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Schweizer Alpen-Bilder/Meister Braun

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Textdaten
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Autor: A. Bitter
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Titel: Meister Braun
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 5, S. 68-71
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1862
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Schweizer Alpen-Bilder.
Nr. 2. Meister Braun.

Meister Braun, von dessen riesiger Kraft und Gutmüthigkeit so viel gerühmt wird und dem’s wohl gerade wegen dieser seiner letzten löblichen Eigenschaft Altmeister Goethe im Verkehre mit Freund Reinecke so übel ergehen ließ, ist selbst bei uns, in dem schluchtenreichen schweizerischen Hochlande, bereits ein seltener, deswegen aber immer noch kein unbedingt gern gesehener Gast geworden, weil’s um die vortrefflichen Eigenschaften des zottigen, anscheinend so bauernhaft plumpen Burschen denn doch, bei Lichte besehen, hie und da bedenklich aussieht. In den Thälern und Schluchten, die sich zu Füßen und an den Flanken der riesigen Gletscherpyramiden des Berner Oberlandes doch zahlreich genug vorfinden, ist er seit Jahrzehnten weder von Wildheuern, Sennen, noch selbst von Gemsjägern mehr angetroffen worden. Der gute Petz ist zwar ein ganz erträglich guter Kletterer und ein weit flinkerer

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Meister Braun auf dem Ziegenstalle.
Originalzeichung von H. Jenny.

Fußgänger, als man ihm bei bloß oberflächlicher Bekanntschaft zutrauen möchte; der windschnellen Gemse aber thut er’s in beiden Künsten gleichwohl bei Weitem nicht nach, selbst nicht einmal dem Steinbock, der, gleich ihm, vor der unermüdlichen Beutelust der Jäger dieses Revieres sich in noch wildere und unzugänglichere Gebiete zurückziehen mußte. Dennoch ist er noch weit entfernt, so ganz wie Cooper’s letzter Mohikaner sein ganzes edles Geschlecht aussterben zu sehen. Noch immer bieten ihm die grausigen, wild zerklüfteten Gebirge des Unter-Engadin, des Ofnergebirges, Münsterthals etc., das tessinische Blegnothal und die fast unzugänglichen Felslabyrinthe, die sich um die gigantischen Felsstöcke des Wallis lagern und auffallender Weise auch die bei Weitem weniger steilen und wilden Gebirgszüge des waadtländischen Jura bequeme und sichere Standquartiere, in denen ihn nur selten der Jäger aufstören würde, wenn nicht das Bedürfniß nach einer guten Mahlzeit ihn von selber in weniger einsame Regionen hinaustriebe. Freund Braun ist nämlich ein außerordentlich fein gebildeter Gastronom, und wenn er auch ein Ziegen- oder selbst Rinderlendenstück ungebraten verzehrt, so liebt er doch einen Salat ohne Essig und Oel, aber von feinen, fetten Wiesenkräutern dazu, und vermißt dabei nur mit schwerem Verdruß eine Nachkost von Erdbeeren, Birnen, Trauben und besonders von süßem Honig, lauter Dinge, für die er zuweilen seinem Wirthe den warmen, weichen Pelzrock in Versatz lassen muß.

