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Eine Leidenschaft

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Autor: E. Werber
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Titel: Eine Leidenschaft
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aus: Die Gartenlaube, Heft 30, 31, S. 479–482, 508–511
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1872
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[479]
Eine Leidenschaft.


Von E. Werber.[WS 1]


Auf einer Fußreise in den Karpathen hatte ich mich eines Tages, von einem sehnsüchtigen Verlangen nach großer Wildniß und gänzlicher Einsamkeit geleitet, an einen sehr entfernten Punkt und ohne Führer gewagt und, von der Großartigkeit der Natur hingerissen, ganz und gar den Rückweg zu meiner Herberge vergessen. Die Dämmerung sank herab und ich stand noch vor einem tosenden Wasserfalle, der seine chaotischen Träume in die Wildniß sang; erst als die Bäume im Dunkel zu verschwimmen anfingen, brach ich auf. Da ich mich auf meinem Wege zu wiederholten Malen aufgehalten hatte und keiner bestimmten Richtung gefolgt war, so wußte ich nicht, wie weit ich von der Dorfherberge entfernt und welche Richtung ich einschlagen solle, um sie zu finden. Ich ging, nach einem Blicke auf die verschiedenen Lichtungen des Waldes, links über den sanften Rücken einer Wiese, welche mich aber bald wieder vor einen dichten Wald brachte. Unschlüssig, ob ich weitergehen oder umkehren solle, blieb ich stehen und es fing an mir unbehaglich zu werden, als plötzlich ich die Klänge eines Claviers zu vernehmen glaubte. Ein Clavier? Nicht möglich! Ein Clavier hier oben in der Wildniß, wo nicht einmal das Brüllen der Kuh oder das Meckern der Ziege zu hören ist, hier oben das modernste Instrument der Musik? Ich lachte über die Täuschung meines Ohrs und wollte die Wiese wieder zurückgehen, als ich von Neuem jene Klänge hörte, und diesmal stärker. Ich lauschte und vernahm deutlich einen wilden Octavenlauf. Ich wußte jetzt, daß ich mich nicht getäuscht hatte. Es war ein Clavier hier oben in der wildesten Wildniß der Karpathen! Ein Clavier und ein Mensch, der Clavier spielte! Wo aber war das Haus, in welchem dieser Mensch lebte? Es war schwer, die Richtung auszufinden, von welcher die Klänge kamen.

Ich schritt auf gut Glück in den Wald und fand nun, daß er nicht dicht war. Bald klangen zu meiner Freude die Töne deutlicher zu mir herüber und nach etwa dreihundert Schritten sah ich Licht durch die Bäume schimmern. Es kam von einem Abhange außerhalb des Waldes. Rüstig schritt ich weiter, dem Lichte zu, und sah, als ich aus dem Walde trat, daß dieses Licht nicht aus einem Hause, sondern aus einer Lehmhütte, eigentlich einem Lehmstalle, kam, welcher dicht an den Felsen angebaut war. Hier konnte das Clavier nicht sein; solche Hütten sind nur von Hirten und dem Vieh für ein paar Nächte bewohnt, wenn sie sich auf die höchsten Weiden wagen. Und doch – die Töne kamen, jetzt anmuthig sich verschlingend, voll und harmonisch aus dem Lehmstalle. Meine Neugier war auf’s Höchste gespannt, und ich vergaß beinahe darüber, wie erfreulich mir Verirrten ein Obdach war. Die Hütte war lang und tief; aber sie hatte keine Fenster, sondern nur zwei breite Ritzen und in der Mitte eine große Oeffnung, welche als Eingang diente. Als ich mich diesem Eingange näherte, sprang mir ein großer Hund mit wüthendem Gebell entgegen. Das Clavierspiel hörte auf, und nun sah ich etwas Seltsames, Unerwartetes, Unglaubliches. Unter den Eingang trat aus der Hütte eine Frau in elegantem Seidenkleide, in der einen Hand eine hohe Alabasterlampe und in der andern ein Pistol haltend.

„Wer ist hier?“ frug sie rasch und entschlossen auf Polnisch. Ich antwortete, so gut es mit meinem schlechten Polnisch ging, ich sei ein Fremder, habe mich im Gebirge verirrt und sei den Tönen und dem Lichte nachgegangen, hoffend, hier eine Herberge für die Nacht zu finden.

„Sind Sie ein Deutscher?“ frug sie. Als ich diese Frage bejahte, sagte sie in geläufigem Deutsch und mit einem reizenden polnischen Accent: „Ich spreche Deutsch, kommen Sie herein.“

Ich folgte ihr in die Hütte. Es saß eine andere Frau an einem Lehmherde und sah mich mit großen Augen an. Sie war eine Dienerin der Frau, und schien den Abendthee zu bereiten.

„Sie finden keinen Comfort bei mir,“ sagte die Dame, „nicht einmal ein Bett. Ich schlafe auf einem Strohsack, meine Dienerin auch; mein Diener und der Hund schlafen vor der Hütte draußen. Ich werde Ihnen meinen Strohsack geben und eine wollene Decke, und Sie werden die Güte haben, sich vor der Hütte niederzulassen.“ Dann wandte sie sich an ihre Dienerin und hieß sie Thee, Rum, schwarzes Brod und Wildpret aufstellen. Sie hatte eine weiche Stimme, sprach aber schnell und in gebietender Weise, wie eine polnische Aristokratin, die gewohnt ist, mit Leibeigenen umzugehen.

„Setzen Sie sich,“ sprach sie, auf einen Stuhl oder vielmehr auf einen Klotz zeigend, der nahe beim Herde stand. Dann ging sie zum Clavier, blätterte in den Noten und schien sich weiter nicht um ihren Gast kümmern zu wollen. Sie war jung, klein und schmächtig gebaut und hatte die Biegsamkeit einer Schlange und die Raschheit eines Salamanders. Ihr Gesicht war ganz slavisch, breit an den Wangen und der Stirn. Ihr Haar war dunkel, kurz geschnitten und am ganzen Kopfe in vollen dichten Ringeln hoch aufgebäumt. Das grau-braune Auge, ungewöhnlich groß, hatte einen geistvollen, durchdringenden Blick; [480] die Stirn, welche der Wölbung nach hoch zu sein schien, war zur Hälfte und absichtlich vom Haar bedeckt. Der Mund war nicht schön, ebensowenig die Nase, beide aber waren ausdrucksvoll im höchsten Grade. In manchen Momenten erinnerte ihre Physiognomie an eine Katze, in anderen an ein Kind.

Die Hütte war groß, in der Mitte stand das Clavier. An der einen Wand befanden sich ein Schrank mit Geschirren und ein Tisch oder vielmehr eine Holzplatte, auf vier rohen Pflöcken ruhend. An der gegenüberliegenden Wand standen ein Koffer, einige Holzstühle und ein eleganter Damenschreibtisch; in der Ecke lagen die beiden Matratzen, von welchen ich eine bekommen sollte, um vor der Hütte darauf zu schlafen. Der Boden war, wie die Wände, von Lehm und feucht. Ich hatte manches Seltsame, manches Absonderliche im Leben gesehen; allein einen Lehmstall, von einer jungen vornehmen Dame bewohnt und der als einzigen Comfort einen gepolsterten Clavierstuhl aufzuweisen hat, das hatte ich noch nicht gesehen! Sie nahm jetzt wieder am Clavier Platz und that es mit solcher Nonchalance und setzte mit solcher vornehmer und geistreicher Handbewegung einen Zwicker auf die Nase, daß ich, noch ehe sie spielte, von ihrer Genialität überzeugt war. Ihre kleinen Hände fegten die Tasten wie ein Sturmwind; aber der Körper blieb aufrecht und ruhig. Sie hatte eine seltsame Art, zu spielen, immer in den Extremen, entweder mit solcher Wucht und Leidenschaft, daß man glaubte, sie wolle das Clavier zerschlagen, oder leise und fast undeutlich. Es war ein originelles, geniales, aber kein klares, kein fertiges Spiel; es erinnerte mich an das Tosen des Wasserfalls in den Bergen draußen und auch wieder an das Säuseln des Grases; aber der Wasserfall war majestätischer und das Gras sinniger.

