, schön Dank, wie die Schwarzen auf Isle-de-France sagen,“ rief Moritz. „Wozu nützte es denn, frage ich Sie, weiß zu sein? Wenn dies jemals geschieht, werde ich ein Flüchtiger, ich verlasse das Dorf, ich desertire von der Miliz! Wenn man nicht zu viel auf die Vergnügungen der Gesellschaft giebt, kann man sein Leben in den Bergen ruhig zubringen. Es giebt entflohene Sclaven, die schon mehr als zwanzig Jahre dort gelebt haben, und während die Bevölkerung, je nach den Zufällen des Krieges, bald englisch, bald französisch war, hörten jene, die von allem dem nichts wußten, nicht auf, Kaffern oder Malgachen zu sein. Man dachte damals nicht daran, sie zu beunruhigen und sie sehen mit gleichgültigen Augen von der Höhe der Berge zu, wie sich ihre alten Herren am Strande schlugen, ohne sich für eine Partei zu erklären, wie Leute die nichts zu gewinnen oder zu verlieren hatten.

[160] „Jene Sclaven bildeten ein Hauptlager im Mittelpunkte der Insel, an einer Stelle, die man noch jetzt Heinrichslager nennt. Das war ihre Festung; aber da es an diesem engen, trichterförmig ausgehöhlten Raume nicht für Alle genug zu essen gab, so bemächtigten sie sich, je nach der Jahreszeit, anderer Punkte der Ebene. Das wenigstunzugängliche unter diesen Lagern in zweiter Linie, wo sie sich nur vorübergehend und nie ohne Mißtrauen niederließen, weil man sie dort leicht erwischen konnte, grenzte an den großen Teich am Eingang in die Palmenebene. Von da stürzten sie sich durch den Fluß Sache auf die Pflanzungen von St. Benoit und St. Rose und stiegen wieder die Kaffeeebene hinan, um in die Thäler von St. Pierre herabzukommen. Die auf diesen Höhen in Ueberfluß wachsenden Palmen schafften ihnen leicht Nahrung; sie pflanzten dort auch Bananen und einige Wurzeln an, die Sonne reifte die Früchte dieser wilden Gärten ganz wie die unserer Obstgärten.

„Eines Tages entschloß man sich dieses Lager von zwei Seiten anzugreifen, zu einer Zeit nämlich, wo man vermuthete, daß sich die Flüchtlinge dort niedergelassen hatten; man war es müde immer über dem Kopfe unsichtbare Feinde zu haben. Man schickte einen Spion auf’s Gebirge, um sie aufzusuchen; man ergriff zweckdienliche Maßregeln und bemühete sich, auf zwei verschiedenen Wegen in die Palmenebene zu kommen. Die Leute von St. Benoit marschirten dem Flusse Sache entlang, und wir folgten dem Walle des weißen Holzes; an einem bestimmten Tage sollte man sich auf dem Plateau vereinigen. Bei derartigen Zügen fehlt es nicht an Strapatzen und Gefahren, aber man beunruhigte sich deshalb nicht: die Berge verlocken wie das Meer; man will sehen, was droben vorgeht, wie man wissen will, was da unten hinter dem Horizont geschieht. Zudem waren unsere Väter Abenteurer, wie ich Ihnen sagte, und wir haben von ihnen das peinigende Bedürfniß eines thätigen Lebens; sie durchforschten die Insel und drangen zuerst in diese Wälder, wo der Vogel sang, obwohl ihm Niemand zuhörte; unser Vergnügen war es, nur auf die Berge zu klimmen, in die Schluchten zu gleiten und überall zu suchen, ob es keinen Fleck mehr zu entdecken giebt. Wir wurden auch dadurch ermuthigt, daß unsere Schaar gewöhnlich von alten Creolen angeführt wurde, von alten Sklavenhändlern von Madagaskar, die hieher gekommen waren, um von ihren viel abenteuerlicheren Reisen auszuruhen und in unserem gastlicheren Klima von den aus Tintingua bekommenen Fiebern zu genesen; sehr oft brachten sie aus dem Malgachenlande keine großen Reichthümer mit, aber eine Masse wunderbarer seltsamer Geschichten, die wir uns von ihnen an den Haltstellen erzählen ließen.

„Auf diesen Zügen gingen wir immer barfuß: nur Sonntags zogen wir, wenn wir in’s Dorf gehen wollten, Schuhe an, um nicht mit den Mulatten, die nicht frei sind, verwechselt zu werden: aber im Felde war diese Auszeichnung überflüssig. Die Kürbisflasche an der Seite und die Flinte über der Schulter, durchdrangen wir lustig die Gehölze; jeder trug, außer einer Pfeife am Hutbande, ein Feuerzeug und Mundvorrath. Einige hatten auch an ihrem Gürtel eine kleine Hacke hängen, um die dicken Schlinggewächse zu durchhauen und Bäume zu fällen, die man als Brücken über die Abgründe legte. So bewaffnet glichen wir ein wenig einer Schaar Flibustier aus der alten Zeit; die Seesoldaten würden über uns gespottet haben, sie, die über unsere Milizen lachten, weil sie nicht regelmäßig marschiren. Wozu auch? Wir sind nicht Regimentern zugetheilt, um in der Fremde Krieg zu führen, aber wohl in Compagnien organisirt, um uns gegen die Gebirgsräuber und äußeren Feinde zu vertheidigen. Wenn man während der französischen Revolution an der Küste feuern mußte, so blieben keine Garnisonstruppen übrig, wir bekamen keine Hülfe und dennoch kämpften wir; wir schickten sogar unseren Verbündeten in Indien Verstärkungen zu. Die, welche man später anklagte, daß sie im englischen Solde stünden, glauben Sie mir es, meine Herren, das sind nicht die kleinen unbeschuhten Weißen.

„Ich machte diesen Zug in die Palmenebene als Freiwilliger mit, ich war kaum siebzehn Jahre alt, aber ich dachte, es sei nicht schwerer die Flüchtlinge zu jagen, als die Tülgel (Wasservögel) in den Felsen aus den Nestern zu nehmen. Und welches Kind aus unsern Kantonen hätte nicht hundertmal sein Leben gewagt, um diese Seevögel aus ihren Nestern zu nehmen? Wir kamen zuerst durch den Wald, der sich über den Vieux-Brulé hinzieht. Der Vulkan, der nun fast an der Südspitze raucht, scheint durch die ganze Länge der Insel gewandert zu sein, um dahin zu gelangen, wo er sich jetzt befindet; aber am Ende hat sich die Vegetation wieder darüber verbreitet. Auch findet man in Vieux-Brulé überall Holz auf dessen Haupt und Lava zu dessen Füßen, man geht immer auf etwas Glasartigem und die Bäume, die aus diesen seit Jahren erkalteten Feuerwogen hervorwuchsen, kreuzten zuletzt ihre Zweige, um ein fast undurchdringliches Unterholz zu bilden. Wenn die Sonne senkrecht auf diese schirmartig ausgespannten Zweige fällt, befindet man sich unter ihnen zwar im Schatten, aber man erleidet eine drückende Hitze. Die Füße brennen auf dem nackten Boden und das Gras, das hier und da sprießt, verwandelt sich in Staub oder vielmehr in Asche. Der Seewind eilt an diesen Abhängen vorüber, kaum fühlte man ihn, kaum regten sich die Blätter, so ist der Hauch wieder verschwunden; man hört ihn, wie er über den Wald fliegt, gleich als spottete er des keuchenden Reisenden.“

Die Erinnerung an diese heißen Tage erweckte im Creolen einen Durst, der bei ihm ziemlich etwas Gewöhnliches war. Er stillte ihn nun mit seiner Kürbisflasche, die schon geleert gewesen wäre, wenn wir nicht dafür gesorgt hätten, sie mit altem französischen Weine wieder zu füllen.

