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Gruß ans alte Vaterland

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Textdaten
Autor: Carl Schurz
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Titel: Gruß ans alte Vaterland
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Herausgeber: Rudolf Tombo, Sr., and Rudolf Tombo, Jr., Deutsche Reden: Speeches by Bebel, Bennigsen, Bismarck, Blum, Bülow, Dahlmann, Moltke, Richter, Schurz, William II, Boston: D. C. Heath & Co., 1905, S. 197–209 (Anmerkungen S. 279–281).
Auflage:
Entstehungsdatum: 1905
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Verlag: D. C. Heath & Co.
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Erscheinungsort: Boston
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Quelle: Google-USA*
Kurzbeschreibung: Rede, gehalten zur Feier des Deutschen Tags bei der Weltausstellung in Chicago, 15. Juni 1893
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IX
Carl Schurz
1. Gruß ans alte Vaterland
Rede, gehalten zur Feier des Deutschen Tags bei der Weltausstellung in Chicago, 15. Juni 1893

Dies ist der deutsche Ehrentag in dem friedlichen Wettkampf der Völker auf dem gastlichen Boden der amerikanischen Republik. Von nah und fern kamen wir her, um unsere Huldigung zu zollen dem Genius der deutschen Nation. Als mir die hohe Ehre des Rufes wurde, dieser Huldigung im Namen meiner Landsleute Ausdruck zu geben, fand ich manche Hindernisse in meinem Wege. Aber das deutsche Blut in meinen Adern ließ mich nicht ruhen, und hier bin ich denn, um meine Stimme mit der eurigen zu vereinigen in dem freudigen Gruß an das alte Vaterland. Wie wenig kennen uns doch unsere Stammesgenossen drüben, die da glauben, das Herz des deutschgeborenen Amerikaners sei in selbstsüchtiger Dollarjagd erkaltet und fühle nicht mehr für die alte Heimat! Heute vernehmen sie die Sprache dieses Herzens.

Es ist ja wahr, wir sind treue Bürger der großen amerikanischen Republik, – treu wie die treuesten. Und stolz sind wir auf unser Bürgertum, stolz auf das freie Gemeinwesen, dessen Selbstregierung unsere Regierung, dessen Wachstum unser Wachstum, dessen Schicksal unser Schicksal ist; stolz auf das mächtige und edle Volk, mit dem wir uns eins fühlen; stolz auf das ruhmvolle Sternenbanner, das Symbol harterkämpfter Nationaleinheit, das Wahrzeichen einer großen Vergangenheit und einer größeren Zukunft – stolz darauf sind wir wie die stolzesten. Unsere Pflichten verstehen wir auch, und freudig erfüllen wir sie. Wenn immer unser neues Vaterland seine Söhne zu den Waffen rief gegen inneren oder äußeren Feind, so eilte der deutschgeborene Bürger unter den ersten zur Fahne, um Blut und Leben auf dem Schlachtfeld der gemeinen Sache zu weihen, und unter den Helden und Märtyrern der Republik hat es nie gefehlt an Namen von deutschem Klang. In allen Werkstätten des Gedankens und auf allen Feldern der Arbeit haben der deutsche Geist und die deutsche Hand emsig und fruchtbringend geschafft, und wohl dürfen wir sagen, daß die Erde Amerikas reichlich gedüngt ist mit deutschem Blut und deutschem Schweiß. Und wenn es immer galt, durch die Ausübung politischer Rechte, die uns das neue Vaterland mit freigebiger Großherzigkeit verlieh, der Sache der Freiheit, der Gerechtigkeit und der ehrlichen Regierung zu dienen, so dürfen wir uns wohl rühmen, daß, obgleich nicht von zeitweiligen Irrtümern frei, die Masse der deutschgeborenen Bürger doch stets ihren Weg gefunden hat in die Reihen derer, bei denen die Ehre und die Wohlfahrt des Landes am sichersten waren. Es gibt Verirrungen, zu denen selbst die verlockende Stimme des Parteigeistes die deutsch-amerikanischen Bürger nie hat verführen können. Fragt den politischen Schwindler, und er wird bekennen müssen, daß ihm das „deutsche Votum“ immer Angst und Sorge macht. Fragt den treuen Patrioten, und er wird Euch sagen, daß er mit Zuversicht auf den gesunden, redlichen Sinn und die patriotische Hingebung der deutsch-amerikanischen Bürger baut.