Das südliche Rhätien scheint noch immer die meisten Bären zu zählen, und besonders im untern Engadin hausen jedenfalls beständig eine Anzahl von Bärenfamilien, deren Spuren dem in jenen felsigen Revieren herumstreifenden Jäger fast jeden Tag zu Gesichte kommen und deren Zahl immerhin auf dreißig Stück geschätzt wird. Ihren beständigen Aufenthalt nehmen die Bären mit Vorliebe in einsamen, zwischen steil abfallenden Gebirgswänden liegenden, schwer zugänglichen Schluchten, die bis fast zur Schneegrenze hinauf mit finsterem Nadelholz bewachsen sind. Von da aus aber machen sie, wie bereits bemerkt, oft sehr verwegene und weitgedehnte Spaziergänge in die bewohntem Gegenden, so z. B. vom Engadin aus durch die ganze Südkette der rhätischen Alpen und von da in’s traubenreiche, milde Tessin hinunter, oder vom Einfischthale, wo es hinsichtlich feiner Leckereien nur sehr mittelmäßig bestellt sein mag, abwärts in die sonnigen Rebgelände des Walliser Landes. Doch mögen wohl solche Streifereien bloß mehr zu den Extratouren oder sommerlichen Vergnügungsreisen zu rechnen sein, denn im Allgemeinen gehört Freund Braun seiner ganzen gewichtigen Anlage nach zu den behäbigen Philistern unter der sonst so beweglichen Sippschaft der Alpenthiere und verläßt, wie der Staatshämorrhoidarius, nur selten sein eigentliches Gebiet, was auch um so gerathener für ihn erscheint, als es bekanntlich im Bündnerlande der Leute gar manche giebt, die eine sicher treffende Büchse führen und ihm gar scharf auf den Dienst lauern, und die, wie der Schloßpächter von Zernetz, schon eigenhändig zwölf seiner naschhaften Vettern erlegt haben. Im Jahre 1857 mußten einzig [70] im Engadin acht alte und junge Bären die schwere Hand ihrer unermüdlichen Verfolger empfinden, und der Jagdabenteuer giebt es unzählige, welche von den Bären-Nimroden erzählt werden. Selbst das Jahr 1861 war wieder ein bärenreiches, und wenn man den öffentlichen Blättern des Bündnerlandes Glauben beimessen darf, so sind im letztverflossenen Jahre 4 bis 5 Stück erlegt worden. Unter so bewandten Umständen hält sich Braun meist in seinen Schluchten auf und begnügt sich mit magern Ebereschenbeeren und selbst Feldmäusen. Wird aber der Drang nach besserer Kost einmal gar zu mächtig in ihm, dann macht er sich Nachts auf den Weg nach irgend einem Ziegenstalle, deckt, wenn’s geht, mit seinen gewaltigen Tatzen das Dach ab, oder rennt, ganz wie ein Mensch, mit seinem breiten Rücken die Thüre ein und holt sich eine Ziege zum Nachtschmause heraus. Einen solchen Moment stellt das diesem Aufsatze beigedruckte Bild, „Meister Braun auf dem Stalle“, dar, und die Geschichte ist zudem buchstäblich wahr. Ziegenhirten in einer der rauhesten Alpen des Rhätikon bemerkten einst, daß das Gras um die Hirtenhütte über Nacht glatt abgeweidet und zudem die Thüre zum Ziegenstalle zerkratzt worden war. Vergeblich durchsuchten sie jedoch die nächste Umgebung und den tiefer liegenden Zirbelkieferwald nach dem vermutheten ungebetenen Gaste. Gleichwohl beschlossen sie aufzupassen, und einer von ihnen holte zur größeren Vorsicht eine alte Muskete aus dem nächsten Thaldorfe herauf, die denn auch, wie Herr von Tschudi, der das Abenteuer berichtet, bemerkt, mit vieler Andacht geladen wurde. Den Tag über machten sie die Bemerkung, daß die Ziegen dem Landfrieden keineswegs recht trauten und sich nur mit Widerwillen von einer weiter unten weidenden Rinderheerde entfernen mochten. Zwei Nächte paßten übrigens die Sennen vergeblich. In der dritten Nacht aber wurden sie plötzlich durch ein Geräusch auf der Ziegenhütte geweckt, und entdeckten bald einen Bären, der sich zuerst vergeblich bemühte, die Thüre aufzudrücken, worüber das gehörnte Völklein drinnen im Stalle sehr unruhig zu werden anfing. Die beiden Sennen, welche als treulose Schildwachen auf ihrem Lauerposten geschlafen hatten, waren eben keine verwegenen Jäger, und es wurde ihnen beim Anblick des seltsamen Besuchers etwas unheimlich zu Muthe. Der eine schlich zur Alphütte, um auch die übrige Hauptmacht zum Treffen zu rufen, während sein Genosse in ziemlich trostloser Stimmung seine alte Muskete in Kriegsbereitschaft setzte. Inzwischen hatte der hartnäckige Petz richtig mit seinen gewaltigen Pranken die Thüre eingedrückt, bei welcher Gelegenheit die flinken Ziegen wie toll aus der Hütte stürzten und sich meckernd auf die benachbarten Felsen retteten. Petz aber hatte denn doch richtig eine der Flüchtigen gepackt und schickte sich eben an, die Euter seiner Beute zu verspeisen. Gerade in diesem Moment rückte aber jetzt die ganze Hauptmacht der Sennen, mit Prügeln, Melkstühlen und andern unliebsamen Werkzeugen versehen, vorsichtig zum Angriffe heran. Einer von ihnen, ein ehemaliger Gemsjäger, nahm dem verfassungslosen Wachtposten die Muskete aus den Händen und ging auf den schmausenden Bären los. Dem schien es nun freilich sehr unangenehm zu sein, in seiner Mahlzeit gestört zu werden, denn er richtete sich sogleich auf den Hinterbeinen empor und gab durch gewaltiges Brummen seine üble Laune zu erkennen. Der beherzte Senne ließ sich aber dadurch in seinem Vorgehen nicht beirren, knallte in nächster Nähe seines Gegners los, und der starke Streifschuß zerschmetterte dem armen Petz die rechte Rippenseite. Freilich probirte der Geschädigte noch, sich mit wüthenden Tatzenhieben für die ihm widerfahrene Unbill zu rächen, es half ihm aber diesmal weder sein Grimm noch seine Kraft, denn die übrigen Sennen kamen nun ebenfalls herbei und schlugen den Verwundeten vollends todt. Der Erschlagene gehörte zu den braunen Bären und wog 240 Pfund.