Die Frau fing an, mich ungeheuer zu interessiren; halb war sie mir sympathisch, halb unsympathisch; halb bewunderte, halb bemitleidete ich sie. Wer konnte sie sein? Excentricität ist zwar nichts so Seltenes unter den Polinnen; allein sie äußert sich gewöhnlich in patriotischer oder in erotischer Form. Eine Polin, welche sich mit einem Clavier in der Wildniß der Karpathen verbirgt, ist gewiß eine Seltenheit.

Sie stand jetzt vom Claviere auf, setzte sich auf ihren Strohsack und frug die Dienerin, ob sie das Abendessen bereitet habe.

Diese antwortete auf Polnisch: „Ja, gnädige Gräfin.“

Die gnädige Gräfin geruhte, mich zum Essen einzuladen und mir einen Stuhl ihr gegenüber anzuweisen. Ich machte einige Versuche, ein Gespräch anzuknüpfen, welche aber von ihr nicht ermuthigt wurden. Der Thee war stark und rein, das Wildpret vorzüglich, und ich hatte Hunger. Als ich zum zweiten Male zugriff, schien sie Mitleid mit mir zu haben und sagte: „Essen Sie, essen Sie, so viel Sie wollen!“ Sie selbst aß wenig und dieses Wenige in langen Pausen, welche sie damit ausfüllte, daß sie entweder erstaunt in eine Ecke blickte oder mich mit einem forschenden Blicke durchbohrte. Nach dem Thee holte sie aus einem Kistchen auf dem Schreibtische zwei Cigarren, bot mir eine und zündete die andere für sich an. „Erzählen Sie mir, woher Sie kommen,“ sagte sie plötzlich. Als sie aus meiner Erzählung vernahm, daß ich Naturschwärmer sei, schien ich Gnade vor ihr zu finden. Sie lächelte jetzt zuweilen und sagte, während ich sprach, oft zustimmend: „Ja, ja.“ Wie Alles, was sie that, originell war, so rauchte sie auch auf eine originelle Weise. Sie blies den Rauch ihrer Cigarre nie gerade hinaus, sondern wiegte das Haupt hin und her und ließ den Rauch allerlei Figuren beschreiben, wobei sie ihre Augen ein wenig zudrückte und dieses Spiel unendlich zu genießen schien.

„Kennen Sie Wien? Kennen Sie Pest?“ frug sie plötzlich.

Ich sagte ihr, daß ich in Wien meine Heimath habe und oft nach Pest komme.

„Kennen Sie Remeny in Pest?“ frug sie leichthin.

„Ich habe die Ehre, einer seiner näheren Bekannten zu sein,“ antwortete ich.

„So?“ sagte sie und fuhr nach einer Weile fort. „Er ist ein großer Mann, ein Genie – wie alt ist er wohl?“

„Sechszig Jahre,“ antwortete ich.

„Und schön, nicht wahr?“ frug sie.

„Für sein Alter – ja,“ erwiderte ich.

Wie ein Sturmwind fuhr sie vom Stuhle auf, ging eine Weile in der Hütte auf und ab, kam dann wieder zurück und sagte mit einem stechenden Blicke: „Was Sie eben sagten, war nicht richtig. Ein Genie hat kein Alter; ein großer Mann ist immer schön, selbst wenn er häßlich wäre. Ich finde, Remeny ist der schönste Mann auf Erden.“

Ich war vor Erstaunen stumm geworden.

„Wenn ein Komet einen blutrothen Kern und einen langen leuchtenden Schweif hat, mit dem er die silbernen Sterne verdeckt, so ist er nicht deshalb schön, sondern er ist schön, weil er eine große Erscheinung ist, und das Genie ist ein Komet,“ sagte sie und blickte mit leuchtenden Augen in die Nacht hinaus. Nach einer Weile frug sie: „Remeny hat viele Gegner, nicht wahr?“

„Ja,“ antwortete ich, „man findet seine Richtung zu excentrisch.“

Sie lächelte fein und sagte: „Weil man klein ist und gewöhnlich. Er ist eben kein weißes Täubchen, das angenehm im Hühnerhofe girrt, kein weißes Lämmchen, das mit unschuldigem Stimmchen die Träume seines bornirten Hirnchens auf der Weide schüchtern erzählt; er ist ein Löwe, der einsam in die Wüste brüllt und seine Mähne schüttelt – und davor fürchtet man sich. Ich fürchte mich aber nicht.“

Ich wagte zu fragen: „Sie kennen Remeny wohl sehr genau?“

Sie sah mich mit strafendem Blicke an und sagte: „Ich habe nie die Ehre gehabt, mit Remeny zu sprechen; aber ich kenne ihn besser, als Ihr Alle – ich weiß, was er denkt.

Die Frau war mir unheimlich, und doch fesselte sie mich. Ich hätte ein Jahr meines Lebens darum gegeben, sie ergründen zu können, aber ich fühlte, daß sie ein Abgrund war. Ich hatte ein Gefühl, welches mir sagte, nicht weiter im Gespräch über Remeny zu gehen, und frug sie, seit wann sie hier oben wohne.

„Seit zwei Monaten,“ sagte sie. „Wie gefällt Ihnen mein Palast?“

„Ich finde ihn für eine Dame Ihrer Art etwas primitiv und fürchte sogar, daß Sie sich einen Rheumatismus darin holen werden,“ erwiderte ich.

„O, den hab’ ich schon!“ rief sie lachend, „schon seit vier Wochen; aber das macht nichts. Wenn ich unten auf meinem Gute sein werde, dann leg’ ich mich auf ein Bärenfell vor den Kamin und lasse mich mit einem andern Bärenfelle zudecken und so bleib’ ich liegen, bis ich keine Schmerzen mehr habe. Auf unseren Gütern ist’s schrecklich langweilig,“ fuhr sie fort und gähnte dabei. „Wenn ich eine andere Dienerin fände, so bliebe ich noch hier bis zum Anfange des Septembers; aber dieses dumme Geschöpf will nicht mehr hier oben bleiben, und keine meiner anderen Dienerinnen will wieder herauf kommen. Ich habe alle Fünf der Reihe nach hier oben gehabt, aber keine blieb länger als zwei Wochen. Sie hatten Langeweile oder fürchteten sich, klagten über Zahnweh und Reißen in den Gliedern, und wenn ich sie nicht gehen ließ, dann machten sie mir kalten Thee, verbrannten das Wildpret und gaben mir so schlechtes Essen, daß ich sie zuletzt fort schickte.“

„Sind Sie weit vom Dorfe P. entfernt?“ frug ich.

„Sieben Meilen,“ sagte sie. „Mein Diener geht jede Woche zwei Mal hinunter und kauft Brod, Eier und Fleisch.“

„Wie haben Sie nur das Clavier herauf gebracht?“ forschte ich weiter, da sie jetzt mittheilsam wurde.

„Ja, das war eine schreckliche Geschichte,“ rief sie mit reizender kichernder Stimme. „Von meinem Gute bis zum Dorfe P., das weit von meinen Besitzthümern liegt, konnte man es auf einem Wagen fahren. Allein von P. bis herauf sind die Wege für einen Wagen unmöglich. Ich mußte also Männer suchen, welche es hinauftragen würden.“

„Sieben Meilen bergauf über Steine und Gestrüpp?“ rief ich.

„Ja,“ sagte sie. „Ich wollte es haben, ich mußte es haben, ich kann nicht ohne Musik leben. Ich habe im Dorfe ausschellen lassen, daß ich vierhundert Gulden bezahlen wolle für acht Männer, welche, abwechselnd zu Vieren, das Clavier herauf tragen würden. Nun gab’s Streit im Dorfe; Alle wollten das Geld verdienen. Sie kamen, ein ganzer Haufen, vor die Herberge und ich mußte mich in eine Kammer einschließen, damit sie mir nicht zu Füßen fielen und das Kleid mit bittenden Küssen besudelten. Ich ließ Loose ziehen, und so wurde Friede gemacht und mein Clavier kam nach einem siebenzehnstündigen Transporte hier an.“

[481] „Es kann aber doch nicht die Stimmung halten in diesem feuchten Loch?“ sagte ich.