Und mehr als dies. Wie lebhaft auch die Teilnahme des Deutsch-Amerikaners an den Schicksalen, Bestrebungen und Kämpfen des alten Heimatlandes sein mag, wie warm auch seine Wünsche den Stammesgenossen auf allen Pfaden folgen mögen, nie hat er sein Pflichtbewußtsein dem neuen Vaterlande gegenüber verwirren lassen durch den Gedanken, diese Republik von der sicheren Bahn ihrer bewährten, herkömmlichen Politik abzuleiten, sie in die Händel der alten Welt zu verstricken und ihre Macht für ein ausländisches Interesse auszuspielen. Nie hat er in amerikanischer Politik europäische Politik zu treiben versucht. Eine Wunsch freilich hat er immer gehegt, und er wird ihn immer hegen. Es ist ein deutscher, aber nicht minder ein loyal-amerikanischer, patriotischer Wunsch. Es ist, daß das Wohlwollen, das zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und Deutschland von alters her bestanden, niemals durch eine Wolke von Zwist oder auch nur von Mißverständnis getrübt werde, und daß unser altes und unser neues Vaterland immerdar den Nationen der Welt das schöne Beispiel geben mögen einer herzlichen, unverbrüchlichen Völkerfreundschaft.

Wir blicken zurück auf jene dunkeln Tage des Rebellionskrieges, als die Union am Rande des Untergangs zu taumeln schien, als unsere Heere Niederlage auf Niederlage erlitten, als nicht nur unsere Feinde und Neider, sondern auch unsere schwachherzigen Freunde in der alten Welt das Auseinandergehen der großen Republik als Gewißheit prophezeiten; als der Kredit unserer Republik auf den niedrigsten Punkt sank, als die Hoffnung auch der Mutigsten ins Wanken kam. Mit freudiger Genugtuung erinnern wir uns, daß von allen Völkern der Erde das deutsche Volk allein nicht das Vertrauen verlor auf den endlichen Sieg unserer guten Sache und auf die Zukunft Amerikas, daß es unbedenklich seine Ersparnisse zu Millionen und Millionen unserer schwergeprüften Republik herlieh und ihr so in dem verzweifelten Kampfe neue Kraft gab. Das war der Freund in der Not, der dem bedrängten Freunde vertrauensvoll beistand; und reichlich, wie er es verdiente, wurde dies Vertrauen belohnt. Diese Völkerfreundschaft zwischen dem alten und dem neuen Vaterlande ewig stark zu erhalten, das ist der Wunsch, den der Deutsch-Amerikaner warm im Herzen trägt, und den er gewiß im Herzen eines jeden edelgesinnten, patriotischen Eingeborenen wiederfindet.

Der ist nicht fähig, die junge Braut treu zu lieben, der nicht die alte Mutter in treuem Andenken hält. Wer das alte Vaterland nicht ehrt, der ist des neuen nicht wert. So senden wir denn aus der Fülle des deutschen Herzens unsern Gruß über das Meer. Stolz wie wir sind, aus freier Wahl der amerikanischen Republik anzugehören, so sind wir stolz darauf, der großen Nation entsprossen zu sein, die ein Jahrtausend hindurch auf unzählige Schlachtfelder der Waffen, des Gedankens und der Arbeit ihre Siegesmale gepflanzt hat – der Nation, die ein mächtiges Kulturvolk war, lange ehe Kolumbus die Küsten Amerikas sah. Sagen wir heute laut, wie sehr wir das Land lieben, in dem unsere Wiege stand. Mit wehmütiger Lust denken wir an die grünen Wasser des heimatlichen Rheins, in denen sich die altersgrauen, sagenumwobenen Burgen spiegeln; wo die edle Traube glüht; wo der Mensch froh ist, auch ohne zu wissen warum; wo das deutsche Lied doppelt poetisch klingt; wo vom Niederwald das Bild der sieghaften Germania so trotzig über die Grenze blickt[1] – an das schöne, liebe Land, von dem jeder Fußbreit uns teuer ist; von den dunklen Forsten des Schwarzwaldes und dem baierischen Hochgebirge bis zu den Dünen der Nordsee, von den tausendjährigen Eichen auf der roten Erde Westfalens bis zu den schlesischen Bergen und den Buchenwäldern am baltischen Meer.