„Nach einem ziemlich beschwerlichen Tagesmarsche,“ fuhr er fort, „hielten wir in einer dieser Schluchten an, unter großen halb entwurzelten Takamas, die in der Erwartung einer Wasserhose, die sie hinabstürzen sollte, über den Abgrund hereinhängen. Hie und da schwangen sich über schattenliebenden Himbeerstauden die Baumfarrenkräuter in die Höhe, deren lange zackige Blätter, vom Stamme getrennt und im Kreise zerstreut, einer feurigen Sonne gleichen, die man an Festtagen in den Dörfern abbrennt. Ueber unsern Häuptern sahen wir durch eine Oeffnung, wo sich ein breiter Himmelsstreif zeigte, so blau wie die See in den Buchten, Palmenstengel vom Winde, wie Federbüsche am Eingange der Ebene bewegt. Wir brauchten nur noch einige Stunden zu steigen, um das Plateau zu erreichen, wo die Schwarzen lagerten; aber war das Wild, das wir suchten, noch dort?

„Das mußten wir wissen: ein junger Mensch aus der Schaar nahm es auf sich auf Recognoscirung auszugehen, und er sollte uns ein Signal damit geben, daß er einen Kieselstein in die Schlucht warf. – Wenn Quinola bei ihnen ist, sagten Einige von uns, so werden wir nur das Nest finden, die Vögel werden ausgeflogen sein. – Bah! erwiederte ein Anderer, wenn Quinola noch lebte, würde er sich unter den Banden zeigen! – Die Schwarzen, die man in den letzten Jahren aufgegriffen hatte, versicherten, daß er im Gebirge wohne, aber, da er das Zauberhandwerk verstände, so könnte er sich unsichtbar machen; sie nannten ihn den großen Ombia, den Oberpriester. Gewiß war es, daß man in den Städten schon lange die verspottete, welche Quinola lebend glaubten, in den Dörfern nahm man es ernster und bei seinem Namen zitterten die Kinder. Was mich betrifft, so dachte ich wohl, daß er im Gebirge leben könne ohne sich zu zeigen und daß er zu schlau sei, um anderen Flüchtlingen seine Zufluchtsstätte wissen zu lassen; trotzdem konnte ich den Schrecken nicht ganz überwinden, den der Gedanke an diesen Menschen, nämlich an diesen Schwarzen, seit meiner Kindheit einflößte; ich hatte mehr Grund als die Andern nicht beruhigt zu sein. Als ich einmal ziemlich weit vom Hause wegging Jamrosen zu pflücken, sah ich einen alten Malgache-Neger hinter mir, mit ganz weißen Haaren. Sie begreifen, meine Herren, daß ich mich bei seinem Anblick fürchtete und davon laufen wollte; aber er hielt mich auf, indem er mir in den Weg trat und sagte: „Moritz, Sie haben einen guten Schwarzen zu Hause, einen tüchtigen Arbeiter; wenn er sein Handwerk gut verstehen wird, werde ich ihm irgendwo einen schönen Baum zeigen, den er gerne fällen wird.“ Und darauf verschwand er im Gehölze. Heimgekommen wagte ich es niemals mit meinem Vater von dieser Erscheinung zu sprechen, die mich [161] quälte, er hätte mich ausgelacht; und da er mir gezürnt, wenn ich es Andern gesagt hätte, so behielt ich mein Geheimniß für mich.“


III

„Ich gedachte demnach jener Begegung,“ fuhr Moritz fort, und nahm mir vor, wohl Acht zu geben, wenn ich den alten weißhaarigen Schwarzen, den ich nicht kannte und der mich so vertraut bei meinem Namen genannt, entdecken solle. Während wir uns nun alle unter dem Felsen befanden, bekam ich Lust zu erzählen was ich erlebt hatte: aber die Furcht, nicht angehört zu werden, hielt mich alsbald zurück. Die Alten, die des Lügens gewohnt sind, bilden sich immer ein, daß die Jungen ihnen etwas aufbinden wollen und dann mag man auch nicht als Hasenfuß gelten, blos deshalb, weil man so unglücklich war, etwas mehr gesehen zu haben als Andere. Diese Gedanken durchkreuzten meinen Kopf und noch viele andere, denn man denkt nie so viel, als wenn man ein wenig müde ist. Nehmen Sie an, meine Herren, Sie legen sich in einem Walde; die Vögel und Insekten fangen an auf’s Schönste zu singen und zu summsen; setzen Sie Ihren Marsch fort, sie schweigen und verschwinden. So machen es die Gedanken, die das Gehirn belagern, wenn die Beine still stehen; sobald man sich wieder in Bewegung setzt, fliegt Alles davon!

„Nachdem wir öfters Halt gemacht hatten, hörten wir einen Kiesel an den Steinen der Schlucht niederfallen und nachdem er lange in dem zu unsern Füßen rollenden Gießbache in die Höhe geschnellt worden und endlich gefallen war, blieben wir stehen. Jeder bereitete sich vor, seinerseits den Abhang zu erklettern; zu dem Zwecke mußte man an den Lianen hinanklimmen, das Knie auf eine Felsspitze stützen, sich mit den Ellbogen an alte wurmstichige Wurzeln, die oft reißen, festhalten, und man fühlt, daß man rutscht. In solchen Momenten hascht man nach Allem, nach Dornen, Brombeerstauden, die die Hände blutig zerreißen, man reißt sich die Haut an den Füßen auf, man reibt sich die Haut im Gesicht wund im nassen Boden, man läßt eine ganze Flut von kleinen Steinen hinter sich rollen, die sich vom Boden ablösen und lärmend in den Abgrund fallen; endlich hält man sich an einem festeren Baumstamm im Falle fest, man schöpft wieder Athem und hat die Beruhigung, daß man um ein zwanzig Klaftern rückwärts gekommen ist.“

„Auf diese Weise,“ bemerkte der Doktor, befindet man sich nach einigen Stunden wieder gerade im Grunde des Flußbettes.“

„Und wenn man hinabsteigen will,“ bemerkte der Creole, „ist man wieder in derselben Verlegenheit; aber nach vielem Suchen entdeckt man einen weniger ungangbaren Weg; man klimmt hinan, man kommt langsam vorwärts, indem man den Athem anhält, ohne hinter sich zu sehen, die Augen auf den Gipfel des Berges geheftet, der immer zurückzuweichen scheint, denn die Berge sind im Allgemeinen zehnmal höher als sie scheinen. Es giebt im Leben viele Dinge, die entfliehen und sich entfernen, wenn man sie in der Hand zu haben glaubt. Auch geht man im Alter langsamer, weil man weiß wie lange man zu gehen hat; aber ich war damals jung und brannte vor Ungeduld die Höhe zu erreichen. Gelangweilt von dem Kampfe gegen einen so unüberschreitbaren Abhang, wandte ich mich ein wenig rechts über kleine Pfade, die ohne Zweifel von Ziegen herrührten. Ich fing an zu laufen und zu springen, ich kannte mich nicht mehr vor Freude. Plötzlich trat ich aus dieser Schattenmasse, die die benachbarten Gipfel über die Schlucht hinwarfen, und die Sonne blendete mich; das Herz schlug mir gewaltsam, weil ich zu schnell gegangen war, und auch weil ich am Rande des Palmenplateaus, das heißt, vor dem Lager der flüchtigen Neger war.