„Natürlich nicht!“ rief sie lachend. „Ich habe einen Schlüssel und stimme es, so oft es nöthig ist.“

„Sie selbst? mit Ihren Kinderhändchen?“ frug ich.

„Glauben Sie, ich habe keine Kraft?“ sagte sie und holte aus der Schublade des Schreibtisches zwei eiserne Halter, deren jeder zehn Pfund wog, und welche sie mit Leichtigkeit in die Höhe hob. Ihr zarter kleiner Körper bog sich zurück und schien fast an den Hüften brechen zu wollen.

„Wozu machen Sie denn solche Kraftübungen?“ frug ich erstaunt.

„Weil ich Clavier spielen will, wie Remeny denkt. Als ich zuerst Remeny’s Schriften las, da konnte ich in meinen Händen kaum einen Regenschirm tragen und spielte Clavier wie eine Schwindsüchtige. Das war jämmerlich!“ sagte sie und legte die eisernen Halter auf den Tisch. „Ich kann aber das Gewinsel nicht ausstehen,“ fuhr sie fort, „ich liebe alles Große, alles Gewaltige, alles à la Remeny.“

Es fiel mir auf daß, trotzdem sie mich vor wenigen Minuten fast zurecht gewiesen, sie nun doch wieder von Remeny zu sprechen anfing.

„Man sagt, Remeny trinke viel Champagner,“ sagte sie nach einer Weile; „ist es wahr?“

„Ja, er leistet Ungewöhnliches darin,“ erwiderte ich, absichtlich Alles, was sie wissen wollte, tropfenweise gebend.

„Ich finde, nur geistreiche Menschen sollten Champagner trinken. Was können dumme oder grob organisirte Menschen aus dem Champagner ziehen? – Ich habe auf meinem Gute oft aus Langeweile mich vor meinen Kamin gelegt und Champagner getrunken, ganz allein, ganz langsam, und es war mir immer, als ob ich Ideen tränke.“ Dann fuhr sie mit lieblichem Kichern fort: „Fragen Sie doch den Lieutenant X. oder den Banquier Y. in Pest, ob sie auch Ideen aus dem Champagner trinken!“

Ich mußte laut lachen und sagte ihr, Remeny habe an einem Abende eine geistreiche Improvisation über den „Champagnertropfen“ gemacht.

„Haben Sie sie nicht aufgeschrieben?“ frug sie rasch.

„Man hatte keine Zeit dazu,“ erwiderte ich; „er improvisirte auf Flügeln, man konnte ihm nicht folgen.“

Plötzlich, wie wenn sie bereute wieder von Remeny gesprochen zu haben, frug sie: „Wie gefallen Ihnen denn die polnischen Dörfer?“

„Es ist viel Schmutz darin,“ sagte ich aufrichtig.

„Ja,“ rief sie, „vor jedem Hause eine Pfütze, in jedem Hause eine Stube, in jeder Stube ein halb Dutzend Menschen, ebenso viel Schweine und Hühner, kein Fenster, keine Seife, kein Wasser, brrr – ich versichere Sie, ich halte mich für eine viel größere Heilige als die Elisabeth von Ungarn; denn die kam schon als Kind nach Deutschland und hat nur thüringische Bauernhäuser besucht: ich aber besuche polnische!“

„Das ist sehr verdienstvoll von Ihnen,“ sagte ich; „denn ich kann mir denken, wie viel Ueberwindung es Sie kostet.“

„Ach, zuweilen bin ich froh, wenn eine Frau in die Wochen kommt oder ein Kind im Sterben liegt; es giebt dann doch etwas zu thun. Es giebt dann sogar sehr viel zu thun, denn die Bauern sind dumm und eigensinnig wie die Kameele. Ein Bauer läßt seine Frau aus lauter Dummheit und eine Frau ihr Kind aus lauter Eigensinn sterben. Oft könnte man ein Kind durch frische Luft und ein paar Gläser Milch retten; aber sie wollen es nicht. Die einzige Fensteröffnung ist das ganze Jahr mit Papier verklebt und der Magen des Kindes mit Kartoffeln. Ich möchte Ihnen nicht rathen, je ohne eine große Flasche Riechessig in eine polnische Bauernstube im Winter zu gehen!“

„Sind Sie im Winter immer auf Ihrem Gute?“ fragte ich leichthin.

Aber die Frau hatte eine erstaunliche Spürkraft; sie merkte, daß unter meiner Frage eine tiefe Neugier lag. Sie sah mich mit durchdringenden Katzenaugen an und sagte: „Wenn ich nicht auf meinem Gute bin, so bin ich anderswo.“

Meine Verlegenheit war groß. Sie schien sie einen Augenblick zu genießen, dann aber Mitleid mit mir zu haben, denn sie stand auf und setzte sich an’s Clavier. Ich athmete auf. Die Frau war halb eine Fee, halb ein Dämon.

Sie spielte einen wilden Ungarmarsch, und ihre Nasenflügel gingen dabei auf und nieder. Dann brach sie plötzlich ab und spielte eine leise, fast schwüle Melodie. Sie spielte sie mehrere Male nach einander, sah sich dann um und sagte: „Sie sollten dies kennen –“ Ich verneinte. „Es sind Stimmen aus Remeny’s ‚Frühlingsnächten‘,“ sagte sie, „und von seinem Freunde P. musikalisch illustrirt.“ Plötzlich hörte sie zu spielen auf, nahm die Cigarre wieder vom Tische, ging zum Eingang der Hütte und rief mir zu: „Kommen Sie, die Nacht ist wunderschön.“ Und sie hatte Recht. In stummer Majestät ragten die schwärzlichen Berge in die Luft; ein lauer Wind flüsterte in den Bäumen und silberne, goldene, röthliche, blaue und grüne Sterne funkelten am Himmel. Die Gräfin lehnte mit dem Rücken an der Hütte und sah stumm zum Himmel hinauf. Plötzlich sagte sie, ohne das Auge von den Sternen abzuwenden, und mit ganz veränderter Stimme: „Lebt Remeny noch mit der Fürstin B.?“ Ich erwiderte ihr, daß er schon vor einem Jahre mit ihr gebrochen habe und sie nach Petersburg zurückgegangen sei. „Wie lange hat er mit ihr gelebt?“ frug sie.

„Etwa fünfzehn Jahre,“ antwortete ich. „Er war ihrer schon lange überdrüssig, allein er glaubte ihr Rücksichten schuldig zu sein; endlich brach er doch, denn sie wurde unerträglich.“

„Hat Remeny jetzt kein Verhältniß?“ frug sie.

„Kein ernstliches, so viel ich weiß,“ versetzte ich.

Nach einer Weile sagte sie: „Lassen Sie uns schlafen gehen.“ Sie bot mir die Hand, und ich sah, daß ihr Auge feucht war. –

Sie ging in die Hütte zurück und ließ einen Strohsack für mich herausbringen. Ich wollte ihn nicht annehmen, da ich wußte, daß es der ihrige war, und ich sie doch nicht auf der feuchten Erde konnte schlafen lassen. Sie hörte mein Weigern und rief mir aus der Hütte zu: „Nehmen Sie doch den Sack, ich werde auf dem Clavier schlafen.“

Ich gab nach. Der Diener brachte mir eine wollene Decke und legte sich dann in einiger Entfernung von mir nieder. Zwischen uns legte sich der Hund, nachdem er, leise knurrend, mich beschnüffelt hatte.

Ich konnte lange nicht einschlafen. Das Seltsame des Erlebten, meine Neugier, wer diese Frau sei, hielten mich wach. Ganz besonders beschäftigte mich Ein Gedanke: was war Remeny dieser Frau? Was konnte der sechszigjährige Remeny diesem jungen, höchstens vierundzwanzigjährigen Geschöpfe sein? Unbestreitbar war Remeny ein großer Mann, ein Genie, wie die Gräfin sagte, und hatte seine ganze geistige Frische und Kraft bewahrt. Allein Remeny hatte in unzähligen ernsthaften und leichten Liebesverhältnissen seine Herzenskraft verausgabt und ich hielt ihn nicht fähig, den Werth eines jungen, begeisterten, großen Herzens jetzt noch zu fühlen. Liebte die Gräfin Remeny? War es wahr, daß sie ihn nicht persönlich kannte? – Wenn diese Frau liebt, sagte ich zu mir selbst, so ist’s auf Leben und Tod. Mir bangte für sie und ich hoffte, im Hinblick auf ihre excentrische Natur und den Umstand, daß sie Remeny nur aus seinen Werken kannte, ihr Interesse für ihn sei nur eine Erhitzung ihrer lebhaften Phantasie. Endlich schlief ich ein, aber ich schlief unruhig. Tosende Wasserbäche, durchdringende Augen, weiße Frauenhände, wilde Accorde und das silberweiß vermengte schwarze Haar Remeny’s gaukelten in meinen Träumen wirr durcheinander.