Wir, die wir zu dem älteren Geschlecht gehören, wie haben wir einst die Erniedrigung des deutschen Namens empfunden, als das alte Vaterland in ohnmächtiger Zerrissenheit dalag; als Deutschland nur ein geographischer Begriff war;[2] als der patriotische Geist seine Kraft in zerfahrenen Versuchen versplitterte; als das Volk der Denker nach all seiner glorreichen Vergangenheit nur noch als ein Volk tatenloser Träumer, und die Zukunft des Vaterlandes nur als eine trostlose Öde erschien. Wer das erlebt, nur der kann es fassen, wie hoch und hehr das Herz schlug, als die große Kunde über den Ozean kam,[3] der böse Zauber sei gebrochen; der Rotbart im Kyffhäuser sei erwacht[4] und die alten Raben umkreisen den Berg nicht mehr. Das war ein Schauspiel, wie der einst so verspottete deutsche Michel[5] plötzlich aus dem Schlafe erwachte; wie er die gewaltigen Glieder reckte; wie er seinen Schild schüttelte, daß er klang wie alle Donner des Firmaments; wie das Stampfen seines Fußes den Boden Europas erzittern machte; wie er mit mächtigem Schwertschlag den übermütigen Feind vor sich in den Staub warf; wie er mit Posaunenstimme ausrief: „Das ganze Deutschland soll es sein!“ und wie die Menschheit staunend aufblickte an der riesigen Heldengestalt!

Das war eine herrliche Zeit. Wo immer in der weiten Welt es ein deutsches Herz gab, da schlug es voll Bewunderung und Dankbarkeit den Stammesgenossen im alten Vaterlande entgegen; und wo immer die deutsche Zunge klang, da erscholl im freudigen Chor das große Wort: „Der Deutsche hat wieder ein Vaterland!“ Jede deutsche Brust hob sich mit kühnerer Selbstachtung und jeder Tropfen deutschen Blutes erwärmte sich an der neu aufgestiegenen Frühlingssonne deutscher Ehre und Größe.

Viele Jahre sind seitdem vergangen, und nun sehen wir wieder die Germania im Siegeskranz, – diesmal nicht der blutige Lorbeer auf fernen Schlachtfeldern gewonnen, sondern jetzt hier auf unserem eigenen Boden, unter unseren eigenen Augen, die Germania geschmückt mit der Bürgerkrone, die sie sich erobert hat im friedlichen Völkerwettkampf der Erfindung, der Kunst, der schaffenden Arbeit, des fruchtbringenden Strebens, der Civilisation. Hier steht sie, nicht mit dem großen Haufen vermischt – hinter keinem zurück und weit voraus den meisten. Was Deutschland im Kriege vermag, das weiß die Welt, sie hat es gehört und gelesen. Was Deutschland im Frieden kann, das sieht sie jetzt.

Gestehen wir’s nur, manche von uns hatten soviel kaum zu hoffen gewagt. Hier erinnerte man sich noch der demütigen Leistung Deutschlands auf der Philadelphier Weltausstellung des Jahres 1876.[6] Jene Leistung war nicht allein klein an Umfang gewesen, sondern auch kleinlich an Charakter. Sie trug noch das Merkmal der alten Zeit vor der Widergeburt des Reiches, als in der Zerrissenheit des Vaterlandes der Deutsche noch kleinstaatlich lebte und kleinstaatlich dachte; als der Gedanke, in dem Wettkampf der Völker sich auf den ersten Platz zu schwingen, den meisten Deutschen noch fast wie eine törichte Vermessenheit erschien; als in dem geschäftlichen Streben der spießbürgerliche Plan des kleinen, nächstliegenden Vorteils durch Unterbieten im Preise den weitsichtigen Unternehmungsgeist und die kühnen Griffe in die Zukunft ausschloß. Freilich hatte zur Zeit der Philadelphier Ausstellung das neue Deutsche Reich schon fünf Jahre bestanden, und freilich war Deutschland die tonangebende Macht des europäischen Kontinents. Aber diese fünf Jahre waren doch zu kurz gewesen, als daß den national-politischen Aufschwung ein national-wirtschaftlicher schon hätte einholen können. Die Folgen zweier großen Kriege mußten erst überwunden und der Bann der Kleinlichkeit, jenes alten Fluches des deutschen Wesens, mußte erst ganz gebrochen werden durch das Wachstum weiter Anschauungen, kühneren Strebens und höherer Ziele. Und dieses Wachstum ist gekommen, wie es bei einem tüchtigen Volke kommen mußte, unter jener mächtigsten aller Inspirationen des Volksgeistes, – der Inspiration einer edleren und stolzeren nationalen Selbstachtung. Und wie bei dem einzelnen Menschen, so bei einem Volk – Selbstachtung ist Charakter.