„Um diese Stunde dachte ich, sollen die Räuber schlafen und meine Gefährten werden noch zur rechten Zeit ankommen ehe sie sich wieder weiter begeben. Wir sind sicher sie zu ergreifen. Und ich rutschte vorsichtig durch das schwarze Holz; es gab hier und da abgebrochene Aeste; das Gras in meiner Nähe war zusammengetreten und Alles deutete darauf hin, daß ich mich dem Lager näherte und bald sollte ich den Beweis davon haben. Als ich meinen Kopf unter die Büsche steckte und mit der Hand die Wurzeln wegschob, die gerade deshalb so in einandergeschlungen zu sein scheinen, um den Vorübergehenden fallen zu machen, stieß ich mit dem Knie an ein spitzes Holz und ich empfand einen so heftigen Schmerz, daß ich schnell stehen blieb. Diese kleinen wohlgespitzten Hölzer, die im Feuer gehärtet und an die Wege gesteckt werden, die zu ihren Lagern führen, sind eine schreckliche Vertheidigungswaffe, worauf die Neger viel halten; wenn diese verdammte Erfindung die Patrouillen nicht zum Stillstehen zwingt, so zwingt sie dieselben wenigstens vorsichtig vorwärts zu gehen und schützt die Flüchtlinge also vor einem plötzlichen Ueberfalle. Ein Mann, ein Weißer, der eine Flinte auf der Schulter trägt durch einige Linien von einem Holzstücke, das sich in seine Fersen eingräbt, kampfesunfähig gemacht! … manchmal sogar für sein ganzes Leben gebrechlich, den Fuß nachzuschleppen in Gegenwart seiner Sclaven, die in’s Fäustchen lachen, und eine Geberde machen, als wenn sie sagen wollten: „Wenn ich einmal durchgehe, so wirst Du mich nicht fangen!“ – Das ist sehr erniedrigend! Meine Wunde blutete sehr; ich verband sie mit meinem Taschentuchn, nachdem ich das ganze Knie mit Branntwein eingerieben hatte und ging nicht weiter vorwärts; ich hätte sogar etwas darum gegeben, wenn ich einen Schritt weniger gegangen wäre. Dann weiß ich nicht, ob mir die Ohren in Folge des Schmerzes klangen, aber ich glaubte neben mir lachen zu hören. Ich horchte aufmerksam; eine Stimme, die mir nicht ganz unbekannt schien, redete, indem sie sich entfernte.…… Ich spanne den Hahn, ich wische den Stein ab und bessere ihn auf, indem ich mit meimem Messer darauf schlage, und wage mich dann an den Saum des Gehölzes. Was ich auf der Hochebene sah, meine Herren, hatte ich im Traume zu sehen geglaubt, wenn mich die von allen Seiten durchschimmernde Sonne nicht gezwungen hätte einzusehen, daß meine Augen wohl offen waren. Denken Sie sich gegen dreißig Schwarze, die am Fuße der Palmen herum gruppirt sind, die Einen ganz nackt, die Andern mit einer Decke bekleidet, die über der Schulter zusammengeknüpft war. wie die Hottentotten am Kap; diese einen Hut ohne Rand auf dem Kopfe und oben mit einer Weste ohne Aermel bekleidet, jene in eine einbeinige Hose eingeschlossen. Meistentheils hielten sie Stöcke in den Händen, die entweder die Form einer Keule hatten, oder mit eisernen Spitzen versehen waren; einige hatten spitzige Messer im Gürtel. Diejenigen, die mit Fetzen von den in den Wohnungen gestohlenen Gewändern bedeckt waren, sahen erbärmlich aus; die aber, deren Haut in der Sonne glänzte, frei im Naturzustande, stellten doch wenigstens wilde Menschen vor: der Schwarze ist in seine Farbe gekleidet. Es gab deren von verschiedenen Racen da; aber der alte Malgache, den ich suchte, befand sich nicht unter dieser Bande.

„Es schien mir, daß die Flüchtlinge eben ihr Mahl beendigten; man sah kleine Aschenhaufen, auf welchen sie ihre Bananen und süßen Kartoffeln gekocht und einige entblätterte Palmenstengel. Ich war hungrig und hätte gerne die halbreife Pfirsiche verzehrt, die ich in meinem Rocke hatte, aber ich stand dem Feinde gegenüber. Alle diese von Mühseligkeiten abgemagerten Sclaven, die sich durch tausend Gefahren eine oft nicht ausreichende Nahrung verschaffen mußten, die wie wilde Thiere, die die Flinte des Jägers fürchten, im Walde herumirren, die sich in Höhlen verbergen und auf die Stunde der Plünderung warten, alle diese von der Insel entronnenen Sclaven, wohin sie von zehn verschiedenen Orten der afrikanischen Küste geworfen worden waren, hatten demnach nur Einen Gedanken, und dieser eine Gedanke gab ihnen den Muth, ihr elendes Leben fortzusetzen; sie hatten sich von der Arbeit befreit und waren glücklich. Mit dem Unterschiede, daß sie nichts Liebliches an sich hatten und daß ihr Käfig offen war, erinnerten sie mich, als ich diese schlechten Schwarzen in der von Felsen umschlossenen Ebene sah, an die großen Vogelhäuser, in welchen die Pflanzer der Dörfer die Vögel aller Länder sammeln. Es gelüstete mich nun, sie durch einen Schuß mitten unter die Bande in ihrer Nichtsthuerei aufzustören, aber ein scharfer Pfiff weckte sie wie durch einen Zauber. In einer Sekunde standen sie auf ihren Füßen, ergriffen ihre Stöcke und wechselten einige Zeichen mit dem, der Lärm gemacht hatte. Es war ein kleiner untersetzter Malaye, ein guter Läufer: ich legte auf ihn in dem Augenblicke an, wo er auf die Hochebene heraustrat, aber er machte eine Geberde, als ob er mir Trotz bieten wollte; die Kugel pfiff an seinen Ohren vorüber, ohne ihn zu treffen. Ehe ich wieder geladen hatte, waren die Flüchtlinge in voller Verwirrung wie eine Ziegenheerde auseinander gefahren; sie liefen, setzten über [162] die Büsche und wanden sich durch Gehölze, um den Palmenberg zu erreichen. Die Creolen von St. Benedict, die von der Seite den Teichen her gerade in diesen Augenblicke ankamen, umzingelten sie wacker; meine Gefährten kamen rasch vom anderen Ende der Hochebene heran und einige Nachzügler von den Flüchtigen wurden zu Gefangenen gemacht. Man vertraute sie einer Abtheilung an, die sie in den Kerker bringen sollte, und kam überein, den Rest der Bande in seine letzten Verschanzungen zu verfolgen; ich war zu sehr im Feuer, um an meine Wunde zu denken und beschloß den Feldzug bis zum Ende mitzumachen.