Als ich erwachte, stand die Sonne hoch am Himmel. Der Diener, welcher neben mir geschlafen hatte, kam, als er mich wach sah, aus der Hütte und bot mir seine Führung zur Dorfherberge an. Vorher sollte ich noch ein Frühstück nehmen, wie mir die Gräfin sagen ließ. „Wo ist die Gräfin?“ frug ich.

„Die gnädige Gräfin geht spazieren und wird erst im Laufe des Nachmittags zurückkommen. Sie läßt dem Herrn sagen, wenn er wieder einmal nach Polen komme, möge er sie wieder in den Karpathen besuchen,“ sagte der Diener.

Auf meine Frage, wer die Gräfin sei, antwortete er, daß sie ihn nicht beauftragt habe, mir dies zu sagen.

Ich setzte mich an den Tisch und warf dabei meine Blicke in der Hütte umher, welche mir beim hellen Tageslicht noch schrecklicher schien als beim Lampenschein. Ich sah jetzt auch viele Bücher auf dem Schreibtische und auf einigen Stühlen liegen und konnte meiner Neugier nicht widerstehen, zu sehen, was die Gräfin in den Karpathen las. Es war Remeny, wieder Remeny und noch einmal Remeny. Dann einige Bände Voltaire, Heine, Mirza-Schaffy und eine Geschichte der französischen Revolution.

[482] Ich wünschte, der Gräfin ein Zeichen meiner Dankbarkeit zurücklassen zu können. Aber was? Ich wünschte ein Maler zu sein, um ihr eine Skizze zeichnen zu können. Das Einfachste schienen mir einige Worte auf einem Streifen Papier. Ich öffnete meine Brieftasche und fand zu meiner größten Freude ein Briefchen Remeny’s, welches mir derselbe am Tage meiner Abreise von Pest geschickt hatte. Es lautete:

„Mein lieber M. Ich hoffe, Sie haben gestern mit dem Souper nicht lange auf mich gewartet. Es war mir nicht möglich zu kommen, denn ich hatte ganz abscheuliche Magenkrämpfe. Ach, man wird alt und kann nichts mehr vertragen! Finden Sie in den Karpathen ein Mittel, mich zu verjüngen, so bringen Sie es mir. Ihr Remeny.“

Diese Zeilen schloß ich in ein Couvert, deren ich auf dem Schreibtisch sah, und schrieb darauf: „Meiner gütigen Wirthin in den Karpathen.“ Dieses Briefchen Remeny’s mußte sie unendlich freuen; und zugleich stimmten die „abscheulichen Magenkrämpfe“ und Remeny’s Bekenntniß, daß er sich alt werden fühle, ihre Begeisterung ein wenig herab. Ich verließ mit Bedauern die Lehmhütte und erreichte gegen zwei Uhr Nachmittags die Dorfherberge, wo mein Führer aus der Hütte mich verließ. Ich frug in der Herberge nach der Gräfin Namen und Verhältnissen und erfuhr, daß sie eine Tochter des hoch angesehenen und reich begüterten Grafen Z. und seit fünf Jahren mit dem Grafen Br. verheirathet sei, aber schon lange nicht mehr mit ihm lebe. Sie habe sich ihrer Excentricitäten wegen mit ihrer Familie entzweit. Ihr Mann lebe in Italien und habe ihr einziges Kind, einen Knaben von vier Jahren, der Mutter der jungen Gräfin übergeben. Diese besuche zuweilen mit dem Knaben auf ein paar Tage die Gräfin Br., wenn sie auf ihrem Gute, eine Tagereise hinter Lemberg, sei. Sie reise aber viel und im Sommer gehe sie immer auf ein paar Wochen in die Karpathen. So hoch, wie dieses Jahr, sei sie noch nie gegangen und Niemand könne begreifen, was sie da oben mache.

Auf meiner Rückreise nach Pest über Lemberg kam ich am Gute der Gräfin Br. vorüber. Es war ein altes trauriges Gebäude; sehr umfangreich, doch nur ein Stock hoch. Ein paar verwitterte Thürmchen gaben ihm das Aussehen eines Herrschaftshauses; im Uebrigen war es einfach, ja kahl. Ich begriff, wie die Seele dieser Frau in diesem reizlosen Gebäude und dieser reizlosen, morastigen Gegend verdursten müsse.

Als ich in Pest ankam, war Remeny verreist. Wenige Wochen darauf wurde ich von meinem Posten in Wien abgerufen und lebte zwei Jahre in Stockholm. Nach dieser Zeit kam ich nach Wien zurück und machte kurze Zeit darauf einen Ausflug nach Pest. Einer meiner ersten Besuche galt Remeny. Ich fand ihn nicht gealtert, im Gegentheil, er sah jünger als vor zwei Jahren aus. Ich sagte es ihm und er schien sich darüber zu freuen. Er fragte mich, ob ich schon eine Einladung für den Abend habe. Als ich es verneinte, lud er mich zu Tische ein und versprach mir, mich nach dem Diner in ein höchst interessantes Concert zu führen, welches zu einem wohlthätigen Zwecke gegeben werde und woran sich auch einige Dilettanten aus der hohen Gesellschaft betheiligen würden. Ich versprach pünktlich zu sein und ging in den Gasthof zurück, um mich für’s Concert umzukleiden. Man hatte mir ein kleines Zimmer gegeben und mich gebeten, bis zum Abend damit fürlieb zu nehmen, wo zwei Zimmer, wie ich sie wünschte, im ersten Stock hergerichtet sein würden. Als ich zu Remeny kam, fand ich einige meiner Bekannten bei ihm, welche auch zu Tische geladen waren. Man war ungeheuer heiter und lebhaft. Remeny trank viel, ich fürchtete, zu viel; allein er ging nicht über die Grenzen einer warmen Lebhaftigkeit hinaus. Gegen Ende des Diners sah er oftmals auf die Uhr. Ich sagte scherzhaft zu ihm, er scheine das Concert kaum erwarten zu können.

„Komm!“ erwiderte er mit einem seltsamen Blick.

Endlich brachen wir auf. Im Concertsaale trennten sich die Uebrigen von Remeny und mir. Wir Beide blieben beisammen. Der Saal war schon ziemlich angefüllt, namentlich waren alle vorderen Sitze eingenommen. Dennoch ging Remeny kühn bis zur ersten Reihe vor. Es war kein einziger Stuhl mehr frei; allein kaum waren wir zwei jungen Leuten sichtbar geworden, als sie von ihren Stühlen aufstanden und sich in den Hintergrund des Saales zurückzogen. Remeny hatte die Sitze für uns durch zwei seiner Scribenten besetzen lassen. Die Plätze waren ausgezeichnet; nicht in der Mitte, aber so gelegen, daß man die Künstler bei ihrem Erscheinen auf dem Podium frei im Auge hatte.

Remeny, der viel Gefeierte, der viel Getadelte, der viel Beneidete, kannte alle Welt und sprach mit allen Zunächstsitzenden. Auch hier blickte er oft auf seine Uhr und schien außerordentlich ungeduldig auf den Anfang des Concerts zu sein. Das Programm war interessant. Es enthielt Männerchöre, Gesangs-, Violin- und Clavier-Soli. Die Künstler waren genannt, die Dilettanten nicht. Die von denselben auszuführende Piècen waren die Chöre, zwei Gesänge für Sopran und die G-moll-Ballade für Clavier von Chopin.

