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MKL1888:Bolzāno

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Bolzāno“ in Meyers Konversations-Lexikon
Seite mit dem Stichwort „Bolzāno“ in Meyers Konversations-Lexikon
Band 3 (1886), Seite 175176
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Bolzāno. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 3, Seite 175–176. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Bolz%C4%81no (Version vom 22.03.2024)

[175] Bolzāno, ital. Name für Bozen.

Bolzāno, Bernhard, kathol. Theolog, Philosoph und Mathematiker, geb. 5. Okt. 1781 zu Prag aus einer ursprünglich italienischen Familie, zeichnete sich schon als Student durch Aufstellung einer der später von Legendre gegebenen sehr ähnlichen Parallelentheorie (Prag 1804) aus, wurde, noch sehr jung, 1805 Professor der Religionsphilosophie an der Universität seiner Vaterstadt und geriet durch seine freimütigen Vorträge wie durch seine von Personen aller Stände eifrig gesuchten Predigten bald so sehr in den Ruf der Heterodoxie, daß infolge einer von jesuitischer Seite ausgegangenen Denunziation nach Rom, die ihn des Rationalismus und der Hinneigung zum Protestantismus beschuldigte, eine Untersuchung über ihn verhängt, der Widerruf vier als ketzerisch bezeichneter Punkte gefordert und, da er denselben verweigerte, 1820 unter dem Eindruck der allgemeinen Furcht vor Studentenverschwörungen seine Entsetzung vom Lehramt ausgesprochen wurde. Seitdem lebte er zurückgezogen und nur mit seinen Studien und der Abfassung zahlreicher theologischer, philosophischer und mathematischer Werke beschäftigt, die der in Österreich damals bestehenden Zensur wegen teils gar nicht, teils nur auf Umwegen und größtenteils ohne seinen Namen zum Druck gelangten, auf dem Landgut einer ihm befreundeten Familie bis an seinen Tod (18. Dez. 1848), der ihn gerade in dem Augenblick hinwegraffte, als in seiner Heimat ein freierer Geist sich gewaltsam Bahn brechen zu wollen schien. B. gehörte als Theolog der moralistisch-rationalen Richtung der Sailer, Reinhard, Ammon u. a. an; bei dem Inhalt der Glaubenslehre galt ihm dessen historische Glaubwürdigkeit weniger als dessen theoretische und praktische Vernunftmäßigkeit. Als Philosoph fand er sich am meisten von Leibniz befriedigt, dessen Lehre von den ewigen Wahrheiten er seiner Logik, wie dessen Monadenlehre seiner Metaphysik zu Grunde legte. Als Kanzelredner erinnerte er durch seine mehr philosophisch analysierende als homiletische Vortragsweise sowie durch die freie Behandlung der Schrifttexte an Schleiermacher, nur daß ihm dessen glänzende oratorische Begabung abging. In Bezug auf Kirchenverfassung schloß er sich den freisinnigen Bestrebungen der Wessenbergschen Schule an, an deren Organ, den „Freimütigen Blättern“, er fleißig mitarbeitete. Als Lehrer, Priester und Mensch gehörte B. selbst nach dem Zeugnis seiner Gegner zu den sitten- und fleckenreinsten Erscheinungen seines Standes. Ein großer Teil seiner fast durchaus von Freunden herausgegebenen Schriften, namentlich der mathematischen, die eine umfassende methodische Umgestaltung dieser Wissenschaft enthalten, ist noch ungedruckt. Seine vorzüglichsten Schriften sind: „Lehrbuch der Religionswissenschaft“ (Sulzbach 1834, 4 Bde.); „Wissenschaftslehre. Versuch einer neuen Darstellung der Logik“ (das. 1837, 4 Bde.), sein Hauptwerk, zu welchem Heinroth eine empfehlende Vorrede schrieb; „Athanasia, oder Gründe für die Unsterblichkeit der Seele“ (das. 1827, 2. Aufl. 1838); „Über die Perfektibilität des Katholizismus“ (Leipz. 1845); zwei Abhandlungen „Zur Ästhetik“ in den „Denkschriften der Königlich Böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften“, deren eifriges Mitglied er war („Über den Begriff des Schönen“, 1843, und „Über die Einteilung der Künste“, 1849); „Über den Satz der Zusammensetzung der Kräfte“ (das. 1842); ferner die Streitschriften: „Krug und B.“ (Sulzbach 1837), gegen Krugs „Antidoton“; „B. und seine Gegner“ (das. 1839); Schreiben an Theiner (1827), Tzschirner (1828), Röhr (1837); die „Prüfung der Philosophie von Hermes“ (1840), gegen die Hermesianer; die nach seinem Tod erschienene Schrift „Was ist Philosophie?“ [176] (Wien 1849); die „Erbauungsreden“ (Prag 1815; 2. Aufl., Sulzbach 1839), von welchen nach seinem Tod weitere 4 Bände (Prag 1849–52) und eine neue Folge (Wien 1884, Bd. 1) erschienen. Vgl. Bolzanos Selbstbiographie, herausgegeben von seinem Schüler und Schicksalsgenossen M. J. Fesl (neue Ausg., Wien 1875); Wißhaupt, Skizzen aus dem Leben Bolzanos (Leipz. 1849); Rob. Zimmermann, Über Bolzanos wissenschaftlichen Charakter etc. (Sitzungsberichte der kaiserl. Akademie der Wissenschaften zu Wien, 1849).