Es gibt in dem Kampf der Konkurrenz zwei Arten von geschäftlicher Politik, die für den Charakter des Geschäftsmannes und den des Geschäftes bezeichnend sind. Die eine ist, was ich schon erwähnt habe, das Unterbieten der Preise, mit der Devise: „Billig und schlecht.“[7] Das ist die Politik des Spießbürgers, der seinen Vorteil durch kleinliche Schlauheiten sucht und sich an eine ebenso kleinliche Kundschaft wendet; eine engherzige, feige, kurzsichtige, durch ihre eigenen Kniffe sich selbst übervorteilende Politik, die wohl ein Feld zeitweilig gewinnen, es aber nie auf die Dauer behaupten kann; die durch ihre kurzen Siege ihre eigene Niederlage um so gewisser macht; eine Politik, die eines tüchtigen Mannes und eines tüchtigen Volkes unwürdig ist.

Die andere ist die Politik des Überbietens im Werte – mit der Devise: „Beste Ware für guten Preis.“ Das ist die Politik des Geschäftsmannes von weitem Blick und von Charakterstolz; des Mannes, der mit offenem Geist die Bedürfnisse seiner Zeit erforscht und die besten Mittel sucht, ihnen zu genügen; der die Fortschritte der Erfindung und die Entwicklung der Gelegenheiten mit scharfem Auge verfolgt; der mit großem Sinn und freigebiger Hand die Wissenschaft und die Kunst zu seinen Gehülfen macht; der sich mit ehrlichem Handeln eine ehrliche Kundschaft gewinnt und der auf dem Boden des gewonnenen Vertrauens mit kühnem Unternehmungsgeist Weiteres wagen darf. Das ist die Politik eines Volkes, das seine Industrie und seinen Handel in großem Maßstabe aufbauen will; eines Volkes, das Geist besitzt und diesen Geist zu gebrauchen versteht; eines Volkes, das in seine eigene Kraft Vertrauen setzt und vor seinem eigenen Charakter Respekt hat. Das ist die Politik, die den Weltmarkt erobern und ihn auch behaupten kann.

Die Politik des Unterbietens im Preise – das war Deutschland in Philadelphia – ein nachschleichender Schatten des Deutschlands der alten Zeit, der Zeit der Zerrissenheit, der Ohnmacht, der Kleinlichkeit, der Selbstironie, des Zweifels an der eigenen Kraft. Die Politik des Überbietens im Wert – das ist Deutschland in der weißen Stadt zu Chicago[8] – das Deutschland der neuen Zeit, des mächtigen Reichs, des gehobenen Nationalgefühls, der Selbstachtung, der großen Inspiration, des gewaltigen Könnens und des hohen Wollens, groß in seinem Kriegsruhm und nicht weniger groß in den Werken des Friedens. Diesem Deutschland bringen wir heute unsern Gruß.

Mit stolzem Bewußtsein des Vollbrachten kann Deutschland hier den Völkern der Erde zurufen: „Kommt her und seht!“ In diesen Räumen zeigt sich nicht nur das stoffliche Produkt, hier weht der Geist der Nation. Nach den deutschen Siegen im französischen Kriege sagte man: „Das war nicht bloße brutale Kraft, das hat der deutsche Schulmeister getan.“[9] Dasselbe Wort gilt hier, wenn man dem deutschen Schulmeistertum die deutsche Universität zuzählt. In keinem Lande der Welt wird soviel wie in Deutschland die Wissenschaft um ihrer selbst wegen, das ist, um der Erkenntnis wegen, gepflegt; und doch hat sie in keinem Lande der Welt dem praktischen Schaffen größere Dienste getan. Das Beispiel steht vor uns. Was ist hier nicht alles, – von dem Nürnberger Spielzeug[10] bis zu dem riesigen Ungeheuer der Kruppschen Kanone,[11] bis zu den Wundern der Schmiedekunst und des Berliner und Meißener Porzellans,[12] bis zu den neuesten Erzeugnissen auf dem Gebiete des Machinenbaues, des Eisenbahnwesens, der Chemie, der elektrischen Triebkraft und des elektrischen Lichts – und da leuchtet wieder das deutsche Licht am hellsten und am weitesten – bis zu den Herrlichkeiten der heutigen Textilindustrie, bis zu den glänzenden Schöpfungen der Neuzeit in Malerei und Skulptur, von den einfachsten Lettern des gewöhnlichen Buchdrucks bis zu dem blendendsten Prachtwerke in Buchstaben und Bildern, von der Handfibel der deutschen Volksschule bis zu dem Apparat höchster Wissenschaft. Alles dies und viel mehr, wie es auf deutschem Boden gewachsen ist, das Nützliche und Schöne vereint, in einer Mannigfaltigkeit, Fülle und Pracht, und von jener Anmut durchwebt, wie sie nur einem in vielhundertjähriger Geschichte gebildeten Kulturvolk eigen sein kann – hier ist dies alles, so erstaunlich und doch so unleugbar und überzeugend, daß die Kritik ohne Kampf der Bewunderung weicht und selbst die Mißgunst und Eifersucht stumm wird.