Endlich begann das Concert; die Nummern folgten sich rasch. Ein Chor, dann die Violine, dann ein Gesang. Die Sängerin war eine große, dicke Frau, mit einer mächtigen Stimme und vieler Kunst des Vortrags. Sie war in blaßrothen Atlas gekleidet und mit Diamanten und Blumenketten übersäet. Sie wurde unter starkem Applaus warm empfangen; übrigens war sie die Frau eines Barons G., welcher eine der höchsten Staatswürden bekleidete. Remeny applaudirte wie wahnsinnig. „Applaudiren Sie doch,“ sagte er zu mir, „hinter uns sitzt die ganze Aristokratie und wir werden nirgends mehr eingeladen, wenn wir nicht wenigstens Ein Paar Handschuhe für die Baronin zerreißen.“ Und er lächelte mit dem sarkastischsten Lächeln.

Als die Baronin gerufen wurde, sang sie gütigst noch ein ungarisches Volkslied und der Jubel wollte kein Ende nehmen. Endlich verschwand sie. Ich frug Remeny, wer die Dame sei, die Clavier spielen werde; er antwortete mir nicht, sondern sah gespannt auf die Thür, aus welcher sie gleich kommen mußte. Ich bemerkte, daß die hinter mir sitzenden Damen die Köpfe zusammen steckten und zischelten. Jetzt öffnete sich die Thür und es erschien eine kleine zarte Gestalt, von den Fußspitzen bis zum Kinn und den Händen keusch und ernst in schwarzen Sammt gehüllt. Wie sie zum Clavier herantrat und lebhaft begrüßt wurde, sah sie mit großen Augen und todtenbleich in die Menge, verbeugte sich stolz ein wenig nur und setzte sich dann an den Flügel. Wo hatte ich diese Frau schon gesehen? – Wie ein Blitz durchzuckte es mich: in der Lehmhütte auf den Karpathen hatte ich sie gesehen. Ja, es war ihre Gestalt, ihr Gesicht, ihr unvergeßliches Auge, ihr Haar, das sie so wie damals trug, nur daß es noch höher aufgebäumt war und noch ein wenig tiefer auf der Stirn lag.

„Wie heißt die Dame?“ wollte ich Remeny fragen. Aber die Worte starben auf meiner Lippe, so war ich von Remeny’s Gesichtsausdruck betroffen. Seine Züge waren todtenbleich und wie vergeistigt. Seine Nasenflügel zuckten leise und seine Augen brannten mit glühender Leidenschaft auf der Gräfin Gestalt. Er war in diesem Augenblicke schön wie ein Gott. – Er kennt sie – rief es in mir, und ich lehnte mich tief in meinen Stuhl zurück, um sein Gesicht während ihres Spiels beobachten zu können. Sie begann. Sie spielte wie früher, wild, eigenthümlich, abgerissen, excentrisch, aber elektrisirend; ihr Spiel packte den Zuhörer. Remeny bohrte seine dunkeln Augen in sie und schien kaum zu athmen. Es war eine athemlose Stille im Saal; wen das Spiel nicht fesselte, den fesselte die unbeschreiblich interessante Erscheinung der Frau.

Gegen die Mitte der Ballade hob sie das Auge von den Tasten, und ich sah, daß ihr Blick auf Remeny fiel. In diesem Augenblicke stockte ihr Spiel; sie schien sich der nächsten Tacte nicht zu erinnern. Sie ging einige Tacte zurück und fing die Phrase wieder an. Remeny drückte seine Augen gewaltsam an sich; ich sah, daß er kämpfte. Als sie an der fatalen Stelle ankam, stockte sie wieder. Es entstand eine leise Bewegung im Saale. Remeny knirschte vor Wuth und sagte für sich hin: „wie kann man so dumm, so närrisch, so kopflos sein!“ Sie hielt eine Secunde beide Hände vor die Augen, und spielte dann, einige Tacte, die ihr offenbar nicht in’s Gedächtniß zurückkamen, überspringend, mit einer so hinreißenden Leidenschaft die Ballade zu Ende, daß der ganze Saal in einen Beifallssturm ausbrach. Remeny applaudirte nicht; er sah ihr düster nach, als sie das Podium verließ. Sie wurde stürmisch gerufen. Blaß und mit verstörtem Blicke erschien sie. Man bat um noch eine Pièce; sie zog sich zurück und kam trotz wiederholtem Rufen nicht mehr.

[508] Eine hinter Remeny sitzende Dame sagte mit häßlicher Stimme zu ihm: „Die Gräfin Br. scheint Migräne zu haben, Herr Remeny!“

Dieser sagte schneidend: „Wenn Sie das glauben, Frau Baronin, so bringen Sie ihr doch etwas Riechsalz; man muß eine Gelegenheit zur Barmherzigkeit nie vorübergehen lassen.“

Die Dame schwieg betroffen.

Es folgten noch drei Nummern. Remeny saß wie auf Kohlen. Vor der letzten Nummer sagte er: „Lassen Sie uns gehen,“ und erhob sich. Er ging stolz wie ein König durch die gaffende Menge. Auf der Treppe athmete er ein paar Mal tief auf.

„Ich kann Sie nicht bitten, mich zu begleiten,“ sagte er zu mir, „ich habe einen Besuch zu machen. Gute Nacht.“

Er ging auf einen Fiaker zu. Ich konnte nicht hören, wohin er dem Kutscher zu fahren befahl. Ich ging in eine naheliegende Restauration und ließ mir Wein geben. Ich war aufgeregt und durstig. Was that Gräfin Br. in Pest? War sie ganz von Polen weggezogen? In welchem Verhältniß stand sie zu Remeny? Ich war auf’s Höchste neugierig und beschloß, morgen meine Nachforschungen auf discrete Art zu beginnen. Als ich in meinen Gasthof zurück kam, fand ich die versprochenen Zimmer in der ersten Etage für mich hergerichtet. Es waren ein Salon und ein Schlafzimmer. Ich öffnete die Thür zu diesem und hörte, [509] als ich eintrat, in dem nebenan liegenden Zimmer heftiges Schluchzen einer Frau. Betroffen stand ich still.

„Franz, Franz, ich bitte Dich auf meinen Knieen,“ flehte jetzt die Stimme, „sei nicht hart gegen mich!“

„Es ist aber, wie ich sage, Du hast Dich wie eine Närrin benommen und mich schmählich mit Dir blamirt,“ entgegnete eine andere Stimme, und diese Stimme kannte ich – sie war Remeny’s.

„Kann ich dafür, daß mein Auge Dich sah? Kann ich dafür, daß Dein Anblick mich verwirrte? Kann ich dafür, daß ich Dich liebe bis zum Wahnsinn?“ sagte die weibliche Stimme jetzt etwas gefaßter, und ich glaubte mich nicht zu täuschen, daß es Gräfin Br. war, welche sprach.

„Bis zum Wahnsinn – ja, Wahnsinn ist Deine Liebe zu mir, dem Greise, der durch Dich zum Gespötte wird nach den Tagen des Ruhmes,“ sagte Remeny.

„Franz,“ sagte die Frau wieder, „Franz, ich bin ja keine Künstlerin, was macht es denn, daß ich stecken blieb? Das Urtheil der Menge ist mir gleichgültig.“

„Aber man weiß recht gut, warum Du stecken bliebst,“ rief Remeny wüthend. „Man lacht über Dich, man lacht über mich. ‚Ach,‘ sagt man, ‚die stolze, philosophische Gräfin verliert die Contenance, wenn sie Remeny sieht, und Remeny geht in’s Concert, um ihre Triumphe mit zu feiern, und erleidet ihre Niederlagen.‘ Bei Gott! ich will nicht, daß Remeny’s Geliebte sich und mich blamire!“ rief er mit erhöhter Stimme und er schien ihr Handgelenk zu fassen, denn ich hörte ein Gewand plötzlich wie niederduckend rauschen und einen schwachen Schrei.

„Weißt Du, wer Remeny ist?“ knirschte er.

„Ja!“ rief sie in Ekstase. „Ja, ich weiß es! Er ist ein Löwe in der Wüste, ein Komet, eine Feuersäule für die, welche ihn hassen, und ein Eisberg für die, welche ihn lieben. Er ist ein Gott ohne Liebe.“

„Weib, mache mich nicht rasend!“ rief Remeny. „Ich habe viele Frauen mein genannt, und so hat keine zu mir zu reden gewagt, wie Du. Wer bist Du denn, Du kleine polnische Gräfin?“

„Ein Weib, dessen Liebe Du nicht verdienst, Remeny,“ sprach sie mit niedergehaltener Stimme.

