MKL1888:Getreidesamenzucht

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Getreidesamenzucht“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 19 (Supplement, 1892), Seite 392393
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Getreidesamenzucht. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 19, Seite 392–393. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Getreidesamenzucht (Version vom 07.05.2024)

[392] Getreidesamenzucht. Das Ziel der G. ist die systematische Veredelung der Getreidearten durch Verbesserung älterer bewährter Sorten und durch Züchtung neuer besserer Sorten, um gutes Saatgut zu beschaffen, allgemein zu verbreiten und durch Ausfuhr von Saatware den Reinertrag der Landwirtschaften zu heben. Im Deutschen Reiche befaßt sich die Saatgutabteilung der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft imt der Einleitung von Saatwechsel- und Getreideanbauversuchen, in Österreich zum Teil der Verein zur Förderung des landwirtschaftlichen Versuchswesens in Wien und E. v. Proskowetz in Kwassitz mit Gersteveredelungsversuchen, in Schweden der Allgemeine schwedische Saatzuchtverein in Svalöf (Provinz Schonen) und der Samenzuchtverein Mittelschwedens in Örebro mit der Veredelung von Getreidearten und Futterpflanzen. Demselben Zwecke dienen auch die allgemeinen nordischen Samenkongresse (1. Borås 1880, 2. Sundswall 1882, 3. Drontheim 1887) und zahlreiche Veranstaltungen in andern Ländern. Vergleichende Anbauversuche haben zunächst den relativen Wert der Getreidevarietäten und -Sorten für verschiedene klimatische und Bodenverhältnisse festzustellen. Die bewährten Sorten werden nach der Selektionsmethode der weitern Veredelung unterzogen. Nach der als vollkommenste geltenden Veredelungsmethode von Th. Bruun von Neergard werden zunächst die Pflanzen ausgewählt: 1) nach der Halmbildung (nur 2 bis 3 Halme); 2) nach dem Mehligkeitsgrad (mit dem Diaphanoskop bei durchfallendem Lichte geprüft); 3) nach botanischen Kennzeichen an losen Körnern, um sortenreine und gleichförmige Samen zu erhalten; dann wird die Zuchtwahl der ganzen Ähre vorgenommen und zwar: 1) nach botanischen Charakteren; 2) nach Gewicht, indem bei derselben Sorte das Gewicht von Spindel, Spelzen etc. konstant, dagegen das Gewicht der Körner je nach Entwickelung verschieden ist; 3) nach der morphologischen Zusammensetzung der Ähre, resp. relativen Dichtigkeit der Ähren (Ährchenzahl und Körnerzahl auf je 100 mm Ährenlänge), ermittelt mit dem Klassifikator, einer Art Rechenschieber (Hand in Hand mit größerer Ährendichtigkeit geht eine größere Biegungsfestigkeit des Halmes, so daß eine Auswahl nach diesen Momenten zu gleichförmigem Körnerbesatz und zu Widerstandsfähigkeit gegen das Lagern führt). Schließlich wird die Auswahl der Körner getroffen und zwar: 1) nach botanischen Kennzeichen; 2) nach dem Standort an der Ähre, zu welchem Zwecke mit dem Ährchensortierer das die besten Körner enthaltende mittlere Drittel der Ähre festgestellt wird; 3) nach der Größe mit Siebmaschinen; 4) nach dem Gewicht (pro 1000 Körner); 5) nach der Mehligkeit mit dem Diaphanoskop (glasige Körner liefern höhere und kräftigere Pflanzen und höhern Ertrag); 6) nach der Reinheit von fremden Beimengungen (fremde Samen, Unkraut etc.); 7) nach der Keimkraft und Keimungsenergie, wozu bei Gerste und Hafer die Feststellung des Kern- und Spelzengehalts, bei Hafer die Scheidung von Außen- und Innenkörnern, da das zwischen den Hüllspelzen außen sitzende Korn vollkommener als die innen sitzenden Körner sind, und bei Weizen noch die Backfähigkeit kommen.

Über die Verteilung des Korngewichts in den Ähren kommt Rümker zu folgenden Resultaten: 1) Das Korngewicht an den Fruchtständen unsrer Getreidearten scheint in den verschiedenen Zonen der Spindel mit fast gesetzmäßiger Regelmäßigkeit verteilt zu sein. 2) Bei Gerste und Weizen sitzen die schwersten Körner nicht in der Mitte, wie bislang angenommen wurde, sondern in der untern Hälfte der Ähren. Bei Hafer dagegen scheinen zwar die großen Körner gleichmäßig über die ganzen Rispen verteilt zu sein, doch sind stets die Außenkörner, d. h. die primären, unter der äußersten Spelze sitzenden, schwerer als die darunter gebildeten zweiten und dritten Körner. 3) Einer der wichtigsten Punkte bei der Auslese der Eliteähren ist die Berücksichtigung des Ährengewichts, da die schwersten Körner in den schwersten Ähren zu sitzen pflegen.

Bei der Veredelung von Pflanzensorten und der Neubildung von Pflanzenrassen durch Zuchtwahl, spontane Variationen oder künstliche Kreuzung hat [393] man sich gegenwärtig zu halten, daß die Wechselbeziehungen der verschiedenen Eigenschaften (korrelative Variabilität) die Unvereinbarkeit (Inkompatibilität) gewisser Vorzüge in einen Typus bedingen. Gerade die wertvollsten Eigenschaften lassen sich in einer Sorte nicht vereinigen, weil dieselben zu einander in einem innern, physiologisch begründeten Gegensatz stehen. Dazu kommt, daß die höchste Leistung nur unter den passendsten Wachstumsbedingungen zu erzielen ist. Es wird daher eine anspruchsvolle Gerstensorte auf dürftigem Boden oder eine genügsame Gerstensorte auf fruchtbarem Boden gleich ungünstige Erträge bringen; dagegen wachsen wenig anspruchsvolle Pflanzen noch auf Bodenarten, auf welchen anspruchsvolle Pflanzen versagen, die sonst unter günstigen Vegetationsverhältnissen auffallend hohe Erträge gewähren. Vgl. Rimpau, Kreuzungsprodukte landwirtschaftlicher Kulturpflanzen (Berl. 1891).