„Man hatte einige Mühe die Gefangenen zu entwaffnen, denn sie wehrten sich wie die großen afrikanischen Affen mit Steinen und Stöcken. In solchen Fällen geräth man in Zorn und ist nicht immer seiner Herr. „Wo ist Quinola?“ fragte ein Creole einen alten Schwarzen, der einen Kolbenschlag auf die Stirne erhalten hatte. „Ich weiß es nicht,“ antwortete dieser. „Wann sahst Du ihn?“ „so eben erst.“ Und als wir uns überrascht ansahen, fügte er hinzu: „Quinola ist nicht todt; er will nicht auf der Insel sterben.“


IV.

„Quinola war ein Malgache,“ fuhr Moritz fort, indem er die Asche aus seiner Pfeift schüttelte, „und die Leute von Madagaskar sterben nicht gern fern von ihrem Lande; sterben ist für sie eine wichtige Angelegenheit, die man nicht außerhalb seiner Wohnung zur Zufriedenheit erledigen kann. Sobald ein Kranker die Augen schließt, so umgeben seine Verwandten das Haus und schießen vom Abend bis zum Morgen, um die bösen Geister zu entfernen, die seine Leiche entführen wollen. Am andern Tage kleidet man den Leichnam in seine schönsten Kleider und legt ihn in einen Sarg, ganz wie einen Christen und begräbt ihn dann außer dem Dorfe. Wenn er reich ist, bringt man ihn mit großem Pomp zu seinen Ahnen, die ihn in einem besondern Grabe erwarten, in Särgen von kostbarem Holze. Wenn er keiner hervorragenden Familie angehört, errichtet man eine Hütte an dem Orte seiner Bestattung und hängt vor dieser Hütte an eine Stange die Hörner der Rinder auf, die während seiner Krankheit für seine Genesung und bei Gelegenheit seines Todes geopfert wurden. Sie behaupten, daß der Verstorbene die Gestalt eines bösen Geistes annehme, denen, die ihn kannten, erscheine und zu ihnen im Traume spreche. Wir haben Sclaven aus Madagaskar, die mit den Wesen der andern Welt ihre Beziehungen fortsetzen, und wenn sich diese Erscheinungen oft wiederholen, so sind diese daran Schuld, wenn sie sich dem Kumner hingeben, wenn sie das Heimweh ergreift und sie in der Hoffnung sterben, zu denen zurückzukehren, die sie rufen. Endlich glauben sie, daß ein Todter manchmal wieder in der Gestalt eines Thieres oder einer Pflanze zu leben anfange; gewiß ist es, daß man auf dem Grabe eines durch seine Grausamkeit berühmten Häuptlings Schlangen sah, und alle Sklavenhändler können Ihnen sagen, daß in der Bucht von Antongil, nahe dem Hafen Choiseul im Lande der Antararten, an der Stelle, wo ein Anderer durch seine Tugend und Wohlthätigkeit berühmter Häuptling begraben wurde, ein prachtvoller Benzoebaum hervorspießte. Sie wissen es wohl, meine Herren, daß der Benzoebaum kleine gute Früchte in Ueberfluß giebt und daß er seine Zweige wie die Arme eines segnenden Priesters ausbreitet. Es giebt viele noch außerordentlichere Dinge auf dieser großen Insel, wo man mehr als zwanzig verschiedene Völker findet, die einen roh und wild, die andern verständig und empfänglich für Bildung, diese gekräuselt wie Kaffern, jene mit langen Haaren geschmückt, wie die Hindu von Pondichery. Wie Schade, daß es so schwer ist, sich an ihr Klima zu gewöhnen!

[172] „Aber das Land der Schwarzen,“ fuhr Moritz fort, „kann für die Weißen nicht taugen und Sie sehen, daß auch die Schwarzen sich nicht leicht daran gewöhnen, bei uns zu leben, weil sie so gerne den Weg in’s Gebirge einschlagen. Dadurch, daß sie die Höhen der Insel aufsuchen, entdecken sie in der That hübsche Orte, und diese Palmenebene, von wo wir sie eben verjagten, wäre für sie ein Paradies geworden, wenn man sie in Frieden gelassen hätte. Von der ersten Station verjagt, zogen sie sich auf eine höhere zurück, die besser geschützt war, indem sie sich ohne Zweifel Hoffnung machten, daß sie dadurch, daß sie unsere Verfolgung in die Länge zogen, uns die Lust zu solchen Expeditionen benehmen würden. Indessen sie nach allen Seiten flohen, verfolgten wir sie ruhig und in Ordnung, in einer Linie entfaltet, und durchsuchten die Gebüsche und Felsenhöhlungen. Die Pflanzenwelt wurde spärlicher und das Land wilder. Schon trafen wir kein „Apfelholz“ mehr; rings um die Felsen, die sich in der Form von Zuckerbroten erheben, verbreiteten die „schwarzen Bäume“, die in dichte Gruppen geschlossen sind, reichlichen Schatten; diese Bäume keimen immer in Gesellschaft empor, selbst aus dem Gesteine. Wenn man sie von der Ebene aus an der Seite des Gebirges sieht, würde man sie für kleine Pflanzen halten, ähnlich denen, die vor dieser Grotte wachsen.

„Die flüchtigen Schwarzen verstecken sich unter ihrem Schatten, und wenn sie nur Feuerwaffen hätten, wie – frage ich Sie, könnte man sie von da vertreiben. Zudem ist das Terrain oft durch Brüche durchschnitten und durch Felsenmassen unzugänglich gemacht, und das Gras verbirgt tiefe Löcher, in welche man der Länge nach auf Steine fällt, die Flinte auf die eine Seite, den Hut auf die andere. Währenddem versetzt Ihnen der Schwarze, den Sie verfolgen, einen Schlag, oder er macht sich wenigstens davon.