Es folgte eine Pause; ich wagte nicht zu athmen.

„Franz,“ sagte die Gräfin wieder, „wer wollte, daß ich spiele, Du oder ich? wer wollte glänzen, Du oder ich? – Habe ich Dich nicht gebeten, dies Opfer nicht von mir zu verlangen? Habe ich Dir nicht gesagt, daß ich die Welt und ihren Beifall verachte, daß ich zu stolz bin, mich preiszugeben? Wer bat mich, wer gebot mir, es zu thun? Der Tyrann Remeny.“

„Olga!“ rief Remeny drohend.

„Der Tyrann Remeny,“ sagte sie fest. „Der Tyrann Remeny, der meine Seele stahl. Der Tyrann Remeny, um den ich Eltern und Kind verließ, dem ich Alles opferte und der seine Hand gegen mich aufhebt, wenn ich vor Liebe zu ihm die Welt und Menschen nicht mehr sehe und vergesse, daß ich in einem Concertsaal bin. Franz, Du bist nicht mehr, wie Du früher warst – bist Du meiner müde, so schick’ mich fort.“

„Du bist so ungleich, Olga,“ sprach Remeny ruhiger als vorhin. „Von der rührendsten Hingebung springst Du auf zum unbändigsten Eigensinn, von der unvergleichlichsten Demuth zum lächerlichsten Hochmuth, von dem kindlichsten Vertrauen zur unwürdigsten Eifersucht.“

„Eifersucht,“ rief sie jetzt, „ja, Eifersucht, denn der große Remeny, der die Schwächen Anderer geißelt, ist auch schwach! Nicht ein einziges Mal hast Du in Gesellschaft mir die Aufmerksamkeit bewiesen, die Du Andern beweisest. Der finstere Remeny, der kaum ein Lächeln für die arme Olga hat, verschwendet es hundertfach an jede Frau, die seiner Eitelkeit schmeichelt. Und ich soll nicht eifersüchtig sein?“

„Nein, denn Du hast kein Recht dazu,“ sagte er.

„Kein Recht? Wer hat ein Recht dazu, wenn ich keins habe? Ich, die Dich liebt mit allen Fasern ihres Wesens? Ich, die nicht ausgeht, damit Du sie nicht verfehlen sollst; ich, die zu Dir kommt, wenn Du sie rufst; ich, die Deine Freunde liebt und Deine Feinde haßt; ich, die nach Deinem Gebote athmet – Remeny, Du bist undankbar.“ Wieder eine Pause. „Franz,“ bat sie jetzt unter Weinen, „warum diese ewigen Zwiste? warum diese Bitterkeit? O mein Gott, ich liebe Dich, Franz, wie Du mich auch mißhandelst! Dein Genius reißt mich hin, er riß mich zu Dir, er reißt mich in’s Verderben, ich fühle es, denn Du bist wankelmüthig, Du kannst nicht lieben! Dir ist die Frau nichts als eine Rose, deren Duft Dich eine Weile berauscht und die Du mit selbstsüchtigen Händen entblätterst und unbekümmert zur Erde wirfst. Franz, die Frau ist mehr, als nur Das, und ich liebe Dich!“

„Olga“, sagte Remeny mit hartem Tone, „Du wirst morgen Pest auf immer verlassen.“

„Franz, Du kannst mich nicht verstoßen!“ rief sie mit herzbrechendem Schmerz. „Du weißt, daß ich ohne Dich nicht leben kann, nicht athmen. Das Dasein ohne Dich ist ein beständiger Schmerz.“ Ich hörte, daß sie sich ihm zu Füßen warf. Sie wimmerte. „Franz, ich will von nun an immer sanft sein, ich will Alles dulden, nur laß mich Deine Nähe athmen, Deine Züge sehen, Deinen Schatten küssen. Franz, sei barmherzig, ohne Dich muß ich sterben.“

„So stirb!“ sagte Remeny dumpf.

Ich hörte, daß sie sich vom Boden erhob. Mit unbeschreiblichem Tone sagte sie langsam: „Remeny, dies Wort sollst Du mir theuer bezahlen. Geh’!“

Er ging. Ich blieb wie angewurzelt an der Thür stehen. Es blieb lange, lange still im anstoßenden Zimmer. Endlich bewegte sie sich zur Thür und klingelte. Sie befahl dem eintretenden Kellner, Thee zu bringen, und ich benutzte den Augenblick, wo dieser hinausging, mich in den Salon zurückzuschleichen und dann die Thür mit Geräusch zu öffnen, als ob ich eben erst nach Hause käme.

Ich wachte beinahe die ganze Nacht, um sie zu bewachen. Ich hielt sie einer verzweifelten That fähig, und ich verstand zu gut, daß mit Remeny’s Liebe ihr Herz gebrochen sei. Erst als der Tag zu dämmern anfing, schlief ich ein. Am Morgen schickte ich ihr meine Karte und schrieb darauf: „Bittet die gütige Gastgeberin aus den Karpathen, ihn zu empfangen.“ Sie schickte mir ihre Karte, worauf geschrieben stand: „Kommen Sie.“ Ich ging sogleich hinüber. Sie empfing mich mit den Worten: „Sind Sie mein Zimmer-Nachbar?“ Auf mein Bejahen sah sie mir scharf in’s Auge und sagte: „Haben Sie gestern Nacht gehört, was hier gesprochen wurde?“

Ich wurde roth, sie durchschaute mich – ich sagte: „Ja, ich habe es gehört.“

„Setzen Sie sich. Einen Augenblick Geduld,“ bat sie, „ich habe noch einen nothwendigen Brief zu enden.“

Mit ihrer gewohnten Nonchalance setzte sie sich an einen Schreibtisch und schrieb, oftmals die Hand an die Stirn legend. Ich fand sie verändert. Sie war älter geworden, mager, und ein Zug von Uebermüdung lag auf ihrem geistvollen Gesicht. Ihre Augen schienen mir noch größer als vor zwei Jahren. Sie war mir sympathischer als damals, und ich wünschte aufrichtig, etwas für die Wiederherstellung ihres Glückes thun zu können. Sie siegelte jetzt ihren Brief, schrieb die Adresse und setzte sich dann in meine Nähe. Sie hatte ein Morgenkleid von violettem Atlas an. Sie saß so müde, so gebrochen, so elend in dem Fauteuil, daß ich mein Mitleid kaum verbergen konnte.

„Sie haben mir vor zwei Jahren ein Billet von Remeny zurückgelassen. Ich habe Ihre doppelte Absicht recht gut verstanden. Eine große Freude haben Sie mir bereitet, aber meine Begeisterung für Remeny konnten Sie mir nicht nehmen, denn ich finde, daß ein großer Mann auch Magenkrämpfe haben darf. Als Sie mich in den Karpathen fanden, hatte ich Remeny aufgegeben, aber nicht meine Leidenschaft für ihn. Ein Jahr und sechs Monate zuvor war ich bei Verwandten in Pest gewesen und hatte Remeny, dessen Werke ich damals schon auswendig kannte, oft gesehen. Er zeichnete mich aus, er sah, daß ich ihn liebte, und sagte mir, mit Wahrung seiner achtundfünfzigjährigen Würde, daß er für mich eine Begeisterung fühle, wie er sie nie gekannt. Ich sei seine Muse, die für ihn auf die Erde herabgekommen. Wäre Remeny damals frei gewesen, so hätte ich mich damals schon zu seiner Sclavin gemacht. Allein die Fürstin war noch bei ihm, und wenn ich mein Herz und mich selber gab, so wollte ich Remeny auch ganz allein besitzen. Ich fühlte das Feuer seiner Seele die meinige verzehren, und eben dies zog mich an. Aber mein Stolz rettete mich. Ich floh von Pest und hörte nichts [510] mehr von Remeny, bis Sie zu mir kamen. Kurze Zeit darauf söhnte ich mich mit meiner Mutter aus und lebte mehrere Monate bei ihr und meinem Knaben in Lemberg. Eines Processes wegen mußte ich nach Wien reisen. Dort sah mich Remeny, und ich gab alles für ihn auf. Seit achtzehn Monaten bin ich hier; seit wenigen Wochen in diesem Gasthof, weil das Haus, welches ich gemiethet hatte, etwas zu weit von Remeny’s Wohnung lag und ich noch kein günstig gelegenes finden konnte. Die Entfernung wurde unbequem. Remeny schickt oft Abends spät nach mir, damit ich ihm ein Notturno von Chopin vorspiele, oft Morgens um fünf Uhr, wenn er eine plötzliche Inspiration hatte, die aufzuschreiben er Niemandem als mir anvertrauen wollte. Denn er hat die Eigenheit, daß er nichts selbst aufschreibt.“

„Das war ja eine Marter für Sie!“ rief ich.