Nicht immer aber läuft die Geschichte so mißgeschicklich für Petz ab, wie dieses Mal, was schon die folgenden Thatsachen beweisen: Ein Bär erwürgte im September 1853 auf der Stutzalp im Engadin in wenigen Tagen nicht weniger denn funfzehn Schafe, von denen er sich einige mitten aus der brüllenden Rinderheerde wegholte; ein Umstand, der um so mehr auffällt, als die Heerden bei einem Angriffe des gefürchteten Räubers sich sonst als feste Phalanx in einen Kreis zusammenzustellen und, den gehörnten Kopf tief gesenkt und nach außen gekehrt, den Feind muthig zu erwarten pflegen. Auf der Buffaloraalp zerrissen die Bären Anno 1858 nicht weniger als 29 Stück aus einer einzigen Schafheerde, und im Sommer 1860 beanspruchte ein einziger Petz innerhalb vierzehn Tagen in Zernetz gar 17 Schafe zur Befriedigung seiner kleinen Bedürfnisse.

Wird der Bär wegen solchen polizeiwidrigen Thuns verfolgt, so trabt er meist ganz langsam und gemächlich fort und wird, ohne selbst angegriffen zu sein, wohl nie dem Menschen gegenüber die Offensive ergreifen. Brennt man ihm aber eins auf die Wolle und trifft nicht gut, dann ist, wie bereits angedeutet, nicht mehr gut mit ihm zu verkehren, und eine Verwundung entflammt, statt ihn zum Rückzüge zu bewegen, seinen Zorn zur rasendsten Wuth. Den schlagendsten Beweis zu dieser Angabe bildet folgendes Abenteuer des Jägers Rindi, aus Disentis im Bündnerlande. Im December 1838 die breite Spur eines Bären verfolgend, verlor er gegen Abend dieselbe an einer schroffen, unheimlichen Felsenwand, die nur auf einem schmalen, gefährlichen Pfade zu erklettern war und in der Höhe oben über schwindelndem Abgrunde hinführte. Muthig erkletterte der todverachtende Mann diesen Pfad, bis er oben in der Felswand ein Loch entdeckte, in welchem er des Bären Behausung vermuthete. Hier mußte einer von Beiden auf dem Platze bleiben, denn ein Ausweichen war weder für den Jäger noch für den Bären möglich. Vorsichtig schlich Rindi heran und gewahrte, in die Höhle hineinspähend, zwei Augen, die ihn aus dem Dunkel des engen Loches wie glühende Kohlen anfunkelten; die Pranke des Bären hing sogar so weit heraus, daß er sie hätte mit der Hand anfassen können. Zweimal versagte dem kühnen Jäger der sonst so sichere Stutzen. Endlich krachte der Schuß; aber des Bären wüthendes Gebrüll rief gleich mit dem Knall das Echo der Gebirge wach und schien die Felsen erbeben zu machen. Rindi retirirte so weit möglich von der Höhle zurück, um den Stutzen wieder zu laden. In der Höhle war es still geworden, und als der Jäger näher trat, konnte er selbst weder Tatze noch Augen der Bestie mehr gewahren. Nach einer Weile glaubte er ein leises Kratzen und Scharren zu vernehmen, und von einem Gefühl plötzlichen Schreckens gepackt, verließ er eilig die Schlucht.