„Wir umzingelten eines der Gehölze, worin sich die Flüchtlinge gesammelt hatten; sie entglitten uns dort aus den Händen, stiegen eine Bergwand hinab, an deren Fuß ein Fluß fließt, und wir verfolgten sie im Schnellschritt, ohne zu wissen, wo diese Treibjagd zu Ende gehen würde. Je weiter wir vorrückten, um so mehr Kraft verlieh uns der Zorn, und je weniger hatten wir Aussicht, die Ausreißer zu fassen; zuletzt wurde es wahrscheinlich, daß wir Einige von ihnen mit Flintenschüssen niederstrecken würden. Vornehmlich lief der Malaye, der im Lager der Hochebene Lärm geschlagen hatte, Gefahr, eine Kugel zu bekommen. Auf der ganzen Insel verabscheute man ihn wegen der seiner Race natürlichen Wildheit und wegen seiner eigenen Missethaten; des Mords überwiesen, war er aus dem Kerker entflohen, und benahm sich nun wie ein wahrer Bandit, der nichts zu scheuen hat. Von schmuggelnden Sklavenhändlern, die man des Seeraubs bezüchtigte, jung in die Colonie gebracht, brachte er, kühn in seiner Macht, Verwirrung und Unordnung hervor. Mit dergleichen Sclaven könnte man niemals sicher leben. Gott sei Dank, sie sind nicht zahlreich! Die Farbe des Malayen, weniger dunkel, als die seiner Gefährten, verrieth ihn selbst im Schatten, der die andern verbarg; aber seine unglaubliche Beweglichkeit und die Schnelligkeit seiner Füße schirmten ihn vor Gefahren, denen er sich nach Lust aussetzte.

„In diesem vorläufigen Asyle schienen sich die Schwarzen an einem einzigen Punkte zu vereinigen, um über den Gießbach zu setzen, bevor wir ihnen den Weg verlegen konnten. Ein über die Schlucht geworfener alter Baum diente ihnen zur Brücke; aber da dieser Baum wurmstichig war, so mußten sie ihn Einer nach dem Andern überschreiten, aus Furcht, ihn zu zerbrechen. An beiden Ufern bedeckten hohe Farrenkräuter den Boden und die Feuchtigkeit der Bäche, die Wasserfälle am Abhänge bilden, erhält fast bis zum Gipfel der Abdachung eine üppige Vegetation. Unter diese Holzmassen liefen die Neger und verschwanden vor unsern Augen, und wir mußten wohl oder übel einem Punkte zusteuern, der nicht immer entdeckt werden konnte. Der Malaye, der zuerst an’s andere Ufer gelangte, schien, anstatt seinen Weg fortzusetzen, seine Gefährten zu erwarten; diese zogen fröhlich, Mann für Mann, dahin, beeifert, sich in die Dickichte zu werfen, wo sie hoffen konnten, sich zu zerstreuen, um sich unsern Nachforschungen zu entziehen, und so Zeit zu gewinnen, um in die benachbarten Berge, andere unzugängliche Lager, zu gelangen. Wie Einer von ihnen den Fuß auf’s andere Ufer der Schlucht setzte, schien er frische Kraft zu gewinnen; alle diese abschüssigen, wilden und mit Gebüschen bedeckten Wände, über welche dicke Bäume ihre theils todten Zweige aufrichten, waren für diese aufgelöste Bande das wahre Land der herumschweifenden Unabhängigkeit. Einmal da, waren die Flüchtlinge zu Hause. Wir gaben Feuer, obwol aus ziemlicher Entfernung, und bei dem Geräusche des von den Echo’s der Felsenwände wiederholtem Getöse sahen wir den, der über dem Abgrund schwebte, zittern und wanken; aber der Vogel, nach dem man in zu weiter Entfernung im Fluge schießt, senkt seine Flügel vor Schrecken, dann schwebt er von Neuem und entfernt sich, ohne nur eine Feder fallen zu lassen.

„Während die Einen verlorene Kugeln von der Höhe absendeten, rückten die Andern so schnell als möglich durch die Zweige, und der durch den Brückenübergang veranlaßte Verzug brachte uns den Flüchtlingen nahe. Sie Alle, die nicht wußten, ob sich hinter ihnen ein verspäteter Kamerad befand, und außerdem noch durch unsere Flintenschüsse getrieben wurden, stürzten sich schreiend und ohne umzuschauen in’s Gehölz; deshalb wurde die Brücke nicht abgebrochen. Im Augenblicke, wo wir selbst sie überschreiten wollten, ordneten wir die Reihe des Zuges; zuerst ging ein alter Creole, ein tüchtiger Jäger, hinüber, der die Gebirgspfade besser kannte als die Andern. Er war besonders auf diesen dämonischen Malayen aufgebracht, den er beschuldigte, seine Gewürznelken vernichtet zu haben, und wir bestritten ihm das Recht nicht, sich zu rächen, wenn er Gelegenheit dazu fand.

„Das Geheule der Schwarzen ertönte noch, aber man sah keinen mehr von ihnen. Der alte Jäger schwang sich kühn auf die Brücke, indem er sich seiner Flinte dazu bediente, um das Gleichgewicht zu halten. Er durchlief mit seinen langen Beinen diesen über das Wasser gelegten Baumstamm, und schon wollte ihm einer meiner Gefährten folgen, als ein heftiger Stoß gegen diese zerbrechliche Brücke, sie mit schrecklichem Getöse in den Abgrund stürzte; der Malaye, der in den Farrenkräutern versteckt war, hatte sie mit der Ferse kräftig getroffen, aber ein wenig zu spät, denn der Creole konnte in dem Augenblicke, wo der Baum unter ihm nachgab, den Baum noch überschreiten, der ihn von Ufer trennte. Indem er auf die Erde sprang, ergriff er den Malayen, und ein heftiger Streit entspann sich zwischen ihnen, ein wahrer Kampf, Leib an Leib. „Schießt, Ihr Anderen, schießt,“ rief der Creole, „ich bin unten!“ Der Gießbach, der mit vielem Geräusche floß, hielt uns ab, seine Worte deutlich zu verstehen, und im hohen Grase sahen wir nur die verzweifelten Bewegungen der beiden Gegner. Wir zauderten auf die Gruppe dieser beiden Männer, der Eine Freund, der Andere Feind, die sich so nahe bei uns das Leben zu entreißen suchten, zu feuern; jeder forderte seinen Nachbar auf zu schießen und Niemand wagte es, zu diesem Aeußersten zu schreiten. Endlich drang ein so durchdringender Schrei zu uns, daß mein Vater sich entschloß, auf den Kopf des Malayen, sobald [173] er ihn klar unterschied, anzulegen. Zweimal richtete er seinen Flintenlauf wieder in die Höhe, zweimal senkte er ihn, blaß und zitternd in die Richtung der seine Blicke folgten. Der Schuß ging los und ein entsetzliches Gebrüll, das darauf antwortete, machte uns schaudern. Ohne Zweifel war der Malaye verwundet; wir sahen ihn aufspringen und mit den Zähnen in den Arm seines Gegners beißen, der ihm die Gurgel zudrückte, seine Füße in die seinigen schlingen und ihn an den Rand des Abgrundes ziehen. Mein Vater zerbrach wüthend seine Flinte und in diesem Augenblicke schloß ich meine Augen.