Niemand verarge uns, wenn auch wir nur Deutsch-Amerikaner fühlen, als hätten wir an diesem schönen Siege der Stammesgenossen unsern Anteil. Es sei uns vergönnt, uns in dem Glanz des alten Vaterlandes zu sonnen. Mit Stolz weisen wir unsere amerikanischen Brüder hierher und sagen: „Seht, dies ist Deutschland, das Land, das uns geboren. Dies ist das deutsche Volk, das Volk, dem wir entsprossen sind. Achtung diesem Land und diesem Volk!“ Allen anderen Nationen gönnen wir neidlos, was immer an Triumphen sie verdient haben. Wir sind mit diesem zufrieden. Und für diesen Triumph senden wir dem alten Vaterlande unsern herzenswarmen Dank. Dank dem deutschen Geist und der deutschen Kraft, die alles dies geschaffen. Dank dem Kaiser für die mächtige Anregung, die er diesem Werk in Deutschland gegeben, und für die Gunst, Sorge und Hilfe, die er ihm angedeihen ließ. Dank dem Kommissär des Deutschen Reiches, Herrn Wermuth, der mit seltener Umsicht und Geschicklichkeit, mit sicherem Takt und mit rastloser Hingabe und Energie dieses Werk vorbereitet, geordnet, gefördert und überwacht hat. Sein Name wird hier stets in hoher Achtung und Freundschaft leben. Dank jedem deutschen Mann, der seinen Anteil, ob groß oder klein, zu diesem glänzenden Beweise deutschen Könnens beitrug.

Diesen Dank begleiten unsere wärmsten Wünsche. Mögen dem deutschen Vaterlande zur Entwicklung des so kräftig Begonnenen und so herrlich Erreichten noch viele Jahre ungetrübten Friedens beschieden sein. Möge es alle Prüfungen, die das Schicksal ihm auferlegen mag, seiner würdig bestehen. Der Horizont Deutschlands ist freilich nicht wolkenlos. Nicht allein seine Lage zwischen gefährlichen Nachbarn, sondern auch nicht weniger der hitzige Interessenstreit und das Parteigewirr im Innern mögen wohl oft dem deutschen Patrioten die Ursache schwerer Sorge sein. Aber ich gestehe, ich bin wenig besorgt um das Ende. Was wir dort Beunruhigendes sehen, ist in der Weltgeschichte nichts Außergewöhnliches. Große nationale Neubildungen, aus früher gesonderten und unabhängigen Bestandteilen zusammengefügt, haben immer eine Periode der Verwirrung zu überwinden, bis die Erkenntnis dessen, was in dem neuen Zustande die Hauptsache und was die Nebensache ist, das ganze Sammelvolk durchdrungen hat. Wie lange hat es in unserer amerikanischen Union gewährt, bis dieser Prozeß vollendet war! Wie er sich hier vollzog, so wird er es auch drüben. Das deutsche Volk wird niemals vergessen, daß seine Einigkeit, im Reiche verkörpert, die Grundbedingung seiner Stärke, seiner Größe und seiner Wohlfahrt ist. Und das Reich wird unfehlbar die verläßlichste Bürgschaft seines Bestehens finden in der fortschrittlichen Entwicklung freier Institutionen. Das deutsche Volk ist wie jedes andere tüchtige Volk – je freier, um so treuer. So wünschen wir herzlich und hoffen wir fest, daß das einige Deutschtum immerdar grünen und blühen werde, sich selbst und aller Welt zum Heil.