Am nächsten Morgen nahm er drei andere Jäger mit sich, um das Raubthier, das derweil doch verendet haben konnte, aufzusuchen. Diesmal wurde der Angriff jedoch von oben herab unternommen; die Jäger kletterten an einer langen, hart am Felsen stehenden Tanne zu der Bärenhöhle hinunter, voran ein August Biskuolm, den Stutzen auf den Rücken geschnallt. Kaum aber war der Mann auf dem Felsenpfad angelangt, so stürzte der über den wiederholten Besuch erbitterte Bär mit zwei gewaltigen Sätzen auf ihn los, umklammerte ihn mit den Armen und schmiß ihn kunstgerecht, wie ein Schwinger, auf den Boden. Biskuolm rollte sammt seinem Gegner, laut um Hülfe rufend, einen Abhang hinunter, konnte sich jedoch endlich aus der gefährlichen Umarmung losmachen und den Stutzen von der Schulter reißen. Der erboste Braun war aber eben so flink wieder auf den Beinen, so daß der Mann kaum eben noch Zeit fand, ihm den Kolben seines Gewehres vorzuhalten, als er zum erneuten Angriffe heranstürzte. Rindi kam glücklicherweise auf den Hülferuf seines Freundes ebenfalls die Tanne herabgeklettert und jagte der Bestie noch rechtzeitig seine Kugel zwischen die Rippen. Der Bär zog sich auf dieses freilich ein paar Schritte zurück, machte jedoch eben wieder Anstalt aufs Neue sich auf die Jäger zu werfen, welches Vorhaben nun aber Biskuolm mit einem dritten, tödtlichen Schusse vereitelte. Als man den Bären untersuchte, entdeckte man, daß schon der Tags vorher empfangene Schuß ihm das Gebiß zerschmettert hatte. Das war ohne Zweifel dem kämpfenden Biskuolm sehr zu statten gekommen. Der Umstand, daß er während des Ringens mit dem wüthenden Raubthiere sammt dem letztern bis dicht an den Rand des Abgrunds gerollt und nur wie durch ein Wunder dem zerschmetternden Sturze entgangen war, genügte, um ihn noch nach langen Jahren bei der Erinnerung an den gefährlichen Kampf mit Schauder zu erfüllen.

Launiger als das Vorhergehende klingt die Geschichte von dem Bergamasker Schäfer, der auf seinem Saumthiere über den Buffalora-Paß dahertrabte und dabei auf zwei junge Bären stieß. Die beiden Thierchen stießen erschrocken ein kleines Geschrei aus, worauf die Bärenmutter, ihre liebe Nachkommenschaft bedroht glaubend, wüthend herbeirannte und das Pferd anfiel, das jedoch seinerseits die tolle Angreiferin mit kräftigen Hufschlägen zu bedienen anfing, während der Hirt von seinem Rücken sprang. Bei den wiederholten Angriffen fällt der zottige Mantel des Schafhirten vom Pferd und der Bärin über das Gesicht. Darüber doppelt ergrimmt, [71] wühlt sie sich heraus und zerreißt das arme Kleidungsstück in hundert Fetzen. Der Hirt aber, nicht faul, fand es nicht gerathen, zu warten, bis die Bestie mit dieser Verrichtung zu Ende war; er machte es wie ein bekannter Held des alten Testaments, ließ seinen Mantel im Stich, schwang sich auf’s Roß und galoppirte in leicht begreiflicher Hast davon.

Es mag zwar, trotz des Gesagten, wahr sein, was die Naturforscher von unseren Bären, deren es bei uns drei Arten giebt – den großen schwarzen, den großen grauen und den kleinen braunen, nebst einer weißen, aber äußerst selten vorkommenden Spielart – behaupten, daß sie nämlich, im Ganzen genommen, ein so ziemlich gutmüthiges Vieh seien. Zu trauen aber ist den Burschen, die trotz ihrer gerühmten geraden, ehrlichen Manier, den Feind von vorne anzugreifen, denn doch den Nebel vortrefflich zu benutzen wissen, um einem fetten Rinde mitten in der Heerde auf’s Kreuz zu springen, nie so ganz, und wir gestehen, daß wir die hübsche Geschichte von dem Bären, der einem Erdbeeren suchenden Mädchen die süßen Früchte aus dem Körbchen naschte und sich dann forttrollte, ohne dem Kinde das Mindeste zu Leide zu thun, extra für Leute geschrieben erachten, die das Unglaubliche im Glauben zu leisten vermögen.