„Als ich sie wieder öffnete, bückten sich alle meine Gefährten über den Abgrund, ohne ein Wort auszusprechen; ich streckte auch meinen Kopf vor und unterschied nichts, als den Schaum des kochenden Wassers und hörte nichts, als das Rauschen des hinabstürzenden Wasserfalls. Wir blieben noch einige Zeit da, um unserem Gefährten Lebewohl zu sagen, und kehrten dann in unsere Quartiere zurück. Wir durchzogen traurig die Ebenen, die Schluchten und beschwerlichen Pfade, die wir die vorhergegangenen Tage mit fröhlichem Eifer durchlaufen hatten. Derjenige, den wir im Felde verloren, hinterließ keine Familie, aber es war ein guter Kamerad, einer jener alten Creolen von den Höhen von St. Benoit, die in den Buchten und den tiefen Flußbetten eben so gut zu fischen verstehen, wie in den Bergen die Ziegen aufzuspüren. Als wir dem Dorfe näher kamen, trennte man sich, um sein eigenes Dach zu erreichen. Mein Knie schwoll zusehends und dennoch hinderte mich weder Schmerz noch Ermüdung meine Schritte zu beschleunigen, als ich dem Ziele meines Weges mich näherte. Für uns, meine Herren, die wir niemals große Reisen machen, wiegt ein Zug in die Höhlen dieser unbewohnten Gebirge einen weiten Feldzug auf, und die Abwesenheit dünkt uns lange. Als ich im Sonnenschein auf der Mitte des Abhanges die unter Bäumen und Gärten zerstreuten Dorfwohnungen dem funkelnden Meere gegenüber bemerkte, schwoll mein Herz vor Freude. Dann fiel mir ein, daß sich während unserer Abwesenheit Vieles hätte ereignen können und in die Freude meiner Heimkehr mischte sich eine Unruhe, die ich nicht überwinden konnte. Eine halbe Stunde vor dem Dorfe begegneten wir einem unserer Nachbarn, der meinen Vater anredete; sie plauderten miteinander und ich benutzte diesen Augenblick, um hübsche Blumen zu pflücken, die im Grase wuchsen, im Schatten der Hecken. Ich machte einen Strauß daraus, den ich unter meine Weste versteckte.“

Hier liebkoste nun der Creole seinen Hund mit nachdenklicher Miene, wie ein Mensch, der plötzlich in die Erinnerungen eines andern Lebensalters zurückversetzt wird. „Warum versteckten Sie diese Blumen, Moritz?“ fragte ich ihn ungezwungen, und sah ihn dabei an, um die Spuren eines sanfteren Gefühls zu entdecken, was sich unter seiner ehernen Haut halb verrieth.

„Ich versteckte sie,“ antwortete er, „weil ich nicht haben wollte, daß sie von Jemand anders gesehen würden, als von ihr, für die ich sie bestimmte; ich wollte noch schöne bengalische Rosen dazu thun, die um die Wohnungen herumblühen, längs des Wegs, und dann hätte ich sie noch an demselben Abende zu einem Nachbar getragen, einem Kaffeepflanzer, der sechs Sclaven, ein großes Landgut und ein vierzehnjähriges weißes und blondes Mädchen hatte … Mein Vater errieth vielleicht was ich im Walde machte, aber er that, als wenn er nicht darauf Acht gäbe. Als ich wieder zu ihm kam, sagte er mit ziemlich trauriger Stimme: „Mein Junge, Du kennst doch den Malgache, den unser Freund am Bord der Diana kaufte?“ Ja, ein Kamerad des unserigen! „Nun, er ist flüchtig geworden, und ich möchte wetten, daß mein Arbeiter mit ihm ging!“

„Wir beschleunigten unsern Schritt; wenn man an ein Unglück glaubt, beeilt man sich die Wahrheit zu erfahren. Die Hausthüre war geschlossen; wir riefen nach Cäsar, unserem Malgachen; Cäsär antwortete nicht. Wir liefen um den Garten herum, aber Alles schien so still und so verlassen, daß man hätte glauben können, die Wohnung stehe seit einem Monate leer. Mein Vater ging in’s Dorf, um Erkundigungen einzuziehen, und ich, ohne zu wissen was ich that, ging an den Strand hinab. Ich setzte mich an die Bucht, wo die Diana geankert hatte, um ihre Schwarzen zu landen und warf weinend meinen Strauß in’s Meer. … Cäsar hatte meine Mitgift mit in’s Gebirge genommen!“



V.

„Ich war ruinirt,“ fuhr Moritz fort, „und was noch schlimmer ist, ruinirt, ohne vorher das Vergnügen genossen zu haben, reich zu sein. Man mußte verzichten und die flüchtigen Sclaven, von denen man nie mehr etwas erfubr, als verloren ansehen. Die auf der letzten Expedition so hart gejagten Flüchtlinge hielten sich auf allen Punkten ruhig. In kleinen getrennten Lagern wohnend, blieben sie im Herzen der Insel verschanzt, in jenen wilden Gegenden, die aus spitzigen, holzbedeckten Höhen bestehen, aus Abgründen, aus bald ausgetrockneten, bald angefüllten Gießbächen und endlich aus Flächen in verschiedenen Höhen, theils terrassenförmig in die Thäler herabhängend, theils stachlicht durch jene Pflanzen die wir Pfeifen heißen. Amerikanische Freibeuter sollen aus ihren Kolonien dieses Wort herübergebracht haben, mit welchem wir ein Schilf bezeichnen, das zehn bis zwölf Mal länger ist, als meine Flinte und an jedem Knorren von einem Doppelblatte umfaßt ist, das sich unaufhörlich im Winde bewegt, und in jene grünen festen Stengel ausläuft, die wir als Pfeifenrohre benutzen. Diese Pfeifen wachsen nur in bedeutender Höhe, und die Schwarzen, die im Gebirge keine Waffen haben, höhlen diese Schilfe wie einen Flintenlauf aus, und stecken wilde Körner hinein, mit denen sie nach kleinen Vögeln werfen, um sie zu tödten.

„Als ich eines Tages damit beschäftigt war eine von Cäsar begonnene Pirogue zu vollenden, ein hübsches Fahrzeug, das ein Segel tragen konnte, fragte mich mein Vater, ob ich auf der Brust dieses Schwarzen eine kleine Narbe bemerkt habe. Ich erinnerte mich derselben sehr gut. Nun! fügte mein Vater hinzu, der andere Malgache hatte dieselbe, deshalb sind sie miteinander davon; sie haben sich zu Brüdern gemacht! Und er erklärte mir diesen Gebrauch von Madagaskar, diesen Blutschwur, diese zwischen zwei Personen geschlossene Verbrüderung, die sie verpflichtet, sich bis zum Tode einander zu helfen. Wenn sich zwei Freunde auf diese unauflösliche Weise miteinander verbinden wollen, so bringen sie sich in der Magenhöhle eine kleine Wunde bei und tauchen in das Blut, das derselben entfließt, einige Stücke Ingwer und der Eine ißt das vom Blut des Andern gefärbte Stück. Die Zeugen wenden dabei noch verschiedene Ceremonien an; der Aelteste berührt die beiden neuen Brüder mit einer Zagain und läßt sie einen schrecklichen Eid schwören, dessen letzter Satz in folgender Weise abgefaßt ist: „Der von uns zuerst sein Versprechen verletzt, werde vom Donner vernichtet; die Mutter, die ihn geboren, werde von Hunden verzehrt!“ Es giebt Weiße, die auf diese Art mit den Häuptlingen der Insel den Bruderbund geschlossen, und dieses Bündniß rettete ihnen mehr als einmal das Leben. …

