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Marie Petersen’s reizendes Märchen „Prinzessin Ilse“

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Textdaten
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Autor: Unbekannt
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Titel: Marie Petersen’s reizendes Märchen „Prinzessin Ilse“
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 19, S. 304
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1870
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Bearbeitungsstand
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[223] Marie Petersen’s, der vor einem Jahrzehnt verstorbenen Dichterin, reizendes Märchen „Prinzessin Ilse“ wird jetzt in’s Englische übersetzt, und zwar von einer Dame Miß Lizzi Selina Eden, die aber leider nicht so viel Gerechtigkeitsgefühl hat, den Namen der Verfasserin zu nennen. Die englische Kritik lobt die Schönheit und Anmuth des Gedichts, ohne zu ahnen, daß es aus einer weiblichen Feder geflossen ist und daß „die Irrlichter“, die sehr unverdient getadelt werden, von derselben Verfasserin sind. Marie Petersen gehörte zu den Veilchenseelen, die nur in der Verborgenheit erblühen können; sie war eine echt poetische Natur, die durch äußere Leiden zu inneren Freuden gelangt. Sie war ein Stiefkind des Glücks; das Leben in der Welt bot ihr keine Glanzseiten. Mit Ergebung, Sanftmut und wahrhafter Liebenswürdigkeit gegen ihre Umgebung hatte sie ihre Jugend freudlos hinschwinden sehen. Da lernte sie an der Grenzscheide derselben eine unverweltliche Freude kennen, die Poesie, die Gabe auszusprechen, was ihre Seele bewegte. Eine Reise in den Harz wurde für sie entscheidend; in dem Waldesduften und Quellenrauschen des deutschen Wunderberges dichtete sie die „Prinzessin Ilse“ und gewann sich alle Herzen damit, denn es war gleichsam die Quintessenz der Harzpoesie darin verkörpert.

Anonym ging das Gedicht in rasch aufeinander folgenden Auflagen durch die gebildete Lesewelt; man rieth hin und her, ohne die bescheidene Marie Petersen als Verfasserin zu vermuthen. Sie lebte in Frankfurt an der Oder, einer sogenannten Haupt- und Handelsstadt der Provinz Brandenburg; ihr Vater war der Erbe einer Jahrhunderte alten Apotheke und führte den Doctortitel. Ihr elterliches Haus war ein uraltes Meßhaus mit Gewölben und Läden, die zu den dreimal alljährlich stattfindenden Messen an Handelsleute vermiethet wurden. Das seltsame geschnörkelte Gebäude mit feinen Thürmchen, Treppchen und Gallerien war schon frühzeitig eine Fundgrube für die Phantasie des dichterisch begabten Mädchens gewesen, und eine kleine Monographie des alten Meßhauses findet sich in einer Schauernovelle à la Hoffmann unter ihren Schriften der letzten Zeit. Sie schilderte darin die dumpfen geheimnißvollen Gewölbe und malte die Schrecken einer Feuersbrunst, die auf den schwindelerregenden Gallerien und halsbrechenden engen Stiegen des alten Gemäuers in der That ein grauenhafter Gedanke war. Er hatte in schlaflosen Nächten die kleine, schwächliche Dichterin oft geängstigt.

Es war als wenn sie vorgeahnt hätte, daß die von ihr gefürchteten Gewölbe einst ihre Grabesschauer über sie selbst ausschütten würden. Sie starb in heißer Sommerzeit während des Lärms einer sehr frequenten Messe, und es war in dem überfüllten Hause kein anderer Raum für ihren Leichnam, als das düstere, kühlste und grausigste der Gewölbe. Wie ein rührendes Gedicht lag sie im Sarge von Sommerblumen bedeckt und von Wachskerzen umstanden, die an den feuchten Kellerwänden wie klagende Geister emporflackerten, gleich den Irrlichtern ihres tiefsinnigen Märchens. Wenige Jahre später, wieder zur Zeit des Meßgewühls, trat auch die Feuersbrunst ein, die sie vorahnend geschildert hatte. Die Flammen züngelten wie Schlangen an den Gallerien entlang, und das graue, ehrwürdige Gebäude sank in einer stürmischen Nacht in Trümmer. Die alte Handelsstadt Frankfurt an der Oder besitzt noch manches denkwürdige Haus, von dem sich viel erzählen läßt, aber keins, das wir so gern in seinen Wunderlichkeiten erhalten gesehen hätten, wie das Geburts- und Sterbehaus der Dichterin Marie Petersen.