Die grausenerregende Unglücksgeschichte von dem englischen Capitain Lork, der vor ungefähr einem Jahre bei Nacht auf eine noch jetzt nicht aufgeklärte Weise in den Bärenzwinger zu Bern hinuntergerieth und da ein wahrhaft entsetzliches Ende fand, hat bewiesen, daß der Bär auch im wohlgefütterten und zudem halbzahmen Zustande eben immer ein gefährliches Raubthier ist, das diesen Charakter nur selten verleugnen wird. Es ist zwar richtig, daß der gewaltige männliche Bär im Zwinger eine gute Weile wartete, bevor er zum Angriff schritt, aber das Ende war darum nur um so fürchterlicher. Selbst der gezähmte Bär, der auf den Jahrmärkten herum mit seinen Tanzkünsten das Publicum ergötzen muß – ein Schicksal, das doch ganz geeignet sein sollte, den armen Petz vollkommen zahm zu machen, behält noch immer einen Rest der alten Tücke bei. Das hat jener Emmenthaler Bursche erfahren, der, zu einem der erwähnten Marktauftritte kommend, sich’s in den Kopf setzte, mit dem tanzenden Bären es im „Schwingen“ probiren zu wollen. Der Emmenthaler war nämlich einer jener nervigen, riesigstarken Ringkämpfer, die alljährlich an dem großen nationalen Schwingfeste zu Bern Theil nehmen, bei welcher Gelegenheit die berühmtesten Schwinger des ganzen Landes sich gegenseitig öffentlich zu messen pflegen. Der übermüthige junge Geselle, der schon so manchen wackern Gegner geworfen hatte, meinte in seiner Weinlaune, er werde es mit eben so guter Aussicht auf Sieg und Erfolg mit einem so elenden Bären wagen dürfen. Der Bärenführer machte zwar ein sehr bedenkliches Gesicht zu dem gefährlichen Unterfangen, gab jedoch am Ende seine Einwilligung, als der Kampflustige ihm ein Fünffrankenstück übergab, mit dem Bemerken, es behalten zu dürfen, falls sein Bär Sieger bleibe.

Jetzt ging’s unter gewaltigem Zusammenlauf des Marktpublicums los. Der Bär hatte zwar die üblichen kurzen Hosen nicht an, bei deren Gürtel und am Kniesaum sich die Schwinger beim Kampfe zu fassen pflegen; das genirte aber den Sohn des Gebirges wenig, das langhaarige Fell des Burschen that ja denselben Dienst und wurde auch sofort rüstig gepackt. Der Bär, der eben nicht recht begreifen mochte, um was es sich handle, brummte zwar ein wenig, fand aber keine rechte Zeit zum Widerstande. Der Schwinger wirbelte ihn fast gleich beim ersten Anpacken wie eine Feder in die Luft und schmiß ihn in sausendem Schwunge so mächtig und kunstgerecht auf den Rücken, daß dem guten Petz fast Hören und Sehen vergehen mochten.

Petz hätte nun freilich als guterzogener und regelrechter Schwinger sich fein ordentlich besiegt geben und seinen Gegner, den er im Fallen mit zu Boden gerissen, säuberlich loslassen sollen. Er verstand jedoch die Sache anders und schlang unter wüthendem Gebrumme die gewaltigen Pranken um den sehnigen Körper seines Besiegers, dem ob dieser illoyalen Umarmung bald der Athem zu entfliehen drohte. Der über seine Niederlage äußerst erbitterte Bär war nur durch die schlagenden Gründe seines Herrn zu bewegen, den fast erstickten Gegner loszulassen, der nachher sich ausdrückte, es komme ihm vor, als wären alle seine Rippen in einem Schraubstock zerknackt worden. Hätte der Bär nicht einen Maulkorb angehabt, so hätte es auch leicht zum Knacken kommen dürfen.