„Die Besorgniß, daß uns die entflohenen Neger angreifen würden, hielt uns in fortwährendem Alarme und täglich machten wir uns darauf gefaßt, die unsichtbar gewordenen Flüchtlinge wieder erscheinen zu sehen. Während wir nun in unsern Häusern kaum schliefen, lebten der Malgache Cäsar und sein Adoptivbruder friedlich hier in dieser Grotte. Niemand kannte sie damals noch, oft war man auf Treibjagden in ihre Nähe gekommen, aber die Flüchtlinge, die sie bewohnten, gelangten, anstatt von der Seite hereinzugehen und sich durch das Zusammentreten des ringsum wachsenden Grases zu verrathen, durch die dichten Schlinggewächse herein. Sie hingen sich an diese natürlichen Seile, an diesen Pfeiler, der ganz expreß für sie gewachsen ist, glitten daran Abends in die Höhle und kehrten auf demselben Wege Morgens wieder zurück, wenn der letzte Stern über den Gipfeln der Berge erlosch. Auf den Felsen ließen ihre Füße nicht die geringsten Spuren zurück. Der alte Quinola, der weißhaarige Malgache, den man nirgends zu fassen wußte, hatte ihnen diese so sichere Zufluchtsstätte gezeigt. Nachdem er sich selbst einige Jahre lang darin verborgen gehalten hatte, ohne einen Schwarzen von den Banden mit sich hierher zu nehmen, hatte er Cäsar zu sich gerufen, weil dieser zu seiner Familie gehörte, und Cäsar’s Adoptivbruder, der andere Malgache, hatte das Recht auf ein Asyl bei ihm.

„Ich weiß nicht gerade, ob Quinola ein Zauberer war, wie die Sclaven seines Vaterlandes behaupteten, aber er hatte geschworen, nicht auf der Insel zu sterben. Als die Regenzeit anfing Gewölke über die Berge anzuhäufen und die Pfade unwegsamer zu machen, führte er die beiden jungen Neger in eine Waldschlucht, mitten im Gebirge, nicht weit von der Stelle, wo jetzt die Kranken das Quellwasser von Salazes trinken. Dort zeigte er ihnen [174] einen dicken Baum von schönem Wuchse, von glatter, feiner Rinde, ohne Moos, der am Rande des Abhangs stand; er setzte ihnen in den Kopf, eine Pirogue daraus zu machen. „Darauf,“ sagte er zu ihnen, „fahren wir in unser Geburtsland. Wir verlassen diese Insel, wo man uns wie Schakale umstellt; ich bin sehr alt, meine Kinder, die Kräfte fehlen mir, aber ich habe noch einen guten Kopf und werde Euch führen. Die Sterne, die um die Berge kreisen, erleuchten auch unsere Hütten; sie werden uns führen. Ich bin in drei Tagen von Madagaskar hierher gekommen! …. In drei Tagen aus diesem Kerker, aus diesem Gehölze, das wir nicht verlassen können, aus dieser kleinen Insel, auf der wir keine ruhige Nacht haben, in drei Tagen von hier nach der großen Insel zu unsern Familien! Für Euch, ein Weib und Kinder; für mich, ein Platz neben meinen Söhnen, die reich und verehrt waren!“

„Der alte Schwarze sprach noch besser als so; es war ein Gelehrter seines Landes. Bevor er in die Gebirge entfloh, dichtete er Lieder, die die Malgachensclaven heut zu Tage noch singen, wenn sie das Zuckerrohr abschneiden. Die zwei Bruder antworteten nichts, sie gehorchten. Mitten im Rauschen des Passatwindes, der Donner und Regen bringt, fällten sie den großen Baum, befreiten ihn von seinen Zweigen, maßen die Länge einer Pirogue für drei Personen ab und begannen sie muthig auszuhöhlen. Das war eine harte Arbeit. Gezwungen, fern von dieser Höhle, die ihnen Schutz gegen die schlechte Jahreszeit gewährte, zu übernachten, bald unter feuchten Felsen, bald in wassergetränktem Grase, genöthigt, Tag und Nacht gegen jede Ueberraschung auf der Hut zu sein, sich vor den Blicken der Verräther und Spione und vor denen ihrer hie und da im Gebirge wohnenden Kameraden zu verbergen, beeilten sie sich sehr. Cäsar hieb mit großen Axtschlägen das Boot zu, sein Bruder höhlte das Innere mit Feuer aus und der Greis feuerte sie durch seine Erzählungen an. Das Alter machte ihn geschwätzig; es lag etwas Wahnsinn in seinen Erzählungen und Liedern, die er Nachts wiederholte, während die jungen Leute den dicken, noch grünen Baum in ein kleines Fahrzeug umwandelten, das sie alle drei in ihr Vaterland bringen sollte, aber sie ehrten ihn wie einen Vater. Sie hörten ihm achtungsvoll zu, bedeckten ihn mit ihren Kleidern, aus Furcht, er möchte frieren und litten gerne für ihn. Im Grunde glaubten sie vielleicht nicht an das Gelingen ihres Unternehmens. Sagen Sie mir, meine Herren, ob Cäsar es nicht viel angenehmer bei uns hatte? Wir behandelten ihn gut; nach einigen Jahren konnte er sich loskaufen und für seine Rechnung arbeiten; er hätte mit der Freiheit geendigt und ich hätte mit Glück angefangen.

„In kurzer Zeit war die Pirogue fertig, sie war nicht gerade so wie die unsrigen gemacht, aber aus dem Groben herausgearbeitet und tauglich zum Fahren. Zudem hatten sie keine Zeit zu verlieren; Quinola fühlte, daß es mit ihm auf die Neige ging und sagte oft zu ihnen: „Muth, Kinder. Ihr werdet mich nicht hier sterben lassen!“ Als das Boot fertig war, handelte es sich darum, es an jene Stelle zu schaffen, wo der Fluß anfängt schiffbar zu sein, und das bei Nacht durch kothige Pfade, Sümpfe und Dickichte. Die beiden jungen Schwarzen hatten harten Frohndienst; aber wenn man für sich arbeitet, beklagt man sich nie. Der Neger, so faul von Natur, daß er unter Gewürznelken, die er pflückt und beim Schneiden des Zuckerrohrs einschläft, fürchtet keine Mühe, wenn er seinem Herrn und Befehlshaber Adieu sagt. Schritt für Schritt, in kleinen Tagesreisen zogen die Malgachen dem Flusse entlang, schleppten die Pirogue zu Lande nach, trugen sie auf ihren Schultern und legten sie umgekehrt unter die Farrenkäuter, um sich darunter zu schützen. Den alten Zauberer, der sich schon auf dem Wege nach Madagaskar sah und dem der Kopf schwindelte, führten sie an der Hand. Er sang wie ein Kind, so daß die beiden Brüder oft zu ihm sagten: „Nicht so laut, Vater, nicht so laut, wir sind einem Dorfe nah, die Hunde kläffen.“ Endlich brachte Cäsar sein Fahrzeug zitternd in den Fluß, er versuchte es und fuhr mit dem Ruder hin und her; das Wasser trug die Pirogue aus grünem Holze ganz gut. Quinola setzte sich an das eine Ende, unser alter Sclave auf das Vordertheil und ruderte ganz sanft; der andere Sclave folgte ihnen zu Lande und sah mit großer Freude zu, wie das kleine Fahrzeug wie ein Schatten an den Binsen vorüberglitt, das streng genommen gut dazu war, um auf diesen friedlichen Bächen zu fahren. Gelangweilt durch das Laufen am Ufer, sprang er in’s Wasser und begleitete im weitausgreifenden Schwimmen den jungen Malgachen, der kräftig sein Ruder handhabte und den weißköpfigen Greis, der den Himmel schweigend betrachtete.