„Eine himmlische Marter,“ sagte sie. „Was wollen Sie? Remeny ist ein großer Mann, man muß seine Eigenthümlichkeiten ehren. Sie haben [510] gehört,“ fuhr sie fort, „daß Remeny mir befahl, heute Pest zu verlassen!“

„Gräfin,“ sagte ich, „wenn ich wagen dürfte, von der Sache mit Remeny zu sprechen – er ist hochfahrend und sein ganzes Leben lang von den Frauen so verwöhnt worden, daß er Ihre Entschiedenheit nicht erträgt. Dann mag auch der große Unterschied der Jahre in Ihrem Verhältnisse zu ihm manche Unebenheit verschulden. Remeny kann doch nicht mehr so leicht Ihrer leidenschaftlichen Seele nachkommen, andererseits ist Ihre Jugend vielleicht nicht im Stande, seine reiferen, ruhigeren Gefühle und Ansichten zu verstehen. Er findet Sie ungestüm, Sie finden ihn kalt.“

„Ich bin eine viel zu scharfsehende Natur,“ sagte sie, „als daß ich Ihnen in dem, was Sie hier sagen, nicht Recht geben sollte; aber seien Sie versichert, Remeny ist kälter gegen mich, so oft seine Eitelkeit durch mich leidet.“

„Das Verhältniß wird wiederhergestellt werden,“ sagte ich. Beruhigen Sie sich!“

„Das Verhältniß wird nicht wiederhergestellt,“ sagte sie fest. „Ich bin nicht die Frau, die ihr Knie zweimal vor einem Mann beugt, selbst nicht vor einem Remeny. Ich bin entschlossen zu sterben, aber der Mann, der mich wegzuwerfen gewagt hat, wird auch sterben.“

„Gräfin, übereilen Sie nichts, um Gotteswillen!“ rief ich.

Sie wehrte mit der Hand meinen Bitten und gab mir ein dickes versiegeltes Heft. „Sie werden dies nach meinem Tode meiner Mutter schicken. Gehen Sie jetzt!“

„Versprechen Sie mir,“ bat ich, „meine Unterredung mit Remeny abzuwarten, ehe Sie einen verzweifelten Schritt thun.“

„Gut,“ sagte sie. „Gehen Sie heute Nachmittag zu Remeny! Ich werde Sie gegen Abend hier erwarten.“

Ich ging augenblicklich zu Remeny. Er war eben erst aufgestanden.

„Was bringen Sie?“ sagte er. Ich bemerkte, daß ich das Heft, welches mir die Gräfin gegeben hatte, in der Hand trug.

„Alle Umschweife bei Seite,“ sagte ich. „Remeny, ich habe durch Zufall Ihre Unterredung, Ihren Bruch mit der Gräfin Br. angehört. Ich komme eben von ihr. Die Frau ist entschlossen, zu sterben und, wenn ich mich nicht täusche, Sie zu tödten. Sie hat Ihnen Alles geopfert, sie ist eine seltene Frau. Warum geben Sie sie auf?“

Remeny faltete die Stirn und sagte: „Sie bringt mich um alle meine Würde; man lacht und sagt: Remeny ist zweiundsechzig Jahre alt und verliebt. Dies ist Ein Grund.“

„Ein sehr selbstsüchtiger, ein sehr kleiner und eines Mannes Ihrer Art unwürdiger Grund. Ein Genie steht über den Gesetzen der Menge. Wie, Remeny – Sie haben Ihr Leben lang in geistiger Einsamkeit und Verachtung gegen die Welt gesprochen, warum wollen Sie jetzt eine Frau von großem Herzen verstoßen und sich selbst wehe thun, damit die Welt nicht lache? Ist der Wüstenlöwe so zahm geworden?“

Remeny blickte mich finster an, schüttelte sein langes Haar und sprach: „Ich habe noch einen andern Grund: Sie liebt mich zu viel, zu ungestüm, zu ausschließend und verlangt dasselbe von mir. Ich aber habe zu oft geliebt, um noch ein ganzes Herz zu haben; ich habe auch andere Interessen: meine Werke, meine noch zu schreibenden Ideen, der Weltgang – ich kann mich ihr nicht so ausschließlich widmen, wie sie sich mir widmet. Sie ist vierundzwanzig Jahre alt, ich fast dreiundsechzig. Sie hat vor mir noch keinen Mann geliebt, ich habe unzählige Male geliebt. Dann ist sie launenhaft, eine verzogene große Dame, eigensinnig, auffahrend.“

„Gerade wie Sie selbst,“ entgegnete ich. „Glauben Sie mir, Remeny, man muß Sie immer mit den Fingerspitzen anfassen; es ist nicht leicht, mit Ihnen umzugehen.“

„Ich weiß, ich weiß,“ sagte er aufbrausend; „ich will auch gar nicht für liebenswürdig gelten; ich überlasse dies anderen Leuten, die kein Remeny sind und Zuckerbrod essen.“

„Was denken Sie in der Sache zu thun? Sie müssen ein Unglück verhüten,“ sagte ich.

„Ach, sie wird schon ruhig werden,“ sagte er. „Lassen Sie ihre Nerven nur erst austoben!“

Er hatte kaum ausgeredet, als die Gräfin zur Thür hereintrat. Sie sah ganz verstört aus und blieb stumm an der Thür stehen, die großen Augen mit irrendem Ausdrucke auf Remeny geheftet. Sie war unheimlich anzusehen, und Remeny mochte sich meiner Bemerkung, sie habe die Absicht, sich und ihn zu tödten, erinnern. Er entblößte mit ruhiger Hand seine Brust, und die stolze Gestalt hoch aufgerichtet, sagte er:

„Du bist gekommen, mich zu tödten; ich bin bereit zu sterben; thue, wie Du willst!“

Da schrie sie auf und rief: „Nein, nein, ich bin keine Mörderin! Lebe wohl, aber ich muß sterben,“ und hielt ein Pistol, welches sie in ihrem Muff verborgen hatte, an ihr Ohr. Remeny stürzte auf sie zu und entriß ihr das Pistol, welches sich entlud und einen Spiegel zertrümmerte.

„Olga, Kind, sei ruhig,“ sprach er zu ihr, fest sie an sich drückend. „Ich lasse Dich nicht von mir, ich liebe Dich und will [511] Deine Laune und Dein Ungestüm ertragen, ich will Dich besser behandeln als bisher, armes Wesen!“

Ich sah eine Thräne Remeny’s Wange herabträufeln und schlich mich erschüttert davon.

In den nächsten Tagen sah ich die Gräfin und Remeny nur flüchtig; Beide schienen unbeschreiblich glücklich zu sein.

Den andern Tag reiste ich nach Wien und kam erst nach fünf Monaten wieder nach Pest. Ich hatte in der Zwischenzeit von Freunden aus Pest gehört, daß Remeny jetzt weniger in die Welt gehe, daß er viel schreibe oder vielmehr der Gräfin dictire, welche sich ihm gänzlich widme. Seine Feder sei in den Tagen seiner Jugend nicht feuriger, nicht süßer und nicht beißender gewesen als jetzt; es scheine, daß die Gräfin großen Einfluß auf ihn habe und seinem Genie noch einen Jugendaufschwung gebe. Man habe anfangs über das Verhältniß gelächelt; allein das Lächeln habe aufgehört, man merke, daß ein heiliger Ernst darin sei.

Ich kam Abends in Pest an. Es zog mich so reißend zu Remeny, daß ich gleich hinging. Der Diener, welcher mir die Thür öffnete, sah verstört aus und bedauerte, mich nicht anmelden zu können, Herr Remeny sei schwer krank. Ich erschrak.