Uns ist nur ein einziger verbürgter Fall bekannt, daß ein Bär sich wirklich dankbar und nobel benommen hätte. Er ist jedenfalls launig genug, um ihn unsern Lesern zum Schlusse zu erzählen. Der vor einigen Jahren verstorbene langjährige Wärter des Bärenzwingers in Bern, ein hochbetagter Greis, hatte eines Morgens seinen lieben Mutzen, für die er eine wahre Anhänglichkeit hegte, und mit denen er auf möglichst vertrautem Fuße stand, das Futter in den hinter dem Zwinger angebrachten Stall gebracht, während die Bären draußen im Zwinger herum spazierten. Natürlich vermittelte sich der vertrauliche Verkehr zwischen dem sogenannten Bärenvater und seinen zottigen Pflegebefohlenen nur durch das schwere eiserne Fallgitter, das den Stall vom Zwinger trennte. Der Wärter hatte eben seinem Liebling, dem mächtig großen männlichen Bären, seinen Lieblingsleckerbissen, gelbe Rüben, zwischen den Gitterstäben durchgeschoben und sich dafür von dem dankbaren Thiere die Fingerspitzen belecken lassen, ein Spiel, das der Verfasser dieser Zeilen den guten alten Mann noch oft selbst hat treiben sehen. Hatte er das gethan, so pflegte er durch den Stall seinen Rückzug zu nehmen, von wo aus eine Thür auf die Treppe ging, die in seine Behausung hinauf führte. Hatte er diese Thüre hinter sich, so zog er dann mittelst einer da angebrachten, mit dem Zwingergitter in Verbindung stehenden Schnur das letztere wieder empor, um die Bären in den Stall zu lassen. Das that er denn auch diesesmal und wanderte ruhig weiter. Oben auf der Treppe angekommen, fiel’s ihm plötzlich ein, daß er vergessen habe, den Riegel der Thür hinter sich vorzuschieben, und daß diese daher bloß angelehnt sei.

Erschrocken wandte der alte schwerhörige Mann sich um, um eilig das Versäumte nachzuholen. – Es war schon zu spät – keine zwei Schritte von ihm wandelte der männliche Bär, mit seiner riesigen Gestalt fast das enge Treppenhaus ausfüllend, gravitätisch, aber ohne Zeichen von böslichen Absichten, daher; aber dicht hinter ihm folgte das Weibchen mit zornigem, dem Wärter alle Nerven durchschütterndem Brummen. In diesem fürchterlich kritischen Momente fiel dem vor Alter schon fast kindischen Greise ein seltsames Auskunftsmittel bei, um den gefährlichen Nachbar zum Rückzuge zu bewegen. Er schaute das Thier mit vorwurfsvollen Blicken an und hielt ihm im eindringlichsten Tone alle die vielen Wohlthaten vor, die er ihm während seines langen Aufenthalts im Zwinger erwiesen, zählte die vielen „Rübli“ auf, die er ihm gespendet, und endete mit den freilich selbst für ein Bärenherz rührenden Worten: „Lueg, Mani, du bist d’r undankbarst Bursch vo der Welt, wenn d’ di jetzt nit abemachst!“

Und richtig, der Mani, wie der gewaltige Bär von der bernischen Bevölkerung genannt wurde, wurde von dem moralischen Gewichte dieser Gründe überwältigt und machte langsam und gravitätisch „kehrt“. Das Weibchen aber war nicht so leicht zu rühren und suchte zähnefletschend neben dem weichherzigen Gemahl vorbei und an den Bärenwärter zu kommen. Der gestrenge nun auf seine Oberherrlichkeit eifersüchtige „Mani“ vermerkte das jedoch sehr übel und schlug seine Frau mit einem einzigen wuchtigen Hiebe seiner gewaltigen Pranke so effectreich hinter die Ohren, daß sie, wie aus einer Bombe geschossen, die Treppe hinünterflog und in den Stall zurückkollerte, wohin er ihr auch sofort nachfolgte und es ruhig geschehen ließ, daß der an allen Gliedern zitternde Wärter die Thür hinter ihm festriegelte. Der alte Wärter büßte mit schwerer Krankheit seine Unvorsichtigkeit.

Auch bei dieser Gelegenheit hat sich die von den Naturforschern gemachte Beobachtung bestätigt, daß die weiblichen Bären viel grimmigeren und gefährlicheren Naturells seien, als die männlichen. Es wird Leute geben, die wegen dieser Thatsache kaum erstaunen werden. Der noble „Mani,“ der bei dieser Geschichte eine so schöne Rolle spielte, befindet sich gegenwärtig ausgestopft im Museum der Naturgeschichte zu Bern, wo er noch jetzt durch seine riesige Größe und gewaltigen Formen die Bewunderung der Beschauer erregt.

A. Bitter.