„Die ziemlich reißende Strömung brachte die Pirogue bald an die Kieselbänke, welche die See zur Fluthzeit an die Mündung des Flusses treibt. Es war gegen Mitternacht, die Flüchtlinge waren der ersten Gefahr entgangen, indem sie gewandt durch die Felsen glitten, die über das Strombett herein hangen. Die Gewölke, die sich dem Rauche gleich über den Bergen zusammenrollten, bedeckten nur einen Theil des Himmels, und es war hell genug auf dem Wasser, daß ein Schiffer die Richtung halten konnte und finster genug auf dem Lande für den Fall, daß man ihnen dort Fallen legte. Wenn sich ein Fischer dort befunden hätte, der in der stürmischen Nacht seine Netze legte! Schon sagte die am Strande murmelnde See zu den Malgachen, daß sie ihrer Freiheit entgegengingen.

„Ehe sie in das „große Gewässer“ fuhren, erfüllten die beiden jungen Leute eine vaterländische Ceremonie; der Steuermann, das heißt Cäsar, that Wasser in ein Ravenola-Blatt, ging bis an die Knie in’s Meer, besprengte den Rand der Pirogue und flehte zu den Wogen mit gefalteten Händen, daß sie sie ohne Unfälle an ihre Insel bringen möchten, daß sie sie beschützen gegen Sclavenhändler, Klippen und Seeungeheuer. Nachdem dies geschehen, begrub er das Blatt, dessen er sich bedient, im Sande und stieß mit seinem Ruder in die See. Dieser Ravenola, den man den Baum des Reisenden heißt, ist in den Augen der Malgachen heilig, weil er eine große Menge trinkbaren Wassers enthält, selbst wenn er auf sumpfigem, halb salzigem Boden wächst.“

„Das ist eine Mähr,“ sagte der Doctor, der seit einiger Zeit zu schlummern schien, „ein Musa, er vereinigt im höchsten Grade die zwei charakteristischen Zeichen dieser Classe und ist wesentlich aquosus und fungosus.“

„Eine Pirogue ist sehr niedrig im Wasser,“ begann Moritz wieder, „und es genügte für die drei Malgachen einige Meilen entfernt von der Küste zu sein, um sich als gerettet ansehen zu können. Als die Sonne aufging, erschien ihnen die Insel wie Ein Gebirge, grün am Fuße, grau am Gipfel, am Ufer mit einem Schaumgürtel umgeben, mit einem Thronhimmel von Wolken über seinen Bergen. Die Flüchtlinge aus den Hochebenen schwatzten vielleicht gerade von dem alten Zauberer, indem sie nach diesem schwarzen sich entfernenden Punkte starrten, aber wenn man sich mit Quinola noch in den Pflanzungen beschäftigte, wo er sich furchtbar gemacht hatte und in den Lagern der Schwarzen, wo er von Zeit zu Zeit wie ein außergewöhnlicher Mensch erschien, so sprach er selbst kein Wort mehr seit dem Augenblicke, wo ihn Cäsar in die Pirogue gesetzt hatte.

„In der schlechten Jahreszeit um unsere Insel zu fahren, ist für große Schiffe nicht leicht; wie hätte nun eine kleine Pirogue, kaum aus dem Groben heraus gearbeitet, dem Meere widerstehen können? Bald bemerkten die beiden Ruderer, daß das zu schwere grüne Holz immer mehr und mehr sank. Beim ersten Windwehen besprützte das Salzwasser ihre Mundvorräthe. Da sie nicht mehr wußten, nach welcher Richtung sie steuern sollten, so ließen sie das Fahrzeug im Winde der Insel gehen: das war nicht der Weg, der nach Madagaskar führte! Das kleine Fahrzeug schwamm nach einem Tage Schifffahrt so wenig, daß die jungen Malgachen, aus Furcht es möchte untergehen, es abwechselnd schwimmend begleiteten. Ihre Kräfte erschöpften sich, der Sturm trieb sie hin und her, und Regenströme stürzten von der Höhe des Himmels auf sie, und die See schlug sie wie das Seegras, welches die Fluth den Buchten zuführt. Einige Zeit nach ihrer Abfahrt begegnete ihnen ein Schiff, der, welcher in der Pirogue war, ruderte nicht mehr, der andere, an’s Hinterdeck geklammert, erhob mit Mühe den Kopf über das Wasser. Als man sie anrief, schienen sie zu erwachen. Sie drückten sich die Hände und tauchten dann unter. Die Matrosen des Schiffs erwarteten sie bald wieder erscheinen zu sehen, aber sie erschienen nicht mehr an der Oberfläche des Wassers.

„Der alte Quinola blieb allein in der Pirogue und der Capitän des Schiffs schickte einen Kahn zu ihm, weil er denen, die ihn anriefen, nicht antwortete, und sie hätten lange nach ihm rufen dürfen. Als die Anderen untertauchten, war Quinola gestorben, wohl gestorben, nicht auf Madagaskar wie er gehofft, aber wenigstens außerhalb der Insel, wie er es durchaus gewollt hatte.“

[175] „Und wer erzählte Ihnen diesen letzten Theil der Geschichte?“ fragte ich den Creolen.

„Ein flüchtiger Neger, der Quinola einige Dienste erwiesen hatte; als er abreiste, vermachte er Ihm seine Grotte. Seit vielen Jahren besucht dieser Ausreißer das Gebirge und die Verstecke; sein Herr lebt nicht mehr und man läßt ihn friedlich herumschweifen. Ohnedem sieht man ihn nur, wenn er will; wenn wir da oben jagen, redet er uns manchmal an und bietet seine Dienste als Führer an. Er war es ohne Zweifel, den wir heute Abend von hier verscheuchten, weshalb ich in die Luft schoß, aber es war klug, Feuer zu geben, denn es giebt noch Andere in der Nähe.“ –

„Die Vorsehung,“ bemerkte der Doctor, „setzte auf Euere Insel weder Schlangen noch wilde Thier; den Europäern war es vorbehalten, eine Menschenklasse hier hervorzubringen, die ich gerne Waldmenschen nennen würde.“


  1. Die drei Julitage.
  2. Wurfspieß der Mohren.