Uns aber, den Amerikanern deutschen Blutes, sei, was wir hier sehen, eine Mahnung und Inspiration. Vergessen wir nie, daß wir des vaterländischen Ruhmes froh sein dürfen nur in dem Maße, in dem wir seiner würdig sind. Ich sagte: Wer das alte Vaterland nicht ehrt, ist des neuen nicht wert. Ich sage auch: Der ist des alten Vaterlandes nicht wert, der nicht im neuen zu den pflichttreuesten Bürgern zählt. Noblesse oblige. Sich einen Deutschen zu nennen, bedeutet jetzt mehr, als es früher bedeutet hat. Wer sich so nennt, der vergesse niemals seine Ehrenpflicht. Er achte Deutschland in sich selbst. Großes kann der Deutsch-Amerikaner vollbringen in der Entwicklung der Sammelnation der neuen Welt, wenn er in seinem Sein und Tun das Beste des deutschen Wesens mit dem Besten des amerikanischen Wesens vereint zur Gestaltung bringt. Und hier an diesem deutschen Ehrentage laßt uns geloben, diese hohe Aufgabe getreu zu erfüllen.

Dieses ist der Gruß, den wir hinübersenden. Mit dieser Liebe für was du bist, mit diesem Dank für was du getan, mit diesem Wunsch für deine Wohlfahrt, mit diesem Gelübde deiner würdig zu sein, aus vollem Herzen grüßen wir dich heute, du große, alte Mutter, du herrliches, du liebes deutsches Vaterland!


  1. [279] wo vom Niederwald das Bild … blickt, the Niederwald is a mountainous region covered with fine oak and beech at the south-western end of the Taunus in the Prussian district of Wiesbaden near the Rhine – between Rüdesheim and Assmanshausen. Opposite Bingen the eminence is crowned by a national monument commemorating the Franco-German war. A [280] bronze figure of Germania, 34 feet in height, surmounts a richly decorated pedestal. The monument was unveiled on September 28, 1883.
  2. [280] als Deutschland nur ein geographischer Begriff war, see page 190, line 6.
  3. [280] als die große Kunde über den Ozean kam, the news of the establishment of the German empire, January 18, 1871.
  4. [280] der Rotbart im Kyffhäuser sei erwacht, the Kyffhäuser is a mountainous region in central Germany between the Harz mountains and the Thuringian Forest. The ruins of the old Kyffhausen castle, a favorite residence of the German emperors, are still standing on the highest peak. The legend, according to which the ruins were inhabited by an emperor who would return to establish German unity, goes back to the 15th century. It was originally connected with Frederick II, 1215–1250, but since the appearance of Friedrich Rückert’s ballad of Barbarossa, it has generally been attributed to Frederick I, Barbarossa, 1152–1190, who was drowned on the third crusade in Asia Minor. The emperor was said to be shut up in the Kyffhäuser with his beard growing through the table, and the ravens, symbols of evil, were supposed to encircle the mountain until Germany should again be united. This was accomplished in 1871 under William I, and a magnificent memorial of this emperor adorns the mountain. A statue of Barbarossa forms a feature of the monument.
  5. [280] der … deutsche Michel, Michel is a popular abbreviation of Michael. Der deutsche Michel represents for Germany what Uncle Sam or Brother Jonathan does for the United States, or John Bull for England.
  6. [280] der demütigen Leistung … des Jahres 1876, at the international Centennial Exposition held at Philadelphia in 1876, Germany’s exhibit was not a credit to the country. The German commissioner himself characterized the German industrial exhibit as „billig und schlecht.“ At Chicago, in 1893, the exhibit of the German manufacturers, both in quality and in quantity, formed one of the most noteworthy features of the exposition.
  7. [280] „Billig und schlecht,“ see previous note.
  8. [281] in der weißen Stadt zu Chicago, the World’s Columbian exposition held at Chicago in 1893 was called the „White City“ from the fact that the exposition buildings were white.
  9. [281] das hat der deutsche Schulmeister getan, see page 157, note 1.
  10. [281] von dem Nürnberger Spielzeug, Nuremberg is the second largest city of Bavaria and is renowned for the manufacture of toys, enormous quantities of which are exported.
  11. [281] der Kruppschen Kanone, see page 4, note 2.
  12. [281] des Berliner und Meißener Porzellans, Berlin and Meiszen (an interesting old town in the kingdom of Saxony, 16 miles northwest of Dresden) are the chief centers of the German porcelain industry. The first porcelain factory in Europe was established at Meiszen by Böttger in 1710, the Berlin factory being founded in 1750. Most of the so-called „Dresden china“ really comes from Meiszen.