„Ist die Gräfin Br. oben?“ frug ich.

Er bejahte. Ich gab ihm meine Karte und hieß ihn, der Gräfin zu sagen, ich bitte sie, mich zu empfangen.

Es wurde mir schwül. War es die heiße Sommerluft? War es meine Bangigkeit? – Der Diener kam zurück und bat mich hinaufzugehen und die Gräfin in Remeny’s Arbeitszimmer zu erwarten. Es brannte eine Lampe darin. Nach einigen Minuten kam die Gräfin. Sie war schreckhaft bleich; sie sah aus wie eine wandelnde Leiche.

„Wie lange ist Remeny krank?“ frug ich.

„Seit acht Tagen,“ antwortete sie.

„Was sagt der Arzt?“ forschte ich bange.

Sie sah mich mit verzehrenden Augen an und sprach: „Er lügt!“

„Wie so?“ meinte ich.

Mit fester Stimme erwiderte sie: „Er sagt, Remeny werde gesund werden, und ich weiß, daß Remeny sterben wird.“

„Gräfin,“ rief ich bestürzt, „verzweifeln Sie nicht!“

„Remeny wird sterben!“ wiederholte sie.

„Was ist’s denn?“ frug ich.

„Was es ist?“ antwortete sie. „Das Ende.“

Ich frug, ob ich ihn sehen könne.

„Nicht jetzt,“ sagte sie; „später. Es ist mir lieb, daß Sie gekommen sind. Sie werden begreifen, daß ich Remeny nicht überlebe“ – ich wagte nicht, ihr zu widersprechen, sie hatte Recht, ich begriff es –; „ich will,“ fuhr sie fort, „Ihnen meine Familienpapiere übergeben, wie schon einmal. Sie werden Remeny zu lieb sich die Mühe nehmen und sie meiner Mutter schicken mit einer schonenden Mittheilung meines Endes.“

„Ich möchte die Nacht hier im Hause bleiben,“ äußerte ich von bangen Vorgefühlen bewegt.

„Bleiben Sie,“ sagte sie. „Machen Sie sich’s bequem; lassen Sie sich ein Bett hier auf dem Sopha machen. Ich hole Sie später.“

Sie ging mit leisen Schritten durch ein Cabinet in Remeny’s Schlafzimmer zurück. Der Diener sagte mir, daß sie seit acht Tagen kaum ein paar Stunden geschlafen habe und zwar nur im Fauteuil an Remeny’s Bett. Ich trat an eines der offenen Fenster. Die Nacht war schwül und dunkel. Eine Silberpappel im Garten reichte zum Fenster herauf und ihre Blätter schimmerten im Lichte der Lampe. Der Himmel war mit Gewitterwolken überzogen, die zuweilen ein schwaches Wetterleuchten zerriß. Ich blickte auf Remeny’s Schreibtisch. Manuscripte und Correcturbogen lagen darauf. Ich nahm ein Blatt in die Hand und las: „Ideen über die Gerechtigkeit“.

Während ich las, trat die Gräfin herein und sagte: „Kommen Sie, er will Sie sehen.“

Ich ging mit ihr; mein Herz klopfte gewaltsam, ich fühlte, daß ich zu einem sterbenden Manne ging.

Es brannte eine Lampe im Schlafzimmer; aber der grüne Vorhang über Remeny’s Bett hüllte sein Gesicht in Dunkel. Ich konnte seine Züge kaum unterscheiden. Die Gräfin führte mich an’s Bett. Remeny sah mich und sagte: „Wollen Sie mich sterben sehen? Ich glaube, Sie kommen gerade zu rechter Zeit.“

Ich nahm die Hand, welche er mir reichte, und sagte: „Es ist Ihnen ja gar nicht Ernst damit, in ein paar Tagen ist Ihnen wieder ganz wohl.“

„Glauben Sie?“ entgegnete er. „Ich fühle so etwas wie einen Wurm an meiner Wurzel nagen, und ich glaube, er wird bald durch sein.“ Nach einer Pause sagte er: „Olga, gieb mir Wein!“

Sie brachte Wein in einem Becher und hielt ihn an seinen Mund. Er trank langsam. Als sie den Becher von seinen Lippen nahm, sagte er: „Olga, ein Kuß!“

Sie gab mir den Becher und beugte sich vorsichtig zu Remeny nieder. Als sie sich erhob, sah ich, daß sie zu sinken drohte, und hielt sie. Ihr Herz hämmerte in ihrer Brust; sie faßte meine Hand und drückte sie krampfhaft, ihr ganzer Körper bebte und rang – sie wollte nicht weinen. Remeny schien ihren Zustand zu bemerken und sagte: „Olga, sei ruhig, ich schieb’ es hinaus, so lange ich kann.“

Sie setzte sich an seinem Bette nieder und nahm eine seiner Hände in die ihren; ihr Gesicht war ganz starr. Meine Augen hatten sich jetzt an das Dunkel gewöhnt, und ich erkannte Remeny’s Züge. Er war sehr verändert, ich sah, daß keine Hoffnung mehr da war. Ich ging in’s Arbeitszimmer zurück und las.

Nach einigen Stunden rief mich die Gräfin leise. „Er wird so unruhig,“ sagte sie.

Er fieberte stark. Der Arzt kam, verordnete Einiges und sagte zu mir, als ich ihn zur Treppe begleitete: „In zwei Stunden wird ein großer Mann sterben. Wachen Sie über die Gräfin!“

Ich rang nach Fassung, ehe ich in’s Schlafzimmer trat. Der Kampf begann bald. Remeny litt furchtbar – der Löwe starb nicht leicht. Die arme Frau hielt sich bewunderungswürdig. Ich sah, daß Remeny’s Leiden ihr durch die Seele schnitten, aber sie sagte kein Wort und that keinen Schrei. Gegen Morgen kam das Ende; er wurde ruhiger; er sprach zur Gräfin, leise und kaum verständlich. Ihre Seele hing an seinen Lippen – er verschied.

Olga sah ihn noch immer an, als er schon nicht mehr athmete. Dann plötzlich gab sie mir einen Schlüssel und sagte: „Seine Papiere.“

Ich nahm den Schlüssel. Sie griff in die Tasche ihres Kleides und zog ein Fläschchen daraus hervor. Ich wollte ihr wehren; sie sah mich mit einem unbeschreiblichen Blicke an und meine Hand sank herab. Ich wandte mich und ließ sie ehrfurchtsvoll in ihren letzten Augenblicken mit dem Todten allein. Ich ging in’s Arbeitszimmer und trat an’s Fenster. Die Sonne ging strahlend auf. Ich verhüllte mein Angesicht und weinte.

Als ich in’s Schlafzimmer zurückkam, lag die Gräfin mit Brust und Gesicht auf Remeny’s Leichnam. Ich hob ihren Kopf sanft in die Höhe – sie war todt. Andachtsvoll legte ich ihr Haupt wieder auf Remeny’s Brust und verließ das Zimmer.

Einige Jahre nach diesem Ereigniß ging ich wieder in die Karpathen und suchte die Lehmhütte auf, wo ich die Gräfin Br. zum ersten Male gesehen hatte. Die Hütte stand noch, fing aber an zu zerbröckeln. Im Innern fand ich auch noch den Tisch und die Stühle wieder. In einer Ecke entdeckte ich einen halb vermoderten kleinen Frauenschuh; ich hob ihn auf und behielt ihn. Ich setzte mich auf einen Stuhl und sah die kleine Gestalt vor mir mit den großen, glühenden Augen und den kleinen weißen Händen. Ich hörte ihr gebieterisches Sprechen, ihr wildes Clavierspiel und ihr leises Kichern. Ich sah sie zu den Sternen aufblicken und Remeny’s gedenken. Wo sind die Beiden nun? Wo ist Remeny? – wo ist Olga Br.?



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Auf S. 479 steht in der Vorlage C. Werber, auf S. 508 (Beginn des Schlussteils) heißt es aber E. Werber und auch die Erzählung Ein Meteor mit der Fußnote Verfasser von „Eine Leidenschaft“ im Jahrgang 1874 ist wieder mit E. Werber gezeichnet.